Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Da muss es internationale Standards geben. Bankmanager, die sich verzockt haben und Bilanzrisiken verschleiern, dürfen sich ihren Abgang nicht noch mit Millionenabfindungen und Pensionszahlungen vergolden lassen. Sie müssen zur Verantwortung gezogen werden.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der CDU und den Grünen]

Eine weitere Lehre aus der Finanzkrise muss lauten: Das Einlagensicherungssystem muss überprüft und leistungsfähiger gemacht werden. Wir brauchen mehr Sicherheit gerade für Privatanleger. Das ist eine Aufgabe der Banken, nicht des Staates.

Wir müssen für mehr Transparenz bei innovativen Finanzprodukten sorgen. Die Risiken solcher Zertifikate dürfen nicht länger in den Bilanzen versteckt werden können. Es muss von Anfang an klar sein, wie hoch die Risiken sind, und dafür müssen die Geldhäuser Vorsorge treffen. Im Übrigen gehören bestimmte hochriskante und hochspekulative Finanzprodukte verboten, damit sie gar nicht erst auf den Markt kommen.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Dass Anleger etwa auf fallende Börsenkurse spekulieren und davon auch noch profitieren, wie es bei den „Leerverkäufen“ der Fall war, ist einfach nur pervers.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es geht bei all dem nicht um Millionäre, die ein Teil ihres Vermögens in Spekulationen investieren, sondern hier sind viele kleine Leute betroffen gewesen, die für ihre Rente Vorsorge getroffen haben. Es geht hier um Menschen, die 20 000 Euro zurückgelegt haben, die sie sich täglich für eine bessere Zukunftssicherung vom Munde abgespart haben. Und dies ist von heute auf morgen weg. Das darf nicht mehr hingenommen werden.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Und schließlich brauchen wir auch eine engere Zusammenarbeit der nationalen Finanzaufsichtsbehörden. In Europa wird derzeit an der Harmonisierung der Aufsicht gearbeitet. Wir brauchen ein internationales Frühwarnsystem. Eine gute Lösung wäre die enge Zusammenarbeit des Internationalen Währungsfonds mit dem Forum für Finanzstabilität, wie sie der Bundesfinanzminister vorschlägt. Das sind Chancen.

Jetzt gilt es, die Ströme des internationalen Geldmarkts wieder mit der Realwirtschaft in Übereinstimmung zu bringen. Wenn das gelingt, dann wird die aktuelle Krise eine Wende zum Guten werden können. Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Es gibt aber allen Grund, auch über die Finanzmarktpolitik hinaus deutlich zu machen, dass in den vergangenen Jahren von Teilen der Politik mitunter Irrwege propagiert wurden, ohne dass dort überhaupt noch kritisch nachgefragt wurde.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der naive Marktglaube hat zum Beispiel immer wieder zu einer Privatisierungsideologie geführt, die längst nicht in jeder Hinsicht vertretbar war. Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Öffentliches Eigentum, das der Daseinsvorsorge dient, darf nicht um eines kurzfristigen Erlöses willen verschleudert werden!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und erlauben Sie mir eine Bemerkung am Rande: Vielleicht setzt auch hinsichtlich der Bahnprivatisierung im Bund jetzt noch einmal das Nachdenken ein.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen – Unruhe bei der FDP]

Ja, Herr Lindner, wenn Sie das schön finden, dass der Bahnvorstand nach China und Russland fährt, um Oligarchen und Staatskonzernen Anteile anzubieten, damit dort die Politik der Bahn bestimmt werden kann, dann finden Sie das vielleicht schön. Ich finde es unerträglich für die Kundinnen und Kunden und für die Mobilität in Deutschland.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen – Dr. Martin Lindner (FDP): Sagen Sie doch, wer das bezahlen soll!]

Die Bahnprivatisierung ist nur eines der aktuellen Themen in diesem Zusammenhang. Wie man lesen kann, wird in Berliner FDP-Kreisen gerade wieder über Privatisierungsforderungen bezogen auf unsere BSR nachgedacht.

[Beifall bei der FDP]

Meinen Sie wirklich, das passt in die Zeit, Herr Lindner? – Lesen Sie weiter Herrn Merz mit seinen wunderbaren Heroisierungen des Kapitalismus, das passt zusammen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die Frage, vor der wir jetzt alle gemeinsam stehen, ist doch eher die, wie wir der Politik künftig noch Handlungsspielräume eröffnen können. Die Finanzkrise zeigt letztlich nicht die Ohnmacht, sondern die Notwendigkeit von gestaltender Politik. Natürlich können die gewaltigen Summen des Rettungspakets nicht aus der Portokasse kommen. Aber jetzt relativieren sich aktuelle Debatten über eine Schuldenbegrenzung der Länder. Das ist jetzt, glaube ich, eine theoretische Diskussion geworden.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das heißt nicht, dass wir den Grundgedanken der Haushaltskonsolidierung und der nachhaltigen Finanzpolitik aufgeben. Gerade in solchen Zeiten dürfen wir nicht denen hinterherlaufen, die sagen: Ist alles egal, wir haben nichts mehr zu gestalten. Nein! Wir werden konsequent unsere Handlungsspielräume zurückgewinnen für die Notwendigkeit von Investitionen in Bildung, Ausbildung, Wissenschaft, Forschung und Hochschule, damit wir die Handlungsfähigkeit des Staats auch weiter beweisen können.

