Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Eine Nachfrage des Kollegen Dr. Steffel von der CDU – bitte schön, Herr Dr. Steffel!

Herr Senator Wolf! Ich teile Ihre Analyse in weiten Bereichen, komme natürlich aber zu einer anderen Conclusio

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Oh!]

und will deshalb präzise nachfragen: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie die deutschen Geschäftsbanken verstaatlichen, d. h. Hunderttausende von Kleinaktionären zwangsenteignen wollen? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie aufgrund Ihrer Bedeutung als Bürgermeister und Wirtschaftssenator der deutschen Hauptstadt die Frage klar mit „Ja, ich will verstaatlichen“ oder „Nein, ich werde nicht verstaatlichen“ beantworten könnten.

[Heiterkeit]

Herr Senator Wolf!

Herr Steffel! Sie wissen, dass es hier mehrere Möglichkeiten gibt, staatliches Eigentum zu erwerben. Ich wäre z. B. in einem Fall wie bei der Commerzbank – ich habe es gesagt – den Weg einer Kapitalerhöhung gegangen. Damit wären die Anteile der anderen Aktionäre natürlich, so wie wir das auch bei unserer Landesbank hatten, deutlich verwässert worden, und wir hätten einen nahezu 100Prozent-Anteil gehabt, wenn wir diese Kapitalerhöhung vorgenommen hätten. Das wäre im strengen Wortsinn keine Enteignung gewesen, sondern der Erwerb von Eigentumsanteilen. Da wir so und so die 18 Milliarden Euro hineingegeben haben, wären an dieser Stelle die liquiden Mittel auch vorhanden gewesen.

Also das Wort „Enteignung“ und das Instrument der Enteignung hat nach meiner Kenntnis bislang als Erste die Bundesregierung in einen Gesetzentwurf eingebracht. Ich wäre viel früher den Weg der Kapitalerhöhung und damit der Verwässerung der Anteile der anderen Aktionäre gegangen. Wenn die anderen Aktionäre, Herr Steffel, sich am Tragen des Risikos mitbeteiligen und ihr Kapital auch erhöhen und nicht nur den Steuerzahler zur Rettungsaktion heranziehen wollen, dann bin ich gern dazu bereit zu sagen: Bitte, Herr Flowers, erhöhen Sie Ihren Anteil bei der HRE, diese 25 Prozent, wo wir die 100-MilliardenBürgschaft schon gegeben haben. Dann können wir das auch gern privatwirtschaftlich lösen. Ich sehe nur nicht, dass es die privaten Investoren und Aktionäre gibt, die bereit sind, diese Risiken einzugehen,

[Dr. Frank Steffel (CDU): Also ja oder nein?]

an denen sie vorher und in der Vergangenheit viel Geld über die Dividendenausschüttung verdient haben, die uns als Steuerzahlern heute als Risiken und Verluste aufgebürdet werden. Deshalb, Herr Steffel, sehen Sie sich das einmal in Ruhe an. Kapitalerhöhung ist ein marktwirtschaftlich völlig legitimes Instrument.

[Dr. Frank Steffel (CDU): ja oder nein?]

Das wäre z. B. bei der Commerzbank der Schritt gewesen, den ich vorgeschlagen hätte. Bei der HRE muss man jetzt vielleicht den Weg der Enteignung gehen, weil die Bundesregierung an dieser Stelle viel zu spät gehandelt hat. Auch hier hätte man schon viel früher mit einer Kapitalerhöhung herangehen können.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Senator Wolf!

Jetzt geht es weiter mit einer Anfrage des Kollegen Mutlu anstelle der erkrankten Kollegin Öney von den Grünen zu dem Thema

Wie will der Senat dem erschreckenden Anstieg rassistisch motivierter Angriffe entgegentreten?

Bitte schön, Herr Mutlu, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage stellvertretend für meine erkrankte Kollegin Öney:

1. Wie bewertet der Senat die besorgniserregenden Ergebnisse der Opferberatungsstelle ReachOut für das Jahr 2008, welche einen Anstieg rassistisch motivierter Angriffe um 40 Prozent ausweisen? Entsprechen diese Zahlen den Erkenntnissen des Senats?

