Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Vielen Dank, Herr Präsident! – Mich überrascht es nicht, dass Sie unseren Antrag ablehnen wollen. Das sind wir von Ihnen gewöhnt. Ihre Rede hat mich aber etwas verwundert, weswegen ich mich zu Wort gemeldet habe.

Wenn Sie bemängeln, dass die Unternehmen in Kopenhagen nach der Einführung von Wettbewerb nur wenig Flexibilität hatten, dann kann ich das bedauern, aber in der ersten Phase des Wettbewerbs geht es nicht anders, außer Sie entscheiden sich, alle auf die Straße zu setzen, die zuvor beim Monopolisten gearbeitet haben. Wir zeigen Ihnen ein Modell auf, wie es auch anders geht.

[Beifall bei der FDP]

Bitte schön, Herr Gaebler!

Herr Schmidt! Bitte hören Sie mir zu, und hören Sie nicht nur das, was Sie hören wollen. Ich habe nicht gesagt, Ausschreibungen würden sich nicht lohnen. Ich habe vielmehr gesagt, ein Beispiel, von dem man in Kopenhagen lernen kann, wie man es nicht machen soll, ist die Art, wie dort Ausschreibungsunterlagen gestaltet wurden. Ich habe mich nicht grundsätzlich gegen Ausschreibungen oder ausschreibungsähnliche Verfahren ausgesprochen. Es ist natürlich ganz klar: Wenn wir mit der BVG eine Vereinbarung über die Laufzeit des Unternehmensvertrags hinaus abschließen, dann muss das auf der Grundlage einer Angebotsdefinition und eines Angebots der BVG geschehen. Darüber sprechen wir anlässlich der Großen Anfrage noch ausführlicher. Wo Sie sich eben ein bisschen entlarvt haben bzw. nicht klar geworden ist, was Sie eigentlich wollen, ist der Punkt mit der Personalübernahme. Ich habe bisher Ihre Modelle für Berlin nicht so verstanden, dass Sie sagen – ich zitiere Sie –: „der überbesetzte BVG-Personalkörper“

Es hat doch im Ernst in diesem Parlament zu keiner Sekunde eine Entscheidung darüber gegeben, ob es Wett

bewerb geben soll oder wenigstens ein bisschen Wettbewerb oder die direkte Vergabe oder was auch immer. Sie haben hier abgefeiert, was der Regierende Bürgermeister verabredet hat – übrigens über die Köpfe der zuständigen Senatoren und der Geschäftsleitung des Unternehmens hinweg. Das sind einfach einmal umfangreichste Festlegungen getroffen worden.

Wenn man sich diesen Tarifvertrag oder das, was dort vereinbart worden ist, ansieht, wundert man sich. Tarifverträge sind nach meinem Verständnis immer folgendes gewesen: Da werden die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insbesondere natürlich ihre Entlohnung, aber auch Pausenregelungen und anderes, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelt und vereinbart. Davon ist in diesem Tarifvertrag nur am Rand die Rede. Da wird geregelt: Was passiert mit den Tochterunternehmen? Dürfen überhaupt noch Tochterunternehmen gegründet werden? Darf outgesourct werden? Wie ist die Quote der Fremdvergabe? – All diese Punkte werden dort geregelt. Das ist kein Tarifvertrag, das ist ein Grundgesetz des öffentlichen Nahverkehrs, allerdings auf dem Mist von wenigen Personen gewachsen. Also in keiner Weise demokratisch legitimiert, in keiner Weise demokratisch in diesem Haus entschieden und besprochen. Deshalb finde ich es einigermaßen abenteuerlich zu sagen: Liebe Kollegen von der Opposition, das haben wir hier anders entschieden! – Hier ist nichts entschieden worden.

[Ritzmann (FDP): Das hat Senator Sarrazin gesagt!]

