Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

Wie wir wissen, haben die Ärzte inzwischen eingeklagt, länger praktizieren zu dürfen. Das mag in einer freien Praxis angebracht sein, denn dort entscheidet der Patient, ob er weiterhin zu seinem alten Arzt gehen möchte, aber bei angestellten Ärzten in Krankenhäusern liegt der Fall schon wieder anders, wo der Patient nicht die freie Wahl hat.

Ich frage auch nach der Staffelübergabe. Wir sind sehr dafür, dass auch jüngere Generationen bei Leitungen ihre

Chance bekommen. Wenn es aber keine Altersgrenze mehr gibt und dem alten Professor niemand sagt, dass er mit seinen Ansichten längst nicht mehr von dieser Welt ist, wird der Einstieg für Jüngere schwierig. Ich denke nicht, dass wir uns die Queen zum Vorbild nehmen sollten, die über 80 Jahre alt ist und deren Sohn ebenfalls bald das Rentenalter erreicht. Wer weiß, ob er noch leistungsfähig ist, wenn er den Staffelstab übernimmt. Wir sollten uns auch nicht an dem DDR-Witz über Parteitage orientieren, bei dem Punkt 1 der Tagesordnung lautete: Das Politbüro wird hineingetragen. – Ich denke, bei bestimmten Berufen ist es durchaus sinnvoll, eine gesetzliche Altersgrenze einzuführen.

Lieber Herr Lehmann! Vom Ansatz her ist der Antrag diskussionswürdig. Wir werden ihn diskutieren. Wenn Sie in Ihrem letzten Satz schreiben, das Lebensalter solle nicht ausschlaggebend sein, sondern die Leistungsfähigkeit der Menschen, dann ist das sicher richtig, aber man muss fragen, wer welchen Maßstab setzt. Das tut immer noch die Gesamtgesellschaft, und daran haben wir zu arbeiten und nicht nur an dem Einzelpunkt Altersgrenze. Der ist nur ein Symbol für das Gesamtsystem. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen hat Frau Villbrandt das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen der FDP-Fraktion! Herzlichen Glückwunsch zu diesem Antrag! Meine Fraktion wird demnächst einen ähnlichen Antrag einbringen, aber Sie waren schneller. Es freut mich sehr, dass Sie meine Kleine Anfrage offensichtlich auf die Spur gebracht hat.

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es bereits gesagt: Immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter. Nicht nur die Lebenserwartung steigt, sondern auch der Zeitraum, in dem die Menschen ihr Leben selbstständig und selbstbewusst führen können, wird länger. Dank der besseren Gesundheitsversorgung und Ernährung sind heute viele 70-Jährige in einer besseren geistigen und körperlichen Verfassung als 50-Jährige vor einem halben Jahrhundert. Dieser Trend wird sich laut der Wissenschaft noch fortsetzen.

Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters ist längst kein Tabuthema mehr, obwohl es dafür eigentlich keine Arbeitsplätze gibt. Die klare Motivation für solche Schritte ist die Kostensenkung. Politiker aller Parteien werden nicht müde zu betonen, welche Chancen und Vorteile uns die demografische Entwicklung bringt und welche Ressourcen in einem hohen Alter liegen. Parallel dazu sind aber verschiedene Ausgrenzungen der Menschen aus Altersgründen kaum thematisiert worden. Auch die Zeit nach der Berufsphase der Menschen wird kaum beachtet. Immer mehr Menschen wollen bis ins hohe Alter aktiv

leben, stoßen aber überall, sogar beim bürgerschaftlichen Engagement, auf Grenzen. Das hat auch Herr Lehmann gesagt.

