Protokoll der Sitzung vom 15.01.2009

Zum Antrag Drucksache 16/2035 unter dem Tagesordnungspunkt 27 empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Hauptausschuss, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion der CDU

lfd. Nr. 4 a:

a) I. Lesung

Kinderlärm ist Zukunftsmusik I – Gesetz zur Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes Berlin

Antrag der CDU Drs 16/2029

b) Antrag

Kinderlärm ist Zukunftsmusik II – in den Bericht über Änderungen zum Lärmschutz in Berlin den Schwerpunkt Kinderlärm aufnehmen

Antrag der CDU Drs 16/2030

c) Antrag

Kinderlärm ist Zukunftsmusik III – Hausmusik von Kindern fördern und nicht verbieten

Antrag der CDU Drs 16/2031

d) Antrag

Kinderlärm ist Zukunftsmusik IV– jedes Kind soll ein Instrument erlernen dürfen

Antrag der CDU Drs 16/2032

Das ist der Tagesordnungspunkt 7. – Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der CDU. Das Wort hat Frau Abgeordnete Demirbüken-Wegner. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es besteht heute Einigkeit darüber, dass Kinder Platz zum Toben und die Gelegenheit zum Spielen brauchen. Kitas, Spielplätze und Sportplätze sind mindestens ebenso nötig wie zusätzliche Krippenplätze und Ganztagsschulen, gehören zu Wohngebieten und in den Sozialraum, damit der Kontrakt zur nachwachsenden Generation nicht völlig verloren geht. Wir sind kinderfreundlich, Berlin ist kinderfreundlich – alle Parteien haben sich Kinderfreundlichkeit auf die Fahne geschrieben.

Doch Lärm und Geräusche von spielenden Kindern werden immer häufiger zum Streitfall. Dann wird auf der Grundlage des Bundesimmissionsschutzgesetzes über das Kindeswohl entschieden, denn dort sind Lärm und Lärmbelästigung definiert. Kinderlärm und inwieweit er zumutbar ist, ist dort wiederum nicht geregelt. Während in der Vergangenheit der gewöhnliche Kinderlärm auch vieler Kinder noch als eine generell sozial adäquate Lebensführung angesehen wurde und somit auch tagsüber hinzunehmen war, entscheiden Gerichte heute immer häufiger gegen die Kinder. Natürlich sind Kinder laut, oft nervig, manchmal schlecht erzogen, und man muss ihnen als Nachbar keineswegs alles durchgehen lassen. Doch eine gesetzliche Klarstellung, dass Kinder sich wie Kinder verhalten dürfen, fehlt in Berlin. Deshalb können Gerichte bei Klagen von Nachbarn keine juristische Abwägung gegenüber den eingeforderten Bürgerrechten durchführen.

[Beifall bei der CDU]

Da seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 sogenannter sozialer Lärm Angelegenheit der Länder ist, können und müssen sie Kinderlärm eigenständig vom Gewerbelärm oder Verkehrslärm abgrenzen und so zu bestimmten Zeiten erlauben. Deshalb schlagen wir vor, das Berliner Landesimmissionsschutzgesetz in § 6 – unser Antrag Drucksache 16/2029 – so zu ergänzen, dass Kinderlärm von Kindertageseinrichtungen und Schulen von Verboten ausgenommen wird. Dadurch wird ein Teil von Kinderschutz praktiziert und die freie Entfaltung der Kinder gewährleistet.

Der zweite Antrag – Drucksache 16/2030 – soll dazu dienen, dass die Auswirkungen der Gesetzesänderung auch turnusmäßig in dem zu erstellenden Bericht über „Auswirkungen der Änderung zum Lärmschutz in Berlin“ dargestellt werden.

Außerdem möchten wir mit unserem dritten Antrag – Drucksache 16/2031 – den Senat auffordern, die Voraussetzungen für die musische Bildung von Kindern im familiären und häuslichen Bereich zu gewährleisten und hierfür den entsprechenden Ausführungsrahmen zum Lärmschutzgesetz zu erarbeiten. Auch hier hoffen wir auf die Unterstützung aller Fraktionen, damit der Senat zum Handeln ermuntert wird.

Neben diesen drei Anträgen zur Verbesserung der Kinderrechte im Lebensalltag möchten wir mit unserem vierten Antrag – Drucksache 16/2032 – die Musikerziehung aller Kinder in den Vordergrund stellen. Wir möchten, dass alle Kinder über das Spielen eines Instruments den Zugang zur Musik erhalten. Wir alle wissen, dass Bewegung und gesunde Ernährung für Kinder wichtig sind. Wir alle wollen, dass sich Kinder kreativ und gut erzogen entwickeln. Und wir alle wissen auch, dass hierfür die Musik eine Schlüsselrolle spielt. Musik hat keine unterschiedlichen Sprachen und keine Verständigungsprobleme. Musik – vor allem Instrumentalmusik – wird gemeinschaftlich erlernt und gespielt. Musik folgt festen Regeln und entwickelt dadurch ihre Harmonie. Was also könnte für unsere Kinder besser sein, als ein Instrument zu erlernen und all diese für die Erziehung und Entwicklung eines Kindes so wichtigen Eigenschaften bei Spiel und Spaß zu erkennen?