2. Wie will der Senat dieser dramatischen Entwicklung konkret entgegentreten? Das Berliner „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ scheint nicht auszureichen – plant der Senat eine Intensivierung des Programms, oder wird er andere Sofortmaßnahmen ergreifen? Wenn ja, wie sehen diese aus?

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Frau Senatorin Knake-Werner, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Mutlu! Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Erstens teile ich selbstverständlich die Besorgnis über den Anstieg rassistisch motivierter Gewalttaten in Berlin. Ebenso beunruhigt es mich ausgesprochen, dass es

im Bereich rechtsextremer, aber auch homophober und antisemitischer Gewalttaten einen Anstieg gibt. Das jedenfalls sind die Ergebnisse der Opferberatungsstelle ReachOut für das Jahr 2008. Die Beratungsstelle hat 148 derart motivierte Gewalttaten registriert. Der übergroße Teil davon – das haben Sie richtig gesagt – ist danach rassistisch motiviert.

Ich habe überhaupt keinen Anlass, an diesen Zahlen zu zweifeln. Die Opferberatungsstelle ReachOut hat diese Gewalttaten öffentlich dokumentiert. Aber damit hat ReachOut eine andere Methode zur Erfassung solcher Angriffe als die Staatsschutzpolizei oder der Verfassungsschutz. Insofern ist es nicht lohnend und auch nicht sinnvoll, die Zahlen zu vergleichen. Wichtig ist mir, dass die Dokumentation der Gewalttaten durch ReachOut ein zentraler Bestandteil zivilgesellschaftlich organisierter Öffentlichkeit ist. Das ist auch eine Möglichkeit, der mancherorts vorherrschenden Beschwichtigungspolitik, insbesondere von Sicherheitsbehörden, entgegenzuwirken.

Der von ReachOut ermittelte hohe Anteil rassistischer Tatmotive bestätigt i. Ü. meine Auffassung, dass die Probleme des Rassismus nicht auf den organisierten Rechtsextremismus zu reduzieren sind, sondern dass sie weitere Teile der Gesellschaft erfassen. Das muss auch die Grundlage für weitere Überlegungen sein. Das zeigt i. Ü. auch die gestern bekannt gewordene bundesweite Studie über rechtsextreme Einstellungen bei Jugendlichen, die Prof. Pfeiffer aus Niedersachsen herausgegeben hat. Ich will die Zahlen nicht im Einzelnen bewerten, aber das ist eine Entwicklung, die uns insgesamt sehr aufmerksam machen muss.

Der Berliner Senat begegnet rechtsextremer und antisemitischer Gewalt mit einer Mischung von Maßnahmen, die einerseits auf die Reduzierung von Gewaltdelinquenz zielen – das ist dann mehr der Bereich von Inneres und Justiz –, andererseits – das ist eher mein Schwerpunkt – mit auf Prävention zielenden Projekten. Zentrales Element dabei ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Rassistische, antisemitische, homophobe Haltungen und Positionen brauchen genauso wie Gewalttaten ganz allgemein die gesellschaftliche Ächtung. Es muss deutlich werden: Das darf bei uns nicht akzeptiert werden; dem müssen wir uns in allen Teilen unserer Gesellschaft entgegenstellen. Dazu braucht es eine starke Zivilgesellschaft. Deshalb fördern wir solche Projekte wie ReachOut und andere, die dazu beitragen, zivilgesellschaftliche Gegenstrukturen aufzubauen und den öffentlichen Diskurs über diese zivilgesellschaftlichen Strukturen zu fördern. Dazu zählen z. B. die mobilen Beratungsteams. Sie leisten – um nur ein Beispiel dieser umfangreichen Arbeit zu nennen – wichtige Arbeit, insbesondere in den Bezirken, wo Rechtsextreme in die BVV eingezogen sind.

Das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus ist insgesamt ein Bestandteil der Gesamtstrategie des Berliner Senats für Gewaltprävention. Aber – das sage ich noch

einmal in aller Deutlichkeit – der Kampf gegen den Rechtsextremismus und rassistische Gewalt ist nicht nur Sache des Senats, sondern auch der Zivilgesellschaft. Insbesondere darf die Bekämpfung des Rechtsextremismus und rassistischer Gewalt nicht konjunkturabhängig sein, sondern muss dauerhaft bestehen.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das unterstützen wir. Deshalb fördern wir z. B. Projekte, die diesen Prozess begleiten. Das sind vor allen Dingen Projekte, die wir verstärkt fördern müssen, weil die Bundesförderung am Ende des Jahres 2010 auslaufen wird.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Senatorin! – Eine Nachfrage des Kollegen Mutlu – bitte schön!

