Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

Wir haben immer wieder Gesprächsangebote gemacht. Wir haben als einzige Partei sehr frühzeitig, nämlich im Januar dieses Jahres, ein eigenes umfassendes Konzept für eine Schulstrukturreform vorgelegt, das so zukunftsweisend ist, wie kaum ein anderes Schulstrukturkonzept in Deutschland.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Das war so dünn, dass es keiner bemerkt hat! – Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD) – Weitere Zurufe]

Wir sind uns dabei mit Ihnen einig – auch mit denen, die schreien –, dass die Schulformen neben dem Gymnasium aufgelöst werden müssen. Aber was an deren Stelle tritt, das hätten wir gern mit Ihnen besprochen, um so, wie es in Hamburg und Bremen gemacht wurde, zu einem überparteilichen Konsens zu kommen und deutlich zu machen: Ja, wir wollen etwas verändern, aber wir wollen auch haben, dass danach für 10 Jahre Ruhe herrscht in dieser Stadt, damit Eltern, Schüler und Lehrer eine Sicherheit bekommen.

[Beifall bei der CDU]

Das ist unser Angebot, und das ist unser Antrag heute. Deshalb rufen wir Sie erneut auf: Handeln Sie verantwortungsvoll, und nehmen Sie unser Angebot an! Diese Mammutreform muss gelingen, und sie kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Berlin braucht einen Bildungskonsens.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Sebastian Czaja (FDP) – Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Nun hat Kollegin Dr. Tesch das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist wieder mal so ein Antrag der CDU, der einerseits den Senat und die Regierungsfraktionen treiben will, aber andererseits bemängelt, dass wir ein Gesetz „durchpeitschen“ –

wie Sie immer so gern zu formulieren belieben. Nun fordern Sie einen Bildungskongress, um einen breiten Konsens für die Schulstrukturreform zu erreichen, und sagen, dass wir die Schulstrukturreform in zwei Monaten durchpeitschen wollen. In zwei Monaten! Wir diskutieren das mit diesem Senator seit über einem Jahr, aber die Diskussion, die wir geführt haben, ist noch viel älter – vor allem die Diskussion über die Abschaffung der Hauptschulen. Die Schulstrukturreform bzw. die betreffende Gesetzesvorlage ist doch nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis einer langen Diskussion hier im Parlament und in der Stadt.

Am 14. Mai sprachen Sie in Ihrem Antrag noch von einer sogenannten – ich zitiere – massiven Verunsicherung, heute werfen Sie uns Hektik vor. Beides ist nicht der Fall. Sie waren doch auch auf dieser Fachtagung am 13. Mai, wo elf prominente Experten auf dem Podium saßen – fast schon zu viele, möchte man meinen. Da haben wir die Schulstrukturreform breit diskutiert, und wir haben auch viel Zustimmung erfahren – von der IHK, von der Handwerkskammer, von Unternehmensverbänden und anderen. Es gibt also bereits einen breiten Konsens in der Stadt.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Danke, dass Sie jetzt gerade einen Zwischenruf machen. Ich habe zwar nicht verstanden, worum es geht, aber dass es von der FDP-Fraktion kommt, freut mich. Denn wer ist das Problem hier in der Stadt?

[Björn Jotzo (FDP): Sie!]

Das sind Sie, liebe Mitglieder von der FDP- und von der CDU-Fraktion. Mit Ihnen ist doch kein Konsens zu machen. Das ist das Problem, vor dem wir hier stehen. Was wollen Sie denn?

[Sascha Steuer (CDU): Wir haben Ihnen doch vorhin schon erklärt, dass es nicht funktioniert! – Gregor Hoffmann (CDU): Wir wollen Lehrer in den Schulen! – Sebastian Czaja (FDP): Keinen Unterrichtsausfall!]

