Herr Bürgermeister! Halten Sie es nicht für ungleichgewichtig, wenn auf der einen Seite die Rechte der Beschäftigten bis zum Jahr 2020 laufen, die Pflichten aber keine zwei Jahre Halbwertzeit haben?
Herr Lindner! Das ist völlig falsch, dass die Pflichten keine zwei Jahre Halbwertzeit hätten. Die Pflicht der Beschäftigten, dass sie ihre Arbeit verrichten, und zwar schwere Arbeit, die bleibt bestehen. Die Pflichten der Beschäftigten, die Absenkung, die Arbeitszeitregelung und die Absenkung des Weihnachtsgeldes, all das ist Ausgangspunkt und bleibt über 20 Jahre bestehen und die Grundlage, auf der man über Weiteres reden kann. Das tun wir gerade, und wir werden uns gleich darüber unterhalten, auf welche Art und Weise wir darüber reden.
Ihre Hoffnung jedoch – ich weiß, dass die FDP das will –, dass über 15 Jahre keine Tarifverhandlungen mehr stattfinden dürfen, ist illusionär und auch nicht angemessen. 15 Jahre Reallohnabbau allein durch Inflation ist nicht hinnehmbar und akzeptabel. Es ist doch absurd, dies zu verlangen und solche Position einzunehmen.
Herr Lindner! Wir wissen, dass wir beide ordnungspolitisch sehr unterschiedliche Positionen einnehmen. Das ist auch der Stadt bekannt, dass Sie der Meinung sind, dass die BVG privatisiert gehört und dass der öffentliche Personennahverkehr und die öffentliche Daseinsvorsorge in den Wettbewerb von auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen gehört. All das ist uns bekannt. Darüber brauchen wir uns jetzt nicht zu streiten, weil dies kalter Kaffe ist.
Damals 2005 ging es darum, dass es ein Geschäft im Gegenzug gab. Einerseits haben die Beschäftigten gesagt: Wir stimmen zu, dass 6,1 Prozent abgesenkt wird im Gegenzug mit einer Arbeitszeitverkürzung, dass weiterhin das 13. Monatsgehalt, das Weihnachtsgeld auf 1 000 € abgesenkt wird, dass alle in den Tarifvertrag Nahverkehr kommen, dass auch bei der BT – der Bustochter der BVG – die Arbeitszeit von 41,7 auf 39 Stunden verkürzt wird, dass übrigens in Ost und West bei allen der BVG, die nach BAT und BMTG bezahlt worden sind, die Arbeitszeit angeglichen und verkürzt wird. Das heißt, die Beschäftigten haben in erheblichem Umfang auf Einkommensbestandteile in Höhe von fast 40 Millionen € verzichtet. Das war die eine Seite des Geschäfts.
Ich möchte jetzt gern den Gedanken zu Ende führen. – Auf der anderen Seite haben wir gesagt, dass dies die Voraussetzung dafür ist, dass wir die BVG zu 100 Prozent mit den Verkehrsleistungen betrauen, so wie wir das jetzt
mit dem Verkehrsvertrag geregelt haben, dass die BVG im öffentlichen Eigentum bleibt und bleiben kann, dass wir eine Reduzierung der Fremdvergabe vornehmen und dass die Arbeitsplätze gesichert sind. Das war ein fairer Austausch. Das heißt aber nicht, dass es über 15 Jahre keine Lohndebatte und keine Auseinandersetzung um Interessenkonflikte mehr gibt, und das haben wir gegenwärtig. Über diese Frage diskutieren wir jetzt.
Ich wundere mich, wenn der Senat kritisiert wird, dass er nichts getan hat. Erst einmal ist es auch in Tarifverhandlungen klug, manchmal die „Klappe zu halten“. Es ist manchmal in Tarifverhandlungen auch klug, eine bestimmte Zeit lang eine Auseinandersetzung laufen zu lassen, um die andere Seite sehen zu lassen, wie die Durchsetzungskraft ist, die sie für die formulierten Forderung aufzubringen hat. Ich bin froh, dass seit gestern wieder miteinander gesprochen wird.
Die Voraussetzung, dass miteinander gesprochen wird, war eben, dass eine Zeit lang nicht miteinander gesprochen und gezeigt wurde, dass sich der Senat nicht einfach ins Bockshorn jagen lässt und einfach so 12 Prozent Lohnerhöhung für alle gibt.
Es ist absurd, dass ausgerechnet diejenigen, die sagen, der Senat müsse hart bleiben, sich gleichzeitig darüber beschweren, dass der Senat nicht pausenlos Angebote formuliert und Gespräche führt. Was ist das für eine Verhandlungstaktik? Abgesehen davon: Der KAV führt die Gespräche.
Wir handeln ja. – Die Forderung, mit der die Gewerkschaften in die Verhandlungen gegangen sind, 12 Prozent für alle, ist nicht akzeptabel. Das würde bedeuten, dass wir das, was wir mit dem TV-N im Jahr 2005 verhandelt haben, mehr als überkompensieren würden und die Effekte hinfällig wären. Das kann nicht sein, wenn man eine Abwägung aller Interessen vornimmt: die der Beschäftigten, die auch ein Interesse am Erhalt und der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens haben müssen, denen der Fahrgäste und der Steuerzahler. Deshalb haben der Senat und der KAV gesagt: 12 Prozent für alle – das ist für uns keine Diskussionsgrundlage.