Dabei sollen – historisch gesehen – viele Altersgrenzen den Einzelnen davor schützen, zu lange arbeiten zu müssen, vor allem, wenn die Kräfte bereits nachgelassen haben. Zugleich sollen diese Grenzen die Gesellschaft davor schützen, dass Menschen eine Funktion innehaben, die sie aufgrund nachlassender Kräfte nicht mehr ausfüllen können. Aber die meisten Altersgrenzen – das kam heute zu kurz – sind entstanden, um Menschen in bestimmten Funktionen und Positionen bestimmte Versorgungsformen zu ermöglichen. Dabei hat man sich stark am Beamtenrecht orientiert. Ich kann nicht nachvollziehen, warum ein Stadtrat bei seiner Wahl nicht älter als 57 sein darf, aber trotzdem zehn weitere Jahre in einem Beruf arbeiten soll. Warum darf der eine mit 58 nicht mehr antreten und der andere mit über 60 noch Senator werden? Warum müssen Stadträte überhaupt Beamte sein? Es gibt verschiedene andere Möglichkeiten, diesen anstrengenden Beruf angemessen zu entlohnen und die Versorgung zu regeln.

[Beifall bei den Grünen]

Uns geht es auch um unbegründete Altersgrenzen nach unten. Das Mindestalter von 27 Jahren für Stadträte ist kaum nachvollziehbar. Es gibt auch andere Kriterien, wie zum Beispiel eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Berufserfahrung, die uns vor einem unreifen Grünschnabel als Stadtrat schützen könnten.

[Heiterkeit und Beifall bei den Grünen]

Es gibt auch diskriminierende Altersgrenzen, auf die wir als Landesgesetzgeber keinen direkten Einfluss haben. Befremdlich ist das Beharren der Bundesregierung auf den bestehenden Altersgrenzen für Schöffen. Die Bereitschaft Älterer, sich bürgerschaftlich zu engagieren, müssen wir unterstützen und nicht unterbinden. Das ist ein sehr schlechtes Signal nach außen. Hier ist eine Bundesinitiative angesagt.

[Beifall bei den Grünen]

Zuerst sollten wir aber vor der eigenen Türe kehren. Deshalb müssen sämtliche Gesetze und Vorschriften des Landes daraufhin überprüft werden, ob diskriminierende oder einfach unbegründete Altersgrenzen bestehen. Gegebenenfalls müssen Änderungen vorgenommen werden. Es muss möglichst jedem Einzelnen freistehen, bis zu welchem Alter er sich beruflich oder ehrenamtlich engagieren möchte, und es liegt jetzt an uns, ganz konkret und praktisch an einem neuen Bild des Alters zu arbeiten. – Danke!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Rainer-Michael Lehmann (FDP)]

Vielen Dank! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche

Bildung und Soziales. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Damit ist das beschlossen.

Die lfd. Nr. 4 d war Priorität der Fraktion der SPD und wurde unter Tagesordnungspunkt 4 a aufgerufen.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 4 e:

Antrag

Ein Bildungskonsens für die Hauptstadt – Schulstrukturreform breit diskutieren – langfristige Lösung anstreben

Antrag der CDU Drs 16/2595

Für die Beratung stehen den Fraktionen wieder jeweils fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die CDU. Der Kollege Steuer hat das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In nur zwei Monaten will die Koalition die größte Schulreform der letzten Jahrzehnte im Abgeordnetenhaus durchpeitschen. Statt Sorgfalt und solider Vorbereitung soll alles nun ganz schnell gehen. So kann man mit dieser Mammutreform nicht umgehen.

Was will Rot-Rot inhaltlich? – Rot-Rot will in Berlin eine Sekundarschule einführen und die bisherigen Schulformen auflösen. Das Vorhaben ist die größte Schulreform in der jüngsten Geschichte der Stadt. Auch wir sind der Auffassung, dass die Schulstruktur verändert werden muss, aber uns geht es dabei – anders als der Koalition – nicht um das Türschild, das Gebäude und die Struktur per se, sondern im Mittelpunkt der Bildungspolitik der CDU steht der einzelne Schüler mit seinen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Zielen.