Sie wollen das Angebot verschiedener Bildungswege aufrechterhalten. Wir wollen hingegen die Abschaffung der herkömmlichen Bildungsgänge und hin zu einem durchlässigen Schulsystem. Sie wollen den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems – übrigens einschließlich der Hauptschule. Die werden Sie zwar anders nennen, aber Sie lassen bei Ihrem komischen Bildungsvorschlag einen Hauptschulzweig unter Ihrem Dach.

[Zurufe von der CDU]

Wir wollen deren Abbau. Sie wollen den Ausbau der grundständigen Gymnasien. Wir wollen sie nicht weiter ausbauen. Herr Steuer! Es geht Ihnen auch überhaupt nicht um individuelle Förderung, wie Sie jetzt plötzlich behaupten.

Wir wollen mit unserer Schulstrukturreform drei Hauptziele erreichen. Wir wollen die Abbrecherquote der Berliner Schülerinnen und Schüler deutlich verringern, wir

wollen die Abiturientinnen- und Abiturientenquote deutlich erhöhen, und wir wollen endlich die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft deutlich verringern. Nein! Mit Ihnen sind unsere Ideen nicht umzusetzen. Herr Steuer! Selbstverständlich muss nicht jeder das Abitur machen. Das hat auch niemand von uns je behauptet. Aber es muss in beiden Schulformen möglich sein. Man muss auf unterschiedlichen Wegen zum Abitur gelangen können, und deshalb sind diese beiden geplanten Schulformen gleichwertig.

Herr Steuer! Sie haben wörtlich gesagt: Da werden wir nicht mitmachen. – Ja, gut! Aber wie wollen Sie dann einen Konsens erreichen? Wie soll das gehen? – Wir sind aber inzwischen viel weiter, und das wissen Sie auch. Der RdB hat der Gesetzesvorlage zugestimmt, wenn die Bürgermeister auch einige kleine Anmerkungen gemacht haben, wie Sie hier erwähnt haben. Aber es gibt eine breite Zustimmung, und die I. Lesung wird hier im Plenum in 14 Tagen stattfinden, dann wird das Gesetz in den Schulausschuss überwiesen werden, und dort wird nochmals eine Anhörung stattfinden, wie Sie wissen. Dann können Sie ja endlich zustimmen, sodass wir zu einem Konsens kommen. Aber diesen Antrag können wir eigentlich auch gleich mit überweisen und dort ablehnen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Herr Abgeordnete Mutlu. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Steuer! Ich dachte, wenigstens in der Rede wird jetzt etwas dazu kommen, warum dieser Antrag wichtig und notwendig ist, aber ich habe nicht verstanden, was Sie wollen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Da Sie nicht für den Bundestag kandidieren, habe ich auch nicht verstanden, was das sollte. Hätten Sie doch besser Ihren Verkehrsexperten Steffel nach vorne geschickt.

Aber egal, jetzt spreche ich einmal im Ernst. Die Sache ist ernst. Deshalb möchte ich auf die Tatsachen zurückkommen. Frau Tesch sagte es bereits, wir diskutieren das nicht seit zwei Monaten, sondern mindestens schon seit zwei Jahren, seit Beginn dieser Legislaturperiode. Es haben etliche Arbeitsgruppen angefangen, sich auch mit der Umsetzung zu beschäftigen. Der RdB hat dem Ganzen zugestimmt. Der Landeselternausschuss hat dieses Gesetzvorhaben breit diskutiert und Meinungen geäußert. Wir sind im Prozess sehr weit. Wenn dieser Antrag vor eineinhalb Jahren oder einem Jahr gestellt worden wäre, hätte man ihn auch ernst nehmen können. Heute kann ich

ihn nicht mehr ernst nehmen. Mir ist nicht klar, was Sie wollen. Wir wollen eine Reform in dieser Stadt. Wir wollen weg von der Hauptschule, die sich überlebt hat. Wir wollen gleiche Bildungschancen für alle und für alle die Möglichkeit zum Abitur. Das bietet diese Strukturreform.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der SPD]

Das ist im Übrigen in Hamburg der Fall. Die haben schon angefangen. Wer dort in der Regierung sitzt, muss ich Ihnen nicht ins Gedächtnis rufen. In Bremen, der Stadt, die Sie auch zitieren, passiert das jetzt auch, im Übrigen im Konsens. Dort hat die CDU gesagt, sie werde dies zehn Jahre nicht anfassen; der Weg solle gegangen und das Verfahren angeschaut werden. Das ist sehr vernünftig. Ich wünschte mir, Sie handelten hier genau so nach all den Debatten.

