Protokoll der Sitzung vom 10.07.2008

Man könnte für jede Argumentation hier im Saal eine Gegenargumentation finden.

Es muss jetzt wirklich ein Schlusssatz sein!

Aber die Ideologiekeule sollte künftig im Bühnenfundus bleiben. Meinetwegen packen wir sie zu Madame Tussauds, dorthin gehört sie, aber nicht in diesen Saal. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Dr. Frank Steffel (CDU): Man hat den Eindruck, Sie sind stehengeblieben! – Dr. Martin Lindner (FDP): Die Koalitionsfraktionen haben beide keine Meinung!]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Ströver. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weshalb wir heute die Aktuelle Stunde zu diesem Thema durchführen, weiß wahrscheinlich niemand so genau. Klare Entscheidungsalternativen wollten Sie von der rot-roten Koalition im Kulturausschuss nicht abstimmen. Sie haben alles vertagt, um hier eine reine Alibidebatte zu führen – ohne irgendwelche Konsequenzen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Am Ende wird ohnehin der Regierende Bürgermeister mit dem Bund, bestenfalls noch mit der Bauverwaltung klären, wie es mit der Sanierung der Staatsoper weitergeht.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ja!]

Ich sage Ihnen: Ein Abbruch des Vergabeverfahrens wird das Land teuer zu stehen kommen.

[Christian Gaebler (SPD): Ja, aber dann können wir doch erst recht nicht entscheiden!]

Einmal mehr zeigt sich, dass es ein kongruentes Vorgehen in gewichtigen Fragen in der rot-roten Koalition überhaupt nicht gibt. Wenn heute der Abgeordnete Flierl behauptet, es gebe eine Entscheidung für eine denkmalgerechte Lösung – wir haben gerade gehört, dass das nicht stimmt –, aber wenn es so wäre, dann frage ich, warum wir dann nicht über einen Antrag abstimmen, der die Meinung dieses Hauses klar zum Ausdruck bringt und von der Koalition kommt.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Nein, auch Sie Herr Gaebler, drücken sich vor der echten parlamentarischen Verantwortung und wollen keine Aussage treffen.

[Christian Gaebler (SPD): Wegen des Vergabeverfahrens!]

In Zukunft sollten Sie die ideologische Diskussion austragen und vor Beginn einer umfangreichen Baumaßnahme wissen, wohin Sie wollen. Dass die Debatte um die Sanierung der Staatsoper so ideologisch verhärtet geführt wird, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Absurd ist auch, dass diese Frage zu einem Ost-West-Thema gemacht wird.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Quatsch, von wem denn? – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Zum ersten Mal von Ihnen jetzt!]

Das Argument, hier würde willentlich DDR-Architektur ignoriert, ist unseriös. Dieser Vorwurf geht in Richtung derjenigen, die sich im Sonderheft von „Theater der Zeit“ mit pseudokompetenten Beiträgen zu Wort gemeldet haben. Wenn Ihnen der Denkmalschutz ein so wichtiges Anliegen wäre, hätten wir uns das schon an anderen Stellen gewünscht.

[Beifall bei den Grünen]

Wer behauptet, es gehe in der Frage der baulichen Gestaltung um Knobelsdorff gegen die Moderne, der lügt sich in die Tasche. Natürlich ist die paulicksche Nachkriegsgestaltung im Inneren des Gebäudes ebenfalls eine völlige Neugestaltung und nur eine Anmutung an die Knobelsdorff’sche Außenhaut der Oper.

[Beifall bei der FDP]

Ein Opernhaus muss auch nicht aus einer architektonischen Hand sein. Die 300-jährige Geschichte kann durch zeitgenössische Architektur angemessen ergänzt werden.

Der so dramatisch wirkende stilistische Richtungsstreit dieser Tage verdeckt aus unserer Sicht den Kern des Problems. Bei allen Debatten muss die Funktionalität den

herausragenden Stellenwert für eine Entscheidung über die bauliche Gestaltung der Staatsoper insgesamt haben.

[Beifall bei den Grünen]

Es geht schließlich um ein Opernhaus, das nach dieser neuerlichen Sanierung hoffentlich 50 Jahre optimal genutzt werden kann. Daran wird uns die nachfolgende Generation messen. Aber daran werden uns auch die Steuerzahlerinnen und -zahler messen, denn über 240 Millionen € für ein Kulturgebäude, welches – machen wir uns nichts vor – doch nur von einer kleinen gesellschaftlichen Schicht genutzt wird, sollten klug angelegt sein.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Für die Opernbesucher sollte es so gebaut sein, dass die Menschen, die viel Geld für den Besuch in einer Oper bezahlen, gute Bedingungen vorfinden. Deshalb verstehe ich auch nicht, dass Politiker des Deutschen Bundestages diesen Aspekt nicht beachten, wenn sie ein bloßes Festhalten an der bisherigen Gestaltung des Hauses fordern. Die darin angedeutete Pauschalbeschimpfung der Gegenwartsarchitektur ist auch nicht hilfreich, um eine Antwort auf das komplizierte Problem, welches die beste Gestaltung für den Saal sein soll, zu finden.

