Protokoll der Sitzung vom 08.05.2008

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Czaja das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der „Tagesspiegel“ schrieb:

Möbelhäuser, Bushaltestellen und marode Gehwege – das waren die Themen, mit denen sich die Lichtenberger Baustadträtin Katrin Lompscher vor dem Wechsel in die Landespolitik befassen musste. Seit 2006 ist die 48-jährige Linkspolitikerin nun aber Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Sie ist die Senatorin mit den vielen Baustellen. Aus SPD-Kreisen ist zu hören, sie sei überfordert.

Der vorliegende FDP-Antrag greift in eine dieser Baustellen an und das zu Recht. Frau Senatorin! Es sollte Sie schon sehr verwundern, wenn sich gerade die FDP um das landeseigene Unternehmen Vivantes bemühen muss.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ja, das hat uns überrascht!]

Da sollte man sich an die Nase fassen und zum Nachdenken kommen.

Frau Lompscher! Sie preisen in Sonntagsreden die Notwendigkeit kommunaler Landesbetriebe. Aber das muss man auch von Montag bis Freitag in die Realität umsetzen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Samstag und Sonntag auch!]

Herr Kollege Albers! Wenn es ein besonderer Wert ist, dass das Land Berlin Eigentümer von Krankenhäusern ist, dann frage ich Sie: Warum erklärt Ihre Senatorin im Gesundheitsausschuss, dass das Unternehmenskonzept von Vivantes im Beteiligungsausschuss des Hauptausschusses behandelt wird? Wo ist die besondere Funktion der gesundheitlichen Daseinsvorsorge? Wo bleibt Ihr Eingriff bei der Schließung – so wurde es zumindest angekündigt – der HIV-Schwerpunktversorgung am Auguste-ViktoriaKrankenhaus? Wo bleibt Ihr Eingriff, wenn es um die Rettungsstelle im Wenckebach-Krankenhaus geht, in der jährlich 30 000 Patienten versorgt werden? – Diesen Eingriff haben wir leider nicht gesehen, und das bedauern wir sehr.

[Beifall bei der CDU]

Die CDU-Fraktion steht für eine wohnortnahe stationäre Gesundheitsversorgung. Wir stehen für eine regionale Notfallversorgung, und wir stehen auch für Trägervielfalt. Das ist der nächste Kritikpunkt, der im Antrag der FDPFraktion zu Recht zum Tragen kommt. Wenn Sie die Vorgaben des Masterplans von Vivantes eins zu eins in den Krankenhausplan übernehmen, dann schädigen Sie auch die freigemeinnützigen und anderen privaten Krankenhausträger. Es ist nicht in Ordnung, dass Vivantes in Berlin seinen Masterplan vorlegt und alle anderen Kran

kenhäuser mit ihrer Planung diesem hinterherlaufen müssen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn sich die Senatorin Lompscher so verhält wie die sonst von ihr beschimpften Heuschrecken, nämlich ausschließlich danach fragt, wo die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse sind, dann kann man sich schon die Frage stellen, wie es so weit gekommen ist, dass jetzt schon die FDP den landeseigenen Betrieb Vivantes retten muss. Wir, das Land Berlin, sind die Eigentümer des Unternehmens und haben genug Eingriffsrechte in die Versorgungsstruktur des Unternehmens, und wir haben über den Krankenhausplan Eingriffsrechte in die Versorgungsstruktur der Stadt. Der Antrag der FDP-Fraktion legt daher den Finger in die Wunde.

Es ist richtig, dass wir besonders auf Vivantes schauen – insbesondere auch auf den jetzt vorzulegenden Masterplan bis zum Jahr 2015. Die Beschäftigten haben in den letzten Jahren dafür große Anstrengungen geleistet. Das muss in den künftigen Tarifverhandlungen zum Tragen kommen. Die Patienten haben bei Vivantes längere Wege in Kauf genommen, weil man sich der Struktur der Zentrenbildung unterordnen musste. Nun gilt es, die Qualität dort wieder zu verbessern. Vivantes hat einen besonderen Auftrag der Daseinsvorsorge. Vivantes sollte mit dem zweiten landeseigenen Betrieb Charité viel enger kooperieren.

