Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Villbrandt! Die Ernsthaftigkeit, das kann ich Ihnen zusichern, werden wir an den Tag legen. Die Zustimmung kann ich Ihnen leider noch nicht zusichern. Deshalb wird
die Beratung im Ausschuss für uns alle wichtig sein. Ein Sozialberichterstattung mit aktuellen Daten halten wir sehr wohl für wichtig und auch richtig. Uns liegt eher daran zu schauen, welche Berichterstattung wir aktuell haben. Wie Sie wissen, wird auch der neue Sozialstrukturatlas Ende des Jahres kommen. Wir halten daher die Beratung über diesen Antrag zu diesem Sozialstrukturatlas für sehr wichtig.
Mich hat nur überrascht, dass Sie als Grüne, die sich eigentlich immer für Deregulierung und Entbürokratisierung einsetzen, zu diesem Thema mit einem Gesetzesantrag kommen, wo ich meine, dass es durchaus auch über einen Berichtsauftrag an den Senat gegangen wäre. Eine gewisse Widersprüchlichkeit, ein Hang zur Bürokratisierung erkenne ich sehr wohl. Aber diese Spitze sei mir an dieser Stelle erlaubt.
Sie haben gesagt, dass in einigen Bundesländern ähnliche Berichterstattungen vorhanden seien. Das ist nach meinem Kenntnisstand sehr wohl der Fall. Aber vielmehr muss man dann doch schauen, welche anderen Formen von Berichterstattungen es in diesen Ländern gibt. Haben die denn auch diese Fülle von Berichterstattung, wie wir sie in Berlin haben? Wir haben ja, wie Sie selber wissen, eine Fülle von Spezialberichten, die die genaue Palette, die Sie wollen, beleuchten. Deshalb wird es auch interessant sein, gemeinsam mit Ihnen im Ausschuss darüber zu beraten, in welcher Form wir diese Berichterstattung weiterentwickeln und qualifizieren können.
So gesehen, schaue ich dieser Anregung durchaus mit Freude entgegen, denn den Kerngedanken teile ich sehr wohl mit Ihnen: dass wir eben eine umfangreiche Berichterstattung brauchen. Aber wenn ich mir anschaue, was wir in Berlin schon haben, so kann ich sagen, dass all die Punkte, die Sie insbesondere in § 1 Abs. 2 aufgeführt haben, jetzt schon in Berichtsform in Berlin vorhanden sind. Wir haben im Bereich Familie Kinder- und Jugendberichte, Berichte über Frauen, Frauengesundheit, Migranten, Behinderte, Senioren. Im Prinzip ist die gesamte Palette der entsprechenden Zielgruppen hier beleuchtet.
Ich erkenne sehr wohl, dass wir im Bereich Armutserkennung, -ursache und -wirkung eine größere Anzahl an Daten haben. Was sicherlich noch zu beleuchten ist, wäre die Komponente: Wie sieht es aus mit dem Reichtum? Diesen Punkt müssen wir noch gemeinsam besprechen. Daher freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss und schenke Ihnen hiermit zwei Minuten Lebenszeit. Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Radziwill! – Für die CDU-Fraktion nimmt der Abgeordnete Hoffmann Stellung. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Dieser Gesetzesantrag findet unsere Zustimmung, weil er mit unserem Antrag 16/0895 vom Oktober letzten Jahres inhaltlich kompatibel ist. In unserem Antrag „Seriöse Sozialpolitik braucht kontinuierliche Sozialberichtserstattung auf aktueller Datenbasis“, bei dessen Beratung im Plenum ich besonders wüst von Frau Radziwill aus der SPD beschimpft wurde, hat die CDU-Fraktion bereits damals eine verbesserte Berliner Sozialstatistik sowie einen aktuellen Armutsbericht eingefordert.
Grund dafür war und ist, dass der Senat mit veraltetem Datenmaterial – manchmal noch aus dem vorigen Jahrhundert – laviert und immer öfter darauf verweist, dass er sich zu bestimmten Entwicklungen nicht äußern könne, weil eine valide Datenbasis fehle. Jüngste Beispiele dafür stehen in der Beantwortung der Großen Anfrage der FDP, die heute schon Gegenstand der Debatte war.
