Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

[Beifall bei der FDP – Scherzbold! von der Linksfraktion – Mario Czaja (CDU): Sie sind ja heute ein Gute-Laune-Bär!]

Sie von der rot-roten Regierungskoalition und der Senat mit seiner Vorlage zum Vergabeberecht möchten andere Personen, nämlich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in Berlin dazu zwingen, unfreiwillig Geld an dritte Personen, nämlich die Beschäftigten, auszuzahlen. Damit pfeifen Sie auf die Tarifautonomie, pfeifen Sie auf die Autonomie der Tarifparteien. Und das ist ein falscher Weg.

[Beifall bei der FDP]

Der Weg ist deswegen systematisch falsch, weil Sie damit die Tarifautonomie zu einem Auslaufmodell erklären. Zweitens ist er auch im Ergebnis falsch, weil Sie dadurch sachwidrige Effekte erreichen.

[Christian Gaebler (SPD): Worüber reden Sie eigentlich?]

Statt die Lohnnebenkosten zu senken, sorgen Sie dafür, das diese steigen und erhöhen dann noch das Lohniveau, um für diesen Fehler Kompensation zu liefern. Das ist eine grundsätzlich verfehlte Politik. Sie haben kein Problem damit, der Berliner Wirtschaft in die Tasche zu greifen. Mit Ihrer Mindestlohnpolitik geht es Ihnen nur darum.

[Zurufe von der SPD]

Kommen wir nun zu dem, worum es heute geht!

[Hey! von der SPD – Christian Gaebler (SPD): Jetzt aber!]

Es bedurfte der Vorrede, Herr Gaebler, aber Sie werden das gleich verstehen. – Heute geht es nicht darum, wie Sie Dritten in die Tasche greifen, wie Sie sozusagen die Tarifpartner ausschalten, um dann Ihr eigenes Urteil an die Stelle der Tarifautonomie zu setzen. Heute geht es darum, wie Sie agieren, wenn Sie selbst Tarifpartner, wenn Sie selbst Arbeitgeber sind. Wir wollen uns heute einmal anschauen, wie „sozial“ Sie dann agieren.

[Beifall bei der FDP]

Sie haben ein Gesetz beschlossen, das sogenannte Gesetz über die Gewährung einer Zulage bei erhöhter wöchentlicher Regelarbeitszeit im feuerwehrtechnischen Dienst des Landes Berlin. Sie wissen selbst – das haben wir bereits debattiert –, dass dieses Gesetz gegen die europäische Richtlinie verstößt, dass es nicht möglich ist, Feuerwehrleuten diese Mehrarbeit zu verordnen, die gegen europäisches Recht verstößt. Sie haben dieses Gesetz trotzdem beschlossen, und Sie haben in dieses Gesetz auch hineingeschrieben, welchen Lohn die Feuerwehrleute dafür erwarten können, wenn sie mehr als 48 Stunden arbeiten. Welchen Lohn würde man für diese Arbeit ansetzen,

wenn man als Berliner Senat Tarifpartei, wenn man Arbeitgeber ist?

[Zuruf von Anja Hertel (SPD)]

Man könnte denken, Sie haben den Feuerwehrleuten etwa 17,50 € pro Stunde gegönnt oder wenigstens 12 € oder vielleicht Ihren eigenen Mindestlohn von 7,50 €, den Sie den Berliner Unternehmerinnen und Unternehmern verordnen. – Nein, das haben Sie nicht! Sie haben für die Berliner Feuerwehrleute stattdessen einen Mindestlohn von 2,86 € pro Stunde festgesetzt. Damit unterschreiten Sie Ihren eigenen Mindestlohn um 60 Prozent. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Entschuldigung, Herr Jotzo! – Darf Frau Seelig Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Nein, das möchte ich jetzt nicht. Vielen Dank! – Es bleibt dabei, festzustellen: Sie sind nur dann sozial, wenn Sie anderen Leuten, den Berliner Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, in die Tasche greifen können. Ihre Solidarität ist lediglich ein Feigenblatt. Sie sind nämlich nur so lange solidarisch, solange Sie Ihre Entscheidungen nicht selbst bezahlen müssen.

