Protokoll der Sitzung vom 10.07.2008

Denken wir an die vielen, sehr prominenten Beispiele, in denen historische Theatersäle, teilweise auch unter Inkaufnahme vermeintlicher Disfunktionalitäten wieder aufgebaut wurden. Denken wir an das Burgtheater in Wien, das Teatro La Fenice in Venedig, die Semperoper in Dresden oder das Teatro alla Scala in Mailand. Niemand wäre dort auf die wahnwitzige Idee verfallen, diesen Städten hinterwäldlerischen Kleinmut vorzuwerfen oder wäre der Anmaßung erlegen, sich als Messias der Moderne, selbsternannter Glücksbringer und am besten noch als Ausputzer von historischen Unsensibilitäten aufzuspielen, wie wir das im Kulturausschuss erleben mussten.

Ich bin der festen Überzeugung, der vorstehende Siegerentwurf würde die Stadt nicht reicher machen, sondern ärmer. Berlin ist die Stadt der historischen Umbrüche. Im Stadtbild und seiner Bausubstanz ist das mehr als notwendig dokumentiert. Für den, der Augen und ein wenig Interesse hat, sind diese Umbrüche auch an der Staatsoper zu spüren. Diese Verwerfungen waren im Regelfall Ausdruck radikaler gesellschaftlicher Zäsuren. Unterziehen wir jetzt nicht ohne Not die Staatsoper einem solchen Umbruch in einer Phase, wo uns kein Krieg und keine Ideologie dazu zwingt, es sei denn die Ideologie der manischen Modernisierungswut! Doch vergessen wir dabei nicht, dass ein Bruder der Modernisierung die Entzauberung ist. Dabei ist doch das ureigenste Terrain von Oper und Theater zu verzaubern. – Herr Wowereit! Lassen Sie diesem einzigartigen Opernraum seinen Zauber! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Brauer.

[Martina Michels (Linksfraktion): Denk an die Zauberei!]

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 22. Mai war so etwas wie Weltuntergang, zumindest für einen Teil der Berliner Kultur- und Baupolitiker, die am Bau der Staatsoper, weniger an dem, was darin passiert, interessiert sind. Da wurde der Sieger eines beschränkten Gestaltungswettbewerbs bekannt gegeben. Hat eigentlich schon einmal jemand darüber nachgedacht, welch wunderbarer Doppelsinn in der Wortkonstruktion „beschränkter Wettbewerb“ liegt?

[Heiterkeit]

Nun gut, was nach dem vermeintlichen Weltuntergang folgte, war das, mit dem wir uns bis heute auseinandersetzen dürfen, eine mehr oder weniger beschränkte Diskussion, aber auch dies im doppelten Sinn des Wortes. Real tangiert sie relativ wenig Menschen in dieser Stadt. Das Schicksal Berlins und die Zukunft der Berliner ist nicht vom Ausgang der Sanierungsplanung eines Theatersaals abhängig. Um dies zu glauben, muss man schon auf so abenteuerliche Weise Umfrageergebnisse interpretieren können, wie dies jüngst der Vorsitzende eines Theaterfreundeskreises tat. Ich halte das für unsolide. Ich kam heute früh auf dem Weg in dieses Haus an drei Lebensmittelausgabestellen vorbei.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Lebensmittelausgabestellen?]

Es war noch etliche Zeit bis zur Eröffnung, aber die Schlangen waren schon lang. Ich gestehe, in dem Moment verging mir die Lust auf Oper und ich stellte mir die Frage: Mein Gott! Haben wir nichts Anderes und Besseres zu tun, als uns um die Frage Stuck oder nicht Stuck zu fetzen? Daran nun auch noch eine Diskussion für die künstlerische Profilierung der Häuser zu hängen, das ist

[Zuruf von Thomas Birk (Grüne)]

eine Frage, vor der sich die Berliner Kulturpolitik – ich bekenne es, ich habe daran meinen Anteil –

[Alice Ströver (Grüne): Ja!]

seit der Wiedervereinigung der Stadt erfolgreich drückt. Aber wie alle Fragestellungen, auf die wir glauben, ein Copyright anmelden zu können, ist das alles nichts Neues. Ich zitiere:

Da die Oper ihrem Publikum gerade durch ihre Rückständigkeit teuer ist, müsste man auf den Zustrom neuer Schichten mit neuen Appetiten bedacht sein. Und man ist es auch: Man will demokratisieren, natürlich ohne dass der Charakter der Demokratie geändert wird, welcher darin besteht,

dass dem „Volk“ neue Rechte, aber nicht die Möglichkeit, sie wahrzunehmen, gegeben werden.

Das war Brechts Erkenntnis Ende der 20er-Jahre in der Auseinandersetzung um seine Oper Mahagonny.

