Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass eine generelle Marktbereinigung in der aktuellen globalen Krise keine akzeptable Option ist. Es geht nicht nur um einzelne Marktteilnehmer, die sich verzockt haben, sondern um ein ganzes System, das in einer existenziellen Krise steckt und das sich offenbar aus eigener Kraft nicht aus der selbstverschuldeten Misere befreien kann.

[Henner Schmidt (FDP): Wieso selbstverschuldet?]

Wenn wir die Banken vor die Wand fahren ließen, hätte dies nicht absehbare Folgen für Wohlstand und Arbeitsplätze. Deshalb muss der Staat temporär eingreifen, um die Stabilität des Finanzplatzes zu sichern. Aber sein Engagement muss mit Kontrolle einhergehen. Das ist mir auch deshalb wichtig, weil es kein tragfähiges Konzept sein kann – auch hier teile ich Ihre Meinung, Herr Regierender Bürgermeister –, Gewinne zu privatisieren und Verluste einfach zu sozialisieren.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es kann deshalb kein tragfähiges Konzept sein, weil es den Menschen nicht zu vermitteln ist. Die Banken dürfen mit hart erarbeiteten Steuergeldern nicht nach Belieben schalten und walten können, sondern sie müssen dafür Einflussnahme akzeptieren. Deshalb begrüße ich es, dass das Rettungspaket der Bundesregierung harte Auflagen

für Banken enthält, die Leistungen des Stabilisierungsfonds bekommen.

Es ist auch richtig, dass der Staat Einfluss auf die Geschäftspolitik erhält, wenn er zur Rekapitalisierung der Unternehmen Anteile erwirbt. Wir halten es für dringend geboten, aus der aktuellen Krise die erforderlichen Lehren zu ziehen und die internationalen Finanzregeln kritisch zu überprüfen, wie es übrigens Bundeskanzlerin Merkel bereits vor geraumer Zeit angemahnt hat.

Kommen wir zu Berlin und den Herausforderungen, die sich aus der Finanzkrise ergeben. Das betrifft zum einen die wirtschaftliche Perspektive. IHK-Präsident Schweitzer rechnet damit, dass die Finanzkrise Berlin hart treffen wird. Das hat er heute in einem Interview erklärt. Jetzt, auch vor dem Hintergrund dieser Krise, rechnen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihren Herbstgutachten nur noch mit einem Wachstum von 0,2 Prozent im kommenden Jahr. Für Berlin würde ein solches Szenario nach den Erfahrungen der letzten Jahre ein Minuswachstum bedeuten. Gerade weil Berlin strukturschwach ist, weil es die bundesweit höchste Arbeitslosigkeit hat, würde die Stadt von einer Kreditklemme und einem konjunkturellen Abschwung besonders hart getroffen. Deshalb sind wir umso mehr gefordert, nicht nur über unseren Anteil an den Finanzhilfen für die Banken nachzudenken, sondern auch darüber, wie wir die Berliner Wirtschaft in die Lage versetzen können, stärker zu wachsen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und damit auch besser unseren Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands leisten zu können.

[Beifall bei der CDU]

Das, Herr Regierender Bürgermeister, ist der entscheidende Vorwurf, der Ihnen gemacht werden muss: Berlin hinkt dem übrigen Bundesgebiet seit Jahren in der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher, und Sie haben dieser Abkopplung tatenlos zugesehen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Sie haben es versäumt, die Berliner Wirtschaft in den Zeiten des Aufschwungs krisenfest zu machen und den Rückstand zu den anderen Ländern aufzuholen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Anstatt Investoren willkomen zu heißen, haben Sie diese verprellt und, wie etwa das Beispiel Tempelhof zeigt, als reiche Onkel aus Amerika diffamiert.

[Martina Michels (Linksfraktion): Ach Gott!]

Jetzt müssen Sie sich darauf vorbereiten, in einem Ernstfall vor allem unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen unter die Arme zu greifen. Sie müssen jetzt dafür sorgen, dass Programme entwickelt werden, zum Beispiel über die landeseigene Investitionsbank, um strauchelnden mittelständischen Unternehmen mit dünner Eigenkapitaldecke unter die Arme zu greifen. Wie ich höre, gibt es bereits Gespräche dazu. Diese müssen jetzt schnell abgeschlossen werden, um das Vertrauen und die

Zuversicht auch innerhalb der Berliner Wirtschaft wieder zu stärken.