Natürlich gibt es noch Haken und Ösen. Natürlich gibt es noch Diskussionsbedarf. Wenn das Gesetz endlich einmal offiziell vorliegt, werden wir auch darüber diskutieren. Wir werden auch Anhörungen im Fachausschuss dazu durchführen. Das ist keine Frage. Wir stoßen uns zum Beispiel an dem Probejahr. Wir finden, dass das Probejahr ein großes Problem dieser Strukturreform ist bzw. die Strukturreform in gewisser Weise ad absurdum führt. Aber darüber wird in diesem Haus diskutiert. Hoffentlich finden wir gemeinsam einen Konsens, wie wir in einer großen Mehrheit diese wirklich wichtige und vielleicht sogar die größte Bildungsreform in dieser Stadt Berlin in diesem Land gemeinsam tragen können. Das ist unser Wunsch. Da werden wir versuchen, uns konstruktiv einzubringen.

Sie bringen sich jedoch nicht konstruktiv ein, sondern versuchen immer wieder, hier herumzumäkeln und immer wieder das Rad zurückzudrehen. Deshalb kann ich mit diesem Antrag nichts anfangen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Steuer?

Herr Kollege Mutlu! Ist Ihnen bekannt, dass in Bremen und Hamburg der Konsens nicht im Parlament erzielt wurde, weil die Regierung einen Gesetzantrag vorgelegt hat und danach alle zugestimmt haben, sondern ein Konsens außerhalb und im Vorfeld des Parlaments zwischen allen Parteien, Wissenschaftlern und Experten gefunden wurde, was, wie ich meine, auch der einzige Weg ist, wie man zu einem Konsens kommen kann? Man kann nicht erwarten, dass die Opposition einfach dem Regierungsantrag zustimmt. Vielmehr muss man sich verständigen, sonst wäre man von vornherein einer Meinung.

[Beifall bei der CDU]

Bitte sehr, Kollege Mutlu!

Der sogenannte Konsens, von dem Sie reden, wurde nicht außerhalb des Parlaments, sondern mit den Parteien und mit dem Parlament zusammen gefunden. Im Übrigen wurden dort auch diese Diskussionen geführt. Ich kann nur wiederholen, lieber Herr Steuer: Wir stehen nicht am Beginn der Diskussionen. Wir führen diese Diskussionen schon. Es haben sich schon diverse Gruppen dazu geäußert. Der RdB hat zugestimmt. Der Landeselternausschuss hat das lang und breit diskutiert. Es hat eine Anhörung mit Wissenschaftlern gegeben, die beispielsweise die Frage des Übergangs diskutiert haben, und vieles andere mehr. Wir sind im Prozess sehr weit. Tun Sie nicht so, als stünden wir am Anfang des Prozesses. Versuchen Sie einmal, hier in diesem Haus Vorschläge zu unterbreiten, wie wir konstruktiv mit dem Vorschlag, den die Koalition jetzt unterbreitet, etwas Besseres für die Stadt erreichen können. Versuchen Sie nicht immer wieder, das auf irgendeinen Tag zu verschieben. Heute haben Sie meiner Meinung nach nur wieder Wahlkampf mit einem wichtigen Thema gemacht, das nicht wirklich zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden sollte.