Der paulicksche Zuschauersaal der Staatsoper weist in seiner bestehenden Form eklatante Sicht- und Akustikdefizite auf. Dass die Akustik in der Staatsoper über künstliche Nachhallanlagen unterstützt wird, ist für einen Weltklasse-Klangkörper wie die Staatskapelle unter musikalischen Gesichtspunkten inakzeptabel. Auch für die professionellen Ansprüche der Orchestermusiker und -musikerinnen und Sänger und Sängerinnen auf der Bühne sind die akustischen Verhältnisse eine Zumutung. Sie können sich selbst untereinander nicht gut genug hören, um ein optimales Ergebnis des Gesamtklanges zu erzielen. Eine optimierte Akustik böte außerdem Raum für mehr künstlerische Freiheit als unter den bestehenden Bedingungen. Derzeit sieht man als Operngast auf gut einem Viertel der 1 350 Plätze mit erheblichen Einschränkungen. Insbesondere die von Paulick so gebauten Proszeniumslogen behindern die seitliche Sicht. In den beiden oberen Rängen können die Menschen nur sehr schlecht oder gar nicht sehen. Auch das ist aus kulturpolitischer Sicht ein schwerwiegendes Manko und gehört besonders gewichtet. Es wäre nicht verständlich und vermittelbar, warum ein Saal, der dem Musiktheater gewidmet ist, für viel Geld saniert wird, ohne diese Defizite zu beheben. Ohne massive Eingriffe in die Baumasse sind aber insbesondere die gewünschten akustischen Verbesserungen nicht umsetzbar. Mit der im Roth-Entwurf vorgesehenen Erhöhung der Decke würde das Raumvolumen erweitert und die Akustik den Maßstäben eines international renommierten Musiktheaters gerecht.

Aber der Berliner Senat hat mit der Aufgabe an die Wettbewerbsteilnehmer eine kaum lösbare Aufgabe formuliert. Er hat sowohl die Beachtung des Denkmalschutzes als auch eine deutliche Verbesserung der akustischen Bedingungen und der Sichtverhältnisse für den Saal der Staatsoper Unter den Linden eingefordert. Hätte er selbst klare

Präferenzen formuliert, könnte mit dem Wettbewerbsergebnis besser umgegangen werden. Er hat sich schlicht um eine Entscheidung gedrückt, ob der geschützte Paulick-Bau denkmalgerecht erhalten bleibt oder eine neue Form erhält. Aber ausgerechnet der oberste Denkmalschützer Berlins, Herr Dr. Haspel, ist der Jury-Sitzung auch ferngeblieben, nur genau an diesen Sitzungen hat Kulturstaatssekretär Schmitz mitgewirkt und die Unklarheiten in der Ausschreibung an verantwortlicher Stelle mit formuliert.

Deswegen hat er nach dem Wettbewerb keine Veranlassung, auf die anderen zu schimpfen und seine eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Seine öffentliche Jurybeschimpfung war jenseits aller Verfahrensvereinbarungen und nicht hinzunehmen.

[Beifall bei den Grünen]

Merkwürdigkeiten gibt es in diesem Vergabeverfahren genug. Es wird ein Gesamtplaner der Sanierung des Areals gesucht und zugleich ein Architekt für den Innenraum. Dieses hätte besser auseinandergezogen gehört. Mit einem offenen Wettbewerb gäbe es möglicherweise weitere bauliche Varianten für die Innenraumgestaltung. Nun wird ein ertragreicher Auftrag in eine einzige Hand gelegt, bei der auch noch Plagiatsvorwürfe im Raum stehen. Zu befürchten ist, dass Verfahrensfehler weitere Probleme bringen werden. Es zeigt sich einmal mehr: Die öffentliche Hand Berlins ist offenbar unfähig, komplexe Aufträge kompetent zu betreuen.

[Beifall bei den Grünen]

Das gilt auch für Rot-Rot hier im Abgeordnetenhaus. Da wird die inhaltliche Diskussion im Kulturausschuss abgebügelt, weil man sich streitet, um heute hier eine Scheindebatte zu führen, die konsequenzlos bleibt. Erst heißt es, wir brauchen Zeit. Jetzt muss alles ganz schnell gehen, damit der Regierende guten Gewissens in Urlaub fahren kann. Avanti, dilettanti! – kann ich nur sagen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wenn er sich schon in solche fachlichen Fragen einmischt, dann sollte er wenigstens darauf achten, seinem Anliegen zum Klimaschutz von gestern zu folgen und bei diesem Projekt für energieeffizientes Bauen sorgen!

