Deswegen ja: Denn wir wollen uns ja in der Sache unterhalten. – Herr Oberg! Da muss ich Ihnen allerdings recht geben. Die Frage ist doch: Gibt es gute Gelder und schlechte Gelder für die Forschung? – Das ist die primäre Frage. Man kann natürlich eine Liste von schlechten Geldquellen aufstellen. Dazu würde mir einiges einfallen. Dabei geht es dann nicht nur um die Tabakindustrie oder die Alkoholindustrie. Wie wäre es z. B. mit den Süßwarenproduzenten? – Man muss das doch einmal weiterdenken. Aufgrund welcher Risiken haben wir in Deutschland Mortalität? – Da gibt es eine Reihe von Risiken. Die haben etwas mit Ernährung, mit dem Autofahren oder mit
Ich möchte damit nur sagen: Solange etwas nicht illegal und verboten ist, und das ist das Rauchen in Deutschland – Gott sei Dank! – noch nicht – – Ich sage bewusst „Gott sei Dank!“, auch wenn ich Nichtraucher bin, denn ich finde, es gibt bestimmte Grenzen, wo wir die Eigenverantwortung der Menschen akzeptieren müssen.
Wir können uns nicht hinstellen und ernsthaft sagen: Es ist zwar in Ordnung, dass wir Tabaksteuern einnehmen und damit einiges finanzieren, und es ist auch in Ordnung, wenn wir die Sektsteuer einnehmen und damit einiges finanzieren, aber es ist nicht in Ordnung, wenn Gelder, die bei diesen Tabakunternehmen als Gewinn anfallen, der Forschung zugute kommen, aus der sich Positives entwickelt, wenn man tatsächlich die ethischen Grundsätze anlegt, über die wir hier reden. Das ist natürlich richtig; die muss es schon geben. Dieses Positive läge darin, dass man fragt, wie man mit den Ergebnissen des Tabakkonsums umgeht, wie man möglicherweise Risiken minimieren und Erkrankungen heilen kann. Das halte ich für völlig richtig. Es ist doch eher eine Frage des Verursacherprinzips. Wenn ich jemandem verbiete, die Folgen seines eigenen Handelns zu beseitigen, dann muss ich mich doch ernsthaft fragen lassen, ob das fair ist – bezogen auf diejenigen, die von einer solchen Forschung profitieren können. Wollen Sie ernsthaft, dass es keine Forschung im Bereich von kardiovaskulären Erkrankungen gibt bzw. dass Forschungsvorhaben nicht finanziert werden, die zu einem Ergebnis führen würden, das Menschen das Leben rettet? – Diese Entscheidung möchte ich nicht treffen.
Allerdings möchte ich nicht, dass es bestellte Gutachten gibt, in denen drinsteht: Rauchen fördert die Gesundheit.
Selbst, wenn es ein solches Gutachten geben sollte, wer nimmt ein solches Gutachten ernst? Welcher Forscher macht sich damit nicht innerhalb der Forschungsgemeinschaft unmöglich, wenn er sich hinstellt und sagt, das seien alles Märchen und im Grunde handele es sich um eine lebensverlängernde Maßnahme, wenn man solche Mittel wie Tabak zu sich nimmt? – Da gibt es doch Selbstbeschränkungsprozesse innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die werden nun einmal kodifiziert in einem bestimmten Katalog, der sagt, dass dieses und jenes geht und dieses und jenes nicht geht.
Wenn ich das alles zusammennehme, muss ich doch zu der Erkenntnis kommen: Solange ich nicht das Rauchen, den Alkoholkonsum und alle möglichen anderen Dinge verbiete, die unangenehme Folgen für den einzelnen haben können, aber nicht illegal sind, werden wir auch in irgendeiner Form mit den Gewinnen umgehen müssen, die dort erzielt werden.
Keine Zwischenfrage bitte! – Und darum muss ich sagen: Mir ist es lieber, wenn diese Gewinne tatsächlich dafür verwendet werden, etwas Gutes zu produzieren und nicht etwas Negatives zu produzieren. Deshalb muss ich heute zu dem seltenen Schluss kommen, dass wir in dem Zusammenhang dem Änderungsantrag der Koalition im Wissenschaftsausschuss zugestimmt haben und das auch heute in der Abstimmung tun werden.
