Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

[Frank Henkel (CDU): Was haben Sie damit zu tun?]

Lassen Sie mich erst einmal ausreden, ein bisschen mehr Contenance, meine Herren! –

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Gelächter bei der CDU]

Das heißt, dass circa 30 000 Menschen seit dem letzten Jahr nicht mehr arbeitslos sind. Und da sind Sie nicht der Meinung, dass wir darüber im Parlament sprechen sollten? – Das ist eine richtige und wichtige Botschaft, das ist eine erfreuliche Entwicklung!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist eine erfreuliche Entwicklung, zumal die Nachfrage nach Handwerkern gestiegen und der Trend des Abbaus seit der Wiedervereinigung endlich gestoppt ist. Das ist eine frohe Botschaft, gerade auch im Baugewerbe.

[Mario Czaja (CDU): Frohe Botschaften gibt es in vier Wochen!]

Darüber muss man reden, das muss man den Menschen sagen, damit sie eine Perspektive haben!

Der Ausbau des Flughafens Berlin-BrandenburgInternational ist das größte Infrastrukturprojekt der Region und muss dazu genutzt werden, dass nur sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden. Schwarzarbeit darf keine Chance haben, deshalb soll ein Baustellenausweis für die dort Beschäftigten eingeführt werden.

Auf Grund der demografischen Veränderungen wird sich in den nächsten Jahren die Arbeitsmarktlage weiter für qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entspannen. Schon heute herrscht in einigen Bereichen ein erhöhter Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Deshalb muss die Arbeitsagentur mehr Geld für Fort- und Weiterbildung ausgeben. Es kann nicht sein, dass Gelder an den Bund zurückgegeben werden, während an Fort- und Weiterbildung gespart wird.

Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass der erste Arbeitsmarkt – trotz der guten Prognosen und der demografischen Entwicklung – zur Zeit noch nicht in der Lage ist, für alle Erwerbslosen eine Beschäftigung zu schaffen. Das ist Fakt, und wir müssen und werden handeln. Für die Menschen in Berlin, die keine Chance auf einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt haben, brauchen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.

[Rainer-Michael Lehmann (FDP): Dann tun Sie doch etwas für den ersten Arbeitsmarkt!]

Die öffentlich geförderte Beschäftigung darf allerdings nicht dazu genutzt werden, bestehende reguläre Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt zu verdrängen und danach zu ersetzen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Deshalb sollen die Einsatzfelder mit den Sozialpartnern abgestimmt werden. Die Beschäftigungsverhältnisse sollen erstens für ältere Arbeitslose über 55 Jahre, zweitens für Langzeitarbeitslose mit vielfältigen Vermittlungshemmnissen und drittens für Langzeitarbeitslose, die seit mindestens zwei Jahren Arbeitslosengeld II erhalten und im Ergebnis eines Profiling keine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, geschaffen werden.

Die Förderung des zweiten Arbeitsmarktes bleibt eine wichtige, weiterhin auch staatliche Aufgabe. Wir müssen und wollen in Berlin einheitliche Bedingungen schaffen, denn viele Arbeitslose haben die Erfahrung gemacht – und das sagen sie uns immer wieder –, dass sie in den zwölf Berliner Jobcentern unterschiedlich behandelt werden. Deshalb soll in der für Arbeit zuständigen Senatsverwaltung eine zentrale Steuerungs- und Serviceeinheit mit Zuständigkeit für die Arbeitsmarktpolitik nach dem SGB II eingerichtet werden.

Die Grundlage für eine berufliche Perspektive und einen beruflichen Erfolg ist nach wie vor eine Berufsausbil

dung. Deshalb ist es notwendig, allen Jugendlichen, die eine Berufsausbildung anstreben, ein Angebot zu unterbreiten. Dabei behält auch für uns die duale Berufsausbildung nach wie vor Priorität. Wichtiges Ziel ist es, die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Berlin zu erhöhen. Hier ist die Wirtschaft gefragt und steht somit auch in der Verantwortung für Berlin.

Die Entwicklung am Berliner Arbeitsmarkt wird uns nicht nur heute, sondern auch in dieser Legislaturperiode ständig beschäftigen. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Wirtschaft, den Arbeitsagenturen und den Jobcentern zum Wohle der Berlinerinnen und Berliner handeln!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen der Opposition! Bei aller Kritik, die Sie sicherlich in Ihren Redebeiträgen noch haben, denken Sie bitte daran, dass die demokratischen Parteien gemeinsam die Arbeitslosigkeit bekämpfen müssen. Kritik darf nicht zur Perspektivlosigkeit der Menschen führen. Das sollte uns am 9. November eine besondere Mahnung sein.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Steffel! – Bitte schön, Herr Dr. Steffel!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Grosse! Ich nehme Ihnen Ihr Engagement für Arbeitsplätze, für soziale Gerechtigkeit, für vieles andere ausdrücklich ab, habe allerdings den Eindruck, dass das Interesse beim Senat bei dieser wichtigen Aktuellen Stunde außerordentlich begrenzt ist. Zumindest stelle ich bei dem Regierenden Bürgermeister fest, dass – wie in den letzten fünf Jahren auch – ihn auch heute das Thema nicht wirklich interessiert. Andere Senatoren, das überrascht mich nicht, aber ich möchte es dennoch erwähnen, – Finanzen, Bauen, Bildung, Wissenschaft, Kultur – sehen offensichtlich keinen inhaltlichen Zusammenhang zu ihren Ressorts und dem Thema Arbeitsplätze und all dem, was Sie in Ihrer Rede zu Recht damit verbunden haben.

