Die Vorgaben legen fest, dass an diese grundsätzliche Prüfung eine faire und gerechte Lösung zwischen den Parteien anzuschließen ist, wenn der Rückgabe zugestimmt wurde. Es ist festzustellen: Fair und gerecht war in diesem Fall eher wenig, sondern das gesamte Verfahren war dilettantisch – vielleicht auch mangels Erfahrung mit derartig bedeutenden Vorgängen, die es so bisher in nicht ausreichendem Maß in der Verwaltung gegeben hat. Allerdings ist die politische Bedeutung dieses Bildes, sein Wert auf dem Kunstmarkt und die mangelhaften Bemühungen, unter Anerkennung der Rückgabe alles erdenklich Mögliche in Bewegung zu setzen, um Geld zu sammeln und die Erbin zu entschädigen, was schließlich von ihr selbst angeboten worden ist – wie wir inzwischen wissen, zu einem respektablen Preis, angesichts dessen, dass dieses Bild in der Auktion 38 Millionen Dollar erbracht hat – , komplett falsch eingeschätzt worden. Es hat im Senat niemals eine formelle oder informelle Beratung darüber gegeben, wie mit diesem Fall umzugehen sei. Da fragt man sich: Warum ist das niemals geschehen?
Es waren vielleicht nur – das ist zu vermuten – der anstehende Wahltermin im Herbst 2006 und der enorme Druck der Anwälte der Erbin, die damals Handelnden dazu zu veranlassen, eine rasche Lösung zu finden. Dabei ist die Problematik der Provenienz von Kulturgütern und Restitutionen bereits seit Jahren in allen öffentlichen Sammlungen und in der Kulturverwaltung ein Thema. In diesen Tagen haben wir gehört, dass dieselbe Verwaltung in einem ähnlich gelagerten Fall – allerdings ging es dabei um eine private Musikbibliothek mit Bach-Noten – die Zuführung dieser zu Recht an die Erben zurückgegebenen Werke auf dem internationalen Kunstwerk verhindert hat, also genau das Gegenteil dessen getan hat, was sie im Fall Kirchner unternommen hat. Zum einen sagen Sie, das Kunstwerk sei aus moralischen Gründen zurückzugeben, und in einem anderen Fall, in dem die Restitution klipp und klar gewesen ist, halten Sie es zurück. Warum ist das in diesem Fall so gewesen? Die Bach-Noten ja, aber Ernst-Ludwig Kirchner nicht? Das müssen Sie dringend erläutern! Aus diesem Grund wollen wir eine weitere Beratung dieses Falles.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Kultureinrichtungen haben uns von der ständig wachsenden Anzahl der Restitutionsersuchen, die nicht nur im Zusammenhang mit der NS-Raubkunst stehen, berichtet. Aus diesem Grund hatten wir einen Sonder- und keinen Untersuchungsausschuss gewünscht, weil wir auch in die Zukunft blicken und uns nicht nur mit Kirchner beschäftigen wollten. Meiner Ansicht nach ist klargeworden, dass von allen Experten dringend ein politischer Handlungsbedarf formuliert werden muss, der mit dieser einen Stelle und der einen Million € bundesweit für alle Kultureinrichtungen bestimmt nicht angemessen ist.
Wir haben gesagt: Berlin hat hier eine eigene Verantwortung, Frau Lange. Wir haben Mittel im Rahmen der Haushaltsberatung eingefordert. Sie können nicht sagen, Sie wollen zurückgeben, und gleichzeitig die Forschung nach der Herkunft der Kunstwerke in den Berliner Einrichtungen nicht zulassen. Sie haben kein Geld bewilligt. Sie haben die Aufgabe, die für uns ansteht, um aus dem Kirchner-Fall zu lernen, nicht in politisches Handeln umgesetzt. Das finde ich sehr bedauerlich.
