Protokoll der Sitzung vom 23.03.2006

Was haben Sie denn eigentlich für ein verkommenes Demokratieverständnis!

[Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS]

Herr Dr. Lindner! Ich rüge diesen unpassenden, unparlamentarischen Vergleich.

Es ist völlig unmöglich, Herr Böger, was Sie hier gemacht haben: der Kollegin Senftleben in der Weise das Wort herumzudrehen. Das hat sie doch alles in dem Sinn überhaupt nicht gesagt, wie Sie es dargestellt haben.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Kollegin Senftleben hat für die FDP ganz klar angemahnt, dass wir in Berlin eine Freiheit zur Wahl haben. Um nichts anderes geht es unserer Fraktion!

[Doering (Linkspartei.PDS): Ach ja?]

Das wissen Sie doch selbstverständlich genauso! Es geht nicht darum, Religionsunterricht gegen Ethikunterricht auszuspielen

[Doch! von der SPD]

oder ähnliches, sondern es geht darum, den Schülerinnen und Schülern Berlins das zu ermöglichen, was sie in fast allen Bundesländern der Bundesrepublik haben, nämlich die Wahl

[Beifall bei der FDP]

zwischen Religion oder staatlichem Ethikunterricht. Um nichts anderes geht es hier. Das ist auch das Thema Glaubwürdigkeit. Nichts anderes hat die Kollegin gesagt. Sie hat gesagt, dass natürlich der jeweilige Vertreter einer Religionsgemeinschaft glaubwürdiger gegenüber den Schülern dieser Religionsgemeinschaft auftreten kann als ein bekenntnisneutraler Unterricht. Das hat doch nichts damit zu tun, dass Lehrerinnen und Lehrer geeignet sind, ein Ethikunterrichtsfach zu lehren. So hat sie es aber auch nicht gesagt. Sie haben die Sache jetzt bewusst scharf gezogen, Sie haben sie bewusst hochgezogen, um vom eigenen Versagen abzulenken, Herr Böger. Um nichts anderes geht es doch!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Sie sind innerhalb Ihrer eigenen Partei im Landesverband in Bildungsfragen isoliert. Sie haben keine Mehrheit mehr. Die Parteilinke um diese Frau Buttgereit hat die Mehrheit, und die hat Ihnen Ihre Präferenz für Religionsunterricht als Wahlpflichtfach abgekauft. Die hat sich doch durchgesetzt! Sie sind hier doch nur noch der Verkäufer einer linken Politik, die Sie innerlich selbst gar nicht mehr vertreten. Das ist die Wahrheit!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Da sagen wir natürlich: Wehret den Anfängen! Sie sind innerhalb der Bundes-SPD isoliert, das haben ja auch die Reaktionen Ihrer Parteispitze gezeigt,

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Hiller (Linkspartei.PDS)]

dass Sie eine bildungspolitische Sekte sind. Sie isolieren damit Berlin im Konzert der Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das führt zu einem Sonderweg, und den wollen wir nicht. Das isoliert Berlin

[Frau Dr. Hiller (Linkspartei.PDS): Berlin hatte schon immer einen Sonderweg!]

und wird sich nachteilig auf den Herzug von Menschen hierher auswirken. Das müssen Sie doch einfach einmal erkennen, dass Sie isoliert sind!

[Zurufe von der SPD und Linkspartei.PDS]

Sie stellen es gerade so hin, als würden FDP und CDU isoliert sein. Selbst die Bündnis-Grünen sind isoliert innerhalb der Bundes-Grünen. So ist es doch!

[Zuruf von der Linkspartei.PDS und der SPD]

Sie wählen einen Sonderweg, und den wollen wir nicht, den wollen alle vernunftbegabten Menschen nicht.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Weg haben, ein Beispiel geben kann.