In der Finanzkrise hat die Bundesregierung schnell und richtig gehandelt. Jetzt kommt es darauf an, das Rettungspaket schnell in Kraft zu setzen. Morgen wird der Bundestag in II. und III. Lesung über das Gesetz abstimmen, am Vormittag muss es der Bundesrat ratifizieren und ebenfalls zustimmen. Berlin wird sich seiner Verantwortung stellen. Berlin wird den Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte zustimmen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der Linkspartei und der FDP]

Die internationale Finanzkrise bedeutet einen Einschnitt. Aber Berlin wird seinen Weg weiter gehen. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass man mit überlegtem und verantwortungsvollem Handeln aus einer Finanzkrise herauskommt. Und wir werden trotz aller Einschläge den Weg der Sanierung, wie eben schon beschrieben, weiter beschreiten, denn es gibt keine Alternative dazu, wenn man an zukünftige Generationen denkt.

Auch in diesen für den Finanzmarkt so schwierigen Zeiten arbeiten wir daran, die Lasten des Berliner Ban

kenskandals abzutragen. Wir wollen die alten Probleme aus der Risikoabschirmung verkaufen. Viele haben sich die Frage gestellt: Ist das überhaupt der richtige Zeitpunkt? – Ich glaube, dass wir es versuchen sollten.

[Christoph Meyer (FDP): Heuschrecken!]

Ich kann mir vorstellen, dass der Zeitpunkt nicht der schlechteste ist. Wir werden den Markt testen, ob wir ein vernünftiges Ergebnis erzielen.

[Christoph Meyer (FDP): An wen verkaufen Sie, Herr Wowereit?]

Auch hier gilt die klare Aussage: Wenn nicht 100 Prozent der Risiken übernommen werden und wenn nicht ein vernünftiges Endergebnis dabei herauskommt, dann werden wir es nicht tun. Aber wir sollten es versuchen. Dann hätten wir das Kapitel Bankgesellschaft für uns positiv abgeschlossen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir können die Krise erfolgreich bestehen. Der Rettungspakt für die Banken zeigt: Wir sind der Krise des Marktes nicht ohnmächtig ausgeliefert. Die Politik ist der Krise gewachsen. Wir können durch konsequentes und verantwortungsvolles Handeln neue Gestaltungsmöglichkeiten gewinnen. Soziale Marktwirtschaft meint beides: Wettbewerb und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Dafür brauchen wir, das ist eine wichtige Lehre dieser Krise, eben einen starken Staat. Und dafür werden wir einstehen.

[Anhaltender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Für die Aussprache steht den Fraktionen jetzt jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Es beginnt gemäß Geschäftsordnung die stärkste Oppositionsfraktion. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, der Kollege Henkel, hat das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel!

[Dr. Martin Lindner (FDP): Wer hat denn regiert in den letzten zehn Jahren?]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in einer solch wichtigen Rede mehr Gemeinsames betonen und auf die eine oder andere Provokation verzichtet und nicht alles in einen Topf geworfen hätten.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Dennoch – wir freuen uns, dass sich Bund und Länder heute über das Rettungspaket der Bundesregierung geeinigt haben, auch in der Frage der Lastenverteilung. Ich danke allen Beteiligten, die damit den Weg für eine

schnelle und umfassende Lösung morgen im Bundestag und Bundesrat freigemacht haben.

Solidarität und zügiges Handeln sind das Wichtigste, was wir in dieser kritischen Zeit brauchen. Diese Solidarität sollte auch in unserem Hause gelten. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister, bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen die Unterstützung der CDU-Fraktion zu.

[Beifall bei der CDU]

Ich bin optimistisch, dass das Stabilisierungspaket einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Krise leisten wird. Die Menschen dürfen nicht in Angst um ihr Erspartes leben. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Finanzsystem muss wieder gestärkt, die Liquidität der Banken wieder hergestellt werden. Und auch die Banken müssen untereinander wieder Vertrauen fassen. Darauf kommt es jetzt an.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben völlig recht: Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass es nicht darum geht, den Banken Geld hinterherzuwerfen und dann so zu tun, als ob nichts gewesen wäre. Deshalb sagen wir: Die Bewältigung der Krise muss unter den Rahmenbedingungen der sozialen Marktwirtschaft erfolgen – im Ausgleich von Freiheit und Sicherheit. Die massive Finanzkrise hat erneut bestätigt, dass der zügellose Kapitalismus nicht funktioniert, genauso wenig wie staatliche Zwangswirtschaft und Sozialismus.

[Beifall bei der CDU]

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass eine generelle Marktbereinigung in der aktuellen globalen Krise keine akzeptable Option ist. Es geht nicht nur um einzelne Marktteilnehmer, die sich verzockt haben, sondern um ein ganzes System, das in einer existenziellen Krise steckt und das sich offenbar aus eigener Kraft nicht aus der selbstverschuldeten Misere befreien kann.