Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

[Beifall bei den Grünen]

Der Landeshaushalt würde es uns obendrein in Form drastisch sinkender Betriebskosten danken. Warum sollen wir die Steuergelder eigentlich zu Vattenfall tragen? – Die lassen sich wahrlich besser verwenden. Wir Grüne schlagen Ihnen deshalb vor, in den kommenden Jahren einen Investitionsfonds für Klimaschutz aufzubauen, der sich aus den Einsparungen bei den Betriebskosten refinanziert.

Nun ist bei Ihnen schon bei Öko tote Hose, doch dafür reklamieren Sie für sich, Sie hätten wenigstens politische Schwerpunkte bei Bildung, Wissenschaft und Forschung gesetzt. Mal sehen, was es damit auf sich hat! Ich will drei Beispiele aufgreifen.

Herr Pflüger! 22 Millionen € für die Gemeinschaftsschule – mit dieser Meldung geht der kleinere Koalitionspartner seit der Senatsbildung hausieren. Die einen hoffen deshalb auf eine grundlegende Reform des Schulsystems, die anderen befürchten einen Anschlag auf das gute alte Gymnasium. Ein Blick in den Haushaltsplan zeigt: Von der Wirklichkeit sind beide Sichtweisen nicht gedeckt. Die 22 Millionen € sind eine kumulierte Zahl, Herr Pflüger, über vier Jahre! Das macht im Schnitt pro Jahr 5,5 Millionen €. Bei einem Schuletat von 1,7 Milliarden € jährlich sind das ganze 0,3 Prozent, die für die Gemeinschaftsschule reserviert sind. Das ist nicht gerade ein Betrag, mit dem sich das Schulsystem aus den Angeln heben lässt, das ist auch kein Betrag, Herr Pflüger, mit dem Sie, nach dem, was Sie alles haben wollen, auch nur nennenswert etwas gegenfinanzieren könnten!

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Es ist trotzdem viel Geld!]

Was Sie an Forderungen vorgetragen haben, war ein Programm – fast würde ich sagen – im Milliardenbereich, aber in jedem Fall Hunderte von Millionen. Mit den fünf

Millionen € Gemeinschaftsschule können weder Sie noch die PDS etwas anfangen.

[Beifall bei den Grünen]

Zumal sich das Projekt Gemeinschaftsschule ironischerweise zu einem Modellprojekt für die Zweigliedrigkeit des Schulsystems entwickelt hat, nachdem klar ist, dass sich kein Gymnasium an dem Projekt beteiligen wird. Der Klassenkampf gegen das Gymnasium fällt also schlicht ins Wasser, weswegen ich Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, eigentlich vorschlage, sich zu beruhigen und mit dem Projekt Ihren Frieden zu machen, denn für die Linkspartei gilt längst: Veränderung beginnt mit Opposition, und in der Regierung hört sie dann auf.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Das kommt auch bei den Grünen vor!]

Jetzt frage ich mich: Sieht es bei den Projekten des Koalitionspartners besser aus? Der Schulsenator hat ja viel mehr Geld zur Verfügung als die Linkspartei. Er verspricht uns dafür die hundertprozentige Unterrichtsversorgung. Seit Monaten – nun ist er nicht da – hält uns Herr Zöllner mit der Frage in Atem, ob sie erreicht wird, wie sie erreicht wird, wann sie erreicht wird. Heute Mittag, zu Beginn der Sitzung, haben wir eine weitere entnervende Kostprobe dieses Themas bekommen.

Ich sage dazu nur: Wie auch immer, Herr Zöllner, Ihr Versprechen steht, daran werden Sie gemessen werden. Die damit verbundenen Konflikte bei den Umsetzungen müssen Sie durchstehen, falls Ihr Ruf als Supersenator nicht schon bei der ersten echten Kraftprobe ruiniert werden soll. Aber angenommen, Sie, der Senat, die Schulverwaltung, das Parlament – wir helfen gern! –, kurzum, wir alle bekommen es am Ende zusammen hin, dass den Schülerinnen und Schülern in Berlin tatsächlich garantiert werden kann, dass sie gemäß der Stundentafel unterrichtet werden, hätten wir dann eigentlich eine Bildungsoffensive oder eine pädagogische Vision verwirklicht? – Na, wohl kaum, wir hätten lediglich unsere Pflicht getan, denn der Schulpflicht der Schülerinnen und Schüler steht doch wohl die Pflicht des Staates gegenüber, Unterricht anzubieten und nicht ausfallen zu lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn die Schülerinnen und Schüler kein Recht auf Schwänzen haben, hat der Senat auch mit Blick auf die Finanzen kein Recht auf Unterrichtsausfall. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf den katastrophalen Zustand der Berliner Schule, dass die Rückkehr zu einer Selbstverständlichkeit und zum Normalzustand zu einer Schwerpunktoffensive der Regierung überhöht werden kann.

