Ihr Verschweigen der Probleme zeigt, dass Sie keinen Gestaltungsanspruch mehr haben. Sie sind in eine politische Lethargie verfallen, die für Berlin verheerend ist.
Von Ihnen kommt kein einziger Impuls mehr, um aus den gewaltigen Chancen unserer Stadt etwas zu machen. Das ist es, was heute hier besprochen werden muss. Wo sind Ihre Antworten auf die großen Stadtthemen? Von Klaus Wowereit ist dazu auf jeden Fall gar nichts zu hören – weder zur Generationengerechtigkeit, zur Nachhaltigkeit, zum Umweltschutz, zur ökonomischen Belebung, zum sozialen Zusammenhalt noch zu Fragen der Integration. Es steht keiner an der Spitze dieser Regierung, der Zukunft gestalten will.
Dabei haben Sie Glück. Der Transfermarkt, der sich in diesem Parlament herausgebildet hat, hat von Ihrem politischen Versagen abgelenkt. Dass in einer Woche drei Abgeordnete aus drei verschiedenen Fraktionen ihre Partei verlassen, das sucht seinesgleichen. Der Wechselzirkus hat aber auch gezeigt, wie austauschbar Positionen einiger Parteien hier im Abgeordnetenhaus sind.
Dabei kann man sicherlich auch die Glaubwürdigkeit Einzelner infrage stellen. Denn wie man mit Lafontaine unzufrieden sein kann und Lafontaines Marionetten hier in Berlin trotzdem an der Macht halten will, muss uns der Abgeordnete Wechselberg noch einmal erklären.
Aber die vergangenen Wochen haben vor allem eines offengelegt: Es brodelt gewaltig in der rot-roten Koalition.
Diese Spannungen dürften sich im Übrigen trotz alldem, was Sie erzählen und mit weißer Salbe zu verkleistern versuchen, bei den Haushaltsberatungen und bei den Verhandlungen im öffentlichen Dienst noch verschärfen. Aber es brodelt nicht mehr nur zwischen SPD und Linkspartei, wie wir es oft genug erlebt haben. Jetzt gibt es auch ein Brodeln innerhalb der Fraktionen und insbesondere innerhalb Ihrer Fraktion, Herr Müller! Es war deutlich zu vernehmen, dass Herr Wowereit die Arroganz und den Hochmut, mit denen er die Berlinerinnen und Berliner behandelt, offenbar auch gegenüber den eigenen Abgeordneten an den Tag legt.
Noch scheint das System Wowereit zu funktionieren. Anders kann ich mir nicht erklären, dass die Frauen in der SPD-Fraktion einen Rechtsverstoß gegen das Landesgleichstellungsgesetz wie bei der Besetzung des BVGVorstandspostens so lange hingenommen haben. Damit macht sich eine Partei, die sich Frauenpolitik in irgendwelchen Parteitagsanträgen auf die Fahne schreibt, im praktischen Regierungshandeln vollends lächerlich.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Zurufe von der Linksfraktion]
Anders kann ich mir im Übrigen auch nicht erklären, dass man seitens der Frauen in der SPD, aber auch insgesamt in Ihrer Fraktion so lange gebraucht hat, um einen Innensenator, der einen unerträglichen Vergewaltigungsvergleich abgeliefert hat, zu so etwas wie einer Entschuldigung zu drängen.
Aber wenden wir uns den inhaltlichen Problemen der Stadt zu, und dabei – lieber Herr Müller, da haben Sie recht! – ist es egal, ob Sie eine oder drei Stimmen Mehrheit haben. Sie konnten in der Vergangenheit nichts damit anfangen, und ich bin mir sicher, dass Sie auch in der Zukunft nichts damit anfangen können.
nämlich die Frage des sozialen Zusammenhalts. Es zeigt sich hier wieder einmal, dass Parteien, die das Wort „sozial“ im Namen tragen, noch lange keine soziale Politik machen. Das wird nirgends in der Republik so deutlich wie hier in Berlin.
Der Sozialstrukturatlas hat schonungslos deutlich gemacht, dass sich unsere Stadt hierbei in eine völlig falsche Richtung entwickelt. Immer mehr Flächen auf dieser Karte färben sich dunkel. Jeder Bezirk hat mittlerweile seine Problemkieze. Dann gehört es auch zu den Fakten, dass die Zahl der Armen unter Rot-Rot gestiegen ist. Ein Drittel der Kinder lebt in Hartz-IV-Haushalten. Die Altersarmut wird dramatisch zunehmen – und kein Wort erfolgt dazu von Ihnen, Herr Müller! Sie sind seit über sieben Jahren an der Macht. Insofern ist das Ihre Bilanz, und insofern ist es auch Ihre Verantwortung!
