Protokoll der Sitzung vom 10.05.2007

Herr Esser! Brüllen Sie nicht dazwischen! Machen Sie eine ordentliche Zwischenfrage! – Ich komme zur Initiative zurück: Frau Winde, warum haben die Gesundheitssenatorin und Ihr Senat nicht die Chance genutzt, eine Bundesratsinitiative für eine einheitliche Lösung in Deutschland einzubringen? Es wäre so einfach, über das Arbeitsschutzgesetz im Deutschen Bundestag den Nichtraucherschutz zu regeln und das Rauchverbot am Arbeitsplatz – und damit auch in der Gastronomie – umzusetzen.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Man sollte es sich nicht zu einfach machen!]

Es ist doppelzüngig, wenn Ihre Senatorin sagt, Sie wolle ein solches Gesetz einbringen, aber im Ausschuss auf die Frage, warum sie keine Bundesratsinitiative einbringe, sagt, das mache sie nicht, weil die Mehrheit von der Union gestellt werde. Wie sind Sie früher mit anderen Dingen verfahren? Bringen Sie gar nichts mehr in den Bundesrat ein, nur weil Sie der Ansicht sind, die Mehrheitsverhältnisse seien dort nicht zu Ihren Gunsten? – Sie bringen es nicht ein, weil Sie in dieser Frage nicht ehrlich sind. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie handeln und nicht nur über Oppositionsanträge lamentieren.

Wir sind der Auffassung, dass das Berliner Gaststättengesetz einer Änderung bedarf. Wir sind die Letzten, die nicht zustimmen, wenn der Senat seine Hausaufgaben macht und ein neues Gesetz mit Augenmaß, Sachverstand und möglichst wenig Bürokratie einbringt. Solange das nicht geschieht, müssen wir uns mit Oppositionsanträgen der Grünen und der CDU befassen und unserem Antrag, im Bundesrat initiativ zu werden, zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Linken hat nun Herr Dr. Albers das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Czaja! Sie haben recht: Vom Reden zum Handeln ist es manchmal ein weiter Weg. Aber viele Pausen auf diesem Weg wurden durch die CDU-Ministerpräsidenten mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen und ihren Hahnenkämpfen in den eigenen Reihen verursacht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Thema, das wir heute als Priorität behandeln, beschäftigt schon seit Monaten die Öffentlichkeit und lässt die Emotionen dennoch immer wieder hochkochen. Gerade in den letzten Wochen sind wieder reichlich Briefe und E-Mails eingetroffen, die eine bemerkenswert merkwürdige Bandbreite haben. Die einen reklamieren die Freiheit, selbstbestimmt ihre Gesundheit ruinieren zu dürfen – freier Qualm für freie Bürger –, getreu dem Motto: Es gibt nur einen Weg zu meiner Lunge, und den will ich geteert. – Die anderen legen wissenschaftlich fundierte Gutachten vor, nach denen das Rauchen eher als alternative Heilmethode zu betrachten ist. Wieder andere beweisen streng seriös – natürlich mit Quellenangaben –, dass der ganze Quatsch mit den Todesfällen durch Passivrauchen Mumpitz sei und alle Zahlen falsch seien. Dann gibt es noch eine besonders emsige Gruppe, die ein gutes Geschäft wittert und alle möglichen Gerätschaften anbietet, mit denen sich nach deutscher Industrienorm qualmfrei rauchen lässt. Da wird es dann DIN-genormt skurril. Besonders bemerkenswert ist, dass alle in ihren Briefen das eigene Verständnis für die andere Position und die eigene jahrelange Toleranz und Rücksichtnahme gegenüber Nichtrauchern betonen.

An dieser Stelle sage ich mal ein paar klare Worte zu dieser eingebrannten Unvernunft sich selbst rechtfertigender Abhängigkeit: Von mir aus kann jeder nach seiner mehr oder weniger verqualmten Fasson glücklich werden und sich konsequent in die Arteriosklerose paffen. Wir sind diesbezüglich weder Eiferer noch Missionare. Ich habe 26 Jahre lang als Chirurg dazu beigetragen, dass glückliche Raucher wieder schmerzfrei zum nächsten Zigarettenautomaten rollen konnten.

[Vereinzelte Heiterkeit]

Zahlen musste das stets die Solidargemeinschaft.

Es geht in dieser Diskussion nicht darum, Raucher zu stigmatisieren. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den nachhaltigen Nichtraucherschutz. Weil Verständnis und Toleranz in der Vergangenheit sehr oft im Suchtverhalten der vermeintlich Verständigen über Jahrzehnte versanken, machen wir es jetzt mit einem Gesetz.

