Protokoll der Sitzung vom 22.11.2007

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Ausschussvorsitzende Frau Ströver.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um auch von meiner Seite noch einmal eine Zahl hinzuzufügen: Es ist so, liebe Frau Lange, dass – und daran war die SPD von Anfang an beteiligt – der erste gemeinsame Berliner Etat nach der Wende für die Kulturausgaben doppelt so viel vorgesehen hat wie heute. Wir haben eine Reduzierung um 50 Prozent, und hätte es nicht den Bund gegeben, in den unterschiedlichen politischen Konstellationen, dann

würden uns heute noch viel mehr kulturelle Einrichtungen fehlen, als es der Fall ist.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Mit dieser Beschlussempfehlung unterstützen wir die Kulturpolitikerinnen und -politiker aller Fraktionen auf Bundesebene, die sich seit vielen Jahren für eine Verankerung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz einsetzen. Damit folgen auch wir hoffentlich heute einer Empfehlung der Enquetekommission – die Kollegen haben es schon angesprochen – des Bundestags, die sich bereits seit der vergangenen Legislaturperiode mit der Zukunft der Kultur in Deutschland beschäftigt hat. Diese Enquetekommission hat ausdrücklich eine Staatszielbestimmung als Ergänzung des Artikels 20 des Grundgesetzes gefordert, einen Satz: Der Staat schützt und fördert die Kultur – aufzunehmen. Wir unterstützen dieses Bemühen, weil wir die besondere Verantwortung des Staates für die Sicherung des kulturellen Lebens in Deutschland unterstreichen wollen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich sage es ganz klar: Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich in einer Tradition als Kulturstaat. Schon immer hat Kultur in Deutschland eine große Rolle gespielt, nicht immer nur im Positiven. So war sie das positive geistige Band zu Zeiten deutscher Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts. Sie wurde aber auch als propagandistisches Instrument im Interesse des Nazi-Regimes dramatisch missbraucht. Die Kultur oder das kulturelle Miteinander war durchaus auch – Herr Braun hat es gesagt – ein bindendes Glied während der innerdeutschen Teilung. Insofern zeigt sich, wie wichtig die Kultur für uns in unserem Land ist.

Gerade aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus unterstützen wir Grünen grundsätzlich die Zuständigkeit für die Kultur bei den Ländern.

Dennoch sehen wir hier eine Entwicklung, die die öffentliche Kulturförderung immer weiter herunterfährt und das künstlerische Schaffen immer stärker kommerziellem Druck aussetzt. Damit aber besteht die Gefahr, dass das in Artikel 5 unserer Verfassung formulierte Grundrecht, „Die Kunst ist frei“ ad absurdum geführt wird. Wie soll sich Kunst frei entfalten können, wenn sie schon im Entstehungsprozess kommerziellen Verwertungskriterien unterliegt? Deswegen glauben wir, dass hier auch eine besondere Verantwortung für das gesamte staatliche Gebilde besteht. Die Bundesländer haben dies in ihren Landesverfassungen als Willenserklärung formuliert, so auch das Land Berlin, mit dem Satz: Das Land fördert das kulturelle Leben.

Nun ist es an der Zeit, die Stärkung der kulturellen Lebensgrundlagen als gleichwertiges Verfassungsziel neben dem Sozialstaat, dem Umwelt- und Tierschutz, dem gesamtstaatlichen Gleichgewicht und dem Friedensgebot im Grundgesetz zu verankern. Die Verankerung von Kultur als Staatsziel bedeutete zwar nicht automatisch mehr Geld

für die Kultur, aber es unterstriche die Verantwortung des gesamten Staats, das kulturelle Erbe zu bewahren und die kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu pflegen.

[Beifall bei den Grünen]

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung mehrfach betont, dass Deutschland ein Kulturstaat sei. Eine Staatszielbestimmung im Grundgesetz wäre eine Bestätigung dessen und ein gutes Signal für alle Kulturschaffenden in unserem Land, dass sich der Staat auch langfristig für die Sicherung des kulturellen Lebens in seiner ganzen Dichte und Vielfalt verantwortlich fühlt.

Liebe Frau Lange! An dieser Stelle, gerade weil es auch um Vielfalt und Integration durch Kultur geht, wäre es gut, wenn heute eine Mehrheit in diesem Haus auch dafür stimmte – wir werden das leider nicht mehr beraten –, dass Migrantenvertreter in Kulturberatungsgremien kämen. Schade, dass Sie unserem Antrag nicht folgen werden!

