Weil Herr Zollitsch offensichtlich nicht weiß, wovon er redet, möchte ich hier mal ein persönliches Beispiel nennen. Meine Mutter ist nämlich in der DDR zur Schule gegangen.
Das ist nichts Schlimmes, nein. – Sie ist aber in der 11. Klasse von der Schule relegiert worden, weil sie nicht in der FDJ war und weil sie zur Jungen Gemeinde gegangen ist und dort mitgemacht hat. Nun sollte man meinen, sie weiß eher, wovon sie redet, als Herr Zollitsch, der das nie persönlich erlebt hat.
Dann darf ich Ihnen sagen, was meine Mutter für eine Position zum Thema „Pro Reli“ hat. Sie ist engagiert in der Kirche, in ihrer Gemeinde und gehört da zu den wenigen, die gegen „Pro Reli“ sind. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber an der Stelle sind wir es ganz klar, weil sie sagt: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir die Kinder nach Religionen getrennt unterrichten und sie sich damit auseinandersetzen sollen, wie sie ihr Zusammenleben organisieren, welche Werte sie gemeinsam haben und wie sie die auch gemeinsam vermittelt bekommen!
Man kann deshalb auch vor einem zutiefst christlichen Hintergrund zu der sehr gerechtfertigten Meinung kommen, dass das Anliegen von „Pro Reli“ falsch ist. Das hat nichts mit Kirchenkampf zu tun, und das hat auch nichts mit Wertelosigkeit zu tun. Die Kirchen haben ja leider mit ihrem – ich sage es mal – unseligen Slogan „Werte brauchen Gott“ auch den Eindruck erweckt, dass nur Kirchen Werte vermitteln können.
Das halte ich für problematisch. Deshalb lassen Sie uns heute diese Entschließung auf den Weg bringen! Lassen Sie uns die Leute darüber aufklären, welche Modelle es gibt! Wir wollen das gemeinsame Lernen in der Schule fördern. Wir wollen ergänzende Angebote der Religionsgemeinschaften. Das ist der richtige Weg. Wahlfreiheit heißt, wirklich auswählen zu können und nicht auswählen zu müssen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gaebler! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Ratzmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich könnten wir uns als Oppositionspartei ja im Moment sehr freuen. Wer zweimal so grandios in die Tonne greift wie unser Regierender Bürgermeister, der muss eigentlich nur noch Jubelschreie bei der Opposition auslösen: erst die Geheimverhandlungen mit „Bread and Butter“, die 74 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für falsch halten,
und dann die Terminierung des Volksentscheids, die von 58 Prozent abgelehnt wird. Eigentlich steht unser Re
gierender Bürgermeister mit seinen 0,7 Prozent auf der Beliebtheitsskala noch viel zu gut bewertet da.
Aber wir haben es schon immer gesagt: Irgendwann wird zurückgezahlt, wenn man solche falschen politischen Entscheidungen trifft.
Das Problem ist nur – das geht uns nicht nur bei diesen Themen so, sondern das wird uns auch in der Föderalismuskommission ereilen –: Der Dilettantismus, der hier an den Tag gelegt wird, geht nicht nur mit dem Regierenden nach Hause, sondern schadet uns allen. Er schadet dem Land Berlin, und er schadet auch dem richtigen politischen Anliegen.
Es ist doch einfach kleinkariert und feige, sich bei einem so wichtigen schulpolitischen Thema wie diesem, dem Volksentscheid über Ethik und Religion an den Berliner Schulen, zu verstecken, einfach nur noch Angst zu haben vor der Auseinandersetzung und es zu scheuen, diesen Termin mit der Europawahl zu verbinden. Das macht schwach, und das schadet dem politischen Anliegen. Es hätte uns überhaupt nicht geschadet, die Debatte über diese Fragestellung ruhig und kultiviert weiterzuführen. Das haben wir jetzt mit dem gemeinsamen Text getan. Da haben wir gezeigt, dass es auch anders geht. Ich denke, in dieser Art und Weise muss man sich darüber auseinandersetzen, warum man für die Beibehaltung des jetzigen Modells in dieser Stadt ist – und zwar mit Recht.