Das steht bei Ihnen aber auch in den Anträgen drin! –, dass er übernommen wird von möglichen Anbietern in einem Wettbewerb. Sie haben bisher immer gesagt, was mit dem Personal wird, ist uns egal, die anderen können mit viel weniger Personal arbeiten. Jetzt kommen Sie auf einmal und sagen: Kopenhagen geht nicht weit genug, aber irgendwann muss man ja mal anfangen! – Sagen Sie den Beschäftigten der BVG und der S-Bahn bitte klipp und klar, was mit ihnen passiert! Wollen Sie, dass sie übernommen werden und die Wettbewerber dann mindestens die gleichen Kosten haben wie die BVG, oder wollen Sie, dass sie auf der Straße sitzen und die anderen sich neue Leute zu Dumpinglöhnen holen? – Dann haben wir hier eine ehrliche Diskussion. Das, was Sie machen, ist Nebelbombenwerferei, klassische FDP-Politik, aber nicht unsere. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei Linkspartei.PDS]

Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Es folgt die CDU-Fraktion, das Wort hat der Herr Kollege Kaczmarek. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich störe ungern das Kolloquium über den öffentlichen Nahverkehr in Skandinavien, insbesondere in Kopenhagen.

[Beifall des Abg. Eßer (Grüne)]

Stockholm und Malmö sind auch sehr faszinierende Städte! Aber vielleicht lassen Sie uns doch einmal über Berlin reden, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Lieber Herr Gaebler! Sie sagten so schön in Ihrer Rede, Kopenhagen gehe den einen Weg, und wir haben uns hier für einen anderen entschieden. Da frage ich Sie: Wer hat denn hier etwas entschieden? – Sie haben da gar nichts entschieden. Ihre Fraktion hat auch nichts entschieden, und die PDS-Fraktion hat auch nichts entschieden, geschweige denn, dass dieses Haus etwas entschieden hat. Ich will Ihnen einmal sagen, wie diese Grundsatzentscheidung in diesem Land zu Stande gekommen ist: Da trifft sich der Regierende Bürgermeister des Nachts in einer dramatischen Sitzung mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden von Verdi, und dann ist es hinterher entschieden; und zwar nicht nur entschieden, wie der Tarifvertrag für ein Unternehmen aussieht, sondern es ist entschieden, wie die Struktur des öffentlichen Nahverkehrs in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in dieser Stadt aussieht. Das sind die Entscheidungsgremien, das ist die Transparenz, die Ihre Koalition zu verantworten hat, lieber Herr Gaebler!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Entschieden worden ist vor einigen Jahren von einem anderen Parlament, in einer anderen Zusammensetzung, ein Unternehmensvertrag. Der gilt auch heute noch, den hat niemand zurückgenommen. Der sah bestimmte Ziele vor. Er sah vor, dass ab dem Jahr 2008 die BVG in den Wettbewerb gestellt wird, und er sah auch bestimmte finanzielle, betriebswirtschaftliche Ziele für die BVG und auf der anderen Seite Gegenleistungen für das Unternehmen vor. Dieser Vertrag ist in der Tat in diesem Haus besprochen worden, er ist auch in diesem Haus beschlossen worden. Das ist nämlich damals zu Zeiten der großen Koalition geschehen. Da hat man wesentliche Dinge noch im Parlament besprochen und beschlossen. Heute werden sie hinter verschlossenen Türen von wenigen Menschen allein entschieden. Das ist Ihr Demokratieverständnis!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das tut mir nun wirklich Leid, das kann man nicht anders betrachten! Hier sind unter Umgehung des Parlaments wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen worden.

Die Fragen, liebe Kollegen von der Fraktion der FDP, sind eine wunderbare akademische Diskussion, die Sie da führen!

[Heiterkeit des Abg. Eßer (Grüne)]

Aber Sie kennen ja den wunderbaren Berliner Spruch:

Wenn meine Großmutter eine Hupe hätte, wäre sie ein Autobus!