Frau Lompscher! Für all das sind Sie zuständig. Das sind Ihre Baustellen. Sie können sich nicht hinter dem Hauptausschuss oder hinter Herrn Sarrazin verstecken. Wir werden Sie auf diesen Baustellen sehr genau beobachten. Deswegen sind wir dankbar für den Antrag der FDPFraktion, damit wir dieses Thema im Gesundheitsausschuss kritisch hinterfragen können, um die Versorgungsstruktur in der Stadt wieder etwas besser zu machen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Für die Linksfraktion hat nun der Abgeordnete Dr. Albers das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Herr Czaja! Auf diese Diskussion im Ausschuss bin ich gespannt, weil ich glaube, dass wir dort noch einmal eine Art Alphabetisierung betreiben müssen, was das öffentliche Krankenhauswesen in dieser Stadt angeht. Wir haben zurzeit noch 49 Plankrankenhäuser mit 20 500 Betten, deren Auslastung bei etwa 80 Prozent liegt. Das war für Ihre Partei immer eher zu viel, deshalb haben Sie ständig Bettenabbau gefordert. Sie hatten stets eher zu viele Betten als zu wenig. Die Versorgung Berlins mit Krankenhausbetten ist dennoch auch auf Dauer ausreichend garantiert.

Die FDP sorgt sich nun um die – wie sie es nennt – bürgernahe Krankenhausversorgung in unserer Stadt. Sie begründet diese Sorge mit Presseberichten, nach denen dem landeseigenen und bundesweit größten Klinikkonzern Vivantes ein in diesem Jahr – wie es heißt – neues Defizit droht. Zunächst: Vivantes wird auch im Jahr 2008 wie in den vergangenen Jahren einen positiven Geschäftsabschluss erreichen.

[Heidi Kosche (Grüne): Na, na, na!]

Anderslautende Meldungen sind falsch.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das Betriebsergebnis!]

Zur Erinnerung: Das Unternehmen war bei seiner Gründung völlig unterfinanziert. Verantwortlich dafür war damals der Diepgen-Senat. Dem Unternehmen wurden damals nicht nur die Altschulden der kommunalen Krankenhäuser in Höhe von 220 Millionen DM in die Wiege gelegt, sondern die nicht betriebsnotwendigen Grundstücke, die der Krankenhausgesellschaft zur Abfederung dieser finanziellen Last übertragen wurden, waren aus unterschiedlichsten Gründen nicht nur unverkäuflich, sondern ihr Wert musste schon nach wenigen Wochen um 702 Millionen DM nach unten korrigiert werden. Kein Schelm, der sich dabei etwas denkt! Aus der daraus resultierenden zwangsläufigen Schieflage konnte das Unternehmen erst durch den sogenannten Notlagentarifvertrag befreit werden, mit dem die Beschäftigten dem Unternehmen mehr als 34 Millionen € zur Verfügung stellten, indem sie zeitweise auf ihr Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichteten, was einer Bruttolohnabsenkung von etwa 6,5 Prozent entsprach.

Im Gegenzug wandelte der Senat die Altschulden der Krankenhäuser in Eigenkapital um, sodass sich die finanziellen Bedingungen deutlich verbesserten. Parallel wurden umfassende Umstrukturierungsmaßnahmen eingeleitet, sodass die Effektivität der Häuser in den alten Gebäudestrukturen deutlich erhöht werden konnte.

Auch das muss gesagt werden: Unterhalb der Schwelle betriebsbedingter Kündigungen kam es zu einem massiven Personalabbau, den die Beschäftigten mit einer Arbeitsverdichtung bis an die Schmerzgrenze und darüber aufgefangen haben. Vivantes hat damit den Beweis angetreten, dass sich ein Krankenhausunternehmen in öffentlicher Trägerschaft auch unter schwierigsten Bedingungen behaupten kann. Richtig ist allerdings, dass nun durch äußere Einflüsse, die das Unternehmen nicht zu verantworten hat, in den nachfolgenden Jahren mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zu rechnen ist.