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

Da sind wir wieder beim Problem des Staatsopernsaals. Brecht kritisierte heftig den, wie er es ausdrückte, „kulinarischen Charakter“ der alten Oper. Zum kulinarischen Genuss gehört die festliche Tafel, um im Bilde zu bleiben. Bei Hofe, zu Friedrichs Zeiten, waren das Silber, die Kristallpokale und die KPM-Tafelaufsätze allemal wichtiger als der Zustand der Küche. Manch Gast verließ hungrigen Magens das Diner.

Bei der Staatsoperndebatte scheint mir das ähnlich zu sein. Beleg dafür sind unter anderem die jüngsten Vorstöße von Denkmalpflegern und Denkmalschützern – das spielte heute wieder eine Rolle hier –, der Staatsoper den Spielplan quasi überhelfen zu wollen. Zur klammheimlichen Freude von Deutscher und Komischer Oper nebenbei gesagt, die bekämen gleichsam über Nacht Monopole für ganze Repertoirebestandteile zugewiesen. Was im ersten Moment als schön logisch scheint – alter Saal für alte Oper –, ist genau genommen ein vergifteter Schneewittchenapfel.

[Alice Ströver (Grüne): Genau!]

Aber wir haben allesamt ein Problem. Wir haben es miteinander, fraktionsübergreifend. Auch wenn manches Mitglied dieses Hauses dazu neigt, dies durch forsches Auftreten zu verdrängen. Ein Parlament soll entscheiden, was eigentlich nicht in seine Kompetenz gehört. Es soll ein Urteil über ästhetische Fragen fällen. Ich – ich bekenne es – bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der es üblich war, dass sich Politiker in Permanenz anmaßten, künstlerische Entscheidungen zu fällen.

[Christoph Meyer (FDP): Sie vergleichen uns jetzt aber nicht mit der DDR?]

Nein, man kann aber daraus lernen, Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu! – Das hatte den schönen Nebeneffekt, dass sich die Kunst ernst genommen fühlte. Es führte aber zu fortschreitender Entfremdung, die schlussendlich in kollektive Ablehnung umschlug. Sie kennen das. Die meisten im Saal haben es noch miterlebt.

Architektonische Fragen sind ästhetische Fragen. Sinnvoll ist eine politische Mehrheitsentscheidung über die Frage, ob ich ein Haus sanieren will, in welchem Umfang es saniert werden soll, was es kosten darf, ob damit Nutzungsänderungen verbunden sein sollen. Es sollten Sanierungskriterien festgelegt bzw. diskutiert werden, mehr nicht. Der Rest sollte Sache der Fachleute sein. Bei politischen Mehrheitsentscheidungen über Ästhetik kommt meistens nur Kitsch heraus. Wir werden es in absehbarer Zeit mit einer peinlichen Pseudoschlossfassade erleben können.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gefälligkeitsumfragen machen das alles nicht besser. Insofern halte ich es nicht für ein Zeichen von Entscheidungsunwillen, sondern für ein Zeichen von Klugheit, wenn meine Fraktion bislang dagegen entschieden hat, eine Gestaltungsentscheidung für das Interieur eines Theatersaals durch Mehrheitsentscheid herbeiführen zu wollen. Jede und jeder von uns hat eine Position in dieser Frage. Ich spreche für die Linksfraktion.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Was ist die Meinung der Linksfraktion?]

Und jede dieser Positionen hat gute Argumente auf ihrer Seite und verdient es ernst genommen zu werden. Auch die Meinung: „mich interessiert das nicht“, das gibt es auch, ist eine ernstzunehmende Position, weil sie Gründe hat, die ich vorhin zu beschreiben versuchte. Wobei es für mich selbst persönlich nichts Wichtigeres gibt als Kunst und den Diskurs über sie, ich bin nun einmal Kulturpolitiker. Säße ich im Sportausschuss, wäre es wahrscheinlich der Fußball.

Auch in der Fraktion der Linken gibt es Befürworter einer Neugestaltung des Saales und Befürworter der Beibehaltung des Ist-Zustandes, einer sogenannten Pinselsanierung, wobei diese übrigens bautechnisch unmöglich ist. Zunächst einmal muss das Ganze herausgenommen werden. Das ist keine Pinselsanierung mehr.

[Christoph Meyer (FDP): Paulick ist tot!]

Ja, der wird erst einmal kaputtgemacht, Sie haben recht, Herr Kollege!

Welche Positionen gibt es? – Die einen erklären, der Roth-Entwurf würde die Architekturleistung der jungen DDR demolieren und ein großartiges Zeugnis der Wiederaufbauphase zerstören. Dem wird entgegengehalten, dass die Komplexität der Arbeit Richard Paulicks erhalten bliebe. Das Haus selbst, das schon lange nicht mehr Knobelsdorff, noch nicht einmal mehr Langhans ist, der Apollo-Saal, die Umgänge etc. blieben erhalten, nur der Zuschauersaal eben nicht. Dafür aber würden die Sicht- und Hörbedingungen für alle Zuschauer deutlich verbessert, die akustischen Verhältnisse für die Künstler auch. Es ist schon ein Problem, wenn Musiker sich gegenseitig beim Musizieren kaum hören können.