Jetzt komme zu Ihnen, Herr Dr. Lindner. Es ist immer einfach zu behaupten, irgendjemand wäre isoliert und würde auf einem Parteitag schlecht behandelt. Klaus Böger ist der erfolgreichste Schulsenator der vergangenen Jahrzehnte.

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lindner! – Es gibt eine weitere Redemeldung. Für die Fraktion der SPD hat der Herr Kollege Gaebler das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Senftleben! Es ist ja interessant, dass Sie jetzt einen Pressesprecher brauchen. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie sich selbst zur Wehr setzen, wenn Sie sich angegriffen fühlen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Das finde ich sehr beeindruckend.

[Dr. Steffel (CDU): Ihr Fraktionsvor- sitzender hat ja auch einen Pressesprecher!]

Wieso mein Fraktionsvorsitzender? Ich rede hier für die Fraktion genauso wie er. Mein Fraktionsvorsitzender hat sich zu dem Thema bisher hier heute nicht geäußert.

[Zuruf von der Linkspartei.PDS]

Er hat beim letzten Mal klare Worte dazu gefunden. Die haben bei Ihnen leider keinen Lerneffekt ausgelöst.

Aber, Frau Senftleben, noch einmal zu Ihnen: Mich hat ernsthaft geärgert, neben den vielen Halbwahrheiten und falschen Behauptungen, die Sie hier geäußert haben, dass Sie sagen, es wäre eine Frage der Moral, für welchen Weg man sich hier entscheidet.

[Frau Senftleben (FDP): Nein!]

Das haben Sie gesagt! Ich habe Ihnen sehr genau zugehört, trotz des Lärms. Sie haben gesagt, es sei eine Frage der Moral, wie man sich entscheidet. Und das, Frau Senftleben, ist nicht nur eine Anmaßung sondergleichen, sondern es geht auch völlig am Thema vorbei.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Wenn Sie hier Religionsunterricht und christliche Werte verteidigen wollen, dann müssten Sie an der Stelle mit sich selbst ins Reine kommen, ob das tatsächlich der richtige Weg ist. Ihre Doppelmoral, die Sie anführen, ist unerträglich.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Noch einmal zu Ihnen, Herr Dr. Lindner. – Klar, wir haben in Berlin eine Sondersituation. Diese Sondersituation ist eine Chance, darüber zu diskutieren, wie ich Wertevermittlung in der Schule in einer geeigneten Form organisiere, in einer gesellschaftlich aktuellen Form. Der Weg, den andere Bundesländer in fünfzig Jahren gegangen sind, muss nicht automatisch der richtige sein.

[Beifall bei der SPD]

Hier muss es eine Diskussion geben können, und dann muss man sich anhand bestimmter Kriterien entscheiden. Das Kriterium, liebe Frau Senftleben, kann nicht nur sein: Was sagt mir mein Glauben, was sagt mir meine persönliche Moral –, sondern Kriterium muss sein, was in der Si

tuation, die wir in dieser Stadt haben, mit den vielen Kulturen, den vielen Religionen und mit der Situation, wie die Teilnahme derzeit am Religions- und Weltanschauungsunterricht ist, die beste Lösung ist. Da ist aus unserer Sicht der gemeinsame Unterricht, die gemeinsame Diskussion über Werte, die gemeinsame Erfahrung damit der bessere Weg, ergänzt durch das Angebot der Kirchen und Religionsgemeinschaften, so wie es bisher auch gewesen ist. Ich glaube, das ist tatsächlich eine Chance, einen Weg zu beschreiten, der auch für andere Länder, die Schwierigkeiten mit dem fünfzig Jahre alten

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Gelächter bei der CDU]

Jawohl! Da können Sie gern lachen. Er hat mit breiter Unterstützung der SPD und auch des Koalitionspartners ein Schulgesetz –

Herr Gaebler! Wir unterbrechen kurz. Wir bitten das Haus dringlich, wieder Hörbarkeit herzustellen. – Bitte schön, fahren Sie fort!