Doch ohne aktuelle und belastbare Sozialdaten kann es keine ordentliche Sozialanalyse geben, weder vor Ort noch für die Einschätzung der sozialen Gesamtentwicklung oder eventueller Trends. Vor allem kann es keine gerechte und zielgenaue Verteilung von Haushaltsmitteln geben. Zur Unterstützung dieser Aussage zitiere ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, die verehrte Frau Dr. Schulze von den Linken, die dazu am 8. November 2007 dozierte, diese Daten als Grundlage dafür zu nehmen, Maßnahmen sozialpolitisch zu begründen und Finanzfördermittel sozial gerechtfertigt zu verteilen. Wie gut, wie wahr und wie richtig! Nur tun muss man es, Frau Dr. Schulze!
Wenn wir also davon ausgehen, dass die von mir zitierte Aussage Konsens in diesem hohen Hause ist, dann kann der Antrag der Grünen dazu erheblich beitragen. Ein differenziertes Bild der sozialen Lage Berlins zu zeichnen – damit wäre uns im Abgeordnetenhaus, aber auch anderen in der Stadt in sozialer Verantwortung arbeitenden Institutionen und Einrichtungen ein solides Instrument in die Hand gegeben, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.
Dass die Grünen ihre Forderungen als Gesetzesantrag formuliert haben, enthält einen zusätzlichen Reiz, weil damit der Nach-Lust-und-Laune-Mentalität des Senats ein Riegel vorgeschoben und die Vorlage eines solchen Berichts im Abstand von zwei Jahren verpflichtend gemacht wird. Auch das trifft auf unsere Zustimmung.
Über Einzelheiten werden wir uns im Gesetzesverfahren austauschen. Doch unstreitig ist: Wenn Konzepte gegen soziale Verwerfungen Sinn machen sollen, dann muss es für die Entwicklung von Mitteln und Methoden eine gesicherte und aktuelle Informationsgrundlage geben, insbesondere dann, wenn man damit Haushaltsverschiebungen begründen möchte. Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Dr. Schulze das Wort. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir heute einen Gesetzesentwurf in I. Lesung über einen Armuts- und Reichtumsbericht der Grünen hier diskutieren. Ich betrachte das auch als ersten Meinungsaustausch. Es ist schon bedeutsam, dass sich dieses Parlament mit diesem Thema beschäftigt, und auch erfreulich, dass dafür die Reihen nicht ganz leer sind.
Trotzdem muss man vorab sagen: Daten und Fakten haben wir zu diesem Thema in Deutschland viele. Erst im Juli dieses Jahres ist der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung auf den Tisch gelegt worden, der die Tendenz, die die Senatorin heute schon beschrieben hat – nämlich dass die Kluft zwischen Arm und Reich stärker geworden und sich weiter vergrößert hat –, in Folge über mehrere Jahre dokumentiert hat. Wir haben auch zahlreiche Armuts- und Reichtumsberichterstattungen und Sozialberichtserstattungen in den einzelnen Bundesländern.
Interessant ist dabei aus meiner Sicht, dass all die unterschiedlichen Formen der Berichterstattung in den Bundesländern in der Tat nicht kompatibel sind. Wir haben es trotz dieser Armuts- und Reichtumsberichterstattung auf Bundesebene bisher bundesweit noch nicht geschafft, kompatible Daten im Ländervergleich zusammenzutragen. Insofern ist die Diskussion über einen Armuts- und Reichtumsbericht in Berlin mit der Diskussion zu ergänzen, welche Form denn ein solcher Armuts- und Reichtumsbericht haben solle, damit er einen Zweck und Sinn erfüllt.
Ich möchte jetzt nicht referieren, was die einzelnen Bundesländer getan haben. Das können Sie mit einem Blick ins Internet selbst tun. Ich möchte aber einige Dinge noch zu Berlin selbst sagen: In Berlin haben wir letztmalig 2002 einen umfassenden Armutsbericht, nämlich den Bericht zu Armut und sozialer Ungleichheit vorgelegt, und ich stimme hier meiner Vorrednerin Frau Radziwill zu. Uns und Ihnen ist bekannt, dass Ende dieses Jahres und Anfang kommenden Jahres ein neuer, umfassender Bericht zur Armut und zur sozialen Lage in Berlin erscheinen wird.
