Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Schließlich – und darauf bin ich auch stolz, weil damit ein Beschluss des Landesparteitages der Berliner SPD umgesetzt wird – werden wir das beitragsfreie letzte Kitajahr einführen, was unter anderem auch dem Deutschunterricht nützlich sein und unsere Kinder besser als bisher zum Schulanfang befähigen wird. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Dr. Tesch! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Mutlu das Wort. – Bitte schön, Herr Mutlu!

Liebe Frau Schultze-Berndt! Ich möchte nicht anzweifeln, dass Sie es ernst meinen. Wenn ich mir die Begründung Ihres Antrags durchlese, würde ich sagen, die hätte glatt von mir oder von uns sein können. Und das in vieler Hinsicht.

Sie haben in Ihrer Begründung und in Ihrer Rede Sachverhalte aufgezählt, die ich zum Teil auch unterschreiben würde. Aber Sie stellen hier einen Berichtsauftrag. Sie sagen dem Senat, er solle berichten. Sie fordern nicht all die Dinge, die Sie anprangern und die Sie in gewisser Weise auch richtig kritisieren. Sie fordern nicht, dass die Missstände behoben werden, dass dort Veränderungen eintreten, dass zum Beispiel mehr Mittel in die Sprachförderung gelangen oder mehr Personal mit Migrationshintergrund eingestellt wird, weil diese Menschen Brückenbauer sind, all das fordern Sie nicht. Sie sagen: Senat berichte mir, wie die Situation aussieht.

Und das wohl wissend, dass wir vor zwei Wochen im Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport erfahren haben, dass es bereits einen DaZ-Bericht gibt. Herr Härtel als zuständiger Staatssekretär hat uns in der besagten Sitzung zugesichert, dass wir ihn bekommen. Ich finde, das sollten wir erst einmal abwarten und sehen, was darin steht, und unsere entsprechenden Konsequenzen je nach politischer Couleur daraus ziehen. Das, finde ich, wäre der richtige Weg, anstatt – in dieser Hinsicht muss ich leider Frau Dr. Tesch Recht geben – einen derartigen Schaufensterantrag zu formulieren.

Vieles, was in der Begründung zu lesen ist, deckt sich mit einem Antrag, den wir im Frühjahr dieses Jahres eingebracht haben. Er ist im zuständigen Fachausschuss noch nicht behandelt worden. Wir haben darin gefordert, dass die verschiedenen Dinge, die in der Berliner Schule hinsichtlich Förderung von Kindern nichtdeutscher Herkunft, hinsichtlich DaZ, hinsichtlich zusätzlicher Deutschstunden laufen, gebündelt werden, dass die Ressourcen gebündelt werden. Die eine Schule konzentriert sich auf eine zusätzliche Stunde Deutsch, die andere macht DaZ am Nachmittag und vieles mehr. Das alles haben wir gefordert, das werden wir auch demnächst im Fachausschuss diskutieren. Ich hoffe, dass Sie dann genauso argumentieren.

Auf der anderen Seite, Frau Dr. Tesch, wer „Bärenstark“ und „Deutsch Plus“ vergegenwärtigt, weiß, dass in diesem Bereich noch sehr viel zu tun ist, dass das, was aktuell passiert, überhaupt nicht ausreichend ist.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)

Wir haben bereits letztes Jahr, als dieser verpflichtende Sprachkurs diskutiert wurde – im übrigen nur für die Kinder, die keinerlei Einrichtungen besuchen, d. h., die Kinder, die in eine vorschulische Einrichtung, nämlich Kita, gehen, die erhalten diese zusätzliche Sprachförderung nicht, das soll die Kita machen; es handelt sich lediglich um 500 Schülerinnen und Schüler –, kritisiert, dass es nicht ausreichend ist, einfach am Tag zwei Stunden zusätzlichen Deutschunterricht anzubieten, damit die Kinder für die Schule vorbereitet werden. Damals haben Sie uns das nicht abgenommen, aber wir wissen ja seit einigen Tagen – Herr Böger hat das inzwischen auch gemerkt und hat eine zusätzliche Stunde draufgepackt –, dass die Schülerinnen und Schüler drei Stunden Deutschunterricht am Tag erhalten sollen, damit sie für die Schule vorbereitet werden.