[Beifall bei den Grünen]

Eine ähnliche Bewandtnis, meine lieben Koalitionäre, hat es mit den 150 Millionen € für den Wissenschaftsbereich. Höherer Zuschuss an die Forschungsinstitute: Ein Blick in den Haushaltsplan lehrt es: In den Verträgen mit Bund und Ländern ist die jährliche Steigerung von mindestens drei Prozent festgeschrieben. Sie müssen das zahlen, ob

Sie wollen oder nicht. Mehr Studienplätze im Eingangssemester: Wir erinnern uns, Bund und Länder mussten Herrn Wowereit bei den Verhandlungen über den Hochschulpakt geradezu dazu zwingen, sie einzurichten. Das hat wochenlang die Presse beschäftigt. Kofinanzierung der Exzellenzinitiative: Wenn das nicht gewährleistet wäre, brauchten unsere Hochschulen bei diesem Bundeswettbewerb gar nicht erst anzutreten.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist gut, dass das dank der Bundespolitik alles passiert, aber dass Sie versuchen, dass als eigene höhere Einsicht und freiwillige Schwerpunktsetzung zu verkaufen, ist nicht ohne Komik.

Wer mehr und anderes will, müsste innerhalb der festgelegten Ausgabenlinie – Herr Zackenfels hat sie beschrieben – umschichten, indem man das für echte Schwerpunkte erforderliche Geld an anderer Stelle zusammenspart. Das könnte der Senat machen, wenn er die Fähigkeit und den Willen zur Strukturreform hätte. Hat er aber nicht.

Bis heute fehlt ein klares Personalkonzept, das den aus heutiger Sicht betriebsnotwendigen Personalkörper endlich einmal stellenscharf definiert, das Beamtenrecht novelliert und die Eckpunkte für den neuen Tarifvertrag nach Ende des Solidarpakts im öffentlichen Dienst festlegt. Wenn wir das fordern, pflegt Herr Sarrazin im Ausschuss zu nicken, als würde er gern und jederzeit ein solches Konzept vorlegen. Aber der Senat als Ganzes – und darauf kommt es an – bleibt stumm, weil er nämlich in dieser Frage tief gespalten und nicht handlungsfähig ist.

Ohne Änderung der Verwaltungsstruktur und der Arbeitsprozesse wird auch der von Ihnen so spontan vor sich hin betriebene Personalabbau bald an seine Grenzen stoßen. Wir fordern nicht erst seit heute, dass vor allem die vorhandene Doppelarbeit durch klare Abgrenzung von Landes- und Bezirksaufgaben in einer abschließenden Positivliste beseitigt wird. Vom Senat ist zu dem Thema schon seit langem nichts mehr zu hören und zu sehen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, etwa um die IT- und Gebäudekosten des Landes zu senken. Das sagen alle hier im Saal. Meine Damen und Herren von SPD und PDS! Frisch ans Werk! Wo bleiben die kostensenkenden Maßnahmen bei der Zumessung von IT-Ausgaben an die Dienststellen der Verwaltung? Wo bleibt Ihr Vorschlag, auch in den Bezirken das Mieter- und Vermietermodell einzuführen, um die Bewirtschaftung der landeseigenen Gebäude effizienter zu gestalten?

Eine weitere große Belastung, die ohne Gegenmaßnahmen dramatisch ansteigen wird, stellen die Versorgungsausgaben dar. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern drückt sich der Senat vor der Umsetzung des geltenden Rentenrechts auf das Versorgungssystem der Beamten, obwohl das auch in Berlin die Pensionslasten begrenzen würde. Und auf den für 2008 angekündigten Aufbau einer

Versorgungsrücklage will der Senat offenbar verzichten. Jedenfalls steht überraschenderweise nichts dazu im Haushalt. Wenn Sie sich da eines anderen besinnen, würden wir das ausdrücklich unterstützen.

[Beifall bei den Grünen]

Abschließend zur größten Last, die der Haushalt mit sich herumschleppt: Uns alle drückt der Schuldenberg von 60 Milliarden €, denn er zieht 2,4 Milliarden € Zinsen nach sich. Das sind 2,4 Milliarden € reguläre Einnahmen pro Jahr, die nicht für Leistungen an die Bürger in Berlin zur Verfügung stehen. In Bundesländern, die in der Vergangenheit eine solidere Haushaltspolitik betrieben haben, liegt der Anteil der Zinsen an den Einnahmen weit niedriger als in Berlin. Hätten wir deren Zinseinnahmequote, stünden uns sage und schreibe 1,5 Milliarden € mehr für aktive Politik zur Verfügung. Damit könnte man schon etwas machen.

Das macht hinreichend deutlich, wie wichtig es für die Stadt ist, dass bei der Föderalismusreform II neben strengeren Verschuldungsregeln auch ein Entschuldungspakt geschlossen wird, der es Berlin ermöglicht, seine Zinslast mit Hilfe der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu reduzieren. Was aber macht Herr Wowereit? – Er redet nicht einmal mit dem Vorsitzenden der Föderalismuskommission über dieses existenzielle Thema und überlässt das Gespräch der Opposition. Und Herr Liebich erklärte gestern: Er hat lieber gar kein Ergebnis, als dass im Tausch gegen einen Abbau unserer Schulden ein Stück Wettbewerbsföderalismus entsteht. – Na, vielen Dank! Lieber kein Ergebnis als mehr Wettbewerbsföderalismus! Und Sie wissen genau, dass das – wenn überhaupt – nur als Zug-um-Zug-Geschäft geht. Sie lassen uns lieber auf diesen 2,4 Milliarden € sitzen. Auch an dieser Stelle sind Sie aus ideologischen Gründen handlungsunfähig.