Ich sehe in dem Gesetzesentwurf der FDP einige brauchbare Ansätze, nämlich in den §§ 2 und 3, die im Gesetzentwurf der Koalition vorhanden sein werden. Die „Berli

ner Zeitung“ hat heute berichtet, in welche Richtung es gehen wird. Dafür, dass Sie das Gesetz bis zum Jahr 2011 befristen wollen, habe ich nach der ganzen Diskussion kein Verständnis. Wir brauchen eine dauerhafte Regelung, und die werden wir in Abstimmung mit dem Land Brandenburg vorlegen. Diese Regelung wird mit dem, was in anderen Bundesländern – zuletzt in Hamburg – beschlossen wurde, in Einklang stehen. Es wird – wie es Ihrer Intention entspricht – das Rauchen ganz privatautonom – welch ein Begriff – in abgeschlossenen Räumen von Gaststätten geben. Ansonsten wird es ein sehr restriktives Gesetz sein, das noch vor der Sommerpause den Senat passieren wird. Das Gesetz ist in Arbeit, Herr Czaja. Wir werden es bekommen.

Zum Antrag der Grünen – Präventionskonzept – ist zu sagen – darüber haben wir im Ausschuss diskutiert und waren uns darüber einig –, dass wir die Einrichtung einer Fachstelle Suchtprävention bei der Senatsverwaltung für Gesundheit begrüßen und dass es ein Fortschritt ist, dass Drogenpräventivmaßnahmen in den neuen integrierten Gesundheitsvertrag aufgenommen werden konnten. Es gibt darüber hinaus diverse vom Senat initiierte oder geförderte Projekte, beispielsweise das Aktionsprojekt „Berlin qualmfrei“, bei dessen Auswertung im kommenden August das Thema Entwöhnung ein zentraler Schwerpunkt sein wird. Wir brauchen demnach kein neues Präventionskonzept zu erarbeiten, sondern wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir mehr Menschen als Botschafter dieser Präventionsideen gewinnen können. Wir sollten diese Projekte im Ausschuss und gegebenenfalls im Plenum kritisch begleiten und uns über die Umsetzung der Maßnahmen berichten lassen, um einschätzen zu können, ob sie ausreichen. Insofern hat sich Ihr Antrag erledigt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat Frau Kosche. – Bitte!

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der liberale Tiger – das meine ich nicht persönlich – startet heute zum Nichtraucherschutz und legt ein umfassendes Gesetzeswerk zur ersten Beratung vor, in dem für alle öffentlichen Einrichtungen der Schutz vor dem Passivrauchen gelten soll.

Zum Grundsätzlichen: Die Fraktion der Grünen hält dieses umfassende Gesetzeswerk nicht für sinnvoll, weil – erstens – in verschiedenen Einrichtungen in Berlin der Nichtraucherinnen- und Nichtraucherschutz schon geregelt ist und praktiziert wird und weil wir es – zweitens – für sinnvoller halten, dass dieser Schutz grundsätzlich spezialgesetzlich geregelt wird, damit das Vor-Ort-Prinzip zur Geltung kommen kann. Beispielsweise müsste dann nicht mehr im Gesetz selbst durch Ausnahmen geregelt

werden, dass in Palliativ- und Psychiatrieabteilungen von Krankenhäusern etwas anderes gilt, oder auch, dass Justizvollzugseinrichtungen differenzierte Regelungen haben.

Eine andere Variante als die spezialgesetzliche ist die Regelung des Schutzes durch Hausrecht, wie es aktuell beispielsweise bei der BVG der Fall ist. Auch da käme das Vor-Ort-Prinzip zur Geltung.

Zu den Inhalten: Wir Bündnisgrünen haben im Sinn des Spezialgesetzes in den 9. Plenarsitzung ein Gaststättengesetz eingebracht, das vor dem Passivrauchen schützt, und zwar umfassend und ohne Ausnahmen.

Wenn Betreiber und Betreiberinnen es dulden, dass in ihren Gaststätten geraucht wird, begehen sie eine Ordnungswidrigkeit. Bei Wiederholung droht sogar der Konzessionsentzug.

