Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Schon jetzt sind es zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner, und mit jedem Tag, den Sie weiter diese Probleme in unserer Stadt aussitzen, werden es mehr. Im Ergebnis – da bin ich mir sicher – wird sich dann ein altes deutsches Sprichwort bewahrheiten: Hochmut kommt vor dem Fall.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Da haben Sie recht!]

Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Henkel! – Sowohl der Kollege Müller als auch Sie haben einen zeitlichen Fraktionsvorsitzendenzuschlag bekommen. Den werden wir natürlich auch den nachfolgenden Rednern zubilligen. – Frau Bluhm von der Linksfraktion, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Tage politischer Turbulenzen, die wenig damit zu haben, wie erfolgreich eine Regierung oder wie die Opposition in Berlin arbeitet. Die Abgeordnete Bayram ist von der SPD zu den Grünen übergetreten, Frau Öney weg von den Grünen wahrscheinlich hin zur SPD, und Carl Wechselberg hat lange überlegt, ob er die Fraktion verlassen muss. Ich bedauere, dass sein Parteiaustritt für ihn unausweichlich war, aber ich weiß, wie wichtig ihm die Regierungsbeteiligung der Linken in Berlin ist.

[Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

Deshalb wird er in der Fraktion bleiben, das hat er erklärt. In diesem Sinne wird er seine Arbeit mit uns gemeinsam fortsetzen.

Was die Beweggründe der Einzelnen betrifft, gibt es eine Vielzahl von Erklärungen. Es ist viel geschrieben und auch viel spekuliert worden. Ich sage ganz offen: Solche Wechsel sind kaum geeignet, das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in Politik und Demokratie zu stärken, denn so mancher fragte sich – ich war erstaunt, wie viele das taten –, ob politische Mandate Privateigentum seien. Schließlich habe man eine bestimmte Partei gewählt und bestimmte Erwartungen damit verbunden. Das sollten wir ernst nehmen und uns dieser Diskussion auch stellen.

Unsere Verfassung gibt das her. Die Linke hat auch schon davon profitiert, als z. B. unser heutiger Wirtschaftssenator Harald Wolf aus der AL ausgetreten ist und für die PDS gewonnen wurde. Solche Wechsel passieren natürlich nicht nur in Berlin, aber – das ist mir wichtig – es steht uns allen gut zu Gesicht, dieses Mittel der Politik nicht überzustrapazieren. Es schafft auch Verdruss bei den Bürgerinnen und Bürgern und hinterlässt den Eindruck, Abgeordnete hätten mehr mit sich als mit den Fragen dieser Stadt zu tun.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und bei der SPD]

Ich weiß nicht, wie andere politische Konstellationen solche Aufregungen gemeistert hätten, aber Rot-Rot hat in diesen Tagen wieder einmal gezeigt, dass wir auch kleinere Krisen meistern können und dass wir zuverlässig sind. Unsere Mehrheiten hier im Parlament waren immer

knapp, aber es sind Mehrheiten, und allen Turbulenzen zum Trotz: Linke und PDS haben weiter konsequent an wichtigen Themen der Stadt gearbeitet, denn wir stehen erst in der Mitte der Legislaturperiode und haben noch viel vor. Und während die Opposition Freudentänze aufgeführt hat und das Wackeln der Regierung beschwor, haben wir eine der größten Baustellen dieser Stadt geräumt,

[Mario Czaja (CDU): Eine der größten Baustellen geschaffen!]

nämlich die Frage, wie die Schulstrukturreform in Berlin aussehen kann und wie sie ausgestattet wird. Da gab es keine Hängepartie, da wurde hart verhandelt, und es hat sich gelohnt. Wir haben im Schulbereich in Berlin oft genug erlebt, dass gute Ideen mehr oder weniger mit zu geringen Mitteln ausgestattet wurden und die Ausstattung eben nicht stimmte. Jetzt ist etwas Gutes gelungen. Die neue Schulstruktur schafft die Hauptschule ab. Das war längst überfällig.

Sie weist einen gangbaren Weg zu einer Schule für alle, bei der die individuelle Förderung zählt. Schauen Sie sich die Klassenfrequenzen an, die Ganztagsbetreuung, die Entlastungen für die Lehrerinnen und Lehrer, die Ausstattung mit Sozialpädagogen und Erzieherinnen! Viele Elemente weisen auf die Gemeinschaftsschule und ermöglichen einen besseren Abschluss für die Schülerinnen und Schüler. Eine zunehmende Auslese durch die Schule aufgrund der sozialen Herkunft der Kinder kann sich Berlin auf keinen Fall leisten.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Christoph Meyer (FDP): Das zementieren Sie doch!]

