Protokoll der Sitzung vom 14.12.2006

Bitte schön, Herr Henkel!

Herr Kollege Meyer! Teilen Sie die Auffassung, dass es eine fundamentale Missachtung des Parlaments ist, wenn bei einer solchen Debatte über den Nachtragshaushalt der Herr Finanzsenator die ganze Zeit Zeitung liest?

[Unerhört! von der CDU]

Herr Meyer, bitte schön!

Herr Henkel! Ich glaube, es reiht sich in die schnoddrigarrogante Art des Finanzsenators ein, mit der er bereits in der letzten Legislatur mit Anträgen der Oppositionsfraktionen umgegangen ist, was den Doppelhaushalt 2002/ 2003, die mittelfristige Finanzplanung und den Nachtragshaushalt jetzt angeht.

[Evrim Baba (Linksfraktion): Das ist unverschämt!]

Wenn Sie den Hauptausschuss besuchen und die Beantwortung der Fragen von Herrn Sarrazin gerade zu der Thematik Nachtragshaushalt hören, würden Sie das als eine Reihe wahrnehmen. Deswegen haben Sie recht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zurufe von Wolfgang Brauer (Linksfraktion) und Elke Breitenbach (Linksfraktion)]

Wie gesagt, die letzte und einfachste Begründung, weswegen ein Nachtragshaushalt vorgelegt werden muss, ist eben die zu hohe Kreditermächtigung. Wenn Sie, Herr Zackenfels, ähnlich wie Herr Sarrazin, die Argumentationslinie vertreten, dass durch den Haushaltsvollzug ein Haushaltsgesetz verfassungskonform wird, muss man sich nicht mehr wundern, warum wir in Karlsruhe verloren haben, weil diese grottenschlechte juristische Argumentation genau immer in diese Sackgassen führt, in denen Sie anschließend entweder vom Landesverfassungsgerichtshof oder vom Bundesverfassungsgericht eine Backpfeife bekommen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

In die selbe Richtung geht dies, Herr Wechselberg: Wir haben Sie im Vorfeld des Karlsruher Urteils mehrfach gewarnt. Wir haben Sie und Herrn Sarrazin mehrfach aufgefordert, im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nachzubessern. Das war übrigens einer der Gründe, warum wir die mittelfristige Finanzplanung jährlich vorgelegt haben wollen, damit das Sanierungskonzept Ihres rot-roten Senats erneuert werden kann und nicht das Bundesverfassungsgericht auf Basis von Zahlenmaterial vom Jahr 2003 entscheiden wird. Das haben Sie mit der selben arroganten Art – die Herr Henkel gerade zu Recht angesprochen hat – in den Wind geschlagen. Sie haben die Konsequenz im Oktober bekommen. Deswegen haben wir – alle drei Oppositionsfraktionen – in den letzten Monaten so intensiv versucht, Sie hier wieder auf einen Weg zurückzuführen, einen verfassungskonformen Haushalt zu erreichen.

Ich bitte Sie – es ist nicht das erste Mal, dass Sie diesen Antrag im Hauptausschuss vertagt haben, sondern schon das zweite Mal –, dass Sie das über die Weihnachtspause noch einmal ganz intensiv prüfen. Wenn Sie das nicht tun, zwingen Sie uns wieder vor das Landesverfassungsgericht. – Ich möchte Ihnen kurz die Konsequenzen aufzeigen; das habe ich gestern schon im Hauptausschuss getan. Das ist folgende: Wenn wir das Haushaltsgesetz 2006/ 2007 vom Landesverfassungsgerichtshof für nichtig erklären lassen müssen, dann ist keine Grundlage mehr da, dass ein Nachtragshaushalt verabschiedet werden kann. Dann haben wir eine vorläufige Haushaltswirtschaft, dann können Sie noch einmal ganz von vorne anfangen. Das wollen wir allen hier ersparen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Meyer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Überweisungen hatte das Haus schon bestätigt.

Unter der

lfd. Nr. 5 c:

a) I. Lesung

Zehntes Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin

Antrag der FDP Drs 16/0103

b) I. Lesung

Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin: absolute Mehrheit für die Wahl des Regierenden Bürgermeisters

Antrag der Grünen und der CDU Drs 16/0109

rufe ich nun die Priorität der FDP auf. Diese Tagesordnungspunkte sind vertagt.