Also, es gibt noch viel zu tun. Es ist nicht nur eine Frage der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, es ist ein soziales Problem, das wir angehen müssen. Da müssen wir uns auf die frühkindliche Bildung, d. h. auf die Kitas konzentrieren. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dabei hinsichtlich der Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher, hinsichtlich auch der Einstellung von mehrsprachigem Personal noch nicht genug getan wird. Da müssen wir beginnen und nicht den Senat auffordern, er solle uns einen weiteren Bericht darüber vorlegen, wie

er was zu tun gedenke. Deshalb werden wir diesen Antrag im Fachausschuss entsprechend begleiten und – wenn er in dieser Form bleibt – ihm auch unsere Zustimmung nicht verweigern. Aber es gibt in diesem Bereich viel zu tun. Ich hoffe, dass Sie alle es ernst meinen und wir dieses Problem gemeinsam angehen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Frau Dr. Tesch. – Bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident! – Herr Mutlu! Um das klarzustellen: Ich habe weder hier noch im Ausschuss noch an anderer Stelle gesagt, dass diese zwei Stunden ausreichten. Mir ist auch klar, dass vor allen Dingen Kinder, die fast überhaupt kein Deutsch können, mit zwei Stunden am Tag nicht unbedingt herangeführt werden können, voll dem Unterricht zu folgen. Aber es gibt andererseits auch Kinder, die nur geringere Defizite haben, und die kann man dann ausgleichen. Es war in diesem ersten Durchgang so, dass die Kinder, die schon in einer vorschulischen Einrichtung waren, dort einen Sprachkurs bekamen und nur die anderen Kinder, die sich in keiner anderen Einrichtung befanden, an der Grundschule zusammengefasst wurden. Wenn wir aber das beitragsfreie letzte Kitajahr haben werden, dann wird es auch kaum noch Kinder geben, die nicht in einer vorschulischen Einrichtung sind. Deswegen bin ich da ganz hoffnungsfroh.

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Tesch! – Herr Kollege Mutlu, möchten Sie replizieren? – Das ist nicht der Fall. – Dann geht es weiter mit Frau Schaub von der Fraktion der Linkspartei.PDS. – Bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es ist nicht zu übersehen: Die Stadt hat ein großes Problem. Die Defizite in der Sprachentwicklung der Kinder in unserer Stadt nehmen zu. Dieses Problem bedarf besonderer Aufmerksamkeit, und mit besonderer Aufmerksamkeit sind die Probleme in der Sprachentwicklung bei Kindern nichtdeutscher Herkunft zu behandeln. Insofern greift der CDU-Antrag ein zentrales Problem in unserer Stadt auf. Nun war ich auf die Antwort gespannt, und da greift die CDU doch glatt zu ihrer zweitschärfsten Waffe nach der Presseerklärung: Berichtauftrag an den Senat. Wenn man sich diesen anschaut – aber darauf komme ich vielleicht später zurück, wenn die Zeit reicht, denn so richtig lohnt es sich nicht, ihn anzuschauen.

Wir nehmen dieses Problem wie alle anderen Fraktionen sehr ernst. Gerade deshalb sind wir der Auffassung, dass Sprachentwicklung ein zentraler Faktor für das Nutzen von Bildungschancen, für den Weg ins Leben ist. Frau Schultze-Berndt hat dies mit anderen Worten beschrieben, sie hat es den „Schlüssel zum Arbeitsmarkt“ genannt. Um diesen Schlüssel in die Hand zu bekommen,

gibt es eine ganze Reihe von Versuchen und Maßnahmen, die hier dargestellt wurden.

Jetzt möchte ich auf den Bericht zurückkommen. Die Senatsbildungsverwaltung hat ein Konzept „Integration durch Bildung“ vorgelegt, und es gibt seit nicht allzu langer Zeit das Angebot, dieses Integrationskonzept zu diskutieren. Es liegt auf dem Tisch des Hauses und unserer Stadt, und wir werden im Ausschuss demnächst Gelegenheit haben, dieses Integrationskonzept zu diskutieren. Genau in diesen Zusammenhang gehören alle Fragen der Sprachentwicklung, und alle Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, sollten wir dort diskutieren, eben weil – ich wiederhole mich da sehr gern und absichtsvoll – Sprachentwicklung ein zentrales Problem der Integration ist. Sehr richtig geht der CDU-Antrag – anders als in der Überschrift – davon aus, dass zur Sprachentwicklung mehr als DaZ gehört.