Der zweite große Vorwurf, der Ihnen gemacht werden muss, Herr Wowereit, ist, dass Sie die Risiken aus der Finanzkrise haushaltspolitisch ausblenden. Damit meine ich nur zum einen Teil die Risiken, die sich aus den Bürgschaften ergeben können. Der Bund rechnet mit einer Ausfallquote von fünf Prozent, was für Berlin, Sie haben es angedeutet, ohne Zweifel eine schwere Last ist, die im Haushalt aber abgebildet werden muss. Und das ist nur eine Seite der Medaille. Denn ebenso schwer wiegen die konjunkturellen Risiken und der damit verbundene Verlust an Steuereinnahmen. Sie, Herr Sarrazin, haben erst von eineinhalb Wochen erklärt, dass in Ihrer Planung weder die aktuelle Finanzmarktkrise noch ein möglicher Wirtschaftsabschwung einbezogen worden sind. Ich meine, das ist ein schweres Versäumnis und neben den steigenden Pensionslasten und dem Abschmelzen der Solidarpaktmittel eines der großen Risiken in Ihrer Planung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Im Übrigen würde sich die wirtschaftliche Entwicklung auch ohne Finanzmarktkrise irgendwann entsprechend den Zyklen abschwächen. Auf diese Risiken weisen wir als CDU-Fraktion seit langer Zeit hin.

Der Finanzsenator will trotz alledem am Ziel der Haushaltskonsolidierung festhalten,

[Frank Zimmermann (SPD): Gut so!]

ein hehres Ziel, das wir ordnungspolitisch unterstützen. Aber Sie müssen auch erklären, welche Schritte erforderlich sind, um in der jetzigen Situation dieses Ziel zu erreichen. Berlin wird seinen Beitrag nur dann leisten können, wenn Vertrauen und Sicherheit wiederhergestellt werden, Vertrauen darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht über die Finanzlage ihrer Stadt getäuscht werden, und Sicherheit in dem Versprechen des Senats, auch verlässlich finanziert zu sein. Deshalb sind Sie gefordert, endlich ein zukunftsfähiges ordnungspolitisches Konzept vorzulegen.

Wir fordern Sie auf, dieses Konzept mit einer seriösen Finanzplanung zu unterlegen, die auf die wirtschaftliche Entwicklung Berlins gerichtet ist, und wir fordern Sie auf, wegen der inzwischen eingetretenen Entwicklungen den Haushalt für 2009, dessen Zahlen Makulatur geworden sind, mit einem Nachtragshaushalt zu korrigieren.

[Beifall bei der CDU]

Vertrauen schaffen, aber einer möglichen Krise ins Auge zu blicken – wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die politisch Verantwortlichen müssen Realismus walten lassen, gerade in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, gerade hier in Berlin. Wir müssen uns mit aller Kraft gegen die Krise stemmen, und trotzdem müssen wir gewappnet bleiben und weitere Vorbereitungen treffen.

Die Finanzkrise wird Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben, aber niemand kann heute einschätzen, wie dramatisch diese Störungen letztendlich durchschlagen.

Diese Prognosen sind schwer zu treffen. Ich möchte dazu auf die Einschätzung des amerikanischen Präsidenten verweisen, der trotz der massiven Krise an den Finanzmärkten gesagt hat:

Das elementare Wirtschaftsleben des Landes, das heißt, die Produktion und Verteilung von Gütern, steht auf einer gesunden, prosperierenden Basis.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Dieser Präsident war Herbert Hoover, und er sagte diesen Satz vor gut 79 Jahren, am 25. Oktober 1929, vier Tage vor Beginn einer lang anhaltenden Weltwirtschaftskrise. Auch die aktuelle Finanzkrise, die wir jetzt erleben, birgt große Gefahrenpotenziale. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Aber die heutige Situation unterscheidet sich von der damaligen in einem entscheidenden Punkt: Die Welt ist heute alarmiert und bereit, in einer konzertierten Aktion zu handeln. Die wichtigen nationalen und internationalen Akteure gehen das Problem gemeinsam an. Niemand kann einen Erfolg dieser Schritte garantieren, aber es gilt, alles zu tun, was getan werden muss. Deutschland wird mit seinem Maßnahmenpaket einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Das ist gut für unser Land und für die Menschen in unserem Land. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke, Herr Kollege Henkel! – Für die SPD-Fraktion hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende, der Kollege Müller, das Wort. – Bitte schön, Herr Müller!

[Oliver Scholz (CDU): Den haben wir aber lange nicht gehört!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Aktuellen Stunde anders als andere Landesparlamente die Chance haben, über die Finanzkrise zu sprechen, und dass es möglich war, dass wir so aktuell vom Regierenden Bürgermeister über die Ergebnisse dieser Verhandlungsrunden informiert wurden.