[Beifall bei den Grünen]

Es wäre ein gutes Zeichen, wenn wir aus der Sicht Berlins ein Signal an die Bundesebene gäben, wenn der Regierende Bürgermeister als Kultursenator das dorthin auch vermittelte und wir die Kulturpolitikerinnen und -politiker aller Bundesparteien und die Mehrheit der Fraktionen heute auch im Abgeordnetenhaus dieses Ansinnen unterstützten, dieses Staatsziel zu verankern, um auf der Bundesebene ein Stück weiterzukommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Ströver! – Das Wort für die FDPFraktion hat der Kollege Meyer. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brauer! Die Grundaussage „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ wird, glaube ich, hier und im Bundestag von allen Fraktionen geteilt, weil die freie Entfaltungsmöglichkeit jedes Einzelnen im kulturellen Leben das Spiegelbild einer Gesellschaft ist. Deswegen ist diese Grundaussage nicht zu beanstanden.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Dann können Sie ja zustimmen!]

Allerdings ist die grundlegende Debatte zu führen, ob ein Staatsziel Kultur in unserer bundesdeutschen Verfassung richtig aufgehoben ist. Dies ist primär eine rechtstheoretische Frage. Sie muss aber dennoch geführt werden. Man kann dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Deswegen hat die FDP-Fraktion in den Ausschussberatungen diesen Antrag bisher abgelehnt, anders als die Bundestagsfraktion der FDP, die diesen Antrag, wie Sie ihn auch formuliert haben, bereits vor anderthalb Jahren in den Bundestag eingebracht hat.

Wir haben – Frau Ströver hat darauf hingewiesen – nicht nur Kultur als Staatsziel auf der Agenda. Wir hatten vor wenigen Jahren das Thema Tierschutz, das Thema Umweltschutz auf der Agenda, und es wurde in die Verfassung aufgenommen. Man hört in der aktuellen Debatte, dass auch diskutiert wird, ob man Sport als Staatsziel definieren sollte.

[Beifall von Markus Pauzenberger (SPD)]

Genau! Da gibt es auch schon Applaus. – Und die Frage ist: Wo macht man die Grenze? – Das abschreckende Beispiel ist die Verfassung von Berlin. Wir haben in den ersten 35 Artikeln eine Vielzahl von Grundrechten, von Programmsätzen, die sich teilweise widersprechen und die aufgrund der Vielzahl der Programmsätze als solches gar keinen klaren Handlungsauftrag mehr für das Land Berlin darstellen. Und das ist der Punkt, über den wir hier sprechen müssen. Wo ist denn z. B. das Staatsziel in Artikel 20 Absatz 1 der Verfassung von Berlin beachtet worden, als Herr Wowereit im letzten Jahr die Staatsoper quasi fast zumachen wollte mit der Argumentation: Wenn der Bund nicht finanziert, dann muss die Staatsoper geschlossen werden –, wo war denn da der Schutz des Staatsziels Kultur? Wo war der Schutz des Staatsziels Kultur – alle Vorredner haben darauf hingewiesen –, als wir in den letzten Jahren deutliche Kürzungen im Kulturetat hinnehmen mussten? Da das in Berlin zeigt, dass ein Staatsziel Kultur keinen wirksamen Schutz bedeutet, auch gegen Reduzierungen von Mitteln, sind die ganzen Argumentationsstränge in der Debatte falsch. Wenn Sie sagen, dass in den Berliner Schulen nach einem Staatsziel im Grundgesetz mehr die kulturelle Bildung im Vordergrund steht, dann muss ich Ihnen sagen: Wenn in Berliner Schulen mehr kulturelle Bildung in den Vordergrund gestellt werden sollte, dann könnte das allein jetzt schon aufgrund der Verfassungslage in Berlin – Artikel 20 – geschehen. Es ist eine Frage der Umsetzung. Genau hier schließt sich der Kreis. Bei allen Staatszielen, die in den letzten Jahren in das Grundgesetz aufgenommen wurden, hat man die Situation, dass aus dem Staatsziel kein stringenter Handlungsauftrag – das ist auch rechtspolitisch nicht gewollt – für das jeweilige Ziel Umweltschutz, Tierschutz oder Kultur abzuleiten ist.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Wir haben nichts anderes gesagt!]

Richtig! – Und da dieses nicht der Fall ist, ist dieser Antrag ein Placebo, und dies werden wir deshalb so nicht mittragen.

[Beifall bei der FDP– Alice Ströver (Grüne): Dann unterstützt es doch auch!]

Vielen Dank! – Der Kulturausschuss empfiehlt mehrheitlich – gegen FDP – die Annahme des Antrags Drucksache 16/0516. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Frakti

onen mit Ausnahme der FDP, die – nehme ich an – dagegen stimmt. Damit ist der Antrag angenommen.