Noch ein Satz zum Antrag der FDP: Ich finde die Idee mit einem Pooling nicht unvernünftig und nicht uncharmant. Die ist nicht nur von euch, die habt ihr abgeschrieben. Aber sie ist trotzdem nicht verkehrt. Das Problem ist allerdings, dass sie möglicherweise auf die Berliner Verhältnisse nicht optimal zugeschnitten ist. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir dieses Thema noch einmal in einem grundsätzlicheren Zusammenhang im Wissenschaftsausschuss beraten können. Deswegen werden wir heute nicht gegen den Antrag stimmen, denn die Grundintention, mögliche Beeinflussungen auszuschließen, klingt nicht unvernünftig. Aber dieser Ansatz muss praktikabel und umsetzbar sein, und ich bin mir unsicher, ob es nicht doch noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Deshalb werden wir uns dazu der Stimme enthalten. – Ansonsten bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Das ist allerdings ein schwieriges Thema, und dabei geht es um Grundsätzliches. Bereits im Dezember 1985 veröffentlichte das „British Medical Journal“ einen Artikel, in dem die Einflussnahme der Tabakindustrie auf die weltweite wissenschaftliche Forschung kritisch dargestellt wurde. Im Jahr 1998 wurden mehrere transnationale Tabakkonzerne durch Schadensersatzprozesse in den USA zur Veröffentlichung ihrer internen Unterlagen im Internet gezwungen. Seitdem sind mehr als 42 Millionen teilweise streng geheime Dokumente wie Sitzungs- und Forschungsprotokolle, Strategiepapiere oder persönliche Briefe öffentlich gemacht worden, die die klandestinen Strategien und weltweiten Aktivitäten der Tabakindustrie offenlegen, darunter auch die Korrespondenz der ameri
kanischen Konzerne mit ihren westdeutschen Niederlassungen sowie ihrem deutschen Interessenverband, dem Verband der Zigarettenindustrie.
Diese Dokumente gewähren einen interessanten Einblick, wie die Einflussnahme der Tabakindustrie auch in Deutschland vonstatten ging.
So förderte der Verband der Zigarettenindustrie von 1977 bis 1991 110 Forschungsprojekte, an denen mehr als 60 Wissenschaftler, darunter einflussreiche Ärzte, noch heute amtierende Universitätsprofessoren, ehemalige Präsidenten von medizinischen Fachgesellschaften sowie ein ehemaliger Präsident des Bundesgesundheitsamtes – Karl Überla – beteiligt waren.
Die Tabakindustrie nutzte die Namen renommierter Wissenschaftler zur Steigerung ihrer Glaubwürdigkeit und zur Erhöhung der Akzeptanz ihrer interessengeleiteten Forschung.
In Heft 12/2007 des „Deutschen Ärzteblattes“ befindet sich ein sehr detaillierter Artikel des Berliner Pulmologen Nicolas Schönfeld aus der Lungenklinik Heckeshorn, der unter dem Titel „Vom Teufel bezahlt“ diese Thematik aufbereitet und mit entsprechenden Quellenangaben belegt, mit welchen Praktiken direkt und indirekt Einfluss auf die wissenschaftliche Forschung, auf politische Entscheidungsträger und damit auf die Gesundheitspolitik in diesem Land genommen wurde. Die Methoden waren vielfältig. Sie reichten von plumper Manipulation bis zu subtiler Einflussnahme durch die gezielte Förderung von Wissenschaftlern oder Forschungsprojekten, bei denen sehr wahrscheinlich war, dass sie zu von der Tabakindustrie gewünschten Ergebnissen führten, um so die Ergebnisse unabhängiger Studien im internationalen Wissenspool, die für die Tabakindustrie ungünstige Ergebnisse zeigten, gewissermaßen in der Menge zu verdünnen und deren Erkenntnisse vermeintlich zu relativieren.
Dem gleichen Ziel dienten auch sogenannte ConfounderStudies, die einzig finanziert wurden, um durch die Erforschung anderer Faktoren tabakassoziierter Erkrankungen vom Rauchen als Ursache abzulenken. Das alles lässt sich konkret belegen. Die Tabaklobbyisten behielten dabei jeweils die totale Kontrolle über das Design der Experimente und das Recht der Forscher, zu publizieren oder nicht zu publizieren. Im Jahr 2005 hat die Deutsche Krebsforschungsgesellschaft als erste deutsche medizinische Fachgesellschaft entsprechende Konsequenzen gezogen und einen ethischen Kodex gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie verabschiedet,
der beinhaltet, dass jegliche finanziellen Mittel der Tabakindustrie für Forschungsförderung, Gutachterhonorare, Vertragshonorare, Reisekosten, Wissenschafts- und andere Preise abgelehnt werden und die Mitwirkung an Ve
ranstaltungen der Tabakindustrie oder Dritter, die von der Tabakindustrie maßgeblich gesponsert werden, verweigert wird.
Die Grünen fordern nun, Berliner Forschungszentren und Gesundheitsinstitutionen ebenfalls entsprechende Selbstverpflichtungen aufzuerlegen. Da dieses aber bereits weitestgehend geschehen ist, ist der Antrag, wie die Charité zu Recht in ihrem Antwortschreiben schreibt, eigentlich entbehrlich. Der Koalitionsantrag dagegen schließt die Annahme von Geldern aus der Tabakindustrie leider nicht gänzlich aus, sondern koppelt die Annahme an bestimmte Bedingungen. Er fällt damit – ich sage das ganz klar – hinter das zurück, was Institutionen und Fachgesellschaften aus gutem Grund bereits so beschlossen haben und was ich während meiner ärztlichen Tätigkeit 25 Jahre auch so praktiziert habe.
Dieser Antrag findet deshalb meine Zustimmung nicht. – Ich will in diesem Zusammenhang aber auch klar und deutlich auf die inkonsequente Haltung der Grünen verweisen, die sich hier öffentlich als die einzig aufrechten Kämpfer gegen die Tabaklobby darstellen wollen.