Ich komme zum Schluss. – Die Museen und Bibliotheken haben noch eine riesige Bringschuld in Bezug auf die Transparenz der Herkunft ihrer Werke. Die Verwaltung muss endlich systematisch an die Restitutionsfrage herangehen. Wenn die politisch Verantwortlichen aber alles nur schönreden, ohne das geringste Problembewusstsein zu haben, dann wird sich nichts ändern. Denen, die ein berechtigtes Interesse an der Auffindung und Rückgabe ihrer Vermögenswerte haben, wird auf diese Weise nicht geholfen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern erklärte eine Zeitung, der Sonderausschuss werde im Desaster enden. Das sehe ich anders, aber die Autorin hat in einem Punkt recht: Dieser Ausschuss war von Anfang an von seinen Erfinderinnen und Erfindern auf Demontage programmiert, nämlich auf die Demontage eines linken Kultursenators und seiner Staatssekretärin. Mit deren Aufstieg zur Chefin der Senatskanzlei glaubte man,
Das Timing war fast perfekt. Der Senat hatte im Vorfeld der Rückgabe des Bildes – das gestehe ich zu – eine nicht sehr optimale PR-Arbeit hingelegt. Es war Wahlkampf und Sommerloch, und dann gab es auch noch eine Strafanzeige von einem bekanntlich CDU-fernen ExStaatssekretär mit anschließender Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen zwei Senatoren und die genannte Staatssekretärin. Dass diese – wie auch heute von der Opposition tränenreich beklagt – sich in einem Ausschuss, der sich permanent selbst mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verwechselte, Frau Ströver, über den Gegenstand der gegen sie laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht äußerten, war und ist deren gutes Recht. Aus Ihren Reden und aus dem Bericht tropfen dicke Krokodilstränen.
Kollegin Ströver hat das als Miterfinderin des Ganzen selbst eingeräumt. Am 28. August 2006 resümierte sie über einen Senator – ich zitiere –, „der einmal mehr im Klandestinen agiert hat“, der ein „grundsätzliches Demokratiedefizit“ hat. Und weiter wörtlich: „Das ist der Kern des Problems im Umgang mit diesem Vorgang.“
Sehen wir uns diesen Kern genauer an: Eine klandestine Ehe ist eine nicht nach kanonischem Recht geschlossene Ehe. Der Senat hat einen Fehler begangen. Er hätte sich die kanonischen Weihen von Frau Ströver geben lassen müssen. Er hätte sie fragen sollen. Dann hätte es diesen Ausschuss wahrscheinlich nicht gegeben.
Wahrscheinlich ist das mit der Oppositionsempfehlung gemeint, man solle künftig „eine vertrauliche Information eines eng begrenzten Kreises von Abgeordneten aller Fraktionen gewährleisten, noch bevor eine konkrete Rückgabeentscheidung“ getroffen werde. Das ist eine tolle Transparenz, die Sie da einfordern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bezüglich der „vertraulichen Informationen“ und dem „eng begrenzten Kreis“ unterscheiden wir uns.
Sie suchen nach Wegen, im Fall von Kunstwerken die Rückerstattung von Raubgut möglichst zu erschweren.
Wir als Linksfraktion bekennen uns dagegen sehr grundsätzlich zum Grundprinzip der Rückgabe. In unseren Museen eventuell noch vorhandenes NS-Raubgut gehört zurückerstattet. – Punktum!
Unsere Vorschläge sind präziser und realistischer als die der Opposition. Wir wollen die Einbeziehung des Parlaments. Wir wollen aber nicht, dass das Abgeordnetenhaus die Restitutionsentscheidungen trifft. Das ist Sache der
Exekutive. Wir wollen Rahmenbedingungen definieren und bessere Voraussetzungen für deren Realisierung schaffen, und wir wollen regelmäßig informiert werden, und zwar das ganze Haus und nicht nur ein kleiner Club der Eingeweihten.