Frau Senatorin! Alles, was Sie gesagt haben, ist richtig. Da ist nichts Falsches dran, und ich unterzeichne das.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Aber könnten Sie uns bitte ein bisschen konkreter sagen, was Sie machen wollen

[Beifall bei den Grünen]

neben dem Allgemeinen, wo kein Dissens herrscht. Was machen Sie konkret? – Ich stelle meine zweite Frage gleich hinterher: Das, was das Kriminologische Institut gestern oder vorgestern vorgestellt hat – –

Herr Kollege! Es gibt streng genommen nur eine Frage. – Machen Sie mal weiter, ausnahmsweise – aber schneller!

Ich habe nur die erste Frage wiederholt, die nicht beantwortet worden war.

Frage ist Frage!

Sehr verehrter Herr Präsident! Ich konkretisiere meine Frage. – Das Kriminologische Institut Hannover hat gestern in seiner Pressekonferenz dargestellt, dass insbesondere bei den Jugendlichen fremdenfeindliche Einstellungen sich massiv ausbreiten. Deshalb frage ich Sie: Welche konkreten Konsequenzen ziehen Sie aus dieser bundesweiten Studie für die Berliner Jugendarbeit und für die Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen fremdenfeindliche Einstellungen in den Berliner Schulen?

Frau Senatorin Knake-Werner!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Mutlu! Wenn man die Daten, die Pfeiffer vorgelegt hat, ein bisschen genauer anschaut, dann sieht man, dass es regional sehr unterschiedliche Entwicklungen gibt. Insbesondere im Süden unseres Landes nehmen die rechtsextremistischen Tendenzen erheblich zu. Aber nichtsdestotrotz haben wir in Berlin eine Verantwortung, und wir nehmen die Verantwortung wahr. Deshalb haben wir das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus aufgestellt. Deshalb führen wir die unterschiedlichsten Projekte, die ich schon genannt habe, durch. Mobile Beratungsstrukturen sind ein zentraler Bestandteil des Landesprogramms, aber auch die Opferberatung. Es gibt eine ganze Fülle an Projekten, die wir zur Aufklärung, zur Begleitung, zur Stabilisierung von Gegenstrukturen, insbesondere im Jugendbereich, fördern. Selbstverständlich gehört dazu auch, dass Aufklärung in der Schule passiert, dass das Gegenstand im Unterricht ist und hier auch ein Schwerpunkt gesetzt wird. Der Berliner Ratschlag für Demokratie, wo sich sehr viele Prominente unserer Stadt aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen zusammengeschlossen haben, hat eine Respektkampagne aufgelegt, mit der auch für Respekt andersdenkender, anderslebender, andersliebender Menschen geworben wird. Auch das alles gehört dazu, dass wir in unserer Stadt eine Gegenkultur gegen Rechtsextremismus und rassistische und – meinetwegen auch wichtig zu nennen – homophobe Denke hinbekommen. Ich will abschließend noch sagen, wir sind gerade dabei, einen Landesaktionsplan gegen Rassismus vorzubereiten. Er wird in Zusammenarbeit mit unserer Landesstelle gegen Diskriminierung erstellt. Das ist ein weiterer Baustein in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Senatorin! – Eine Nachfrage von Frau Demirbüken-Wegner, bitte schön!

Frau Senatorin! Sie haben viele Projekte genannt, die Anerkennung finden – gar keine Frage! Aber nichtsdestotrotz haben wir eine Tendenz auch in Berlin zu verzeichnen. Vor ungefähr anderthalb Wochen haben wir erfahren, dass Rechtsextremismus und Rassismus in Bezirken wie Lichtenberg, Marzahn, Friedrichshain um 40 Prozent gestiegen sind.

Jetzt muss eine Frage kommen.

Besorgniserregend!

Frau Kollegin! Jetzt muss eine Frage kommen.

Ja! – Wie denken Sie, dass Ihre kurzatmigen Projekte diese Atmosphäre abfangen sollen?

[Zurufe von der Linksfraktion]