[Unruhe auf der Zuhörertribüne – Ein Plakat wird gezeigt. – Mario Czaja (CDU): In der Schule würde man sagen: Thema verfehlt!]

Ich breche hier mal ab.

Bitte verlassen Sie den Saal! – Die Ordnungsleute bringen bitte die Störenden nach draußen.

[Christian Gaebler (SPD): Die letzten Besucher haben sich offenbar sehr gelangweilt! – Heiterkeit]

Wir unterbrechen so lange die Sitzung.

[Kurze Unterbrechung der Sitzung]

Herr Dr. Albers, Sie haben das Wort!

Zum einen muss das Unternehmen notwendige Investitionsmaßnahmen weitestgehend aus eigener Kraft schultern, weil das Land zurzeit immer noch nicht in der Lage ist, seinen Investitionsverpflichtungen, zu denen sich RotRot auch im Koalitionsvertrag noch einmal ausdrücklich bekannt hat, in der notwendigen Höhe nachzukommen. Das ist allerdings keine Steilvorlage für die Opposition. Von den ca. 90 Millionen €, die pro Jahr für entsprechende Investitionen im Haushalt eingestellt sind, werden noch bis 2015 mehr als 30 Millionen € jährlich dafür verbraucht, Kredite für Krankenhausinvestitionen aus den 90er-Jahren zu bedienen. Dazu kommen bundespolitisch bedingt erhebliche Mehrausgaben z. B. durch den Sanierungsbeitrag für die Krankenkassen, durch die Mehrwertsteuererhöhung, die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes und durch steigende Energiekosten. 15 Millionen € hat es allein im Jahr 2007 gekostet. Um alle diese nicht hausgemachten Probleme zu bewältigen braucht es weitere Strukturmaßnahmen. Während im bundesweiten Vergleich etwa das Verhältnis von zu bewirtschaftender Fläche pro Bett bei 60 m² liegt, ist dieses Verhältnis 130 m². Das sind Flächen, die Geld kosten, aber nicht effektiv zu bewirtschaften sind. Das ist der Hintergrund der gegenwärtigen Situation.

Es geht hier nicht um eine Schließungsdebatte, sondern um eine Strukturdebatte, wie zukünftig weiterhin die zeit- und wohnortnahe Versorgung der Berliner Bevölkerung dauerhaft durch ein politisch gewolltes öffentliches Unternehmen abgesichert werden kann. Dazu wird das Unternehmen im Mai Eckpunkte vorstellen. Natürlich findet diese Diskussion im Rahmen des geltenden Krankenhausplans statt. Es geht hier nicht um weiteren Bettenabbau. Hier haben wir mit 59 Betten pro 10 000 Einwohner im bundesweiten Maßstab die Grenze erreicht. Es geht darum, das dauerhaft abzusichern, was die FDP fordert: eine bürgernahe – das ist eine zeit- und wohnortnahe – Versorgung, allerdings – hier weichen wir von der FDP ab – in kommunaler Trägerschaft sicherzustellen.

Eine Privatisierung von Vivantes wird es mit uns nicht geben. Eine Übertragung von Vivantes-Betten in private Trägerschaft wird es mit uns auch nicht geben. Der Anteil an privaten Betten ist in Berlin heute schon größer als in anderen Städten. Wenn in diesem Zusammenhang bei der

FDP von Kooperation die Rede ist, muss es darum gehen, endlich zu einer praktischen, und nicht immer nur postulierten Zusammenarbeit der beiden öffentlichen Unternehmen, Vivantes und Charité, zu kommen. Es ist nicht sinnvoll, im Südwesten dichtgeballt mit viel Geld bei hohem Investitionsbedarf Doppelstrukturen der Versorgung öffentlich zu finanzieren, die dann auch noch gegeneinander in Konkurrenz treten. Im Sinne einer weiterhin zeit- und wohnortnahen medizinischen Versorgung der Berliner Bevölkerung auf hohem medizinischen Niveau in öffentlicher Hand sind beide Unternehmen aufgerufen, hier endlich mit der konkreten Zusammenarbeit zu beginnen. – Danke schön!