Die Opposition wirft uns vor, wir hätten den ach so neutralen Abschlussbericht der Öffentlichkeit verfälscht und geglättet vorlegen wollen. Ihnen liegen beide Textfassungen vor. Vergleichen Sie selbst! Er stimmt, dass wir gestrichen haben. Wir haben alles entfernt, was versuchte, auf der Basis des „hätte, könnte, würde“ und „sollte“ zu argumentieren. Aufgabe des Ausschusses war es, unvoreingenommen belegbare Aussagen zu treffen. Das haben wir getan. Die für die Beantwortung der an uns gestellten Fragen notwendigen Sachaussagen sind sämtlich erhalten geblieben. Die abweichende Fassung – Kollegin Lange führte es aus – strotzt vor Mutmaßungen und Spekulationen. Das Urteil stand für Sie von Anfang an fest: schuldig! – Schuldig der Rückgabe von Raubgut. Brecht hätte nicht besser erfinden können, was Sie hier praktizieren.
Allerdings scheuen Sie die am Ende zwingende, entscheidende Feststellung, den Kern des Handlungsauftrags dieses Hohen Hauses, die Bewertung der Restitutionsentscheidung selbst: Die Rückerstattung war auf der Grundlage der Restitutionsgrundsätze, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin bekannt haben, politisch zwingend und rechtlich geboten.
Die Prüfung des Antrags durch die Kulturverwaltung und die Anhörungen ergaben, dass der Familie Hess das Bild NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde. Sie war gezwungen, es in Deutschland zu verkaufen. Wer das leugnet, der ignoriert wissentlich die reale Situation der Juden in Deutschland nach dem 30. Januar 1933. Dass eine Expertenaussage, 1936 wäre – ich zitiere – „der Verfolgungsdruck noch nicht so groß gewesen, dass es um Deportation der ganzen Familie und sicheren Tod ginge“, von Oppositionsseite unwidersprochen blieb – auch Herr Juhnke hat dazu geschwiegen –, setzt dem Ganzen die Krone auf. Thekla und Hans Hess wollten die Sammlung Hess in der Schweiz über die braune Zeit bewahren. Frau Hess wurde gezwungen, die Bilder nach Deutschland zurückzuholen. Das geschah doch wohl nicht, weil die Gestapo der Meinung war, die Bilder seien über der Lichtenfelser Wohnzimmercouch besser aufgehoben als im Züricher Kunsthaus. Was soll das?
Verkauft wurde die „Straßenszene“ Ende 1936/Anfang 1937. Für diesen Zeitraum gilt die Beweislastumkehr. Berlin hat den Nachweis führen müssen, dass das Bild ohne NS-Herrschaft nicht verkauft worden wäre. Berlin hätte nachweisen müssen, dass der Kaufpreis angemessen war, was offenbar zutrifft. Aber der Nachweis, dass dieser auch geflossen ist, ist nicht zu erbringen. Erst recht nicht, dass Hans und Thekla Hess über diesen hätten frei verfügen können. Die Antwort auf drei von vier entscheidenden Fragen gebot zwingend die Rückerstattung.
Die diese Einschätzung tragenden Argumente finden Sie im Abschlussbericht. Wir haben nichts geschönt. Es ist alles nachlesbar. Verwaltungs- und Senatshandeln haben wir keinesfalls unkritisch zur Kenntnis genommen. Das können Sie in den Protokollen nachlesen. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit der Restitutionsentscheidung.
Uns wird vorgeworfen, wir würden nicht sagen, wie es weitergehen soll. Auch das ist falsch. Man muss aber die Hoffnung auf wundersame Sofortlösungen begraben. Dazu gehört auch der naiv-grüne Aberglaube, dass durch Bereitstellung eines gewissen Geldbetrags ganz heftig Provenienzforschung betrieben und mit einer weiteren Summe restituierte Bestände angekauft werden könnten. Herr Prof. Ottomeyer vom Deutschen Historischen Museum erklärte – das ist sehr ernst zu nehmen –, dass es im Prinzip ausreichen würde, wenn die Museen wieder in die Lage versetzt würden, Forschung zu ihren Beständen zu betreiben.