Der liberale Tiger aber reißt mit dem heute vorgelegten Gesetz Lücken in diesen Schutz. Es soll wieder möglich sein, dass bei Schulveranstaltungen außerhalb der Schulgebäude und mit Genehmigung der Schulkonferenz – das macht es auch nicht besser – geraucht werden darf. Es soll Rauchergaststätten geben, in denen alle, die dort arbeiten müssen, schutzlos sind, und es gibt keine Sanktionen für Wirte, die das Rauchen dulden. Rauchen wird durch solche Lücken im Schutz weiterhin gesellschaftlich akzeptiert. Die FDP hat an diversen Stellen in ihrem Gesetz beschrieben, wie gefährlich das passive Rauchen ist, kommt aber trotzdem zu solchen Ergebnissen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das können sich nur liberale Tiger ausdenken, die dann eben auch zahnlos werden.

[Beifall bei den Grünen]

Was die Befristung des Gesetzes soll – da gebe ich meinem Vorredner recht –, versteht keiner. Es gibt sicherlich Gesetze, bei denen eine Befristung sinnvoll ist. Man evaluiert nach einige Zeit und prüft, ob alles funktioniert. Aber beim passiven Mitrauchen macht das keinen Sinn: Als ob die gesundheitlichen Risiken des Passivrauchens 2011 aufgehört hätten! Diese Liberalität ist eine falsch verstandene Rücksichtnahme, und ich sehe aus all den genannten Gründen den zahnlosen Tiger als Bettvorleger.

Wir beraten parallel noch zwei Initiativen von Bündnis 90/Die Grünen aus der 9. Plenarsitzung: Zum einen schlagen wir vor, dass durch eine Berliner Bundesratsinitiative das Arbeitsschutzgesetz um ein Rauchverbot in allen Arbeitsstätten ergänzt wird. Diese tolle Idee wurde leider im Gesundheitsausschuss mit der Begründung abgelehnt, dass Herr Wowereit im Bund schon so aktiv für den Nichtraucherschutz eintrete, dass es dieses Antrags nicht bedürfe.

[Andreas Otto (Grüne): Unerhört!]

Wer in den letzten Wochen die Politik des Regierenden verfolgt hat, weiß,

[Mario Czaja (CDU): Weiß gar nichts!]

dass er Unterstützung dringend nötig hat. Deswegen werbe ich hier noch einmal dafür, eine Berliner Bundesratsinitiative zu starten und unserem Antrag heute zuzustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Zum anderen haben wir einen Antrag vorgelegt, dass ein Berliner Konzept gemeinsam mit den Krankenkassen erstellt werden soll, das denjenigen Hilfe bietet, Herr Albers, die der Nikotinsucht verfallen sind und allein nicht weiterkommen. Das deckten die bisherigen Konzepte und Initiativen nicht ab. Dieser Antrag ist vom Ausschuss abgelehnt worden, aber das Hohe Haus hat heute auch hier die Gelegenheit, ein solches Konzept positiv zu bewerten und dem Antrag zuzustimmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ein Starter-Aktiv-Paket für den Gesundheitsschutz vorgelegt. Heute können Sie zugreifen, meine Damen und Herren!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion) und Mario Czaja (CDU)]

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen und komme deshalb zu den Abstimmungen.

Zum Gesetzesantrag Drucksache 16/0440 empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz sowie mitberatend an den Rechtsausschuss. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Zum Grünen-Antrag Drucksache 16/0251 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung, und zwar mehrheitlich gegen CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU und die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Auch zum weiteren Antrag der Grünen – das ist die Drucksache 16/0355 – empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion bei Enthaltung von CDU und FDP. Wer dem Antrag jedoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Es gab zwei Enthaltungen bei den Grünen. Ich habe es gesehen!]

Bei zwei Enthaltungen der Grünen – wenn es der Rechtsfindung dient.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 b:

Antrag

Fahrpreise im Nahverkehr weiterhin sozial gerecht entwickeln

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0444

Diesen Antrag hatte ich vorab bereits an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die nachträgliche Zustimmung hierzu stelle ich fest.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der SPD. Das Wort hat Herr Gaebler. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Geiz ist geil!“ oder „20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung!“ – Die Werbung gaukelt uns regelmäßig vor: Hauptsache billig, alles andere ist egal! – Diese Slogans hört man umgewandelt gelegentlich auch bei Diskussionen über die ÖPNV-Fahrpreise. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird nicht müde, zu sagen: „Hauptsache 30 Prozent Rabatt für alle, dann wird alles besser!“ – Das ist nicht unsere Auffassung, denn billig ist nicht automatisch gut, und billig ist auch nicht automatisch gerecht oder sozial.