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Albers! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Kosche das Wort!

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Interessant“ fand Gesundheitssenatorin Lompscher zum Amtsantritt 2006 die Berliner Gesundheitspolitik. Sie versprach in einem Zeitungsinterview, sich mit „Herzblut und Neugier“ einzuarbeiten. Wir haben heute durch die Priorität der FDP die Chance zu bewerten, wie viel Herzblut inzwischen geflossen ist und wie die Leistungsbilanz der „interessanten Gesundheitspolitik“ von Rot-Rot aussieht.

Fangen wir mit der Koalitionsvereinbarung an. Die Koalitionsvereinbarung von Rot-Rot sieht eindeutige Vorgaben für den Vivantes-Konzern mit der Charité vor, damit alle wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Potenziale beider Gesundheitsunternehmen optimal entwickelt werden können. Hat diese Vorgaben schon jemand hier im Haus gesehen? Darüber sollten wir einmal reden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Dann geht es um den Sanierungsbedarf der VivantesKrankenhäuser von 200 Millionen € Instandhaltungskosten und 300 Millionen € für die Investitionen. Die Antwort darauf kann kein Herumdoktern und Schließungsbeschlüsse nach der Salamitaktik, sondern nur ein Gesamtkonzept sein, das endlich vorzulegen ist. Auch über ein solches Gesamtkonzept der Berliner Krankenhauslandschaft von Ihnen, Frau Senatorin, hätten wir heute gern gesprochen.

Den Vivantes-Mitarbeitern wurden massive Lohnkürzungen zur Konsolidierung des Konzerns zugemutet. Mein Vorredner sprach davon. Hier ist das Ende der Zumutbarkeit erreicht. Weiter ausquetschen darf nicht sein. Wie ist das mit den kommenden Tarifabschlüssen, Frau Senatorin? Werden sie durch Stellenkürzungen bei Vivantes ausgeglichen? Auch darüber wäre es lohnend zu reden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Dann geht es um die Krankenhausplanung der Stadt. Seit Wochen sickern immer wieder Informationen von Schließungen bei Vivantes durch. Ist Ihre Vorlage zur Krankenhausplanung mit den Fakten zum Vivantes-Konzern so brisant, Frau Senatorin, dass Sie diese am Finanzsenator und Regierenden vorbeischmuggeln mussten? Finden Sie es angemessen, dass nicht Sie, sondern der Vorstandsvorsitzende von Vivantes, Herr Bovelet, laufend den Berliner Krankenhausplan der Öffentlichkeit vorstellt, indem er Schließung hier und Schließung dort verkündet, obwohl noch gar nichts beschlossen ist? „Das Leben besteht aus Widersprüchen“, sagt die Senatorin im gleichen Interview, und sie halte sie aus. Uns aber wird aus den obigen Aufzählungen von Versäumnissen deutlich, dass das Ziel von landeseigenen Krankenhausplänen, eine patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und wirtschaftlichen Krankenhäusern sicherzustellen, durch den rot-roten Senat und dieser Senatorin aus zu vielen Widersprüchen besteht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir Grüne wollen eine wohnortnahe Grundversorgung der Berliner gewährleisten, ob dabei die Schließung des Klinikum Prenzlauer Berg und des Wenckebachkrankenhauses ein richtiger Schritt sind, hätte das Gesamtkonzept ergeben müssen. Im Bereich der Geriatrie haben wir da unsere Zweifel. Wir Grünen wollen nicht, dass kurzfristige Aufbesserungen der Vivantesbilanzen die Krankenhausplanung bestimmen, sondern vor allem die Bedürfnisse kranker Bürger. Wir Grüne wollen, dass für ein professionelles Krankenhausmanagement die idealen Netzwerkstrukturen für die stationäre Versorgung erhalten und ausgebaut werden. Deswegen wäre es an der Zeit gewesen, über all das hier zu reden, um „die Widersprüche“ der rot-roten Gesundheitssenatorin, die Frau Senatorin aushält, wir Grünen aber nicht aushalten wollen, zu beseitigen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kosche! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, wozu ich keinen Widerspruch höre.

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