Die Jahre zwischen 2002 und heute sind gefüllt gewesen mit zahlreichen Spezialberichten und zielgruppenspezifischen Berichten über die Gesundheitssituation von Familien, Kindern und Jugendlichen, Frauen, Migrantinnen und Migranten etc. Vielleicht wäre die Diskussion ja auch im Fachausschuss damit zu ergänzen, welchen Sinn diese
Datenerfassung zukünftig haben soll und wie wir es erreichen können, Daten mit einem Ziel zusammenzufassen, dass wir daraus wirklich aktuelle Schlussfolgerungen für die Politik ziehen können.
Dafür ist aus meiner Sicht – und da muss ich Ihrem Antrag und Gesetzesentwurf widersprechen – kein Gesetz notwendig. Wir brauchen dafür keine gesetzliche Grundlage. Es ist ein parlamentarischer Akt der Selbstständigkeit, die wir ausüben können, einen solchen Bericht von der Regierung zu verlangen und aus dem Spektrum der Einzelberichte gemeinsam die Schlussfolgerungen zu ziehen, die aus meiner Sicht notwendig sind, um nicht nur empirisches Material in weiterer Fülle zusammenzutragen, sondern eine Diskussionsgrundlage zu erarbeiten, die den Akteuren der sozialen Arbeit auf allen Ebenen in dieser Stadt Handlungsansätze erleichtert, wenn sie mit diesen Daten arbeiten.
Insofern freue ich mich auf die Diskussion im Fachausschuss. Sie kann sehr interessant werden. Erst nach dieser Diskussion wird es sinnvoll sein, darüber zu entscheiden, ob es ein Armuts- und Reichtumsbericht in Berlin sein soll oder ob der Lebenslagebericht und der Armutsbericht, der schon begonnen wurde und im Vergleich der anderen Bundesländer große fachliche Beachtung gefunden hat, kontinuierlich fortgeschrieben werden soll. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Dr. Schulze! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Frau Abgeordnete Villbrandt.
Sehr geehrte Frau Schulze! Offensichtlich ist bei Ihnen nicht ganz angekommen, worum es uns bei diesem Antrag geht. Ich möchte das noch einmal kurz erläutern. Sie haben in Ihrem Redebeitrag erst einmal so gesprochen, dass ich gedacht habe, Sie stimmen uns zu, aber nachher haben Sie das negiert.
Was schreien Sie, Herr Brauer? Melden Sie sich zu Wort, wenn Sie etwas zu sagen haben! – Die Tatsache, dass es keine Abstimmung mit anderen Ländern gibt, spricht nicht dagegen, dass wir einen eigenen Bericht entwickeln.
Frau Villbrandt! Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche! Sie müssen sich auf den Redebeitrag von Frau Dr. Schulze beziehen!
Sie erläutern jetzt noch einmal den Antrag. Das geht sehr weit. Bitte konzentrieren Sie sich auf den Redebeitrag von Frau Dr. Schulze und kritisieren Sie das, was sie gesagt hat!
Ich will den Antrag nicht noch einmal erläutern, ich will nur sagen, dass die ganzen Gründe, die Frau Schulze aufgeführt hat, im Grunde für einen Armutsbericht in Berlin sprechen. Unabhängig von dieser sachlichen Begründung gibt es auch eine andere Begründung, die in der Art liegt, wie Sie bisher Politik gemacht haben. Sie haben gesagt, es gebe so viele Berichte. Ja, es gibt viele Berichte, aber wie sind sie? – Total unsystematisch, total ohne Struktur, wie Kraut und Rüben! Gucken Sie einmal, mit welchen Daten wir im Ausschuss zum Teil arbeiten – mit Daten aus dem Jahr 2003, manchmal sind sie noch älter! Das ist kein Zustand!
Sie hätten auch selbst erkennen können, dass man hier etwas unternehmen muss! Wir müssen etwas tun, damit wir eine solide Sozialpolitik gestalten können. Natürlich ist es immer leichter, die Bundesregierung zu kritisieren, als zu schauen, wo die Probleme tatsächlich liegen. Sie haben eine Verantwortung, eine Politik über diese Wahlperiode hinaus zu machen. Damit das Stabilität hat, damit es immer gleiche Strukturen hat, ist ein Gesetzesantrag notwendig. Die Berichte sollen nicht nach Belieben einmal alle zwei, einmal alle fünf Jahre kommen, sondern regelmäßig. Für eine solide Sozialpolitik müssen wir die Daten vergleichen können.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Villbrandt! – Frau Dr. Schulze möchte antworten und hat jetzt drei Minuten lang die Gelegenheit dazu.