Genau so ist es hier auch! Es ist letzten Endes ja vorbei. Die Entscheidungen sind längst gefallen. Wir können uns

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kaczmarek! – Die Linkspartei.PDS ist nun am Pult. Frau Matuschek hat das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek! Wenn Sie wüssten, wie die Vertreter der Gewerkschaften und der Beschäftigten der BVG in der großen Tarifkommission gebildet werden, dann wüssten Sie, dass sie eine sehr genaue demokratische Legitimation für Verhandlungen haben. Sie müssten eigentlich auch zur Kenntnis genommen haben, dass zu diesem Tarifvertrag eine Urabstimmung stattgefunden hat, Das ist ja wohl auch ein demokratisches Instrument! Das können Sie nicht so einfach wegwischen. – Im Übrigen hatten wir hier im Parlament ja bereits des öfteren eine Debatte – so alle drei Monate – zur BVG. Es gab eine Senatsentscheidung nach Abschluss des Tarifvertrages zur Bestandssicherung, was auch Ergebnis dieser Vereinbarung ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in dieser Beziehung jemals irgendein Misston zwischen dem Senat und den ihn tragenden Parteien im Parlament zur Rede kam. Insofern denke ich, sind Sie auf dem falschen Dampfer, wenn Sie sagen, das habe alles nichts mit Parlamentsentscheidungen zu tun.

jetzt darüber unterhalten, ob es besser gewesen wäre, Wettbewerb einzuführen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Ich frage mich auch, wie die Koalition auf der anderen Seite ihren Vertrag mit der Deutschen Bahn und der SBahn begründet. Da ist ja Wettbewerb vorgesehen. Warum ist eigentlich für das eine Unternehmen, wo auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz bangen, der Wettbewerb gut? – Bei der BVG, wo es auch um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, da ist offensichtlich Wettbewerb nicht angesagt. Diesen Widerspruch, den werden Sie aufklären müssen. Den werden Sie übrigens auch auf den Personalversammlungen der SBahn aufklären müssen. Da bin ich sehr gespannt auf die Begründungen, die Sie dort nennen wollen! Aus unserer Sicht sind beides Unternehmen, die im öffentlichen Nahverkehr wichtige Leistungen erbringen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der S-Bahn sind keineswegs weniger wert als die bei der BVG.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Worüber wir uns im Grund jetzt noch unterhalten können, nachdem diese Entscheidungen von nicht zuständiger Stelle getroffen worden sind, ist, warum die Koalition das mit sich machen lässt – aber das müssen die Kollegen mit sich selbst ausmachen und auch hier erläutern. Wir können uns eigentlich nur noch darüber unterhalten, wie wir überhaupt ansatzweise erreichen können, dass nicht wie bisher die BVG das definiert, was öffentlicher Nahverkehr in der Stadt ist und anschließend die Rechnung stellt.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Das ist der entscheidende Punkt, lieber Herr Gaebler! – Da bin ich auf Ihre Antwort sehr gespannt, denn eines ist doch klar: Wenn Sie jemanden im Wettbewerb haben und ihm immer damit drohen können: Wenn du die Leistungen nicht so erbringst, wie wir das wollen, dann können wir auch jemand anderen beauftragen! –, dann hat er einen großen Anreiz, die Leistung so zu erbringen. Wenn Sie jemandem einen Vertrag über 15 Jahre geben und sagen: Du bist auf jeden Fall gesichert! –, dann können Sie Verkehrsverträge schließen, so viele Sie wollen, in denen enthalten ist, das und das muss gemacht werden. Aber was wollen Sie machen, wenn der Vertrag nicht erfüllt wird? – Dann können Sie eine Summe abziehen, die Sie als Eigentümer dann hinten in das gleiche Unternehmen wieder einspeisen.

Bitte denken Sie an den Schluss!

Ja, ich habe es gesehen! – Deshalb haben wir uns mit diesem Tarifvertrag in eine vollkommen verfahrene Situation hineingebracht. Wohlgemerkt: Überhaupt nichts gegen die tarifvertraglichen Bestandteile und Regelungen, aber alles gegen Regelungen, die mit Tarifvertrag und mit Arbeitsregelungen in einem Unternehmen nichts zu tun haben! Das gehört hierher ins

Parlament, und das muss hier entschieden werden und nirgendwo sonst. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Die FDP hat uns hier einen netten Antrag vorgelegt! Das geht schon los mit: „Der Tarifvertrag ist eine Fehlentscheidung.“ Dann geht es weiter mit dem bekannten „Konzept der Zerschlagung der BVG“. Interessant finde ich den Satz:

Wenn es gelingt, das Personal für den Übergang in den Wettbewerb zu gewinnen, kann dieser wirklich gelingen.