Rot-Rot hat wieder einmal mehr hinbekommen als Schwarz-Moorburg-Grün in Hamburg. Darüber freue ich mich sehr. Eine bessere Schule für Berlin, wenn das gelänge, wäre das für mich ein Grund für gute Stimme. In Hamburg plakatieren sie – Sie können einmal hinfahren – gerade flächendeckend den Erfolg der Einführung einer gemeinsamen sechsjährigen Grundschule. Das möchte ich nur dazu anmerken. Alle anderen Fragen sind weitgehend ungeklärt.

Apropos Stimmung: Gehe ich eigentlich richtig in der Annahme, dass das Jamaika-Tischtuch schon zerschnitten ist, wenn die Opposition gegenseitig auf mangelnde Verlässlichkeit hinweist? Ist das eigentlich der Ton, der ermuntert, Frau Eichstädt-Bohlig, Herr Ratzmann, wenn ich auch einmal Herrn Henkel zitieren darf – auch damit habe ich kein Problem –, wenn er über die Grünen sagt: Zwei Fraktionsvorsitzende reichen offenbar nicht aus, um Stimmungen in der Fraktion wahrzunehmen und richtig zu bewerten? Ich weiß nicht, wie viele im Saal die Auffassung teilen – Michael Müller, davon gehe ich aus, sieht es ebenso –, dass man mit Leuten, die immer recht haben wollen und immer darauf bestehen, dass sie recht haben, auch wenn man das Gegenteil auszählen kann, weder eine Beziehung noch eine Koalition möchte.

Es stellt sich die Frage, wohin die Grünen in Berlin oder auf Bundesebene tendieren. Da gibt es grüne Pirouetten allerhand im Land.

[Ramona Pop (Grüne): In wen sind Sie denn heimlich verliebt?]

Schauen wir auf das letzte Wochenende. Die grüne Bundesspitze hatte sich vorgenommen, eine Koalitionsaussage zugunsten der FDP in ihr Wahlprogramm zu schreiben. Die Basis hat das erfolgreich bekämpft. Da machte innerhalb eines Wochenende die grüne Basis eine hundertprozentige Kehrtwende und rief auf ihrem Parteitag aus: Westerwelle, wir stellen dich! Verlass dich drauf. – Es wurde ein Programm beschlossen, dass auffallend viele Ähnlichkeiten aufweist nicht zur FDP oder zur CDU, sondern zu den Linken.

[Michael Schäfer (Grüne): Nein! Unseres ist realisierbar. Ihres nicht!]

Vor diesem Hintergrund ist es schon verblüffend, dass in Berlin die grüne Fraktion über den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor schimpft, sodass man vermuten könnte, die Grünen wollten nun 1-Euro-Jobs für alle, während im Bundestagswahlprogramm eine späte Distanz zu Hartz-IV erkennbar ist. Es ist in diesen Zeiten auch sinnvoll. Deshalb ist es Rot-Rot in Berlin so wichtig, dass es öffentlich geförderte und ordentlich bezahlte Arbeitsplätze gibt, weil Unternehmen in diesen Tagen Tausende von Menschen entlassen. Natürlich ist der ÖBS kein Allheilmittel, aber mit 1-Euro-Jobs, Frau Pop, fällt es einem Arbeitslosen deutlich schwerer, so etwas wie Konsumfreude zu entwickeln.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich will nicht zu sehr den Zustand der Opposition beklagen. Diese hat sich in den letzten Tagen ganz schön gedrängelt, ein Ende von Rot-Rot herbeizureden. Wie wollen Sie dieser Stadt eine Perspektive bieten, Herr Henkel? Telefonierend wird das auch nicht gelingen. Wo sind denn die politischen mehrheitsfähigen Alternativen in dieser Stadt? Wo sind die Personen, Projekte, Perspektiven, die uns gemeinsam unter Druck setzen sollen?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Bluhm?

Das ist jetzt unpassend. –

[Sebastian Czaja (FDP): Nicht einmal dem Druck halten Sie stand!]

