Protokoll der Sitzung vom 14.02.2008

Wohnen im Alter

Beschlussempfehlung IntArbBSoz Drs 16/1129 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0981

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Frau Radziwill ist unterwegs und hat das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Das Thema Wohnen im Alter ist meiner Fraktion und dieser Koalition sehr wichtig. Vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung ist es auch ein wichtiges Schwerpunktthema dieser Koalition. Die Attraktivität unserer Metropole wird nicht nur von der Toleranz, der Offenheit, der Vielfalt der Bevölkerung, der guten Standortpolitik, der sich gut entwickelnden Industriepolitik oder der Kreativwirtschaft oder gar von der Anzahl seiner Flughäfen geprägt, besonders entscheidend ist aus meiner Sicht die gute Wohnqualität. In einer Zeit, in der wir glücklicherweise perspektivisch wesentlich älter werden können als Generationen vor uns, kommt dem Thema Wohnen im Alter ein besonderes Gewicht zu. Daher wollen wir uns intensiver damit befassen, wie wir im Alter leben wollen.

Wir wollen die Wohnqualität, das Wohnumfeld und die Infrastruktur für alle Bevölkerungsgruppen in der Metropole Berlin weiterhin verbessern. Nur so kann auch Berlin im internationalen Wettbewerb der Metropolen weiter wachsen. Aus der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aktuell vorgelegten Bevölkerungsprognose bis 2030 geht hervor, dass Berlins Einwohnerzahl für die nächsten zwei Jahrzehnte stabil bleiben wird. Damit ist die Bevölkerungsentwicklung Berlins positiv und gegen den Trend in Deutschland und Europa. Berlin ist attraktiv für alle Bevölkerungsgruppen. Dieses Zeitfenster gibt uns die Möglichkeit, für die weitere Entwicklung und Umsetzung von Konzepten und den demografischen Wandel zu gestalten und den Trend zu verfestigen.

Daher halten wir ein gesamtstädtisches Konzept Wohnen im Alter, wie wir es in unserem Antrag formuliert haben, für erforderlich. In diesem Konzept haben wir zwei we

sentliche Kriterien hervorgehoben: erstens Gütekriterien für altersgerechtes Wohnen im Wohnbestand zu erarbeiten und zweitens die Hinweise für barrierefreies Bauen konsequent zu berücksichtigen. Barrierefreiheit ist ein wichtiges Ziel unserer Politik. Alle Senatsverwaltungen setzen es in Berlin auch konsequent um. Barrierefreie Stadt ist für viele Bevölkerungsgruppen attraktiv: für Ältere, für Menschen mit Behinderung, aber auch für Familien, Eltern wie Kinder.

Berlin als Metropole mit einer hohen Anzahl alleinlebender Menschen muss sich wesentlich intensiver mit dem Thema Wohnen im Alter befassen. Der Senat unterstützt auch Baugruppen, Wohngemeinschaften und alternative Wohnformen. Aber auch hier sind die Barrierefreiheit und Gütekriterien zu beachten und zu entwickeln. Die Möglichkeit des selbständigen und des selbst bestimmten Wohnens im Alter, der Wunsch älterer Menschen nach einer individuellen und eigenständigen Wohnsituation haben für uns absoluten Vorrang. Die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf wird schneller steigen und daher sind Gütekriterien für altersgerechtes Wohnen, bedarfsgerechtes Wohnen zu definieren, besonders wenn die Nachfrage nach Seniorenwohnungen beispielsweise schneller wachsen wird. Die Leitlinien zur Seniorenpolitik, die in der letzten Wahlperiode aufgestellt wurden, werden im Hinblick auf den demografischen Wandel in bestimmten Bereichen sukzessiv umgesetzt. Dem altersgerechten Wohnen kommt ein hoher Stellenwert zu. Auch in diesem Antrag geht es um grundsätzliche Regelungen, nicht speziell um gruppenspezifische Modellprojekte oder Zielgruppenarbeit.