Erinnern Sie sich an Marianne Tritz, Mitglied des Bundestages von 2002 bis 2005 und danach Mitarbeiterin von Fritz Kuhn, heute Geschäftsführerin des Verbandes der Tabakindustrie – –
nein, ich mache jetzt fertig! –, um das Image der Tabakindustrie in der Öffentlichkeit weiter aufzuwerten. Sie werfen der Koalition einen Kniefall vor der Tabakindustrie vor, weil in dem Antrag die Annahme der Gelder zwar streng geregelt, aber nicht gänzlich ausgeschlossen wird. Gleichzeitig haben Sie – und das wurde schon mehrfach erwähnt – selber einen Antrag eingebracht, in dem Sie sehr wohl auf die Gelder der Alkoholindustrie zurückgreifen wollen. Wo liegt da der moralische Unterschied zu dem geschmähten Tabakantrag der Koalition?
Ich weiß! – Beim Teufel Tabak heben Sie den moralischen Zeigefinger gegen die Koalition, beim Beelzebub Alkohol sind Ihnen diese Gelder dann plötzlich sehr willkommen. Das passt nicht. Konsequenz definiert sich anders. – Danke!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man sollte an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen, wieso wir diese Debatte überhaupt derzeit führen. Erstens, die Industrie betreibt seit Jahren eine systematische Politik der Täuschung. Zweitens, Einflussnahme der Tabakindustrie erfolgt insbesondere auf die Wissenschaft. Drittens, es gibt eine Steigerung des Ansehens der Glaubwürdigkeit der Tabakindustrie. Viertens ist zu vermuten, dass eine Gewinnung von renommierten Wissenschaftlern zur Unterstützung der Tabakindustrie eventuell erfolgen könnte. Soweit so gut!
Schauen wir uns einmal die Chronologie dazu an. In der 37. Sitzung des Gesundheitsausschusses am 5. Januar 2009 stellten die Grünen den besagten Antrag, und in derselben Sitzung verteilte dann die Abgeordnete Winde der SPD-Fraktion einen vollkommen unseriösen Änderungsantrag als Tischvorlage, unter dem jeder Industriezweig definiert wurde und nicht mehr nur noch von der Tabakindustrie die Sprache war. Das sollte man an dieser Stelle auch noch einmal sagen, wenn man sich hier gegenüber den Grünen so verhält, wie man es eben getan hat.
Dieser Antrag war noch weitaus gefährlicher. Gefährlich war, dass er obendrein für die Berliner Forschungslandschaft ein schlechtes Signal, ein sponsorenfreundliches Signal und das, was Sie als SPD derzeit kritisieren, eine Stigmatisierung des Geldes in gut, böse, schlecht mit sich brachte. Sie haben das schnell erkannt – das muss man an der Stelle auch sagen – und haben den Änderungsantrag von Frau Winde im Gesundheitsausschuss schnell wieder eingesammelt und die Gelegenheit genutzt, einen entsprechenden Antrag im Wissenschaftsausschuss vorzulegen. – Man muss dazu wissen, dass die Tabakindustrie tatsächlich in der Vergangenheit massiv versucht hat, zu manipulieren, die Alkoholindustrie war es aber ebensowenig. Auch hier haben Sie erst einen Lernprozess erleben müssen, der im Grunde durch den Antrag der Grünen angestoßen wurde, denn Sie haben noch im Gesundheitsausschuss den Austauschantrag vorgelegt, in dem stand, dass die Alkoholindustrie als Industriezweig ebenso fragwürdig anzusehen ist wie die Tabakindustrie. Insofern war der Impuls an der Stelle nicht schlecht.
Dennoch ist klar, dass der Tabakindustrie hier ein Sonderstatus zukommt. Deshalb ist der Antrag der FDP verblüffend einfach, gleichzeitig maximal effektiv gegen die Manipulation, die im Raum steht, und er ist insbesondere maximal unschädlich für die Fördergelder, und darum geht es. – Wenn man am Ende zu einem Fazit kommen würde, könnte man festhalten: Den Grünen liegt zwar
etwas an der Verhinderung von Einflussnahme durch die Tabakindustrie, aber ihre Methode trägt die Handschrift eines ideologischen Feldzuges, und – mit Verlaub – sie schütten an der Stelle mehr oder weniger das Kind mit dem Bade aus.
Der Koalition liegt nichts an der Verhinderung von Einflussnahme durch die Tabakindustrie. Ihr Antrag ändert de facto nichts. Hinzu kommt eine völlig Grundabsurdität des Antrags der Koalition
Gleich! –, dass Sie eine Selbstverpflichtung durch politischen Druck erwirken wollen. Das ist aus zwei Gründen absurd, das will ich Ihnen an der Stelle auch sagen: Erstens, eine Selbstverpflichtung kann nur dann eine Selbstverpflichtung sein, wenn sie nicht verordnet wird, sondern von selbst kommt. – Zweitens, der aktuelle, nun zur Abstimmung stehende Antrag der Koalition ist ein Leerantrag, so als würde man beantragen, Verkehrsteilnehmer dazu zu verpflichten, an einer roten Ampel anzuhalten.