Allerdings schaut hinter dem Antrag auch etwas anderes hervor, was ich in der Begründung gefunden habe. Gut, man kann sagen: Die beschließen wir ja nicht. – Dennoch gibt sie Aufschluss. Hinter dem Antrag schaut u. a. die Auffassung hervor, früher zu testen und auszusortieren. In der Begründung findet sich etwas, was uns demnächst in der Behandlung hier als Antrag begegnet, nämlich die Forderung, die Vorschuluntersuchung auf die U 8 vorzuziehen, d. h. also, Kinder mit vier Jahren auf ihre Schulentwicklung zu testen und dann entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Nun kann man das als sehr löblich ansehen

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Na, eben!]

und sagen: Je früher man Defizite erkennt, desto besser! – Das will ich mal so stehen lassen. Wir setzen allerdings auf eine andere Maßnahme und ein anderes Herangehen als das, was ich in Ihrem Antrag gelesen habe, nämlich die Absicht, Kinder, die Defizite haben, sehr früh in Sprachkurse zu stecken. Wir haben ein völlig anderes Herangehen in unserer Stadt begonnen und werden dabei auch bleiben.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Liebe Frau Senftleben! Wenn Sie einmal erst denken und dann rufen würden, wäre das mitunter hilfreich! –

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Wir setzen darauf, dass die ganze Kindergartenzeit darauf gerichtet ist, Kinder zu fördern und insbesondere ihre Sprachentwicklung zu befördern. Wir halten das für sinnvoller als vorschulische Kurse. Auf diesen Gesamtzusammenhang, dass Sprachförderung von Kindergarten und Schule und selbstverständlich von Eltern, Familie und Freunden zusammen gemeistert werden muss, setzen wir. Lassen Sie uns das im Zusammenhang mit dem Integrationskonzept im Ausschuss diskutieren, damit wir prüfen können, wie viele Berichte eigentlich noch erforderlich sind. Ich frage Sie: Was verbessert ein solcher Berichtsauftrag an der schwierigen Situation? Das ist das eigentliche Problem. – Danke schön!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Schaub! – Jetzt hat Frau Senftleben für die FDP das Wort. – Bitte schön, Frau Senftleben!

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Liebe Frau Schaub! Wenn Sie sagen, das sei alles schon passiert, wir hätten mit der Sprachförderung in den Kitas schon angefangen, dann glaube ich das nicht, auch nicht die Kollegin Schultze-Berndt. Woher nehmen Sie eigentlich den Mut, diese Behauptung in die Welt zu setzen? Das stimmt nicht, sonst hätten wir nicht seit Jahren diese miserablen Ergebnisse.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Hier muss ich sagen, Frau Schaub das war nix!

Jetzt zum Antrag der CDU. Ich hatte vorhin schon bei Herrn Mutlu gesagt: Das war ein „Gedicht“ mit dem Berichtsauftrag. – Da ging es um ein Konzept. Zu dem Berichtsauftrag hier, Frau Schultze-Berndt, liebe Kollegen von der CDU: Das ist wirklich nicht nötig – obwohl das Problem besteht, das sage ich auch ganz klar. Mich wundert, dass Sie in Ihrer Begründung das erwartete Ergebnis schon vorwegnehmen. Sie stellen nämlich zu Recht fest, dass das jetzige DaZ-Modell gescheitert ist. Recht haben Sie! Sprachdefizite unter den Migrantenkindern werden nicht weniger, das haben wir mehrfach festgestellt. Deshalb sei die Frage gestattet: Wozu noch den Bericht? Hier hätte eine Kleine Anfrage genügt. Dann hätten wir auch alle Bescheid gewusst.

Es geht Ihnen darum – ich zitiere aus der Begründung –:

Die Initiative zielt darauf ab, die Anmeldung zur Einschulung frühzeitig und zum Zeitpunkt einer verbindlichen Entwicklungsuntersuchung einzuführen.

Es geht also darum, Vorschulgruppen zur Sprachförderung wieder einzuführen. Ich gebe zu, es klingt für mich ein bisschen verworren, auf der einen Seite Berichte zu fordern und auf der anderen Seite in der Begründung richtige Erkenntnisse darzulegen und dann auch vernünftige Forderungen aufzustellen. Das hätte man anders machen können und müssen.