Die Fraktion der SPD hat für die heutige Sitzung auf die Benennung einer Priorität verzichtet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5 e:

Dringlicher Entschließungsantrag

Missbilligung der Staatssekrektärin Almuth Nehring-Venus

Antrag der CDU, der Grünen und der FDP Drs 16/0117

Ich weise darauf hin, dass es sich hierbei um keine Missbilligung im Sinn des § 45a unserer Geschäftsordnung handeln kann, da diese Vorschrift ausschließlich für die Missbilligung des Verhaltens des Regierenden Bürgermeisters oder einzelner Senatoren gilt. – Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Für die Fraktion der CDU spricht Herr Henkel. – Bitte schön, Herr Henkel, Sie haben das Wort! – Es gibt hierzu eine namentliche Abstimmung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beratung steht eine Entschließung auf Missbilligung gegen Wirtschaftsstaatssekretärin Nehring-Venus. Worum geht es? – Die PDS-Politikerin hat am 30. November in ihrer damaligen Funktion als Pankower Stadträtin die Ausstellung Prenzlauer/Ecke Fröbelstraße eröffnet. Die Eröffnung insbesondere einer solchen Ausstellung, in der die wechselvolle Geschichte eines Areals behandelt wird, das als NKWD- und später als Stasigefängnis diente, erfordert von jedem eine besondere Sensibilität. Aber Frau Nehring-Venus hat genau diese Sensibilität vermissen lassen. Die Ausstellung sei nicht differenziert genug, hat sie in ihrer Rede kritisiert. Und weiter: Die Bewertung von For

schungsergebnissen von Historikern hänge immer auch von gesellschaftlichen Machtverhältnissen ab.

Wenn der Rest der Rede nicht so relativistisch, so rückwärtsgewandt gewesen wäre, möchte man Frau NehringVenus fast mitleidig zurufen: Verehrte Frau, das hat ganz sicher für das Regime gegolten, in dem Sie bis 1989 gelebt und gearbeitet haben, in dem Sie durch Ihre journalistische Tätigkeit für das „Neue Deutschland“ und die „Junge Welt“ ganz sicher eine sehr einseitige, propagandistische Sicht auf die Dinge gewonnen haben. Heute allerdings ist Meinungspluralität gewährleistet, und das Recht auf freie Meinungsäußerung zählt zu den Grundrechten.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber die Rede von Frau Nehring-Venus lässt in ihrer Gesamtheit einen solchen mitleidigen Umgang nicht zu. Etliche Passagen triefen vor unsäglicher Geschichtsklitterung. Frau Nehring verklärt, beschönigt und verharmlost die Zwangsvereinigung zwischen SPD und KPD; sie relativiert und verherrlicht die Deutschlandpolitik eines Massenmörders, wie es Stalin war. Sie stellt die Rolle der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten im Nachkriegsdeutschland auf eine Stufe, noch perfider: Sie erhöht die Rolle der Sowjetunion und stellt ein Land, das den Mauerbau unterstützt und befördert und damit die Spaltung unserer Nation für viele Jahre zementiert hat, als Vorkämpfer der deutschen Einheit dar. Mit ihren Äußerungen hat sie sich aus Sicht meiner Fraktion für ein hochrangiges politisches Amt in der Berliner Landespolitik disqualifiziert.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die Oppositionsfraktionen haben den Senat deshalb frühzeitig aufgefordert, von der Personalie Nehring-Venus Abstand zu nehmen. Der Regierende Bürgermeister Wowereit hat sich in dieser Frage jedoch weder zu Wort gemeldet noch den Bedarf gesehen, die Personalie öffentlich zu missbilligen oder gar zu stoppen. Nach der Ernennung zur Wirtschaftsstaatssekretärin stehen wir nun vor vollendeten Tatsachen. Das Mindeste, was wir jetzt tun können, ist, die PDS-Politikerin für ihren Auftritt zu missbilligen. Dabei hege ich keine Hoffnung, dass die anwesenden Abgeordneten der PDS dem vorliegenden Missbilligungsantrag zustimmen werden. Frau Bluhm hat ja bereits kurz nach der Rede gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, das Thema habe sich beruhigt und müsse nicht weiter kommentiert werden. Wirtschaftssenator Wolf schlug in dieselbe Kerbe. Denn offenbar hat Frau Nehring-Venus nur das ausgesprochen, was viele in der PDS immer noch denken.