Barrierefreiheit ist teilweise durch Überregulierung in technischen Richtlinien schwieriger umzusetzen. Das Mietrecht zum Beispiel enthält bestimmte Hürden. Vermieter können beim Auszug des Mieters den Rückbau von barrierefreien Modernisierungen oder Einbauten fordern. Es wäre jedoch sinnvoller, damit zu werben und einen betroffenen Nachmieter zu finden. Ein wesentlicher Aspekt ist auch hierbei die Deregulierung. Die Umgestaltung ist eine Herausforderung insbesondere auch für die Wohnungswirtschaft. Wir fordern deshalb ein gesamtstädtisches Konzept. Das bedeutet ressortübergreifendes Vorgehen.

Keine Bevölkerungsgruppe wird ausgeschlossen, wie uns die Grünen im Ausschuss bei der Beratung des Antrags vorgehalten haben – und wie sie es höchstwahrscheinlich auch heute wieder tun werden. Der Koalitionsantrag Wohnen im Alter ist ein wichtiger Antrag, konzentriert sich auf das Wesentliche, das Grundsätzliche und auf zukunftsgestaltende Aspekte. Er ist kurz und bündig gehalten und schließt keine Bevölkerungsgruppe aus. Das ist jedoch beim Antrag der Grünen definitiv der Fall. Für die Koalition stelle ich fest: Wir wollen eine grundsätzliche Aufbereitung des Themas. Nach diesem wichtigen Schritt werden wir im weiteren Verlauf zielgruppenspezifische Aspekte auch mit den Erfahrungen aus den bisher laufenden Projekten zum Beispiel im Bereich generationsüber

greifendes Wohnen, Wohngemeinschaften, Seniorenwohnungen und anderem mehr einbauen.

Frau Radziwill! Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit beendet ist!

Mein letzter Satz: Dieser Antrag „Wohnen im Alter“ ist mit dem Antrag der Koalition „Konzept demografischer Wandel“ als ein Gesamtpaket zu sehen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Radziwill!

Ich darf bekanntgeben, dass die CDU-Fraktion Ihr Abstimmungsverhalten zur

lfd. Nr. 11:

a) Beschlussempfehlung

Schnelle Hilfe für Berlin (I) – Notruf 112: Notrufannahme optimieren

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/1017 Antrag der FDP Drs 16/0795

b) Beschlussempfehlung

Schnelle Hilfe für Berlin (II) – Feuerwehr muss Schutzziele einhalten können!

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/1018 Antrag der FDP Drs 16/0877

korrigiert. Sie votiert bei dem Antrag „Schnelle Hilfe für Berlin (I) – Notruf 112: Notrufannahme optimieren“ mit der Drucksachennummer 16/0795 mit Enthaltung.

Wir fahren fort in der Redeliste zu Punkt 13 der Tagesordnung. Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Villbrandt. – Bitte!

Frau Präsidentin! Wie bekomme ich diese müde Restgesellschaft zum Zuhören? – Meine Damen und Herren! Frau Werner, eine mir bekannte 86-jährige Berlinerin, superfit im Kopf, kann seit einiger Zeit nicht mehr richtig laufen und deshalb ihre Wohnung in einem Miethaus im 3. Stock ohne Aufzug praktisch nicht mehr verlassen. Für einen Umzug fehlt ihr die Kraft, der Mut und eine Vertrauensperson, die für sie diesen Umzug organisieren könnte. Frau Werner will in kein Altersheim ziehen, sie will bis zum Tod ihre Selbstständigkeit, ihre Selbstbestimmtheit behalten. Sie bezahlt dafür einen sehr hohen Preis, weil sie de facto die Wohnung nicht mehr verlassen

kann. Ihre sozialen Kontakte sind mittlerweile auf ihre Haushaltshilfe beschränkt.

Meine Damen und Herren! Sie haben nur deshalb zugehört, weil meine alte Dame so ähnlich wie unsere Senatorin heißt. Sie sollen aber auch sonst zuhören. Das Thema demografischer Wandel wird unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen stellen. Damit müssen wir uns beschäftigen. Die Zahl der älteren und pflegebedürftigen Menschen, sowie der Anteil der Menschen, die im Alter allein leben und keine Angehörige haben, wird zunehmen. Auch die Altersarmut wird zunehmen. Berlin steht de facto vor demografischen Umbrüchen in den Wohnquartieren. Ältere Menschen wünschen heute eine weitgehend selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung – auch bei eintretender Pflegebedürftigkeit. Leider beschäftigen sich die meisten älteren Menschen mit dem Thema Wohnen im Alter – genauso wie meine Frau Werner – leider erst dann, wenn sie Hilfe benötigen und wenn sie nur noch wenig Spielräume haben, etwas selbstständig zu unternehmen. Die Bereitschaft, selbst etwas zu unternehmen, damit man auch bei Unterstützungsbedarf in der eigenen Wohnung bleiben kann, wächst.