[Beifall bei den Grünen]

Aber generell gilt, dass es gewichtige politische und fachliche Gründe geben muss, um dem mit Zweidrittelmehrheit gefällten Votum einer anerkannten Fachjury, die schließlich seitens der Politik aufgrund ihrer Fachkompetenz eingesetzt wurde, nicht zu folgen. Gegen die Modernisierung spricht der Denkmalschutz als hohes Gut. Baudenkmäler sind erhaltens- und schützenwertes Kulturerbe. Auch bei einer Modernisierung des Zuschauersaals aber, Frau Lange, bliebe die architektonische Leistung von Richard Paulick beim Wiederaufbau der Staatsoper in den 50er Jahren in weiten Bereichen des Gebäudes erhalten. Architektonisch ist der Entwurf von Roth nicht zuletzt deswegen interessant, weil er das Parkett so anhebt, dass

eine direkte bauliche Anbindung an den Apollosaal der Staatsoper erfolgt. Die friederizianische Kubatur und das historisierende Paulick-Foyer würden um einen modernen Innenraum ergänzt, und so würde die wechselhafte Geschichte des Hauses gleichzeitig einen Neuanfang bekommen. Eine Nachahmung des Paulick-Saales, wie sie der 2. und 3. Preis des Wettbewerbs entworfen haben, wollen wir nicht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das ist nicht Paulick in denkmalgerechter Form. – Nur, damit keine Missverständnisse entstehen: Wenn man Paulick will, dann muss man für Paulick sorgen und nicht für HPP oder für Gerkan, Marg und Partner. So erfreulich die Unterstützung des Fördervereins ist, aber diese Art von Einmischung können wir nicht hinnehmen.

Heute ist die letzte Sitzung vor der Sommerpause. Das ganze Verfahren zeigt, dass von Transparenz bei Ihnen nicht die Rede sein kann. Im September sprechen wir uns wieder. Mal sehen, was für Szenarien uns dann in dieser Frage bevorstehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Meyer. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir in der FDP-Fraktion anfänglich nur Unverständnis über die Beantragung Ihrer Aktuellen Stunde hatten, muss ich ehrlich sagen, dass nach den Wortbeiträgen von Herrn Brauer und Frau Lange mittlerweile nur noch Verärgerung herrscht. In der letzten Kulturausschusssitzung, Herr Brauer, lagen drei Anträge zur Frage der Innenraumgestaltung vor. Sie, Herr Brauer, haben damals eine Vertagung beantragt. Damals hieß es, Sie wollten sich Zeit für eine Entscheidungsfindung nehmen. Damals haben Sie großspurig angekündigt, Sie erwarteten und würden sicherstellen, dass der Senat in dieser Frage erst eine Entscheidung trifft, wenn ein Votum des Hauses vorliegt. Damit haben Sie Ihren Vertagungsantrag begründet. Es gab eine Sitzungsunterbrechung. Die Koalition brauchte eine Weile, um sich auf einen einheitlichen Beschlusstext zu einigen. Aber das war die Begründung für Ihren Antrag.

Zu einem solchen Votum, das haben Sie eben noch einmal eindrucksvoll gezeigt, haben Sie offensichtlich keine Kraft mehr. Sie belassen es bei einer unverbindlichen Aktuellen Stunde. Gut, dass wir mal darüber geredet haben! – Herr Flierl interpretiert das Ganze ein wenig anders, wie wir in der Begründung zur Aktuellen Stunde gehört haben. Da hat sogar Herr Wowereit nur noch ungläubig mit dem Kopf schütteln können, als Sie sagten, dass Sie froh

sind, dass die Koalition hier eine einheitliche Linie beschlossen hat.

[Gelächter bei der FDP]

Aber was genau in Ihren Fraktionsräumen beschlossen wurde, das scheinen Sie uns nicht mitteilen zu wollen. – Gut, dass wir mal darüber geredet haben! Weil Sie eine Debatte und eine Entscheidung in Ihren eigenen Fraktionen scheuen, versuchen Sie nun doch, dem Senat einen Blankoscheck auszustellen, damit dieser ohne Votum des Parlaments entscheiden kann. Sie haben dem Abgeordnetenhaus von Berlin durch Ihre Vertagung bewusst die Möglichkeit einer Beschlussfassung genommen. Gestaltungswillen – darauf legen Sie, Herr Brauer, im Kulturausschuss immer Wert – sieht anders aus.