[Beifall bei der CDU]

Das ist der Unterschied, und das ist auch der bessere Leitfaden für eine bessere Bildungspolitik.

[Florian Graf (CDU): Wo ist eigentlich der Schulsenator?]

Wir wollen Schulen, in denen jeder Schüler motiviert wird, etwas zu lernen und auch zu leisten. Wir wollen motivieren, mehr zu leisten, als viele vielleicht für möglich gehalten hätten. Aber nicht jeder Schüler muss das Abitur machen. Ein Abschluss, der zu einer qualifizierten Berufsausbildung führt, ist genauso viel wert wie ein gutes Abitur. Deshalb müssen neben den Gymnasien auch die guten Profile der bereits bestehenden Schulen in einer neuen Schulstruktur erhalten bleiben. Auch in einer neuen Schulstruktur brauchen wir die guten Ansätze, die es heute in den Hauptschulen, den Realschulen und den Gesamtschulen gibt.

[Frank Henkel (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Steuer?

Bitte schön, Herr Henkel!

Die Zeit läuft noch.

Herr Kollege Steuer! Sind Sie nicht der Auffassung, dass zu einem solch wichtigen Thema wenigstens der Bildungssenator anwesend sein sollte?

[Özcan Mutlu (Grüne): Der ist doch da! – Weitere Zurufe]

Schön – rechtzeitig dazustoßen! Herzlich willkommen!

Vielen Dank, Herr Kollege Henkel! Meine Zeit wurde gerade wieder auf null gestellt. Deshalb habe ich jetzt wieder volle fünf Minuten, in denen der Bildungssenator mir von Anfang bis zum Ende zuhören kann.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Um Gottes willen, nicht noch einmal! – Jutta Leder (SPD): Es wird auch nicht besser!]

Ich bin mir sicher, dass wir eine Schulstruktur finden müssen, die nicht einfach alles zerstört, nur Türschilder austauscht, aber darüber hinaus keine Verbesserung bringt, sondern wir müssen überlegen, wie die guten Ansätze in den bestehenden Schulen erhalten bleiben können. Herr Senator! Deshalb ist es absurd, 40 bis 60 Schulen – nur weil es kleine Schulen sind – zu schließen, die jedoch gute pädagogische Ansätze haben, übersichtlich sind und wo gut gearbeitet wird, und gleichzeitig aber anderswo Klassenräume anzubauen.

[Beifall bei der CDU]

Diese Vernichtung von Geld und Wissen werden wir nicht mitmachen. Deshalb wollen wir gerade die wertvollen Inhalte erhalten und gleichzeitig die Schulform auflösen. Beides geht, wenn man ein kreatives Konzept annimmt. Wir brauchen Schulen, in denen es unter einem Dach verschiedene Bildungsangebote gibt, weil auch die Schüler unterschiedlich sind.

Wie viele andere Reformen von Rot-Rot droht nun auch diese Reform zu scheitern. Wie groß die Angst der Koalition davor ist, dass diese Schulreform scheitert, zeigen die jüngsten Beschlüsse. Die SPD-Bildungsstadträte haben nun beschlossen, dass die Schulstrukturreform schon im Jahr 2010 einfach durchgezogen werden soll, weil sie Angst vor einem Umstrukturierungschaos im Wahljahr

2011 haben. Also ohne solides Konzept, ohne Finanzierungsgrundlage, ohne pädagogisches Konzept für die Sekundarschulen! So macht sich der Senat die Stadt zur Beute und die Schüler zu Geiseln seiner ideologischen Schulstrukturpolitik.

[Beifall bei der CDU – Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Na, na, Herr Steuer!]

Alles übers Knie brechen – ohne solide Vorbereitung, ohne solide Finanzierung – und hinterher schauen, was herauskommt, das werden wir nicht mitmachen, und dagegen werden wir in den nächsten Monaten Widerstand organisieren.

[Beifall bei der CDU]