In diesem Zusammenhang sind auch zunehmend neue Wohnformen entstanden – vor allem auch in Berlin. Aber auch bei diesen neuen Wohnformen gibt es selten gemachte Nester. Dabei ist Eigeninitiative, aber auch eine Unterstützung durch den Senat gefragt. Nicht jeder hat angesparte Mittel, die er für solche Projekte einsetzen kann. Wir benötigen deshalb für Berlin ein integratives, seniorenpolitisches Konzept, das nach dem Grundsatz ambulant vor stationär bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen, die Barrierefreiheit des Berliner Wohnungsbestandes und neue Wohnformen für ältere und pflegebedürftige Menschen umfasst.

[Beifall bei den Grünen]

Alle Generationen würden davon profitieren. Zur Umsetzung dieser konzeptionellen Aufgaben benötigen wir eine bezirksübergreifende zentrale Beratungs- und Koordinierungsstelle. Dazu unser Antrag, in dem unsere Ziele genau benannt sind.

Die Koalitionsfraktionen haben das Thema Wohnen im Alter in Form eines abgespeckten Grünen-Antrags gewürdigt. Wie immer ohne jegliche Vorgaben, ohne eine Richtungsweisung für den Senat. Um Vorgaben machen zu können, muss man sich mit dem Thema richtig beschäftigen und sich untereinander einigen, wohin die Reise gehen soll. Offensichtlich ist das von den Koalitionsfraktionen zuviel verlangt.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Markus Pauzenberger (SPD)]

Wir wissen, dass der Senat ein Beratungsangebot in Bezug auf Wohnen im Alter plant. Das ist gut so. Aber so, wie es vorgesehen ist, reicht es nicht aus. Die Kernfrage lautet: Was will man tun, damit Menschen ohne Ersparnisse, ohne großes Einkommen rechtzeitig eine altersge

rechte, barrierefreie Wohnung beziehen können, damit diese Menschen – falls es anders nicht geht – noch innerhalb ihres vertrauten Kiezes umziehen können?

[Beifall bei den Grünen]

Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen! Haben Sie Mut zur Aufrichtigkeit! Ihr Antrag ist überflüssig. Sie wissen, dass unser Antrag besser ist. Stimmen Sie ihm einfach zu!

[Beifall bei den Grünen]

Vor allem erwarten wir, dass Sie sich dieses Themas annehmen, dass Sie endlich Akzente setzen. Dafür wurden Sie gewählt. Immer nur den Problemen hinterherzutrappeln, unsere Ideen und Vorschläge in der Regel erst nach zwei Jahren und dann auch nicht vollständig umzusetzen, das ist die Politik der lahmen Ente.

[Beifall bei den Grünen]

Seien Sie endlich engagiert und ein bisschen mehr auf Zack! Es gibt in meiner Muttersprache ein Sprichwort, das lautet: Sie werden noch zu Ihrer eigenen Beerdigung zu spät kommen – und das dann noch als eine Superoffensive verkaufen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Doering – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren ! Frau Villbrandt! Das Thema ist wichtig, das finde ich auch. Aber ich frage Sie allen Ernstes, weshalb wir heute darüber reden müssen. Wir haben in zwei Ausschüssen über den Antrag der Grünen und den der Koalition diskutiert. Selbst nach Studium der Protokolle konnte ich keinen Dissens feststellen, sondern nur, dass wir uns darüber einig sind, dass zu diesem Thema etwas gemacht werden muss. Die Krönung des Ganzen ist, dass uns die Grünen in den nächsten Tagen einen Antrag zur Einsetzung einer Enquetekommission vorlegen werden, worin das Thema altersgerechtes Wohnen eine zentrale Rolle spielen wird. Das heißt: Entweder werden wir in einer Enquetekommission darüber diskutieren, wie wichtig dieses Thema ist und wie man damit umgeht, oder wir wissen bereits jetzt alles besser. Dann arbeiten wir mit Anträgen und diskutiert alles aus. Für eines sollte man sich entscheiden. Gut, jetzt diskutieren wir.