[Beifall bei der FDP]

Wenn Sie Ihre Entscheidungen selbst bezahlen müssen, dann tragen Sie das auf dem Rücken unserer Berliner Feuerwehrleute aus und zahlen 2,86 € pro Stunde. Das ist einfach schäbig. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass Sie Ihre eigene Mindestlohnpolitik um 60 Prozent unterbieten, wenn Sie selbst zu entscheiden und zu bezahlen haben!

[Beifall bei der FDP]

Es ist und bleibt schäbig und kleinlich, wenn Sie sich heute dem Gesetzesvorhaben der FDP-Fraktion verschließen, wenigstens Ihre eigenen Mindestmaßstäbe für unsere Berliner Feuerwehrleute in Ansatz zu bringen. Wenn Sie dazu heute nicht bereit und in der Lage sind, dann ist das ein jämmerliches Zeugnis Ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit. Es wäre schade, wenn wir das heute in diesem Hause mit ansehen müssten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Seit wann stehen FDP-Anträge für Handlungsfähigkeit?]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jotzo! – Für die SPDFraktion hat jetzt die Frau Abgeordnete Hertel das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jotzo! Als Sie Ihre Rede begonnen haben, war ich kurz davor, mein Manuskript wegzuwerfen,

[Beifall bei der FDP]

weil es sich eher nach einem Wirtschaftsantrag anhörte als nach einem Antrag, der eigentlich die Feuerwehr betrifft.

Ihre Fraktion ist eigentlich dafür bekannt, wenig arbeitnehmerfreundliche Anträge zu stellen.

[Christoph Meyer (FDP): Wir sind immer arbeitnehmerfreundlich!]

Mit Ihnen können und müssen wir normalerweise darüber diskutieren, ob Mitbestimmungsgesetz, Personalvertretungsgesetz und überhaupt die Gewerkschaften noch vonnöten sind. Sie halten sie normalerweise für eine moderne Verwaltung nicht für erforderlich und eher abträglich. – Apropos Verwaltung: Wenn ich mich an den einen oder anderen Antrag, an die eine oder andere sehr hitzige Rederunde im Abgeordnetenhaus erinnere, dann halten Sie den öffentlichen Dienst und gar die Beamten für überflüssig. Sie wollen abstoßen, verkaufen, privatisieren.

[Christoph Meyer (FDP): Sie müssen unsere Anträge einmal lesen!]

Darum war ich erstaunt, in den letzten Monaten häufig Anträge von der FDP zu lesen – insbesondere von Ihnen, Herr Jotzo! – die mir sehr bekannt vorkamen. Ich hatte teilweise das Gefühl, sie seien passagenweise von Gewerkschaftsforderungen abgeschrieben. Das freut mich zum einen, zum anderen meine ich aber, Sie haben das eine oder andere nicht richtig verstanden. Einige Ihrer Anträge – insbesondere der Antrag, der uns heute vorliegt und der von Ihnen sogar zu einer Priorität erhoben wurde – behandeln relativ detailliert feuerwehrtechnische Themen. Ich glaube, es ist jetzt der dritte, vierte oder fünfte Antrag. Da frage ich mich langsam, Herr Jotzo: Planen Sie einen Berufswechsel? Möchten Sie Feuerwehrmann werden?

[Christoph Meyer (FDP): Reden Sie mal zum Thema!]

Dann allerdings hätten Sie den heutigen Antrag auf keinen Fall stellen dürfen.

Der Antrag, den Sie heute stellen – hier liegt der Teufel, wie üblich, im Detail, besser gesagt, in Ihrer Begründung –, hat es in sich. Sie verweisen auf die beabsichtigte Änderung des Vergabegesetzes. Ich zitiere:

Auftragnehmer des Landes Berlin sollen künftig verpflichtet werden, an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Mindestlohn in Höhe von 7,50 € zu zahlen.

Was heißt das, Herr Jotzo? Wollen Sie für die Feuerwehr einen Mindestlohn von 7,50 € einführen?

[Margit Görsch (CDU): Natürlich!]