Aber auch an anderen Ecken brennt es. Wir müssen ein massives Erstarken der linksextremen Szene zur Kenntnis nehmen – eine Szene, die unsere Gesellschaftsordnung ablehnt, die staatliches Geld nimmt, aber den Staat hasst. 479 verletzte Polizisten am 1. Mai, 1 000 brennende Autos, Anschläge auf Restaurants und Wohnhäuser, das ist die erschütternde Bilanz dieser Gewalttätigkeit. Sie unternehmen nichts, um dieser Entwicklung zu begegnen, schlimmer noch: Eine radikale Demo wird sogar von
einem Politiker der Linkspartei angemeldet. Ich sage Ihnen: Solange Sie solche Umtriebe in Ihren Reihen dulden, Herr Lederer und die Kollegen von der Linken, fallen diese Krawalle auch auf Sie zurück! Da helfen Ihre halbherzigen Distanzierungen gar nichts.
Und auch hier, Herr Regierender Bürgermeister, sehe ich Sie in der Verantwortung. Lassen Sie es nicht zu, dass durch Ihren überforderten Innensenator noch einmal Hunderte Polizisten verheizt werden wie an diesem 1. Mai! Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen der ausgestreckten Hand und politisch angeordneten Unterwerfungsgesten.
Deshalb, Herr Körting und Herr Wowereit, setzen Sie endlich ein starkes Zeichen gegen Linksextremismus und linke Gewalt! Herr Körting, Sie können im Dienstwagen aus Friedrichshain-Kreuzberg flüchten, wenn es brenzlig wird, aber die Menschen in diesem Bezirk können es nicht. Deshalb ist es Zeit zu handeln.
Diese Koalition hat auch keine Antwort darauf, wie Berlin wieder zu ökonomischer Kraft zurückfindet, gerade in der jetzigen Situation und gerade in der jetzt angespannten Wirtschaftslage. IHK-Chef Schweitzer spricht von der größten Krise seit 1945. „Es ist höchste Zeit, dass der Senat handelt“, erklärte er kürzlich in einem Interview. Er dürfte damit auf taube Ohren stoßen, denn Herr Wowereit hat ja erst im März erklärt, Berlin sei nicht so krisenanfällig, weil wir ja schon so viele Probleme hätten. Solche Aussagen sind zynisch angesichts eines erwarteten Wirtschaftseinbruchs von 4 Prozent.
Dass der Senat jetzt erst anfängt, über ein Industriekonzept nachzudenken, nachdem – Herr Müller, hören Sie zu! – unsere Vorschläge seit zwei Jahren auf dem Tisch des Hauses liegen, das spricht doch für sich, und das spricht Bände.
Natürlich ist es schön, dass sich kreative Menschen von unserer Stadt angezogen fühlen. Ich kann nur sagen: Nutzen Sie dieses Potenzial, dieses einzigartige Reservoir an Talenten! Aber Berlin wird nicht allein von der Kreativwirtschaft leben können. Es wird in dieser Stadt einfach nicht genug Stellen für Drehbuchautoren geben, und nicht jeder ist zum Modedesigner geboren. Deshalb wird es unter dem Strich nicht funktionieren, wenn man sich hier einseitig fokussiert.
Aber Ihr Versagen – Herr Müller, weil Sie das so deutlich herausgestellt haben in Ihrer Rede! – wird auch in der
Bildungspolitik deutlich. Es zeigt die tiefe Zerrissenheit dieser Koalition, dass der Bildungssenator drei Anläufe gebraucht hat, bis überhaupt die finanziellen Eckwerte für seine Schulstrukturreform abgenickt worden sind. Es bleibt dabei: Es gibt ein neues Etikett, aber keine pädagogischen Konzepte. Damit zeigen Sie keinen neuen Weg für die Schulen auf. Damit verunsichern Sie Eltern, Lehrer und Schüler gleichermaßen.
Ich bin auch sicher, dass Ihr Kompromiss hier nicht das letzte Wort sein wird. Machen wir uns nichts vor: Die Linke kann die Existenz des Gymnasiums in Berlin nicht ertragen.
Wenn diese rot-rote Koalition überhaupt ein Erbe hinterlässt, dann ist es eine gespaltene Stadt. Das haben wir bei den großen Stadtdebatten der vergangenen zwei Jahre deutlich gesehen. Das war bei Tempelhof der Fall, und das war bei der Initiative „Freie Wahl“ so.
Rot-Rot hat die Stadt im vergangenen Jahr in Ost und West geteilt. Das Zukunftsthema des City-Airports wurde als sogenanntes „Westthema“ abgestempelt und diffamiert. Berlin wurde geteilt in rückwärtsgewandte Luftbrückennostalgiker und –
progressive Flughafengegner. Bei „Pro Reli“ haben Sie versucht, einen Keil zu treiben zwischen Gläubige und Menschen ohne Konfession, zwischen Befürworter und Gegner von Religionsunterricht. Diese Intoleranz, aber auch die mangelnde Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, eine Politik, die nur Gewinner oder Verlierer zurücklässt, kann und darf in dieser Stadt keine Zukunft haben, meine Damen und Herren! Wir werden weiter herausarbeiten, warum Rot-Rot nicht fortgesetzt werden darf.
In einer Frage spalten Sie die Berliner nicht: Die große Mehrheit ist unzufrieden mit Ihrer Politik.