Protokoll der Sitzung vom 10.05.2007

Dringliche II. Lesung

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Land Berlin

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/0500 Antrag der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der Grünen und der FDP Drs 16/0441

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II auf Drucksache 16/0441. Der Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung empfiehlt einstimmig die Annahme mit Änderung. Wer dem Antrag Drucksache 16/0441 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses Drucksache 16/0500 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Gegenprobe! – Enthaltungen sehe ich nicht. Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Land Berlin ist mit Änderung angenommen.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 5 B:

Dringliche II. Lesung

Gesetz über den „Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen“

Beschlussempfehlungen WissForsch und Haupt Drs 16/0508 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/0283

Der Dringlichkeit wird offensichtlich nicht widersprochen.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der drei Paragrafen miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die drei Paragrafen auf Drucksache 16/0283. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung sowie der Hauptausschuss empfehlen mehrheitlich gegen die Fraktion der FDP die Annahme der Vorlage – zur Beschlussfassung –.

Wer der Drucksache 16/0283 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalition, die Grünen und die CDU-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das ist die FDP-Fraktion. Das Gesetz über den Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen ist damit angenommen.

Die lfd. Nr. 6 war Priorität der FDP-Fraktion unter dem Tagesordnungspunkt 4 a. Die lfd. Nrn. 7 bis 9 stehen auf der Konsensliste.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 10:

Große Anfrage

Politik für ältere Menschen in Berlin

Große Anfrage der CDU Drs 16/0286

Zur Begründung hat die CDU-Fraktion eine Redezeit von bis zu fünf Minuten. – Bitte sehr, Herr Hoffmann!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage, warum es gerade jetzt so wichtig ist, wie und mit welchem Ziel Politik für ältere Menschen gemacht wird, hängt mit zwei Aspekten zusammen. Erstens: Der sogenannte dritte Lebensabschnitt ist durch mehr Wohlstand und bessere Gesundheitsversorgung bereits seit mehr als 30 Jahren zur längsten Lebensphase mit erhöhter Lebensqualität geworden. Ein Junge, der heute geboren wird, kann mit einer Lebenserwartung von 76 und ein Mädchen sogar mit 81 Jahren rechnen. Zweitens: Da zurzeit weniger Kinder geboren werden, wird der Anteil der Älteren ständig größer. Derzeit leben in Deutschland mehr als 19 Millionen Rentner. Das sind so viele Menschen wie in Norwegen, Schweden und Dänemark zusammen. Wenn sich am demografischen Trend nichts ändert, wird in Deutschland nach dem Jahr 2020 bereits jeder Zweite über 50 Jahre alt sein. Das ist eine große Herausforderung für die Gesellschaft und insbesondere für die Politik, denn wir werden anders wohnen, reisen, arbeiten, leben, lernen und andere gesundheitliche Probleme haben.

Auch in Berlin hat sich die Alterspyramide erheblich zum Alter hin verändert. Studien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2040 mindestens jeder vierte Einwohner Berlins über 65 Jahre alt sein wird. Diesem demografischen Wandel muss langfristig Rechnung getragen werden, damit sich Berlin und seine Einwohner darauf einstellen können. Damit sind die politischen Verantwortungsträger besonders in der Pflicht. Herr Wowereit, der provokante Einwurf eines einzelnen Herrn „Rente mit 70“ hilft da wenig.

Die CDU-Fraktion will vor allem wissen, was der Senat in seiner Politik für ältere Menschen in Berlin konkret getan hat bzw. welche Weichenstellung er vornehmen will, um die vielfältigen Probleme, aber auch Chancen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, zu gestalten. Insbesondere geht es uns um folgende Schwerpunkte: Integration älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt, Schaffung gleitender Übergänge aus der Erwerbs- in die Freiwilligen- bzw. Ehrenamtsarbeit, Nutzung des Erfahrungswissens älterer Menschen, Weiterentwicklung der seniorenpolitischen Leitlinien – einschließlich der Mitbestimmungsrechte der älteren Generation –, Anpassung der Angebotsstruktur für ältere Menschen an die unterschiedlichen Bedarfslagen der verschiedenen Seniorengruppen sowie die Verbesserung des Verbraucherschutzes in der pflege. Das sind viele Fragen, auf die wir klare Antworten erwarten. Wir haben dabei auch immer die Menschen mit Migrationshintergrund im Blick.

Klar und deutlich: Uns geht es nicht darum, die vermeintliche Überalterung der Gesellschaft zu beklagen. Es geht um die Frage, wie die Potenziale und Chancen einer Ge

sellschaft des langen Lebens gestaltet, gefördert und besser genutzt werden können.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann! – Zur Beantwortung der Großen Anfrage erhält jetzt Frau Senatorin Knake-Werner das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In einer Grundsatzrede hat der Regierende Bürgermeister vor einigen Wochen darauf verwiesen, dass der demografische Wandel für uns in Berlin kein Bedrohungsszenario ist. Das unterstreiche ich ausdrücklich. Das Gegenteil ist der Fall: Schon frühzeitig hat sich der Senat den Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft gestellt. Politik für ältere Menschen begreifen wir als Gegenwarts-, aber vor allen Dingen auch als Zukunftsaufgabe.