Diese Auseinandersetzung lässt sich auch in gegenseitigem Respekt, den ich vor den Kirchen und den Glaubensgemeinschaften habe, führen. Diesen gegenseitigen Respekt erwarte ich von den Kirchen und von denjenigen, die sich für „Pro Reli“ einsetzen, genauso wie von meiner gewählten Regierung hier im Land. Wir können für Ethikunterricht streiten, und wir können dafür werben, dass die Wählerinnen und Wähler und die vielen Unentschlossenen, die es noch gibt, bei dieser Abstimmung mit Nein stimmen. Wir können das tun bei gleichzeitiger Anerkennung der Kirchen und Religionsgemeinschaften als Glaubens- und Bekenntnisgemeinschaften. Sie sind fester und geschützter Bestandteil unseres Gesellschaftsvertrags, und ich habe großen Respekt vor jedem, der aus religiöser Überzeugung für mehr Humanität, für Frieden, für Menschenrechte und für Gleichberechtigung eintritt, dafür arbeitet und Opfer dafür bringt. Es ist mir egal, ob er es nun Nächstenliebe, Brüderlichkeit oder Karma nennt.
Niemand, der für Ethik eintritt und sich dafür engagiert, dass das jetzige Modell beibehalten wird, spricht irgendjemandem seine Religiosität ab oder stellt auch nur die Berechtigung in Frage, dass man auch an der Schule an Gott glauben kann, darf und muss und das auch lebt. Niemand stellt das in Frage, und ich denke, das muss man auch immer wieder klarstellen.
Aber eines will ich an dieser Stelle auch ziemlich deutlich sagen: Ich verbitte es mir, von selbsternannten Inquisitorinnen aus der CDU Gottlosigkeit vorgeworfen zu bekommen, nur weil ich dafür eintrete, dass dieses Fach beibehalten wird.
Das sage ich hier auch stellvertretend für alle Bündnisgrünen und alle anderen, die mit tiefer religiöser Überzeugung für das bisherige Modell eintreten. Niemand hat das Recht, ihnen diesen Vorwurf zu machen. Das war eine Unverschämtheit, und eigentlich erwarte ich heute noch, dass die Betreffende aus der CDU sich dafür entschuldigt.
Es gibt gute Gründe für ein Pflicht-/Wahlmodell, die Pflicht zum Ethikunterricht und die freiwillige Wahl des dazugehörigen Religionsunterrichts. Dieses Modell lässt sich weiterentwickeln. Der Ethikunterricht lässt sich weiterentwickeln, er muss auch weiterentwickelt und verbessert werden. Daran haben wir, glaube ich, alle ein großes Interesse.
Aber ich denke, all diejenigen, die hier mit viel Eifer und zum Teil auch mit Schaum vor dem Mund dafür eintreten, dass mehr Toleranz und Respekt an den Schulen im Ethikunterricht gelebt und gelehrt werden, müssen selbst auch abrüsten, denn wer das predigt, der muss selbst vorleben, dass er mit Toleranz und Respekt in diese Debatte geht.
Das, muss man leider zum Schluss sagen, hat unser Regierender Bürgermeister vermissen lassen. Die Terminierung ist falsch, und deswegen sage ich:
Letzter Satz –: Wir müssen weiter dafür werben und eintreten, dass die Unentschlossenen hier klar Position beziehen und mit Nein stimmen bei diesem Volksentscheid. Deswegen: Stimmen Sie dem Text, den wir entworfen haben, zu! Ich glaube, er nimmt alles auf, was in dieser Debatte wichtig und richtig ist. – Danke!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ratzmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Zillich das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat: Es geht um eine Sachfrage, in der die Berlinerinnen und Berliner jetzt das Wort haben, und Respekt: Wir haben hier eine deutliche Weiterentwicklung der Debatte im Vergleich zu den letzten Wochen erlebt. Es ging nicht mehr um Nebenkriegsschauplätze wie Termine und Verfahren, sondern es ging tatsächlich – zu großen Teilen jedenfalls – um die Sache. Der Kollege Ratzmann hat ja die Kurve noch in dieser Form gekriegt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Debatte um die Sache führen, weil wir das dem Instrument der direkten Demokratie und auch den 265 000 Unterschriften, die „Pro Reli“ gesammelt hat, schuldig sind.