[Mieke Senftleben (FDP): Wohl wahr!]

Dem wiederum wird entgegengehalten, dass man solches in einem solchen Hause halt ertragen müsse. Der Denkmalschutz sei nun einmal ein sehr hohes Gut. Es gebe auch noch die Elektronik zur Mängelbeseitigung. Gegebenenfalls könne man Stehplätze einziehen. Und in den letzten 40 Jahren sei in diesem Saal auch große Kunst gemacht worden. Die Menschen kämen hauptsächlich wegen des wunderbaren Ambientes.

Dagegen wird argumentiert, dass ein Theater ein Theater sei und in erster Linie der Produktion von Kunst und der Rezeption eben dieser produzierten Kunst dienen müsse. Dafür müsse man optimale Bedingungen schaffen. Da die Oper die komplexeste aller Künste sei, und man, wenn

man schon mit so viel Geld in der Hand an eine Generalsanierung gehe, müsse man auch vorhandene Mängel beseitigen können.

Sie merken, das sind alles Argumente, die Ihnen bekannt vorkommen dürften. Das ist nichts Neues. Wir bewegen uns inzwischen argumentativ im Kreis. Wir wiederholen uns gegenseitig Altbekanntes.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Was diskutieren wir überhaupt, Sie – die Linksfraktion – haben keine Meinung und Sie – die SPD – auch nicht!]

Herr Kollege Lindner! Ich versuche, die Frage zu beantworten. – Die Debatte ist inzwischen hochemotionalisiert. Das hat mit dem Gegenstand zu tun. Sigmund Freud hat die Kunst, ähnlich wie Brecht mit dem Kulinarischen, mit einem Rauschmittel, das eine Ersatzbefriedigung biete, verglichen. Wenn man dann an die Rauschmittel herangeht, schlagen die Emotionen hoch. Das kennen wir. Freud sagte:

Diese Rauschmittel tragen unter Umständen die Schuld daran, dass große Energiebeträge, die zur Verbesserung des menschlichen Loses verwendet werden könnten, nutzlos verlorengehen.

Der Aufsatz heißt übrigens „Das Unbehagen an der Kultur“.

[Zuruf von Dr. Frank Steffel (CDU)]

Eine Entscheidung muss nun aber getroffen werden. Sicher hat das terminliche Zwänge. Aber Zeitschienen kann man strecken. Ich möchte davor warnen, Herr Regierender Bürgermeister, dies zu tun, denn dies führt nicht unbedingt zu einer Versachlichung der Debatte. So ganz nebenbei könnten noch diverse finanzielle Nebenwirkungen eintreten. Ich kann mir vorstellen, mancher Oppositionskollege strickt schon am Fragenkatalog für einen Untersuchungsausschuss. Das muss dann ja nicht sein, diese Verschärfung des Tones. Ich habe zu meinem Amüsement neulich feststellen müssen, dass ein Diskutant die Garnisonskirche in Potsdam, unseren Opernsaal, die Dresdner Waldschlösschen-Brücke und die Wettiner in einen argumentativen Topf geworfen hat. Darum aber geht es nicht. Es geht hier und heute um den Sanierungsansatz für das Haus Unter den Linden, in dem – das stimmt – immer große Opernkunst geboten worden ist, auch unter schwierigen Bedingungen. Die Künstler und ihr Publikum haben ein Recht darauf, diese verbessert zu bekommen, wenn es möglich ist.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Was ist denn Ihre Meinung?]

Das Publikum besteht nicht nur, Herr Pflüger, aus finanziell potenten Parkettnutzern, die Position von Menschen, wie sie in der Berliner Theatergemeinde organisiert sind, ist sehr ernst zu nehmen. Ein Theater ist in erster Linie ein Theater, ist etwas lebendiges. Leben kollidiert immer mit der puristischen Bewahrung des Althergebrachten. Manchmal findet man einen Kompromiss, manchmal eben nicht.

Was den Staatsopernsaal anbelangt, ist ein bisschen Paulick genauso unsinnig wie ein bisschen Roth. Sie werden es bemerkt haben, ich selbst – das ist nicht Mehrheitsmeinung, wir haben sie nicht abgestimmt, das habe ich begründet – stehe auf der Seite der Roth-Befürworter. Berlins urbaner Reiz besteht auch darin, dass es die zeitlichen Schichten seiner Architektur auf eine faszinierende Weise miteinander verschmilzt.

Herr Kollege! Sie sind schon lange am Ende Ihrer Redezeit angelangt. Würden Sie bitte zum Schluss kommen!

Ich bin fertig.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Ziemlich!]

Man könnte für jede Argumentation hier im Saal eine Gegenargumentation finden.