Das Thema der Aktuellen Stunde von SPD und Linkspartei.PDS deutet nach unserer Einschätzung entweder auf eine Verlängerung des Wahlkampfes hin, auf ziemliche Realitätsverweigerung, oder es ist ein Pfeifen im dunklen Wald, denn wie Sie angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage sehr vieler Berlinerinnen und Berliner, des Berliner Mittelstandes, der Berliner Arbeitnehmer, aber gerade auch der Lage von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern ernsthaft zu der Aussage einer positiven Entwicklung am Berliner Arbeitsmarkt kommen, entzieht sich zumindest beim Studium der Zahlen meiner Kenntnis.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Seit fünf Jahren ist Berlin in allen relevanten Statistiken im Wirtschafts- und Arbeitsmarktbereich stets auf dem letzten, vorletzten, maximal drittletzten Platz aller Bundesländer. Die Frage war bis zur Abwahl von Herrn Höppner in Sachsen-Anhalt, welches der drei rot-roten Länder hat die rote Laterne, welches hat den vorletzten, welches den drittletzten Platz.

Mittlerweile hat selbst Ministerpräsident Höppner nicht nur dafür die Quittung von den Wählerinnen und Wählern erhalten, sondern hat selbst in Mecklenburg-Vorpommern Herr Ringstorff erkannt, dass offenkundig mit rot-roten Konzepten erfolgreiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nicht möglich ist. Ich wette heute mit Ihnen, dass das, was Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung vereinbart haben, dazu führen wird, dass Mecklenburg-Vorpommern mit der rot-schwarzen Koalition in 5 Jahren in allen Indikatoren vor Berlin liegt. Denn wenn wir uns die Indikatoren anschauen, dann müssen wir leider feststellen, dass die Rahmenbedingungen unverändert dramatisch sind. Und ich neige nicht dazu, den Standort schlechtzureden, weiß Gott nicht. Aber wir haben – –

[Zurufe von der SPD]

Hören Sie zu und lassen Sie uns dann inhaltlich im Ausschuss oder wo auch immer diskutieren. Wir haben ja so eine Zwischenphase: Der Senat ist nicht gewählt, Sie wollen aber ein wesentliches Thema diskutieren, aber der Senat, der dafür zuständig ist, ist eigentlich gar nicht anwesend oder kaum noch im Amt.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Sind beide anwesend!]

277 000 Arbeitslose haben wir, 300 000 Sozialhilfeempfänger. Über 1 Million Berlinerinnen und Berliner leben von Sozialhilfe, das sind mehr Menschen als diejenigen, die sich in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen befinden. Wir haben 175 000 Kinder in Berlin in relativer Armut, davon 80 000 unter 8 Jahren. Ich will das nicht dramatisieren, aber ich finde, es gehört zu einer ehrlichen Betrachtung, wenn Sie von einer positiven Entwicklung sprechen, der Redlichkeit halber dazu: 435 000 Personen in Berlin sind als arm definiert. Das sind fast 13 % der Berliner Bevölkerung. Und Sie reden heute und in anderen Reden des Wirtschaftssenators, des Regierenden Bürgermeisters so, als ob wir uns mitten in einem Wirtschaftswunder befänden. Man muss attestieren, dass es offenkundig auch dem rot-roten Senat nicht gelungen ist, den bundesweiten Aufschwung ganz zu unterbinden, und trotz der Politik der rot-roten Landesregierung hat man sich gegen Teile des Aufschwungs, insbesondere im Finanzbereich bei den Steuereinnahmen durch den Länderfinanzausgleich, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die damit verbundenen Effekte für Berlin, nicht wehren können.

Ich will Ihnen aber sagen, wie Sie Ihre Statistik in Berlin manipulieren, ich benutze bewusst kein anderes Wort. Der Unternehmerverband hat am 3. November 2006 darauf hingewiesen, dass man nach genauer Prüfung der Da

tenlage zu folgendem Ergebnis kommt: Zwar ist die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat um 10 300 gesunken. Es wurden aber im Oktober 11 500 Personen mehr mit Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik gefördert als im September. Es gibt also 1 000 Menschen weniger in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, und nur deshalb ist die Statistik geschönt, weil Sie rechtzeitig im Wahlkampf 11 000 Berliner in den so genannten zweiten und dritten, d. h. den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt geschafft haben, ohne auch nur im Ansatz darüber nachzudenken, wie diese Menschen jemals dort wieder herauskommen und wieder Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt erreichen sollen.

