Protokoll der Sitzung vom 30.04.2009

Was mich noch wundert: Als Haushälterin wissen Sie, dass selbst die Kitabeitragsfreiheit nicht ausreicht, um das zu finanzieren, was Sie fordern. Wenn Sie mir erzählen, dass Sie als Haushälterin meinen, das Geld reiche nicht aus für das, was wir wollen, dann zeigt das doch, dass Sie in Ihrer eigenen Fraktion nicht in der Lage sind, gutes Geld für gute Bildung zu investieren.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Vielen Dank! – Wir setzen nun die Debatte fort. Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Kollege Dragowski.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Mari Weiß! Sie fragten auch nach dem Unterschied des Gesetzesantrags der Koalition zum Antrag der Grünen – man könne ja auch was Gemeinsames machen. Während die Grünen völlig zu Recht fordern, alle möglichen Ressourcen in die Qualitätsverbesserung zu stecken, bleiben Sie lieber Ihrer Ideologie treu und sagen, es muss um jeden Preis kostenlos sein, auch wenn es nichts wert ist. So geht es nicht, Frau Kollegin Weiß.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was ist denn an der Gebührenfreiheit falsch?]

Den Antrag der Grünen, Herr Doering, unterstützen wir, wobei wir im Haushaltsausschuss auch schauen werden, wie die Finanzierung vonstatten geht. Der Antrag der Grünen ist aber fachlich absolut richtig.

[Beifall bei der FDP und den Grünen – Uwe Doering (Linksfraktion): Weil er liberal ist!]

Ja, wir können nun über den liberalen Anstrich der Grünen philosophieren, Herr Kollege Doering, aber das

muss nicht sein. Fakt ist, die Grünen fordern zu Recht eine Qualitätsverbesserung, und wir fordern diese auch.

Ich zähle unsere Punkte noch einmal auf: Wir haben die Forderung nach einer Teilzeitförderung, und das, Frau Kollegin Scheeres, als Regelförderung. Das möchten Sie auch, aber die Grünen wollen das nicht erst im letzten Kitajahr. Das ist völlig richtig, man braucht eine Teilzeitförderung als Regelförderung in allen Kitajahren, und zwar ab sofort, das bedeutet auch mehr Bildungszeit für das Kind.

Des Weiteren ist es richtig, dass es eine bessere Informationspolitik gegenüber den Eltern gibt, vor allem auch bei denen mit Migrationshintergrund. Hier haben wir noch immer ein Defizit, und der Senat hat meines Erachtens auch noch keinen richtigen Weg gefunden.

Wir müssen auch über eine bessere Personalausstattung reden, denn eine gute Förderung benötigt auch pädagogisch gutes Fachpersonal in ausreichender Zahl. Gestatten Sie mir noch den Hinweis: Wenn ich mir die Situation auf dem Arbeitsmarkt anschaue, den bundesweiten Erziehermarkt, so muss ich sagen: Lieber Herr Senator! Bei der Sicherung der Fachkräfte haben Sie einfach mal geschlampt, da hätte man sicherlich perspektivisch besser planen können, auch was die Studiengänge und die Ressourcen für die Erzieherausbildung angeht. Insoweit interessiert mich auch, was Sie, Herr Senator, gegen den bundesweiten, vor allem aber den für Berlin relevanten Fachkräftemangel im Erzieherbereich tun, welche Lösung Sie dort anbieten. Wann kommen die von den Trägern geforderten fünf Stunden für Vor- und Nachbereitung für das Erzieherpersonal? – Wir können noch so viel über das gute Bildungsprogramm in der Kita reden, wenn wir einfach nicht die Ressourcen haben, um es umzusetzen.

Die Freistellung ab 100 Kitakindern, Frau Kollegin Scheeres, darin sind wir uns alle einig, ist absolut wichtig und richtig. Wenn man sich die Aufgaben der Kitaleitung anschaut – Personalgespräche, vor allem auch Elterngespräche –, dann macht es keinen Sinn, dass bei der Anzahl von Kindern die Leitungskraft noch als Erzieherin in die Gruppe geht.