Aber ich appelliere an Ihr Gewissen, meine Damen und Herren von der SPD, und fordere Sie auf, ein deutliches Zeichen zu setzen. Ist die SPD mittlerweile so tief gesunken, dass sie sich in eine geschichtsvergessene und unkritische, ja geradezu sklavische Abhängigkeit von der PDS begibt? Ist sie zu einer Partei geworden, die aus Sorge um eine kümmerliche parlamentarische Mehrheit ihre eigene

Identität verleugnet? Trifft es Sie denn gar nicht, wenn die Zwangsvereinigung von KPD und SPD von einer Staatssekretärin Ihrer Regierung bagatellisiert wird? – Es geht heute für Sie, Herr Müller, Herr Gaebler und meine Damen und Herren von der SPD, nicht darum, ein geschlossenes Bollwerk gegen die Opposition aufzubauen, sondern vielmehr um die Frage: Welche Verantwortung ergibt sich für Sie aus Ihrer eigenen Geschichte?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

1946 hat der damalige SPD-Landesvorsitzende Franz Neumann einen heldenhaften und letzten Endes erfolgreichen Kampf gegen die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in den Westsektoren geführt. Im Berliner Admiralspalast, umzingelt von sowjetischen Panzern, konnte Neumann am 1. März 1946 die sozialdemokratischen Funktionäre für eine Urabstimmung gewinnen. Er legte damit in einer dramatischen Situation den Grundstein für den Fortbestand und die Eigenständigkeit der Berliner SPD.

Ich sage das deshalb, Kollege Müller und Herr Gaebler, weil Franz Neumann nicht zuletzt wegen dieses leidenschaftlichen Kampfs 1971 zum Ehrenbürger unserer Stadt ernannt wurde und sein Bild in unmittelbarer Nähe zum Plenarsaal hängt. – Meine Damen und Herren von der SPD, Sie treffen also heute unter seinen Augen eine schwerwiegende Entscheidung über Werte, Tradition und Geschichtsbewusstsein der Berliner SPD. Deshalb prüfen Sie sich selbst, prüfen Sie Ihre eigenen Maßstäbe. Lassen Sie sich von einigen Politchamäleons in den Reihen Ihres kleineren Koalitionspartners nicht schon wieder auf der Nase herumtanzen. Setzen Sie heute mit uns gemeinsam ein deutliches Zeichen, machen Sie bei der Abstimmung klar, dass es in diesem Hause noch aufrechte Sozialdemokraten gibt! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Henkel! – Für die Fraktion der SPD hat der Kollege Gaebler das Wort! – Bitte schön, Herr Gaebler!

[Mieke Senftleben (FDP): Das ist ein Aufrechter!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD ist und war sich der besonderen Verantwortung bewusst, die mit der Koalition mit der PDS, jetzt Linkspartei, verbunden ist. Wir haben im Jahr 2002 darauf bestanden, dass die Koalitionspartner eine eindeutige Bewertung von Mauer und Stacheldraht, von SED-Unrechtstaten und DDR-Diktatur schriftlich niederlegen. In der PDS, jetzt Linkspartei, hat dies den Prozess der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit vorangetrieben. Vor diesem Hintergrund haben wir kein Verständnis dafür, dass es immer wieder zu Situationen kommt, in denen Vertreterinnen oder Vertreter der Linkspartei den Eindruck erwecken,

Teile der genannten klaren Verurteilung zu relativieren oder zu ignorieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob das durch Nichthandeln geschieht wie im Fall der Diskussionsveranstaltung in Hohenschönhausen, bei der der damalige Senator Thomas Flierl nicht einschritt, als ehemalige Stasimitarbeiter die Opfer verhöhnten, oder durch eigene Äußerungen wie im Fall Nehring-Venus.

Diese bewussten oder unbewussten Versuche der Anbiederung an die Ewiggestrigen können und werden wir nicht akzeptieren.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]