Deshalb möchten wir mit unserem Antrag erreichen, dass, ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen, auch in Berlin jedes Schulkind die Möglichkeit erhält, ein Instrument in der Schule zu erlernen. Eine Kampagne für mehr musische Erziehung trägt mehr zum sozialgesellschaftlichen Verständnis von Regeln und harmonischem Zusammenleben bei, als Kinderrechte als zahnlose Papiertiger in die Verfassung zu schreiben oder Klagen von Nachbarn gegen Kinderlärm grundsätzlich zu verbieten. Wir möchten mehr Toleranz und mehr Verständnis für Kinder und für unsere Kinder eine Erziehung, die gesellschaftliche Regeln achtet. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Demirbüken-Wegner! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Herr Abgeordnete Buchholz das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen, meine Herren! Frau Demirbüken-Wegner! Wir sind uns, was die Zustandsbeschreibung angeht, was das Problem angeht, dass offensichtlich die Gesellschaft heute, die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, mit Kin

Kinderlärm viel schlechter umgehen kann – und das auch bis zur Gerichtsverhandlung so entschieden wird –, dass es ein Problem ist, das es anzugehen gilt, völlig einig. Ich kann für die SPD, für die Koalitionsfraktionen – ich vermute, für alle Fraktionen hier im Parlament – sagen, Kinderlärm ist Zukunftsmusik, wie Sie es sagen. Wir sagen: Kinderlärm – ja bitte, denn es ist die Zukunftsmusik für unser Land. Wir sollten alles dafür tun, dass Menschen dazu animiert werden, Kinder zu bekommen, sie großzuziehen. Wir sollten ihnen das nicht schwerer, sondern einfacher machen. Dafür steht die SPD, ich glaube, auch die anderen Fraktionen hier im Haus.

[Beifall von Dr. Fritz Felgentreu – Michael Schäfer (Grüne): Ich kann gern eine CD mit Kinderlärm brennen!]

Immerhin sieht ein Abgeordneter das auch so! Das freut mich! Ich glaube der Kollege Schäfer erzählt jetzt aus persönlicher Betroffenheit, dass bei ihm zu Hause der Kinderlärm nicht so schön ist. Da haben Sie absolut recht, das kann jeder nachempfinden, der das kennt, ob nun persönlich oder über Freunde. Das ist aber die persönliche Betroffenheit.

Aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. In dem Moment, wo nicht allen klar ist, was es heißt, dass es auch in einem Wohngebiet möglich sein muss, einen Kindergarten einzurichten, diesen zu betreiben und dass natürlich zu bestimmten Zeiten dort auch Lärmimmissionen auftreten, gibt es Probleme. Das normalen Menschen klar zu machen, fällt leider immer schwerer. Wir haben im Oktober 2008 seitens der SPD-Fraktion erstmals gefordert, Kinderlärm zu privilegieren. Er kann und darf nicht mit dem Lärm von Maschinen, Industrieanlagen oder gar Autobahnen gleichgesetzt werden. Kinderlärm ist definitiv anders zu behandeln als andere Lärmquellen. Das muss so sein. Anders kommen wir zu keiner vernünftigen Regelung für Berlin.

Wenn man sich aber alle vier Anträge anschaut, Frau Demirbüken-Wegner und Herr Steuer – Sie haben die Anträge unterschrieben –, dann sieht man, dass es einen Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ gibt. Leider ist das hier sehr deutlich zu merken. Sie haben mit allen Anliegen, die ihren Anträgen zugrunde liegen, recht, aber leider sind die Wege, die Sie beschreiten wollen, aus unserer Sicht schlecht bis gar nicht geeignet, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Man sieht das an den Antragsformulierungen: Sie haben sich in den Begründungen viel Zeit und Raum genommen, sich für eine Bevorzugung von Kinderlärm auszusprechen, aber auf konkrete Gesetzesänderungen und deren Wirkung sind Sie leider nicht eingegangen. Das ist schade.

[Sascha Steuer (CDU): Besser machen!]

Herr Steuer! Wir haben ganz bewusst gesagt, dass wir die Privilegierung von Kinderlärm von Juristen im Einzelnen durchleuchten lassen müssen. Es gibt konkurrierendes Bundes- und Landerecht, das Landesimmissionsschutzgesetz und die Baunutzungsordnung, die beispiels

weise vorschreibt, wo eine Kita errichtet werden darf. Letztere sollten wir zusammen angehen.

[Felicitas Kubala (Grüne): Dann macht doch mal!]