Der UVB stellt weiter fest: Die Unterbeschäftigung, d. h. die Zahl der Arbeitslosen und die der mit Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik Geförderten, ist gestiegen. Ich wiederhole: Die Unterbeschäftigung ist gestiegen. Und das in einem Monat, wo bundesweit die niedrigste Arbeitslosigkeit seit langen, langen Jahren bei einer Rückführung des zweiten und dritten Arbeitsmarkts festzustellen ist. Hervorzuheben – so endet der UVB – ist also die wachsende Unterbeschäftigung und keineswegs die sinkende Zahl der statistisch falsch ausgewiesenen Arbeitslosen. – Das ist die nüchterne Bilanz dieses Senats.

Und auch der DGB – um nicht nur auf der falschen Seite in die Statistiken zu schauen – kommentiert die Oktoberstatistik; Herr Senator Wolf, wie folgt:

Wenn die Oktoberstatistik zur Arbeitslosigkeit als Herbstaufschwung von politisch Verantwortlichen verkauft wird, sollte endlich Realismus angebracht sein. Wer von Abbau der Arbeitslosigkeit und steigenden Zahlen sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze spricht, darf keinesfalls vergessen, dass 73 000 Arbeitsplätze öffentlich gefördert werden.

Der UVB ergänzt: Das sind 80 000 mehr als im Jahr 2000. – Das nur zur Wahrheit. Das ist die Wahrheit, hat nichts mit schlechtreden und dramatisieren zu tun, lediglich mit Wahrheit und mit den Fakten, die die Menschen zu Recht wissen sollten, wenn sie Politik in Berlin beurteilen.

Jetzt schauen wir uns an: Was hat der Senat, was hat die rot-rote Regierung, die ihre Arbeit fortsetzen möchte, in ihrer Koalitionsvereinbarung beschlossen? – Ich zitiere mit aller Vorsicht die relevanten Verbände. Die Handwerkskammer teilt mit:

Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS müssen jeden enttäuschen, der sich eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Berlin erhofft hat.

Der Hauptgeschäftsführer der IHK teilt mit:

Die Koalition verspielt leichtfertig die Chancen zur Sanierung des Landeshaushalts und zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts.

Die Unternehmerverbände teilen mit:

Rot-Rot hat wieder einmal das Wachstumsproblem der Stadt nicht konkret angepackt.

Ich könnte die Zitate beliebig fortführen und neige nicht dazu, politische Diskussionen über Zitate von Dritten zu führen. Aber Sie sollten mindestens zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur die Opposition im Landtag, sondern offenkundig fast jeder, der sich in Berlin mit Wirtschaftspolitik beschäftigt, den Eindruck hat, dass Mittelstand, kleine und mittlere Unternehmen, Arbeitnehmer, viele andere Fragen, Existenzgründungen usw. in Ihrer Politik, in Ihrer Koalitionsvereinbarung – das Interesse des Senats zeigt das – offenkundig überhaupt nicht vorkommen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Sie haben überhaupt nicht erkannt, dass das wesentliche Ergebnis der neuen Steuerschätzung nicht der glückliche Umstand ist, dass Sie etwas mehr Geld in die Kassen bekommen. Darüber freuen wir uns alle. Die wesentliche Erkenntnis ist die, dass Sie nur mit Wirtschaftswachstum, mit Schaffung von Arbeitsplätzen, mit neuen Arbeitsplätzen, mit weniger Sozialhilfeempfängern, mit mehr sozialen Leistungen durch Arbeitsplätze überhaupt die staatlichen Probleme in Finanzen und sozialen Sicherungssystemen in den Griff bekommen. Und dafür tut dieser Senat nichts, aber auch gar nichts.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Was fällt dem Finanzsenator – in Wirtschaftskreisen teilweise geschätzt – ein? – Der Finanzsenator artikuliert sich: Berlin spielt nicht in der Liga von Hamburg oder München, sondern er vergleicht Berlin mit Duisburg und Dortmund. – Sie begrüßen das, das ist mir klar. – Unabhängig davon, dass ich die Aussage für sich genommen für verheerend halte, aus vielerlei Gründen, die wir nicht vertiefen müssen – ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir gemeinsam Berlin eher mit Paris, Rom und London vergleichen und nicht mit Duisburg, Dortmund, Recklinghausen oder Osnabrück.

[Beifall bei der CDU]

Aber nicht einmal diesen Vergleich bestehen Sie! Denn wenn Sie wenigstens die Arbeitslosenzahlen von Duisburg und Dortmund hätten, wäre ich ja zufrieden.