Die lfd. Nr. 5 war Priorität der Fraktion der Grünen unter dem Tagesordnungspunkt 4 a. Die lfd. Nr. 6 steht bereits mit den Überweisungen auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 7:

I. Lesung

Kinder früher fördern – Kitabesuch ohne Hürden – Kindertagesförderungsgesetz – KitaFöG –

Antrag der Grünen Drs 16/0999

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der Grünen. Das Wort hat Frau Abgeordnete Jantzen. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir würden uns wünschen, dass das Engagement, das Herr Zöllner im Bereich Wissenschaft und Forschung mit der Exzellenzinitiative an den Tag legt, er auch im Bereich der early Exzellenz, nämlich im Bereich der frühkindlichen Bildung, zeigen würde. Das tut er leider nicht. Den Bereich der frühkindlichen Bildung haben der Senat und die rotrote Koalition in der Vergangenheit und auch in dieser Legislaturperiode bisher sträflich vernachlässigt. In der Antwort auf die Mündliche Anfrage zur Kinderarmut hat Herr Zöllner zu Recht gesagt: Um den Teufelskreis zwischen Armut und Arbeitslosigkeit zu durchbrechen – so hat er das nicht gesagt, aber so sage ich das mal –, ist es wichtig, dass wir die Bildungschancen von Kindern verbessern. Er hat als Maßnahmen aufgeführt den frühen Zugang zur Kita, die Förderung des Kitabesuchs, den Ausbau der Tagesbetreuung und die Intensivierung der Sprachförderung. Das ist richtig und wichtig, und das unterstützen wir auch, denn wir wissen aus Kindergesundheitsberichten und anderen Studien, dass Kinder, die längere Zeit eine Kita besuchen, deutlich weniger Auffälligkeiten bei der kognitiven Entwicklung, bei der motorischen Entwicklung, in ihrem Sozialverhalten und insbesondere auch in der Sprachentwicklung haben.

Die Realität sieht in Berlin aber anders aus, denn Kinder aus armen Familien und mit Migrationshintergrund besuchen die Kita zum Teil entweder gar nicht oder nur für kurze Zeit, und das wollen wir ändern.

[Beifall bei den Grünen]

Nun werden Sie nicht alle Kinder oder Enkelkinder im Kitaalter habe. Deshalb will ich Ihnen darstellen, wie es abläuft, wenn man einen Kitaplatz haben will.

Der Senat wirbt auf seiner Homepage „Kindertagesbetreuung“:

Sie suchen für Ihr Kind einen Platz in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege? Sie möchten, dass Ihr Kind gut aufgehoben ist, sich wohl fühlt und etwas lernt? Diesen Anspruch teilen wir. Wir haben deshalb in Berlin ein vielfältiges und umfangreiches Angebot für Kinder von der Krippe bis zur Hortbetreuung.

Das stimmt: Wir sind bundesweit ziemlich gut, was das Angebot angeht.

Wer aber denkt, wir haben die schönen Kitas, und ich gehe da hin und bringe mein Kind dorthin, und die freuen sich dann, dass wir kommen, der hat sich geirrt. Denn bevor das Kind in die Kita kommt, steht die Anmeldung zur Kindertagesbetreuung. Also steht auf der Homepage:

Der erste Schritt zu einem Kitaplatz für Ihr Kind ist die Anmeldung beim Bezirksamt, damit die Betreuung bedarfsgerecht angeboten werden kann.

Wenn Sie nun meinen, beim Bezirksamt treffen Sie eine freundliche Person, die sagt: Wie schön, dass Sie Ihr Kind anmelden wollen. Wir bieten Ihnen einen Platz in der Kita an und sagen Ihnen, wo Sie hingehen. Nein! Bevor Sie in eine Kita gehen können, müssen Sie einen Antrag ausfüllen. Ich habe einen groß kopiert mitgebracht, damit Sie ihn alle sehen können. Es sind vier Seiten, zwei Seiten erklären, was man tun soll, sind jedoch selbst völlig unverständlich. Uns wundert es also nicht, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund unterdurchschnittlich in den Kitas vertreten sind.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Emine Demirbüken-Wegner (CDU) – Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Der Inhalt unseres Antrags „Kinder früher fördern – Kitabesuch ohne Hürden“ ist ganz einfach: Wir möchten, dass das Kind zum dritten Geburtstag einen Glückwunsch vom Senat bekommt und vor allen Dingen einen Kitagutschein für sieben Stunden Bildungszeit in einer Kita seiner Wahl, und zwar ohne den vierseitigen Antragsbogen auszufüllen, ohne Bedarfsprüfung – ganz einfach zum dritten Geburtstag, denn frühe Förderung ist wichtig. Dann müssen die Kinder auch in die Kita kommen. Das wäre der Weg, wie wir es schaffen, dass vielleicht doch 100 Prozent aller Kinder zum dritten Geburtstag eine Kita besuchen.

[Beifall bei den Grünen]