Es geht um die Sache, und trotzdem müssen wir konstatieren, dass wir bei einer solchen kampagnenartigen Entscheidung, die wir vor uns haben, natürlich nicht nur komplexe Zusammenhänge darstellen und Differenziertheiten aufzeigen werden, sondern es wird eben eine kampagnenhafte und verkürzte Auseinandersetzung sein. Wir wollten die nicht in dieser Form, aber jetzt haben wir sie, und jetzt führen wir sie auch. Deswegen legen wir hier einen Entwurf für eine Stellungnahme des Abgeordnetenhauses vor – gemeinsam mit SPD und Grünen –, in dem sich das Abgeordnetenhaus zu dieser Frage klar positioniert, indem es sagt: Ja, wir wollen das derzeitige Modell beibehalten. – Und: Nein, wir wollen das Begehren, das „Pro Reli“ eingebracht hat, ablehnen. – Deswegen sagen wir klar: Wir sagen Nein zum Anliegen von „Pro Reli“, weil es dabei nicht um Wahlfreiheit geht, wie behauptet, sondern es geht um den Zwang, den Ethikunterricht abwählen zu müssen, wenn man den Religionsunterricht belegen will. Das lehnen wir ab.
Und wir sagen Nein zu „Pro Reli“, weil wir es für grundlegend falsch halten, zwei so unterschiedliche Dinge alternativ zueinander zu stellen, nämlich einen Bekenntnisunterricht, einen Religionsunterricht einerseits und andererseits ein Fach, das Wissen und Verständnis vermitteln soll, wie es das integrative Fach Ethik tut, das weltanschaulich neutral ist und neutral sein muss. Dazwischen wählen zu müssen wäre falsch. Ich finde es unverständlich und falsch, und wir können es nicht unterstützen, wenn im Gesetzentwurf von „Pro Reli“ der Auftrag, ein gegenseitiges Verständnis und ein Wissen über alle wichtigen Religionen in Berlin zu erlangen, nur auf diejenigen Schülerinnen und Schüler reduziert wird, die nicht an einem Religionsunterricht teilnehmen. Nein, das ist eine Aufgabe, die für alle Schülerinnen und Schüler gilt und die für unsere Stadt wichtig ist, und deswegen ist dieses Anliegen von „Pro Reli“ falsch.
Und wir sagen Nein zu „Pro Reli“, weil wir eine bewährte und auch – anders, als manche den Eindruck erwecken – grundgesetzlich abgesicherte Berliner Regelung für den freiwilligen Weltanschauungs- und Religionsunterricht seit über 60 Jahren in dieser Stadt haben. Diese Regelung ist deswegen bewährt und richtig, weil sie anders als andere Regelungen eher Gleichbehandlung und eher Flexibilität gewährleistet. Das ist deswegen so wichtig, weil ein Kern von Religionsfreiheit in der Gleichbehandlung der verschiedenen Bekenntnisse und Religionen liegt. Deswegen ist das Berliner Modell des freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterrichts genau richtig, und wir wollen es beibehalten.
Und wir sagen Nein zu „Pro Reli“, weil wir Ja sagen zum gemeinsamen Ethikunterricht. Die Vielfalt in unserer Stadt ist eine große Chance, aber sie ist auch eine große Herausforderung, und das gilt insbesondere für die Schule. Selbstverständlich muss sich die Schule insgesamt dieser Herausforderung stellen, aber wir brauchen einen Ort, an dem es darum geht, dass Kinder mit völlig unterschiedlichem Hintergrund, mit völlig unterschiedlicher Herkunft und völlig unterschiedlichen Lebensentwürfen etwas über die Hintergründe des jeweils anderen erfahren, Wissen erwerben – und zwar alle Kinder – und gegenseitiges Verständnis in dem Miteinanderleben einüben. Denn es ist etwas anderes, ob Muslime sich untereinander über ihr Verhältnis zu Christen unterhalten oder ob Muslime und Christen dies miteinander tun müssen. Damit dies funktionieren kann, brauchen wir den gemeinsamen Ethikunterricht. Aber diesen gemeinsamen Ethikunterricht will „Pro Reli“ abschaffen, und deswegen sagen wir dazu Nein.
Wir sagen: Religionsunterricht bleibt freiwillig. – Wir sagen: Gemeinsam ist besser, und deswegen Ja zum gemeinsamen Ethikunterricht! – Und wir sagen Nein zum Wahlzwang und rufen deshalb dazu auf, am 27. April mit Nein zu stimmen. – Danke schön!