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

Mein Fazit: Berlin hätte wahrlich eine bessere Regierung verdient. Der frühere Bundeskanzler Schröder – er scheint in dem Fall Ihr Vorbild zu sein – hat in einem unbedachten Augenblick von einer Politik der ruhigen Hand gesprochen. Das ist ihm – Sie erinnern sich – nicht gut bekommen. Dies hier ist ein Haushalt der ruhigen Hand, und der wird unserer Stadt nicht gut bekommen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Wechselberg das Wort.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wo ist die CDU-Fraktion? – Uwe Goetze (CDU): Wo ist der Senat?]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beginnen zehnwöchige Haushaltsberatungen. Als Finanzpolitiker

lassen Sie mich zunächst eine gewisse Genugtuung darüber aussprechen, dass wir es erreicht haben, dass auch die Kolleginnen und Kollegen in den Fachausschüssen das Vergnügen einer sehr intensiven Beratung haben werden. Das freut uns alle. Ich glaube auch, dass es die Qualität der Auseinandersetzung deutlich erhöht.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Herr Kollege Pflüger! Ich habe etwas vermisst, und zwar fällt mir das bei Ihnen jetzt schon zum wiederholten Male auf. Eine wirkliche Nähe zu der Berliner Entwicklung fehlt Ihnen offenkundig. Es scheint Ihnen etwas Äußerliches zu sein, was hier in der Stadt passiert, weil Sie offensichtlich kein Gefühl dafür haben, woher Berlin kommt und was diese Regierungskoalition in den zurückliegenden sechs Jahren geleistet hat, nämlich die fundamentalste Krise zu bewältigen, die eine Landesregierung in der Geschichte der Republik vorgefunden hat. Haushaltsnotlage in Berlin – das hieß: 40 Milliarden € Schulden, aufgehäuft in den Jahren zuvor, und ein Finanzierungsdefizit von über 5 Milliarden €; ein Haushalt, der eine Kreditquote von 25 Prozent benötigte, um seine laufenden Ausgaben zu finanzieren.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Alles, um die Schäden des Sozialismus zu reparieren!]

Ich sage ja nicht, dass alles schlecht war von dem, was Sie unter der Regierung Diepgen getan haben. – Diese tiefe Krise, in die die Stadt hineingeführt worden ist, fehlt Ihnen im Verständnis dessen, wenn Sie darüber reden, was wir hier in den letzten Jahren geleistet haben.

Wir sind in die Regierung gekommen als Koalition, und Rot-Rot war seinerzeit ein Tabubruch. Die SPD wurde von Klaus Wowereit aus der großen Koalition herausgeführt, das erste Mal eine rot-rote Landesregierung in der Hauptstadt zu etablieren, vor dem Hintergrund dieser Matrix, dieser tiefen Krise durch Bankenskandal und Haushaltsnotlage.

Aber wir mussten bewältigen, was vor uns stand. Dafür sind wir seinerzeit zur Landesregierung gewählt worden. Wir mussten das bewältigen; wir mussten diese Krise überwinden. Daran sind wir auch gemessen worden, und ich sage Ihnen heute mit großem Selbstbewusstsein: Es ist uns gelungen, und die Zahlen belegen das eindeutig, diese tiefe finanzpolitische Krise, in der sich Berlin über Jahre befand, zu beenden, und zwar zu Bedingungen zu beenden,

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

zu überwinden und zu bewältigen, die die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Strukturen nicht grundsätzlich infrage gestellt haben. Deshalb gewinnen die Menschen in der Stadt auch wieder Zutrauen in Politik.

Das, was Sie hier gesagt haben, geht auch vom Gestus sehr gegen das, was die Berlinerinnen und Berliner selbst von sich und von der Stadt denken. Es ist ein überzogener, übertrieben negativer Gestus, mit dem Sie hier antreten, und mit Verlaub: Es ist auch ein gewisses Maß an

Miesmacherei dabei, wenn Sie so über das reden, was hier in der Regierung erreicht worden ist, und wenn Sie so über die Stadt reden, für die wir hier gemeinsam Verantwortung tragen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Dr. Friedbert Pflüger (CDU)]

Wir sind an dem Punkt – und das macht es mir möglich, Ihnen mit Langmut zu begegnen, wenn Sie diese Form von Kritik äußern, Herr Kollege Pflüger –, als Finanzpolitiker ist es immer gut, wenn er auf die Zahlen verweisen kann.

Die Zahlen stimmen in Berlin einfach.

[Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Die Tatsache, dass wir ein Gemeinwesen regieren, das seine Ausgaben aus eigener Kraft finanziert, ohne durch Kredite, ohne Anleihen bei künftigen Generationen machen zu müssen, ist doch ein historischer Glücksfall für die Stadt, Ergebnis harter Arbeit und im republikweiten Vergleich eine beispiellose Leistung.