Es gibt bei dem Problem Sprachdefizite und DaZ Klärungsbedarf. Wir wissen, dass die Schulen jedes Jahr im Januar der Verwaltung einen Bericht über die Förderung der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache zustellen müssen mit dem Ziel, eine verbesserte Steuerung der Ressourcen herzustellen. Was ist nun mit der Förderung der Schüler nichtdeutscher Herkunft? Funktioniert sie? Sie funktioniert nicht! Denn eines ist klar: Deutschförderstunden werden geopfert, um z. B. Unterrichtsausfälle zu kompensieren.

Frau Kollegin Senftleben! Ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Mach’ mal! Ich bin ja hier heute die Letzte, macht ja auch Vergnügen!

Bitte, Herr Mutlu!

Danke, Herr Präsident! – Liebe Frau Senftleben! Keine Sorge, es kommt keine Gemeinheit! Ich frage mich nur, ob es bei diesen wichtigen Ausführungen, die Sie uns jetzt vortragen, nicht auch im Interesse des Bildungssenators wäre, dieser bildungspolitischen Debatte beizuwohnen. Wie bewerten Sie das?

Bitte schön, Frau Senftleben!

Herr Kollege Mutlu! Ich finde es nett, dass Sie mich darauf hinweisen. Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn der Bildungssenator im Raum wäre. Vorhin war er aber da. – Er ist immer noch da, prima! Ich hätte mich auch gewundert, wenn er diesen Ausführungen ferngeblieben wäre.

[Zuruf von der CDU: Er ist da, hört aber nicht zu!]

Noch einmal: Dieser Förderunterricht funktioniert nicht. Deutschförderunterricht wird geopfert, um Unterrichtsausfälle zu kompensieren. Der Erfolg lässt auf sich warten, denn sonst würden die 686 Stellen, die wir für Deutsch als Zweitsprache an den allgemeinbildenden Schulen immerhin haben, eine bessere Wirkung erzielen. Wir hätten sonst keinen Anteil der Schulabbrecher bei Migranten von über 25 %; das sind die Tatsachen, und denen müssen wir uns endlich stellen.

Sprachförderung, die mit der ersten Klasse einsetzt – darüber sind wir uns inzwischen alle einig – kann der Aufgabe nicht gerecht werden. Da ist das Kind bereits sprichwörtlich in den Brunnen gefallen. Das haben wir alle erkannt, und nun fordern wir und die CDU in diesem Antrag Maßnahmen, die vor der Einschulung beginnen. Warum das nur in der Begründung steht, verstehe ich nicht, dieses Thema ist zu wichtig. Dies darf nicht in einem Bericht gegeben werden, sondern es müssen klare Anträge hierzu gestellt werden.

SPD, Linkspartei.PDS und Grüne haben die Vorklassen in die Tonne getreten, und nun müssen wir uns endlich Gedanken darüber machen, wie dieses Bildungsvakuum sinnvoll gefüllt werden kann. Es reicht nicht, in der Schule anzusetzen – das ist richtig und wichtig, setzt aber, wie schon erwähnt, zu spät an. Die Maßnahmen – Frau Dr. Tesch hat es vorhin schon erwähnt –, die im letzten halben Jahr ergriffen wurden, genügen auch nicht. Das hat der Senator auch eingestanden, wenn er die Anzahl von zwei auf drei Stunden heraufsetzen will. Die Evaluation, Herr Senator, fehlt uns leider immer noch, wir hätten sie alle gerne, um zu erfahren, was im letzten halben Jahr mit den Schülern passiert ist und ob sie nun wirklich erfolgreich dem Schulunterricht folgen können. Das ist Flickschusterei. Wir brauchen keine Notmaßnahmen mehr, wir

brauchen ein Konzept, und dazu sage ich Ihnen: Die FDP hat ein Konzept namens Startklasse vorgestellt, mit dem die Probleme der Sprachentwicklung ernsthaft angegangen werden können. Ziel ist es, die Kinder vor der Schule so zu fördern, dass sie mit Schulbeginn dem Unterricht folgen können. Dieses Ziel müssen wir endlich nicht nur anpeilen, sondern wir müssen es auch erreichen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]