Liebe Frau Kollegin! Ich kommentiere Ihren Redebeitrag ungern, aber er hat deutlich gemacht, dass genau das, was Sie angeführt haben, im Fachausschuss diskutiert werden muss. Sie interpretieren Dinge in – auch von anderen Bundesländern – vorgelegte Armuts- und Reichtumsberichterstattung, Sozialberichterstattung hinein, die nahelegen, dass Sie sich fachlich nie ernsthaft damit beschäftigt haben.
Versuchen Sie einmal, das vorher grundlegend zu tun, dann haben wir eine solide Basis für eine solide Berichterstattung im Fachausschuss. So aufgeregt und unkommentiert, wie Sie das hier machen, kommen wir an dieser Stelle nicht weiter. Sie diskreditieren damit die ganzen anderen Berichte, die erstellt wurden, und die damit verbundenen Anforderungen. Es ist fachlich nicht einfach. Machen Sie es sich nicht zu leicht, sondern beschäftigen Sie sich ernsthaft damit!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Schulze! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Lehmann das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Sie beziehen sich in Ihrem Antrag auf die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung, deshalb mache ich ein paar Anmerkungen zu dieser Art von Berichterstattung.
Der aktuelle wie auch der vorhergehende Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung löste bei nahezu allen Fraktionen reflexartige Forderungen nach Mindestlöhnen, Reichen- oder Vermögensteuer oder progressiven Tarifen bei Sozialabgaben aus. Auf einen Punkt gebracht, wird nach mehr Umverteilung gerufen. Die sogenannten Reichen sollen für die sogenannten Armen zahlen. Dass die Zahlen, auf denen diese Forderungen beruhen, aus dem Jahr 2005 stammen und nicht mehr aktuell sind, interessiert die Umverteiler nicht. Dass die reichsten 10 Prozent bereits über die Hälfte des Einkommensteueraufkommens tragen, wird dabei auch nicht erwähnt. Ich unterstelle einmal, dass bei einem berlinspezifischen Bericht ähnlich Reaktionen zu erwarten sind, zumal auch hier nicht auf die aktuellen Zahlen zurückgegriffen werden kann.
Auch die Kritik, dass Transferleistungen offenbar nicht wirksam vor Armut schützen können, sollte näher beleuchtet werden. Nach dem verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip sind Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II dazu da,
Armut zu verhindern und dem Empfänger/der Empfängerin eine Lebensführung zu ermöglichen, die seiner/ihrer Würde entspricht.
Die Transferleistungen sichern bei normalen Wohnkosten ein Einkommen, das bei 55 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Das Armutsrisiko wird so definiert, dass als gefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Empörung darüber, dass Transferleistungsbezieher unter eine willkürlich festgelegte Einkommensgrenze fallen und somit qua Definition als arm gelten, scheint mir aus folgenden Grund nicht
nachvollziehbar: Es würden genauso viele Menschen als arm gelten, wenn das Einkommen aller verdoppelt würde. Sobald also mehr gut Verdienende ihr Einkommen versteuern, wird die Zahl der Armen – zumindest statistisch – steigen. Somit erwarte ich auch bei dem von Ihnen geforderten Bericht kaum andere Reaktionen als auf Bundesebene.
Obwohl die Definition des Armutsrisikos fragwürdig ist, wird man sich über die Entwicklung der Zahlen streiten. Die Probleme, die Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher und die wirklich Armen haben, werden dabei untergehen. Hinzu kommt, dass die von Ihnen geforderten Daten über die soziale Lage von Kindern, Jugendlichen, Älteren und Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit oder Einkommen zu großen Teilen bereits vorliegen. Sie selbst sprechen in dem Antrag die Sozialberichterstattung an. Des Weiteren gibt es die Berichterstattung über die Schuleingangsuntersuchungen, die des Landesbehindertenbeauftragten, des Statistischen Landesamtes oder der Bundesagentur für Arbeit. Insofern bezweifle ich, dass mittels dieser Berichterstattung wirklich neue Erkenntnisse gewonnen werden können.