Wir sind bereits mit Bundestagsabgeordneten im Gespräch, Frau Kollegin Kubala, was man daran ändern müsste. Es ist aber leider keine einfache Materie. Das sieht man deutlich an dem CDU-Antrag. – Das, was Sie vorschlagen, ist leider nicht zielführend. Auch das, was Sie selbst wollen, erreichen Sie mit den Anträgen nicht. Wir können uns gerne gemeinsam überlegen, wie man das zukunfts- und gerichtsfest formulieren kann. Das geht nicht mit einem Federstrich und viel Prosa in der Begründung. Man muss hieb- und stichfeste Formulierungen für Gesetze und Anträge finden. Man kann sich auch vom Senat zur Lärmbelastung berichten lassen.

In Ihrem vierten Antrag haben Sie in der Überschrift formuliert, jedes Kind solle ein Instrument erlernen dürfen. Im Antragstext steht, jedes Kind solle ein Instrument erhalten. Wie stellen Sie sich das konkret vor? Das, was in NRW geschieht, ist gut und richtig, aber bedeutet das dann, dass jedes Schulkind eine Blockflöte oder eine große Trommel erhalten soll? Wie weit soll das durch entsprechende Bildungsangebote der Musikschulen oder regulären Schulen unterstützt werden? Auch das muss man beantworten, wenn man so etwas fordert.

Wir haben in den letzten Jahren nicht nur sehr viel in die frühkindliche Bildung und Erziehung gesteckt, sondern auch in die musische und kulturelle Bildung. Dazu gab es einen großen Antrag von Rot-Rot, in dem viele dieser Elemente enthalten sind.

Inhaltlich bleibt von Ihren Anträgen leider nicht viel übrig. Wir werden das trotzdem nicht in Bausch und Bogen ablehnen, sondern schauen, zu welchen vernünftigen Vorschlägen wir gemeinsam kommen. Wir wollen zeigen, dass Kinderlärm Zukunftsmusik ist. Kinderlärm – ja bitte! Das wollen wir als Parlament beschließen. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Buchholz! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Kubala das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das Umweltschutzgesetz nicht geeignet ist, die Thematik Kinderlärm zu bearbeiten, dann hätte uns die CDU diesen Beweis mit ihren Anträgen gebracht.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Ich kann nur die Worte von Herrn Buchholz wiederholen: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. – Die Anträge sind, so, wie sie hier vorgelegt wurden, handwerklich schlecht und nicht problemrelevant. Das, was Sie hier fordern, ist rechtlich nicht umsetzbar.

Für Kitas und Spielplätze die Nacht- und Sonntagsruhe abzuschaffen, macht keinen Sinn, Herr Steuer und Frau Demirbüken-Wegner. Aber genau das fordern Sie mit Ihrem ersten Antrag. Die einmalige Berichtspflicht aus dem Jahr 2005 bezog sich auf die Einschränkung der Ruhezeiten. Mich wundert, dass Herr Goetze diesen Antrag nicht verhindert hat und Sie ihn hier einbringen konnten. Der Antrag hat nichts mit dem Thema zu tun. Es ging darum, die Kinder nachts vor Gewerbelärm zu schützen, aber nicht, weil sie selbst Lärm machen, sondern um ihren Nachtschlaf zu schützen. Die Gleichsetzung von Hausmusik mit Kinderlärm finde ich abwegig. Erstens machen nicht nur Kinder Hausmusik, sondern auch Erwachsene. Zweitens ist das Erlernen eines Instruments kein Kinderlärm, sondern ein kultur- und bildungspolitischer Auftrag. Das hat demnach hier gar nichts zu suchen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aber wir hätten es sehr begrüßt, wenn Sie von der Koalition gefordert hätten, dass Projekt „Jedem Kind sein Instrument“ endlich auf den Weg zu bringen und das vom Landesmusikrat initiierte Projekt für 48 Modelleinrichtungen finanzierbar zu machen. Hier gibt es Handlungsbedarf, aber das, was Sie im Antrag fordern, geht an der Thematik vorbei.

Ihren Eindruck, in ihrer Ruhe gestörte Erwachsene erwirken im Lauf der Zeit kinderfeindliche Gerichtsentscheidungen, teile ich nicht. Wenn man sich die Gerichtsurteile ansieht, folgen die Gerichte zum Glück nicht dem Trend, solchen Erwachsenen recht zu geben, sondern sie folgen dem gesunden Menschenverstand und halten Kinderlärm, auch wenn er etwas lauter ist, für sozial adäquat. Das spiegelt sich zum Glück auch in den Gerichtsurteilen wider. Schauen Sie sich die lange Liste von Entscheidungen zu Kinder-, Spielplatz- und Kitalärm an!

Handlungsbedarf gibt es. Sie haben leider versäumt, diesen hier richtig zu definieren. Wir sehen, dass die rot-rote Koalition nur wieder Ankündigungen macht. Herr Buchholz! Ändern Sie die Baunutzungsverordnung! Setzen Sie sich auf Bundesebene dafür ein, dass die Baunutzungsverordnung so geändert wird, dass der Gewerbelärm nicht mit Kinderlärm gleichgesetzt wird! Dazu reicht es nicht, immer nur zu reden. Man muss sich dafür auf Bundesebene einsetzen.