Die mit dem demografischen Wandel einhergehenden Veränderungen tangieren unser Gemeinwesen als Ganzes. Die Aufgaben, die sich daraus ergeben, begreifen wir als politische Querschnittsaufgaben. So hat es der Senat in seinem Arbeitsprogramm bereits mit den Leitlinien für die Politik der Seniorinnen und Senioren deutlich gemacht. Über die Umsetzung der Leitlinien aus dem Jahr 2005 wird Mitte der Legislaturperiode ein Bericht vorgelegt.

Durch die gestiegene Lebenserwartung können immer mehr ältere Menschen ihren Lebensabend gesund und aktiv bestreiten. 80 Prozent der Menschen ab 70 sind nach dem dritten Altenbericht der Bundesregierung zu einer weitgehend selbstständigen Lebensführung in der Lage. Die heutige Altengeneration will ihr Leben selbstständig in die Hand nehmen und an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt sein. Das wollen wir unterstützen. Dennoch haben wir immer noch ein völlig verzerrtes, häufig diskriminierendes Altenbild in der Gesellschaft. Dementsprechend bleiben die Potenziale der älteren Generation leider viel zu häufig ungenutzt. Was wir in unserer Gesellschaft dringend benötigen, ist ein neues, realistisches und vor allen Dingen ein differenziertes Bild vom Altern. Tendenzen von Diskriminierung und Ausgrenzung Älterer müssen wir entschieden entgegentreten und deutlich machen, dass wir ältere Menschen als Bereicherung für unsere Gesellschaft verstehen wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Folglich ist für uns der Altersstrukturwandel die Chance für ein lebendiges Miteinander aller Generationen in unserer Stadt. Für die meisten Menschen, gerade auch für die älteren, hängt das Selbstwertgefühl und die gesellschaftliche Anerkennung davon ab, dass sie gebraucht

werden, dass sie mittendrin sind und nicht auf das Altenteil abgeschoben werden.

Das gilt natürlich in ganz besonderer Weise für die Teilhabe am Erwerbsleben. Mir geht es dabei nicht um die Rente mit 67 oder 70 Jahren. Ich wäre schon froh, wenn viele ältere Erwerbstätige bis zum 65. Lebensjahr arbeiten könnten. In der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren eine völlig andere Praxis umgesetzt. Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden verstärkt aus dem Arbeitsprozess gedrängt; nicht selten werden sie bereits mit 45 Jahren zum alten Eisen erklärt. Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit der Älteren, darüber, dass ihr Erfahrungswissen unverzichtbar ist, setzen sich bei den Unternehmen leider erst sehr langsam durch.

Lebenslanges Lernen darf deshalb kein Schlagwort bleiben und wird gemeinsam mit Kammern und Verbänden der Berliner Unternehmen fortentwickelt. In wirtschaftspolitischen Gesprächen mit den Berliner Unternehmen sind die Chancen von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern regelmäßig Thema, und in der Folge wird die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen das transnationale LEONARDO-Projekt kofinanzieren. Es geht dabei darum, Unternehmen dafür zu sensibilisieren, wie sie ältere Belegschaften einbeziehen und wie sie dabei das Wissensmanagement aufbauen. Mit der Ausgestaltung des Sonderprogramms „WeGebAU 2007 – Initiative 50+“ soll das Interesse der Betriebe geweckt werden, ältere Beschäftigte stärker in die Weiterbildung einzubeziehen. Dafür stehen den Arbeitsagenturen in Berlin über 6 Millionen € zur Verfügung, die sinnvoll eingesetzt werden müssen.

Ein Ergebnis der Gesprächsrunden zur regionalen Arbeitsmarktpolitik zwischen den Arbeitsressorts von Berlin und Brandenburg, den Kammern und den Unternehmensverbänden war, dass sich die Kammern mit ihren Mitgliedsfirmen genau mit diesen Fragen auseinandersetzen wollen und sie über Fördermöglichkeiten informieren.

Zurzeit fördert meine Verwaltung darüber hinaus ein Modellprojekt „JobMotion – Potenziale Älterer im Unternehmen nutzen“. Das richtet sich vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen. Hierbei soll es darum gehen, den Verlust von Fach- und Erfahrungswissen in den Unternehmen aufzuhalten und die Neueinstellung von Älteren zu befördern. Das ist notwendig und unverzichtbar, wenn man auf der anderen Seite ständig den drohenden Fachkräftemangel in dieser Gesellschaft beklagt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Brüche in den Erwerbsbiografien, das meist unfreiwillige Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben und die gleichzeitige Erhöhung des Renteneintrittsalters können auch in Berlin mittelfristig zu neuer Altersarmut führen. Deshalb wollen wir auch mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen dazu beitragen, dass die spätere Rente armutsicher wird.