Kommen wir nun zum Geld. Wir werden die Beratungen im Hauptausschuss abwarten. Jugendpolitisch ist der Antrag sehr gut und absolut in Ordnung. Die Abkehr vom Grundsatz der Beitragsfreiheit zum jetzigen Zeitpunkt ist richtig; wir haben das schon vor längerem gefordert, insoweit finden wir es richtig, dass wir hier nun gemeinsam diese Forderung vertreten. Grundsätzlich wollen wir natürlich auch eine qualitativ exzellente Kita zum niedrigen Preis, aber das ist in der jetzigen Situation schwer vorstellbar, Frau Kollegin Weiß. Die Forderungen, die Ressourcen, die wir haben, in die Verbesserung zu packen, sind insoweit berechtigt. Wenn Sie, fraktionsintern, koalitionsintern, Ihre 70 Millionen Euro durchbekommen, dann ist das aus jugendpolitischer Sicht sicherlich lobenswert, aber packen Sie noch die Millionen aus der

Beitragsfreiheit dazu, dann kommen wir bei der Qualität der Kindertagesstätten schon einen wesentlichen Schritt weiter.

Wir brauchen keine unterfinanzierten Verwahranstalten, sondern exzellente Bildungseinrichtungen. Bei den bislang vom Senat eingesetzten Ressourcen ist dieser Bildungsauftrag – bei aller Motivation des Erzieherpersonals – einfach nicht zu schaffen.

Ich möchte noch auf Ihre Äußerung im Jugendausschuss eingehen, Herr Senator. Wir hatten da ja auch schon mal ein Frage-Antwort-Spiel. Ich hatte Sie nach den Möglichkeiten der Beitragsfreiheit gefragt, und da meinten Sie: Man kann immer Verbesserungen über die Kostenfreiheit gegen solche Verbesserungen, die man wünscht – wie, das habe ich jetzt eingefügt, die Qualitätsverbesserung – abwägen. Das Abgehakte, hier: die Kostenfreiheit, erhält erfahrungsgemäß eine niedrigere Wertigkeit. – Das ist eine Antwort, mit der ich nicht viel anfangen kann. Ich verstehe, dass Sie und auch die Koalitionsfraktionen beides wollen – Beitragsfreiheit und eine gute Qualität –, aber wir sind uns in diesem Hause alle einig, dass das nicht möglich sein wird. Insoweit können wir als Liberale an Sie nur appellieren: Lassen Sie die Beitragsfreiheit sein, packen Sie jeden zusätzlichen Euro in die Bildungseinrichtung Kita! Die stufenweise Qualitätsverbesserung, Frau Kollegin Scheeres, und die gleichzeitige Entlastung der Eltern ist eine Verzögerung, eine verlorene Bildungszeit für die Kinder, die die vollzeitige Förderung noch nicht genießen können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss, wozu ich keinen Widerspruch sehe und höre.

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion der FDP den Tagesordnungspunkt 20 unter

lfd. Nr. 5 c

Beschlussempfehlung

3 Jahre nach der EU-Osterweiterung: Masterplan zum Abbau der Zugangsbeschränkungen für mittel- und osteuropäische Arbeitnehmer!

Beschlussempfehlung EuroBundMedienBerlBra Drs 16/2296 Antrag der FDP Drs 16/0506

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von dieses Mal bis zu acht Minuten zur Verfügung. Für die FDP-Fraktion spricht der eben da gewesene Kollege Dragowski.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Fünf Minuten!]

Lassen Sie ruhig die acht Minuten laufen, ich brauche sie, ich habe so viel auf dem Zettel stehen!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Mai 2004 ist die EU um zehn Staaten erweitert worden, auch um unsere nächsten Nachbarn, Polen und Tschechien. Berlin ist in die geographische Mitte der EU gerückt. Leider wurde am Montag die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die Bundesregierung bei der EU-Kommission beantragt. Somit wird eine Beschränkung der EU-Freiheit, die seit Beginn des Beitritts der neuen Staaten gilt, voraussichtlich verlängert. Wir Liberalen bedauern das und müssen fragen: Was hat der Senat hier getan? Wir haben schön häufiger – auch in den Ausschüssen – diskutiert. Der Regierende Bürgermeister und der Wirtschaftssenator Wolf haben immer wieder gesagt, sie seien für die Aufhebung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wobei das stets gekoppelt wurde an den Mindestlohn. Wenn man so Europapolitik macht, Europapolitik nach Kassenlage, man schaut, dass man seine nationalen sozialen Wünsche durchsetzt, erst dann darf es auch ein wenig Europa sein, dann sind wir im Gegensatz, denn so verstehen wir Liberalen Europa nicht, und so kann es auch nicht sein.