Frau Radziwill hat bereits darauf hingewiesen, dass für die rot-rote Koalition das altersgerechte Wohnen ein zentrales Thema ist. Das wundert nicht, weil immerhin 560 000 Berlinerinnen und Berliner bereits jetzt älter als 65 Jahre sind. In dieser Studie, die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dieser Tage veröffentlicht worden ist, wird nachgewiesen, dass sich die Alterszusammensetzung der Berliner Bevölkerung weiter verändern

wird. Der Anteil der älteren Menschen wird zunehmen, der Anteil der jüngeren abnehmen. So werden im Jahr 2020 bereits 665 000 Berlinerinnen und Berliner älter als 65 Jahre sein. Das heißt, Berlin muss sich diesem Demografiewandel stellen. Die Berliner Politik muss Fragen, die mit dieser Entwicklung zusammenhängen, beantworten. Wie gehen wir mit dieser Entwicklung um? Wie sind wir darauf eingestellt?

Mit zunehmendem Lebensalter verändern sich die Ansprüche an das Wohnen, das ist bekannt. Kleinere Wohnungen werden von älteren Menschen in der Regel eher bevorzugt als größere. Darauf müssen sich Politik und Wohnungswirtschaft einstellen. Mit Blick auf die Rentenentwicklung und die reale Gefahr drohender Altersarmut muss auch an dieser Stelle der Hinweis kommen, dass es dabei um für die ältere Generation bezahlbares Wohnen gehen muss. Altersgerechtes Wohnen heißt zunächst, dass damit Ansprüche an eine entsprechende Ausstattung der Wohnung verbunden sind. Verschiedene Wohnformen bieten sich an: selbstbestimmtes Leben in eigenen vier Wänden, betreutes Wohnen, gemeinschaftliche Wohnformen, generationenübergreifendes Wohnen. Hier sind Ideen und Konzepte gefragt, die es zu entwickeln gilt. Wir fangen aber nicht bei null an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Es gibt die Leitlinien zur Seniorenpolitik, die entwickelt und umgesetzt werden.

Zum altersgerechten Wohnen gehört auch das Wohnumfeld, das soziale, kulturelle und medizinische Dienstleistungen bieten sollte und zugleich Ansprüche an Erreichbarkeit und Mobilität stellt. Schauen wir in Ortsteile und Wohnquartiere, dann werden wir feststellen, dass hier einiges zu tun bleibt, dass es mit dem wohnungsnahen Einkaufen oft nicht so gut bestellt ist und Seniorinnen und Senioren oft auf den ÖPNV angewiesen sind und weite Wege zurücklegen müssen, auch um an Freizeit- und kulturellen Angeboten teilzuhaben. Bereits heute könnten wir über die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Entwicklungen befördern und Angebote für Seniorinnen und Senioren entwickeln. Aber auch hier müssen wir den Blick schärfen. Bereits heute können wir über den Liegenschaftsfonds bei der Grundstücksvergabe generationenübergreifende Wohnprojekte oder Formen gemeinschaftlichen Wohnens fördern. Dazu hat die Koalition einen Antrag eingebracht, der in der nächsten Woche im Bauausschuss beraten wird.

Wohnen im Alter hat viele Facetten, sie gehen über die vier Wände weit hinaus. An dieser Stelle wird deutlich, dass wir zur Weiterentwicklung von Konzepten zum altersgerechten Wohnen eine gesamtstädtische Betrachtung brauchen und ein gesamtstädtisches Konzept entwickeln müssen und dass wir eine bessere Vernetzung brauchen. Der Strukturwandel, der uns nicht nur in Berlin in den nächsten Jahrzehnten erwartet, wird ein gravierender sein. Wohnen im Alter kann in diesem Zusammenhang nur ein Teilaspekt der politischen Debatte sein. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag eine grundsätzliche Herangehensweise. Deshalb ist es nur konsequent,

dass der Senat bereits im Sommer vorigen Jahres beschlossen hat, bis Ende 2008 ein Demografiekonzept vorzulegen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]