Dazu kann ich nur sagen, dass es jetzt die FDP noch einmal so versucht, wie es Herr von Arnim versucht hat, den Leuten zu sagen, sie hätten keine Perspektive, es seien zu viel und eigentlich sollten sie in anderen Unternehmen tätig sein.

Die FDP hat noch nicht mitbekommen, dass die Nahverkehrsreform, die Sie hier fordern, längst im Gange ist. Es ist nur nicht die, die Sie wünschen, sondern die, die wir für politisch richtig halten und die wir auch richtig für das Gesicht dieser Stadt finden.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Es stellt sich aber schon die Frage, warum man sich auf das Beispiel Kopenhagen orientiert. Da haben Sie einmal versucht, über den Tellerrand zu sehen. Es gibt ein europäisches Projekt. Bei diesem werden in den Nahverkehrsballungsräumen die Leistungen der Nahverkehrsorganisationen verglichen. Es ist ganz interessant nachzulesen. Es haben sich 11 europäische Metropolen beteiligt. Dazu gehören Barcelona, Helsinki, München, Stockholm, Wien, Prag, Toulouse und auch Kopenhagen. Allerdings hat Kopenhagen bei der Kundenzufriedenheit – Herr

Was machen Sie? – Sie geben ein Gutachten in Auftrag, das eine an Kopenhagen orientierte idealtypische Blaupause für eine Wettbewerbsordnung im öffentlichen Nahverkehr liefert. Darüber hat uns Herr von Lüdeke auch ein Referat gehalten. Dann sparen Sie sich jedes weitere Nachdenken über die Bedingungen von Politik hier in Berlin und schreiben einen Antrag, in dem Sie den Senat dazu auffordern, Ihre FDP-Blaupause in die Tat umzusetzen. Das Resultat eines solchen Antrags ist natürlich absehbar. Er wird von der Regierungskoalition versenkt, und zwar genauso umstandslos, wie Sie den Antrag verfasst haben.

Lindner, das war Ihre Frage – seit 2002 erhebliche Einbußen hinnehmen müssen, während sich Oslo von einem vergleichsweise niedrigen Niveau der Kundenzufriedenheit steigern konnte.

[Ritzmann (FDP): Wie sehen die Berliner Zahlen aus?]

Bei der Pünktlichkeit liegt Kopenhagen deutlich unter den Werten von Genf und Wien. Auch bei der Fahrgastinformation sind Wien und Genf viel besser als Kopenhagen. Bei der Fahrgastsicherheit sind Wien und Oslo an der Spitze. Beim Verhalten des Personals liegt Genf mit weitem Abstand vorn. Bis auf die Wiener meinen die Fahrgäste, sie würden nicht genug Leistung für ihr Geld bekommen; sie empfinden die Preise als zu hoch. Das niedrigste Sozialimage von allen Städten hat – Sie werden es ahnen – Kopenhagen.

Warum nehmen wir also nicht Wien als Beispiel? Weder bei den Wiener Linien, einer hundertprozentigen Tochter der Wiener Stadtwerke, noch im Wiener Stadtrat denkt auch nur irgendwer über eine Privatisierung oder gar Zerschlagung des Nahverkehrs nach, wie es die FDP verlangt. Auch in Wien schläft man nicht und unternimmt seit Jahren Anstrengungen zur Effizienzsteigerung. Wien gilt als Musterstadt des ÖPNV, weil es dort gelungen ist, die Anteile des Nahverkehrs im Vergleich zu dem motorisierten Individualverkehr zu steigern.

Aber – auch das muss man sagen – in Wien wird ein erheblicher Zuschuss nach einem Verkehrsfinanzierungsvertrag gezahlt. Dieser Zuschuss ist in Wien sogar höher als die Fahrgeldeinnahmen. Das sind Erfahrungen, die man sich im Ausschuss gern noch einmal seminarmäßig darlegen lassen kann. Es ist klar geworden, dass wir uns gern internationale Erfahrungen anschauen wollen. Wir wollen von den Besten lernen. Wir wollen die von Ihnen favorisierte Zerschlagung des kommunalen Verkehrsunternehmens nicht. Wir werden natürlich Ihren Antrag ablehnen.