[Beifall bei der FDP]

Der tschechische Botschafter war im Februar im Europaausschuss. Auf meine Frage nach dem Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit hat er vor allem einen Ausdruck benutzt: Albtraum! Diese Frage sei ein Albtraum für ihn. Für die Tschechen ist es ein psychologisch wichtiges Thema. Die Euroskeptiker in Tschechien sagen: Auch aufgrund der Positionen der schwarz-roten Bundesregierung, aufgrund des Unterlassens der rot-roten Berliner Regierung haben wir wieder ein Europa der zwei Klassen. Der Tscheche kann sich in Europa nicht frei bewegen und sich um einen Arbeitsplatz bewerben. Umgekehrt können die Deutschen längst in Tschechien arbeiten. Ferner hat der Botschafter bedauert, dass das Motto der tschechischen Ratspräsidentschaft „Europa ohne Barrieren“ aufgrund dieser Verlängerung wahrscheinlich nicht umsetzbar ist.

Meine Damen und Herren! Denken Sie um, wenn wir über Europa diskutieren. Wir Liberalen haben uns auf allen Ebenen dafür eingesetzt. Letzte Woche wurde im Bundestag ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion abgelehnt, der die Bundesregierung noch einmal aufforderte, umzulenken.

Ich möchte auch auf die Argumente eingehen, die hier im Haus präsentiert wurden, beispielsweise von der Kollegin Grosse von der SPD, die gesagt hat, dass man dem Fachkräftemangel – um den es bei der Freizügigkeit ja auch geht – vor allem durch Ausbildung entgegenwirken könne. Das ist völlig richtig, aber wenn man überlegt, wie lange eine vernünftige Ausbildung dauert, Frau Grosse, und dass wir anscheinend auch nach vielen Jahren schwarz-roter Regierung im Bund und rot-roter Regierung

in Berlin noch immer einen Fachkräftemangel haben, dann kann ich nur sagen: Dieses Argument können wir nicht gelten lassen! Vor allem: Welches Europabild zeigt das? Wir können uns durch solch eine Art der Politik nicht abschotten. Wir haben heute in Berlin – Stand April – immer noch 40 000 unbesetzte Stellen in der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Arbeitnehmer aus Polen oder auch aus Tschechien, die ihre Sozialabgaben hier zahlen, die hier arbeiten, sind nicht nur ein guter Schritt für Europa, ein gutes Signal für die neuen Beitrittsstaaten, sondern sind auch eine wichtige Stütze für die Wirtschaft in Berlin und Deutschland.

[Beifall bei der FDP]

Herr Kollege Wansner! Sie haben im Ausschuss gesagt, dass die Bundesregierung richtig entschieden hat, dass sie der Öffnung nicht nachkommt. Wegen der Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise sei das die richtige Entscheidung für Berlin. Das muss ich wirklich bedauern, dass Sie diesen protektionistischen Ansatz wählen und es sich relativ leicht machen. Aber Sie sind da in bester Gesellschaft, die SPD-Bundestagsfraktion hat sich ähnlich positioniert. Festzuhalten ist: Es gibt mit Meldung von gestern eine klare Aussage, dass die Öffnung der deutschen Arbeitsmärkte für eine Zuwanderung aus den Beitrittsländern erstens langfristig positive Effekte hätte, zweitens die deutsche Bevölkerung langfristig höhere Einkommen aus Arbeit und Vermögen hätte und drittens – das ist auch noch ein wichtiger Punkt – die Arbeitsmarktwirkung der Zuwanderung in Deutschland weitgehend neutral wäre. Jetzt fragen Sie wahrscheinlich nach der Quelle. Das ist nicht die FDP-Bundestagsfraktion, sondern das Institut für Arbeits- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Sie erschien gestern im Internet, Sie können sie sich herausziehen.