Es gibt nach wie vor eine elementare Ungerechtigkeit innerhalb der BVG. Es gibt Beschäftigte zweiter Klasse, nämlich die Neubeschäftigten und die BT-Beschäftigten, die deutlich weniger verdienen als die Altbeschäftigten. Obendrein haben sie eine höhere Arbeitszeit. Nach meinem persönlichen Selbstverständnis ist es – ohne dass ich den Gewerkschaften Ratschläge geben will – die zentrale Aufgabe einer Gewerkschaft, insbesondere an diejenigen zu denken, die am unteren Einkommensrand sind, und dem alten gewerkschaftlichen Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ näher zu kommen. Deshalb müssen
die Neubeschäftigten und die BT-Beschäftigten mehr bekommen als die anderen. Das war die Grundlage des Angebots der Arbeitgeber und des KAV.
Dieses Angebot ist von Verdi als Provokation zurückgewiesen worden. Der KAV hat noch einmal – zunächst mündlich und nun auch schriftlich – deutlich gemacht, dass es die Bereitschaft gibt, über Verbesserungen für die Altbeschäftigten zu reden. Seit gestern wird darüber geredet. Ich habe Verständnis dafür, dass die Altbeschäftigten sagen, sie wollen, nachdem sie auf einen Großteil ihres Weihnachtsgelds verzichtet und im Jahr 2005 6,1 Prozent abgegeben haben, keinen weiteren Reallohnverlust erleiden. Darüber wird gegenwärtig geredet.
Wie in Tarifverhandlungen üblich, wird über viele Fragen geredet, beispielsweise über Laufzeiten und Volumen. Entscheidend ist, dass überhaupt geredet wird. Ich appelliere, im Rahmen der Gespräche zu einem verantwortbaren und maßvollen Abschluss zu kommen, der einerseits die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt – besonders die Schere zwischen Alt- und Neubeschäftigten verringert – und andererseits den Aspekt des Inflationsausgleichs für die Altbeschäftigten aufgreift. Auf dieser Grundlage kann man zu einer vernünftigen Lösung kommen, und zwar auf der Basis des im Jahr 2005 abgeschlossenen Tarifvertrags.
Das ist die gegenwärtige Lage. Man muss sehen, wie sich die große Tarifkommission von Verdi dazu verhält, ob die Chance, in Gesprächen zu einer Lösung zu kommen, genutzt wird. Ich halte das für dringend notwendig. Die Stadt hat zwar in diesem Streik relativ gut funktioniert, aber in der Debatte wurde schon völlig berechtigt darauf hingewiesen, dass diejenigen, die nicht so mobil, älter oder alleinerziehend sind oder schulpflichtige Kinder haben, in zunehmendem Maß von dem Streik betroffen sind. Sie sind in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt worden. Es gibt auch schon Auswirkungen auf den Einzelhandel, besonders auf die kleinen Einzelhändlerinnen und -händler. Aus diesen Gründen wäre es vernünftig, jetzt die Verhandlungsmöglichkeiten zu nutzen und zu einer Lösung zu kommen. Ich halte das für möglich und notwendig.
Ich appelliere an die Vernunft aller Beteiligten und fordere sie auf, in diesen Verhandlungen auch die Interessen des Unternehmens im Auge zu haben. Der öffentliche Personennahverkehr ist ein Bereich, der in der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen privatisierungsgefährdet ist. Deshalb sage ich – auch an die Adresse von Verdi gerichtet –, dass es wichtig ist, mit Augenmaß in die Verhandlungen zu gehen, und das, was wir mit dem Verkehrsvertrag geschaffen haben, nämlich ein Direktvergabemodell, an dem sich viele Kommunen orientieren, nicht durch einen Übereifer an der Streikfront zu zerstören. Hier ist die Verantwortung der Gewerkschaft gefordert. In diesen Tarifverhandlungen muss sich die Gemeinsamkeit, die wir 2005 im Interesse des Unternehmens, der Stadt
und der Zukunftssicherung der Beschäftigten erreicht haben, beweisen. Ich hoffe, dass es zu einem guten Ergebnis kommt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Senator! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.
Ich lasse nun über den Entschließungsantrag der FDP Drucksache 16/1286 abstimmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte die Einzelabstimmung der Ziffern beantragt. Ich lasse demnach über die Ziffer 1 abstimmen, in der es um Monats- und Jahreskarten geht. Wer diesem Absatz zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU- und die FDPFraktion und die Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist das abgelehnt.
Wir kommen zur Ziffer 2, in der es um den Notverkehr geht. Wer diesem Absatz zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen Fraktionen. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist auch das abgelehnt.
Wir kommen zur Ziffer 3. Das betrifft die Ordnungswidrigkeiten. Wer diesem Absatz zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU- und die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist das abgelehnt.
Öffentliche Vergabe mittelstandsfreundlich gestalten – mittelstandsgerechte Vergabe durch Fach- und Teillose
Öffentliche Vergabe mittelstandsfreundlich gestalten – Entbürokratisierung der öffentlichen Auftragsvergabe
Öffentliche Vergabe mittelstandsfreundlich gestalten – Wertgrenzen und Ausschreibungspraxis anpassen