Selbstverständlich stehen zuallererst allen älteren Menschen, allen älteren Arbeitslosen auch die Instrumente des SGB II und des SGB III zur Verfügung. Aber zweitens sollen ältere Menschen, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, verstärkt durch landesseitig kofinanzierte ABMaßnahmen über längere Zeiträume – etwa 36 Monate – gefördert werden. Der Senat beteiligt sich auch an Programmen mit Lohnkostenzuschüssen, die eine längerjährige Förderung von über Fünfzigjährigen eröffnet.

Drittens: Darüber hinaus beabsichtigt der Senat – und das Projekt kennen Sie bereits –, in Kooperation mit dem Berliner Jobcenter ein Programm zur öffentlich geförderten Beschäftigung in 2 500 Fällen aufzulegen. Zielgruppe sind hier ausdrücklich ältere Langzeitarbeitslose.

Viertens unterstützt der Senat das Bundesprogramm „Perspektive plus – Beschäftigungspakte für Ältere“. In Berlin haben wir hierzu zwei Modellprojekte, und zwar in Pankow und in Neukölln.

Die Lebenserfahrungen und das Erfahrungswissen wollen wir aber auch über das aktive Erwerbsleben hinaus erhalten. Dies gilt in besonderer Weise für Menschen mit Migrationshintergrund. Uns geht es um die unverzichtbare Rolle älterer Menschen im Gemeinwesen. Ihr bürgerschaftliches Engagement hilft, die sozialen Netze enger zu knüpfen und das Angebot der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erweitern. Genau das wollen wir, das brauchen wir, und das wollen wir auch nutzen.

Berlin ist beispielsweise an dem Bundesmodellprojekten „Generationsübergreifender Freiwilligendienst“ und „seniorenKompetenzteams“ beteiligt. In der Trägerschaft von vier Stadtteilzentren bzw. der Landesfreiwilligenagentur „Treffpunkt Hilfsbereitschaft“ werden neue Formen ehrenamtlicher und freiwilliger Mitarbeit erprobt und gefördert, und diese arbeiten ausgesprochen erfolgreich. So gibt es inzwischen z. B. insgesamt 26 geförderte Projekte, die ehrenamtliche Besuchsdienste anbieten. Sie stellen eine sinnvolle Ergänzung zum Engagement der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialbereich dar, und sie sind z. B. in der Hospizarbeit unverzichtbar.

Der Senat würdigt das ehrenamtliche Engagement insbesondere auch der Älteren und macht dies sehr deutlich. Zum Beispiel mit dem Versicherungsschutz, mit der verbesserten Präsentation im Internet, mit dem Freiwilligenpass, mit der Auszeichnung mit der Berliner Ehrennadel in zwei Festveranstaltungen im Roten Rathaus hat der Senat die Anerkennungskultur für ehrenamtliches Engagement in den letzten Jahren deutlich verbessert, und das wird er auch in Zukunft tun.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir reden aber nicht nur darüber, was ältere Menschen für das Gemeinwesen leisten, sondern wir haben auch dafür gesorgt, dass sie ihre Interessen besser vertreten können. Sie wollen sich einmischen, sie wollen mitmachen, und genau aus diesen Gründen haben wir in der vergan

genen Legislaturperiode das Seniorenmitwirkungsgesetz beschlossen. Damit ist der Weg für eine gesetzlich geregelte Interessenvertretung der älteren Generation in Berlin freigemacht. Berlin ist damit bundespolitisch in einer Vorreiterrolle, und darauf sind nicht nur die Seniorinnen und Senioren in unserer Stadt stolz.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich bin auch sicher, dass mit dem Seniorenmitwirkungsgesetz das soziale Engagement der älteren Generation in Berlin einen weiteren Aufschwung erfährt. Mit Projekten und Angeboten der offenen Altenarbeit und der Selbsthilfe trägt der Senat Sorge dafür, dass die Älteren ihre Kenntnisse und Fähigkeiten erhalten und einbringen können. Ein besonders schönes und eindrucksvolles Beispiel ist das Modellprojekt „Kreative Potenziale des Alterns fördern“, das generationsübergreifend Erfahrungswissen vermittelt. Auch das Modellprojekt „Theater der Erfahrung“ hat sich inzwischen etabliert und kooperiert besonders gut mit den Schulen, aber auch mit vielen Migrantenorganisationen. Das ist genau das, was wir uns wünschen.