Dann nehmen Sie ganz schnell die Beine in die Hand! Ich fürchte, die Feuerwehrleute werden Sie aus der Stadt prügeln.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der durchschnittliche Stundenlohn eines Feuerwehrbeamten liegt – je nach Dienstgruppe – zwischen ungefähr 12,60 € und 18,67 €. Das nur kurz zur Information, weil Sie recht locker über den Mindestlohn sprachen. Ich habe den Eindruck, dass Sie mit der immer wiederholten Erwähnung des Mindestlohns Tatsachen entweder verwechselt haben, sie wirklich nicht besser wissen – das würde mir Sorge machen – oder sie wider besseres Wissen einfach anders darstellen. Der Mindestlohn, den wir fordern, gilt für eine Vollzeitbeschäftigung zur Sicherstellung des Existenzminimums oder der Existenzfähigkeit.

Wir hier und Sie in Ihrem Gesetz nennen ganz eindeutig die Gewährung einer Zulage bei erhöhter wöchentlicher Regelarbeitszeit. Hier geht es um die von der EU-Arbeitszeitrichtlinie aufgegebene Senkung der bisher teilweise üblichen bis zu 55 Stunden wöchentlichen Arbeitszeit auf maximal 48 Stunden wöchentliche Arbeitszeit inklusive Mehrarbeit oder Zuvielarbeit. Das neue Einsatzkonzept wird sicherstellen, dass nur noch eine wöchentliche Arbeitszeit bis maximal 48 Stunden vorliegen wird. Für die Übergangszeit ist ein Gesetz verabschiedet worden, das den Beamten eine Wahlmöglichkeit lässt, die sie vorher nicht hatten: entweder Freizeitausgleich oder eine finanzielle Zulage. Sie haben recht: Sie könnte höher ausfallen. Mit Sicherheit würde auch ich – wenn die Möglichkeit bestünde und der Haushalt dieser Stadt es zuließe – gern etwas mehr zahlen. Aber der Haushalt lässt es nicht zu, und vielleicht haben diejenigen, die Sie über dieses Thema informiert und – ich sage einmal – ein bisschen auf die Spur gesetzt haben, eines vergessen, nämlich Ihnen zu sagen: Dieser Vorschlag und diese Regelung, die sehr analog der Regelung von Nordrhein-Westfalen ist, ist nicht etwa auf dem Mist des Innensenators gewachsen, sondern dieser Vorschlag kam von der Gewerkschaft, vom Gewerkschaftsvorsitzenden und seinem Feuerwehrmann, wenn ich das so sagen darf. Von ihnen kam der Vorschlag, uns für die Zulage doch bitte an das Modell von Nordrhein-Westfalen zu halten, und das haben wir getan.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Kollegin Hertel! – Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jotzo das Wort. – Bitte schön, Herr Jotzo!

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion: Nein!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegin Hertel! Da Sie mir Unkenntnis der vergaberechtli

chen Regelung vorgeworfen haben, muss ich leider darauf replizieren.

[Christian Gaebler (SPD): Sie hat es einfach festgestellt, nicht vorgeworfen!]

Es sind analoge Sachverhalte, lieber Herr Gaebler und Frau Hertel, die wir hier haben. Das zukünftige Berliner Vergaberecht regelt die Vergütung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur während der Zeit, in der sie beim Land Berlin beschäftigt sind. Was sie im Übrigen verdienen – ob mehr oder weniger –, ist relativ egal. Nur dann, wenn diese Personen beim Land Berlin beschäftigt sind, wird ihnen ein Mindeststundenlohn garantiert, und nicht mehr und nicht weniger fordern wir, völlig ohne Beachtung des sonstigen Stundenlohns von Feuerwehrleuten auch für diese Zeiten, in denen sie Mehrarbeit leisten müssen.

Ich will noch kurz auf das eingehen, was Sie zur Regelung in Nordrhein-Westfalen gesagt haben. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen der Berliner Regelung und der Regelung in Nordrhein-Westfalen, und das hatte ich hier schon einmal in der Parlamentsdebatte verdeutlicht, nämlich dass sie in Nordrhein-Westfalen den Feuerwehrleuten die Freiwilligkeit geboten haben, ob sie Mehrarbeit leisten wollen oder nicht, und das fehlt in Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben es den Berliner Feuerwehrleuten nicht ermöglicht, sich freiwillig für Mehrarbeit zu entscheiden, und deswegen ist es – wenn Sie sich an anderer Stelle als Wohltäter darstellen – nur recht und billig, wenn Sie wenigstens Ihre eigenen Maßstäbe für Mehrarbeit hier auch anlegen. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt.

[Christian Gaebler (SPD): Das ist doch Quatsch!]