Diese Finanzkrise ist mit Sicherheit eine der größten politischen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Weltweit fahren die Börsen Achterbahn, Banker rufen nach Verstaatlichung und damit nach nichts anderem als nach Sozialisieren ihrer Verluste. Mit Billigung der EU ist über Nacht möglich, was noch vor wenigen Tagen undenkbar war: staatliche Eingriffe, Hilfen, Verstaatlichung von Banken. Ganzen Ländern kann mit staatlichem Geld länderübergreifend geholfen werden. Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung – der Regierende Bürgermeister hat darauf hingewiesen –, wenn man sich noch vergegenwärtigt, wie schwierig es für uns war, bei der EU durchzusetzen, dass wir unserer Bank mit unserem Geld helfen. Offensichtlich haben da einige Wettbewerbsfanatiker auf der EU-Ebene dazugelernt. Auch das ist ein gutes Signal.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Trotz einiger vereinzelter Hilfen in den letzten Tagen und Wochen hat sich die Lage noch nicht beruhigt. Es sieht so aus, als ob uns nach den Exzessen der vergangenen Jahre nun die Rechnung präsentiert wird. Mit den unkontrollierten Entwicklungen, die wir beobachten, mit Renditeversprechungen in zweistelligem Bereich innerhalb kürzester Zeit, mit all diesen Dingen, die nun weltweit geplatzt sind, gibt es doch eine eindeutige Botschaft: Private und der Markt können auch nicht alles besser.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Nun ist die Frage: Wie sehr darf und muss der Staat an dieser Stelle eingreifen, wie kann er in diesen Krisenzeiten Märkte stützen und stabilisieren? Die Antwort ist nicht einfach. Für mich ist klar: Es ist richtig, dass der Staat schnell und umfassend eingreift und dass es dazu eine Abstimmung auf der europäischen Ebene gibt. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen: Das, was hier passiert, ist keine Hilfe für Banker oder einzelne Banken. Viele fragen in den letzten Tagen danach, was da los ist: Warum habt ihr auf einmal so viel Geld? Es gibt doch ganz andere Dinge, die viel wichtiger sind und finanziert werden müssten als das, was ihr mit so viel Geld macht. –

Aber man muss da immer wieder sagen: Diese 500 Milliarden Euro sind eine theoretisch angenommene Größenordnung, die jetzt wichtig ist, um stabile Wirtschafts- und Finanzsysteme herzustellen. Nur mit diesen stabilen Systemen ist es möglich, weiterhin Ausgaben in der Sozialpolitik, im Bildungsbereich, im Gesundheits- und Wissenschaftsbereich überhaupt vornehmen zu können. Niemand kann ein Interesse an zusammenbrechenden Systemen haben. Das ist das Entscheidende, und deswegen helfen wir ganz konkret mit diesem Paket den Privatleuten. Wir helfen denjenigen, die Sparkonten haben, die Alterssicherungen haben. Wir helfen kleinen und mittleren Unternehmen. Wir helfen denjenigen, die Arbeitsplätze haben, und denjenigen, die Arbeitsplätze suchen. Darum geht es um bei den Maßnahmen für dieses Stabilitätspaket.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Klar ist aber auch: So eine umfassende Hilfe kann es nur geben mit einer Gegenleistung und mit einem grundlegenden Mentalitätswechsel in der Kreditwirtschaft. Die Transparenz aller Geschäfte in der Kreditwirtschaft ist gefordert. Es muss internationale Abkommen darüber geben, auf welcher Basis die Banken eigentlich zusammenarbeiten. Es wird auch Anforderungen an die geschäftspolitische Ausrichtung der Banken geben, die Hilfe in Anspruch nehmen.

Auch wenn einige hier gerade wieder laut aufgestöhnt haben, und vielleicht ist es auch nur ein kleiner und symbolischer Akt: Aber es ist wichtig, in diesem Zusammenhang Festlegungen für eine persönliche Haftung derjenigen zu treffen, die da Verantwortung tragen und uns in dieses Schlamassel geführt haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Was der Regierende Bürgermeister ausgeführt hat, ist ja nichts Theoretisches, auch wenn es sich so unwirklich anhört. In den letzten Wochen noch hat bei Merrill Lynch, dieser Bank in Amerika, ein Manager für 52 Milliarden Dollar Verlust geradestehen müssen. Er hat seinen Sessel räumen müssen. Diesen schmerzlichen Einschnitt hat er allerdings mit einer Abfindung von 161 Millionen Dollar versüßt bekommen. Das ist ein Skandal, und nichts anderes!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Man kann an dieser Stelle den Zorn der Menschen verstehen, die sagen: Hier muss es Regulierungen geben. Wenn alle Steuerzahler mit so einem Fonds helfen – und nichts anderes ist es, was hier passiert – und dann einige tatsächlich darüber diskutieren wollen, ob Gehaltsobergrenzen oder Haftungsregeln wirklich nötig sind, dann zeigt das, wie verkommen dieses ganze System ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich will noch eine Konsequenz ansprechen, die ich aus den letzten Tagen ziehe. Ich will es klar sagen: Die BaFin brauche ich nicht. Die kann man abschaffen. Auf ihrer Startseite im Internet steht:

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, ist im öffentlichen Interesse tätig. Ihr Hauptziel ist es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres deutsches Finanzsystem zu gewährleisten. Bankkunden, Versicherte und Anleger sollen dem Finanzsystem vertrauen können.