Wir bedauern, dass wir Liberalen gemeinsam mit den Grünen in diesem Haus bislang leider erfolglos für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gestritten haben. Wir müssen an dieser Stelle kritisieren, dass der Senat doppeltes Spiel getrieben hat. Er hat pressewirksam immer verkündet, dass er die Arbeitnehmerfreizügigkeit wolle. Hintenherum hat er jedoch die Koppelung mit dem Mindestlohn betrieben.

Herr Kollege! Das Präsidium hat sich vorhin geirrt, Sie hatten leider doch nur fünf Minuten Redezeit. Sie bekommen einen langen Schlusssatz zum Trost, aber dann müssen Sie bitte aufhören!

Dann hole ich tief Luft, Herr Präsident, und werde einen Schlusssatz bringen, der meine weiteren zehn Seiten an Aufzeichnung umfassen wird.

[Heiterkeit]

Dadurch, dass wir als Berliner Abgeordnetenhaus dieses Signal für die Aufhebung der Arbeitnehmerfreizügigkeit

nicht gesetzt haben – und zwar ohne Bedingungen an nationale soziale Fragen und Wünsche –, haben wir eine Chance verpasst. Wir haben ein wichtiges Zeichen in Richtung neue EU-Staaten nicht gesetzt. Daran ist leider der Senat schuld, daran muss er sich auch in den nächsten Monaten und Jahren messen lassen. Spätestens im Jahr 2011 kommt das böse Erwachen. Wenn bis dahin keine vernünftigen Reformen erfolgt sind, wird das alles nicht geholfen haben. Wir haben nur unseren europäischen Ruf ein wenig ruiniert. Dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft hat das alles nicht geholfen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Kurt Wansner (CDU): War keine Erleuchtung!]

Vielen Dank! – Herr Kollege Zimmermann von der SPDFraktion hat nun auch fünf Minuten Redezeit. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bisschen fragwürdig, Herr Dragowski, dass Sie sagen, dass die FDP die Garantin für die Wahrung von Arbeitnehmerrechten in ganz Europa sei.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der FDP]

Da sind die Sozialdemokraten und die sozialistischen Parteien ein Stück weiter!

[Martina Michels (Linksfraktion): Allerdings!]

Ich könnte manche Beispiele von liberalen Beschlüssen im Europäischen Parlament oder auf europäischer Ebene nennen, die nicht so gut zu Arbeitnehmerrechten passen, aber die will ich hier weglassen. Ich will mich mit Ihnen eigentlich auch nicht streiten, weil wir in diesem Punkt ja einig sind.

Berlin hat ein Interesse daran, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union so bald wie möglich kommt. Wir haben das formuliert, wir haben auch gesagt, dass wir es besser gefunden hätten, wenn die volle Freizügigkeit im Jahr 2009 gekommen wäre. Wir haben das gegenüber der Bundesregierung eingefordert. Wir haben diese Auseinandersetzung leider nicht gewonnen. Das ist das Problem! Wir können jetzt als Abgeordnetenhaus oder als Senat noch wuchtige neue Beschlüsse fassen, aber die Sache ist leider erledigt. Leider zu spät. Wir haben das nächste Datum vor Augen, das ist das Jahr 2011. Wir sollten uns darauf orientieren, dass wir endlich am 1. Januar 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union haben werden.

Wenn es Überlegungen gibt, diese Frist noch einmal zu verlängern – ich weiß, Sie haben das angedeutet, wir haben das auch an anderer Stelle gehört –, wenn es Überlegungen gibt, mit den Beschränkungen noch über das Jahr 2011 zu gehen, dann allerdings vergreifen wir uns an

den europäischen Interessen, die in Mittel- und Osteuropa definiert sind, die wir definiert haben, auch an den Handelsinteressen und an den sonstigen Beziehungen zu Polen und anderen Ländern. Meine Fraktion warnt dringend davor, diese Frist erneut zu verlängern. Da sind wir mit Ihnen im Prinzip völlig einig.