Eben! – Es sei nicht die Unwilligkeit sammelnder Einrichtungen, die diese Untätigkeit verursache, sondern sie könnten es nicht. In den letzten Jahrzehnten wurden ihnen die Leute und die Mittel weggespart. Uns Politikern – auch Ihnen, Frau Ströver – fiel das mehrheitlich nicht weiter auf. Wir alle registrierten begeistert die wachsenden Besucherzahlen international renommierter Ausstellungen auch in Berlin. Erfahrungsgemäß fällt der Zustand der Besenkammer vor glänzenden Schaufenstern nicht besonders auf. Um so unverständlicher, dass Sie sich jetzt auf bloße Rhetorik zurückziehen. Ich bleibe dabei: Wir müssen die Museen wieder in die Lage versetzen, aktive Bestandsforschung betreiben zu können. Dabei wissen die Häuser – und nicht Sie, Herr Kollege Birk – am besten, wo sie ansetzen müssen und welchen finanziellen Bedarf sie haben. Die Stiftung Stadtmuseum als Berliner Einrichtung hat das mit ihrer Silbersammlung vor einigen Jahren beispielhaft vorgemacht.
Wenn man das getan hat, kann man auch über andere Lösungen sprechen. Wenn man dann auf die Anspruchsberechtigten von sich aus zugeht, kann man über andere Lösungen sprechen. Auch das haben Berliner Museen vorgemacht, nämlich die der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das war teils erfolgreich für die Museen und teils nicht. Der Weggang eines Kunstwerks ist mitunter bedauerlich, aber wir Deutsche haben kein Recht, dies zu beklagen. Die Erben und Rechtsnachfolger der Täter haben nicht das Recht, von ihren Opfern und deren Enkeln Gerechtigkeit und Fairness einzufordern. Das ist keine Frage der Moral; für uns Linke ist das ein politisches Essential.
Die Versuche, die Familie Hess und ihre Erbin ins Unrecht zu setzen, spiegeln sich im abweichenden Bericht wider. Die Eigentümerfamilie handelte angeblich unrechtmäßig. Geldgierige Anwälte wagten, die Anspruchsberechtigung infrage zu stellen.
Ich frage Sie ernsthaft: Wo steckt denn antisemitische Grundierung auf einer Leinwand, wenn nicht auf diesem billigen Bild, das einige Vertreter der Opposition nicht müde wurden zu malen und uns heute über ihren Abschlussbericht zuzumuten versuchen?
Besonders perfide ist die ausgerechnet von der FDP seit Sommer 2006 beschworene Anwendung des Kulturgüterschutzgesetzes. Sie verlangen verstärkte Provenienzforschung, aber möglichst folgenlos nach dem Prinzip: Forschen wir mal heftig, geben wir vielleicht zurück oder eher nicht. Notfalls ziehen wir den Joker aus der Manschette: Ihr könnt es zurückbekommen, aber nicht mitnehmen; es bleibt im Lande. Überlasst es uns doch besser freiwillig! – Das ist nichts anderes als eine zweite Enteignung. Das Fremdwort, das dafür gängig ist, erspare ich mir jetzt.
Kommen Sie uns bitte nicht mit den Regelungen anderer Länder. Die Auslöschung der Juden war das Ziel deutscher nationalsozialistischer Politik. Genau dieser Verantwortung, die daraus folgt, nämlich vor der eigenen Haustür zu kehren, stellen wir uns mit unseren Schlussfolgerungen aus der Arbeit des Sonderausschusses „Restitution“. Wir als Linke wollen eine aktive Restitutionspolitik, und wir wollen, dass diese auf transparenter und parlamentarisch kontrollierter Grundlage erfolgt.
Das ist der letzte Satz. – Die dafür notwendigen Voraussetzungen werden wir schaffen, notfalls auch gegen kleinkarierte Beckmesserei von den hiesigen Oppositionsbänken. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Sie lächerlicher Westentaschen-Schnitzler!]
Der Kollege Dr. Juhnke hat um das Wort für eine Kurzintervention gebeten. – Bitte schön, Herr Dr. Juhnke!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist etwas geschehen, von dem ich mir für uns alle er
hofft hatte, dass es unterbleibt. Aber die teilweise ehrverletzend geführte Diskussion im Ausschuss ließ mich schon ahnen, dass die Ausführungen von Frau Lange, aber auch jetzt in billiger, mieser Demagogenhaftigkeit von Herrn Brauer