Es gibt sie nicht. Da braucht man Ihre Kampagne, Herr Henkel, in der letzten Zeit nur einmal anzuschauen. Sie zielten jeweils auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, vorzugsweise im Westteil der Stadt. Da haben Sie nur wie zu Zeiten des Kalten Krieges polarisiert und haben jedes Mal auf das falsche Pferd gesetzt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der Volksentscheid „Pro Reli“ wurde von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt beantwortet, und zwar in dem Sinne, Ethik als gemeinsames Fach beizubehalten und Religionsunterreicht freiwillig anzubieten. Es ist eine ganze Menge mehr, was keine Regierung vor uns hinbekommen hat. Unsere Regierung ist selbst an der Herausforderung Haushaltskonsolidierung mit sozialem Augenmaß gewachsen, weil wir die Fähigkeit haben und hatten, uns auch einmal zu korrigieren. Wir haben die Stadt aus einer erdrückenden Schuldenlast ohne fremde Hilfe herausgeführt. Wir haben es geschafft, die Finanzen zu konsolidieren und einen Bankenskandal zu einem wirklich genialen Ende zu führen, wenn man einmal die Wirtschaftsseiten der aktuellen Zeitungen liest.

Wir sind es, die die öffentlichen Unternehmen sanieren und Handlungsspielräume für eine soziale und nachhaltige Politik überhaupt erst wieder aufschließen. Das ist die Kernkompetenz für diese Stadt, auf der unsere Reformprojekte dieser Legislaturperiode aufbauen, im Bildungsbereich, im sozialen Bereich, bei der Integration, im Umgang mit öffentlichen Unternehmen, in denen es übrigens mehr Frauen in Führungspositionen gibt, seit Berlin einen linken Frauensenator hat. Rot-Rot kann auf Dinge verweisen, die bundesweit Modellcharakter haben.

[Benedikt Lux (Grüne): Armut!]

Vielleicht wird Rot-Rot deshalb gerade in diesem Jahr so massiv angegriffen.

[Christoph Meyer (FDP): Reden Sie mal zur Stadtpolitik!]

Es ist keine geringere als die Bundeskanzlerin Frau Merkel, die jedes Mal auf die Nase fällt, wenn sie den Berlinerinnen und Berlinern einen Tipp gibt, wie sie beim Volksentscheid abstimmen sollen. Das war vor einem Jahr bei Tempelhof so und auch vor wenigen Wochen beim Thema „Pro Reli“.

[Benedikt Lux (Grüne): Das war eine Klatschpause!]

Ja, über die Bundeskanzlerin zu klatschen, obliegt nicht meiner Fraktion und auch nicht der SPD. – An dieser Stelle behaupten Sie eben, dass Sie diese Stadt kennen würden.

[Zuruf]

Ja, die haben auch nicht geklatscht. Darüber können Sie sich einmal Gedanken machen. Nicht einmal an dieser Stelle sind Sie sich einig. – In der Stadt, die Sie zu kennen glauben, sorgen Sie für Spaltung und werfen es gleichzeitig Rot-Rot vor. An der Stelle werden Sie sich noch die Zähne ausbeißen, weil es Ihnen nicht gelingt, die die Verschiedenheit der Berlinerinnen und Berliner produktiv zu machen, weil wir uns den Herausforderungen einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise stellen. Wir werden das mit sehr viel Aufmerksamkeit tun, obwohl wir bei der Bewertung des Krisenmanagements der Bundesregierung grundsätzlich unterschiedlicher Meinung sind. Wer die Bereitschaft aufgebracht hat, diese Koalition gerecht zu bewerten, weiß, dass wir keine Schönwetteregierung sind. Immer wenn es sachlich schwierig wurde, haben wir gezeigt, dass wir gut sind. Immer, wenn es eng

zu werden drohte, oft sollte dieser Zustand auch herbeigeredet werden, sind wir stärker geworden.

Frau Bluhm, auch Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Der Bonus ist erschöpft.

Hier stehen zehn Minuten. Meine Kollegen – männlich, darauf muss ich Sie nicht hinweisen – haben deutlich länger gesprochen.

Ja, Sie auch! Sie sind schon seit einer Minute darüber.

Hier stehen zehn Minuten.

Die sind für den nächsten Redner!

[Heiterkeit]

Ich gehe einmal davon aus, dass das Präsidium Zahlen lesen kann.

Ich muss Ihnen sonst das Wort entziehen, was ich sehr ungern täte, wenn Sie jetzt nicht zum Schluss kommen.