[Beifall bei den Grünen]

Ich sehe, ich habe noch etwas Zeit. – Wir finden diese Reform nicht nur in Ansätzen, sondern auch in ihrer Zielrichtung richtig. Wir haben aber ein Problem mit dem Probejahr. Wir werden uns in dem Gesetzgebungsverfahren in die Diskussion einbringen und versuchen, noch einen Konsens zu erzielen. Wir müssen sehen, ob wir uns in der Frage des Probejahrs einander annähern können. Ich kann Ihnen, Herr Steuer, nur raten, setzen Sie sich mit den Kollegen in Bremen in Verbindung, und setzen Sie sich mit Ihrem Kollegen in Hamburg zusammen! Vielleicht können sie Ihnen sagen, warum sie diesen Weg mitgehen. Vielleicht wäre das auch ein Grund für Sie, über Ihren Schatten zu springen. Diese Stadt braucht einen breiten Konsens in einer so wichtigen Reform. Dabei sollte die CDU mitmachen. Ich freue mich zu hören, dass Sie sich inzwischen auf den Weg gemacht haben. Sie haben heute die Reform nicht mehr in Frage gestellt, was Sie sonst immer getan haben.

[Zuruf]

Doch, das haben Sie immer. Wir können die Protokolle gern herausholen. Aber heute haben Sie zum ersten Mal gesagt, dass dieser Weg ein richtiger, gangbarer Weg ist. In der Beratung im Ausschuss werde ich Sie daran erinnern und hoffe, dass Sie sich bis dahin mit den Kollegen in Bremen und Hamburg kurzgeschlossen haben. Hoffentlich haben wir dann einen Konsens. Aber da muss sich sicherlich auch Rot-Rot bewegen. Wenn sich Rot-Rot nicht bewegt und auf dem faulen Kompromiss, den ich hier einmal unterstreichen möchte, beharrt, werden wir

uns nicht dazu bewegen können, dieser wichtigen Reform zuzustimmen.

Vielen Dank! – Das Wort hat für die Linksfraktion der Abgeordnete Zillich.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Tesch! Herr Mutlu! Sie haben recht, man fragt sich, was der Antrag jetzt soll. Wir stehen nicht an dem Beginn einer Debatte. Die Debatte läuft längst. Sie ist vielleicht nicht sehr glücklich gestartet, aber sie läuft, und das ist gut. Wir sind jetzt an dem Punkt, dass wir die Debatte inhaltlich führen müssen und nicht mehr an dem Punkt, dass wir eine Debatte über die Debatte führen sollen, wie es der Antrag der CDU fordert.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Genau!]

Deswegen ist es mir noch einmal wichtig zu sagen, worum es inhaltlich eigentlich geht. Wir wollen mit dieser Reform auf die zentralen Defizite, die uns spätestens seit PISA immer wieder ins Stammbuch geschrieben werden, reagieren. Deswegen ist es Ziel dieser Reform, dass weniger Kinder die Schule ohne Abschluss verlassen. Es müssen deutlich mehr Kinder qualifizierte Abschlüsse bis zum Abitur machen. Der Zusammenhang zwischen sozialem Migrationshintergrund und Bildungschancen eines Kindes muss überwunden werden.

Deswegen gehen wir mit der Reform das an, was laut Mehrheit der Wissenschaft und internationalen Organisationen ein wichtiger Grund für die Bildungsdefizite ist, nämlich die Gliederung des Schulsystems. Das kommt eher zu spät als zu früh. Deshalb ist der Kern der Reform, dass zukünftig alle weiterführenden Schulen alle Abschlüsse bis hin zum Abitur anbieten. Im Alter von elf Jahren wird dann nicht mehr über die Lebensperspektive von Kindern entschieden. Die Aufteilung, du wirst Akademikerin, du wirst Facharbeiter und du hast eigentlich keine Chance, findet dann nicht mehr statt.

[Beifall bei den Grünen]

Es gibt dann nach der Grundschule die Wahl zwischen zwei Schulen, einerseits dem Gymnasium, das aufs Tempo setzt mit wenig Zeit für individuelle Förderung, wo Sitzen bleiben droht und der integrierten Sekundarschule andererseits, die mit Ganztagsbetrieb arbeitet und zu gleichen Abschlüssen führt und wo individuelles Lernen und Förderung im Mittelpunkt stehen.