Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und noch etwas: Mit Ihrem Geschrei nach Vertragskündigung erreichen Sie in der Sache nichts, aber Sie verunsichern die 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBahn, die davon betroffen wären.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir wollen diese qualifizierten Arbeitsplätze für Berlin und für die Kolleginnen und Kollegen erhalten. Hören Sie endlich auf mit den Drohgebärden gegenüber den Beschäftigten der S-Bahn!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Zur Legende von dem schlechten Vertrag habe ich vielleicht später noch Gelegenheit, etwas zu sagen. Ihr vorgelegter Entlassungsantrag entbehrt jeder Grundlage.

Herr Kollege! Sie sind jetzt am Ende Ihrer Redezeit.

Zwei Sätze noch! – Die Verkehrssenatorin ist eine hervorragende Vertreterin der Interessen Berlins und des Berliner Nahverkehrs. Sie von der Opposition agieren an den Sorgen der Menschen vorbei und lenken von den eigentlichen Problemen ab. Wir werden Ihren Antrag daher selbstverständlich ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Steffel das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Rede, Herr Gaebler, und der Versuch, das Chaos der S-Bahn den Grünen, der FDP, der CDU oder der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben, ist einfach nur dreist!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich habe in den vielen Jahren in diesem Parlament so manches erlebt, aber das war schon eine bemerkenswerte Wahlkampfpirouette, die Sie eben zu diesem bedeutenden und wichtigen Thema gemacht haben, denn wenn ich mich recht erinnere, wurde Herr Mehdorn als Weggefährte von Bundeskanzler Schröder unter der rot-grünen Bundesregierung zum Chef der Bahn gemacht.

[Beifall von Gregor Hoffmann (CDU)]

Und wenn ich mich auch recht erinnere, hat dieser Herr Mehdorn im Wahlkampf 2001 am Spendenessen für Herrn Wowereit teilgenommen und aus dem Topf der Deutschen Bahn AG 5 000 Euro an die Berliner SPD gespendet.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenige Monate danach hat das Land Berlin einen dilettantischen Vertrag mit eben dieser Bahn abgeschlossen, über dessen Folgen wir heute hier sprechen. So viel zur Historie, und so viel zur Wahrheit.

Mit diesem Vertrag hat sich der Senat wissentlich oder fahrlässig schlicht und ergreifend über den Tisch ziehen lassen. Der Regierende Bürgermeister saß bei den Vertragsverhandlungen am Tisch und trägt deshalb auch eine Schuld an diesem Desaster.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Ob Ahnungslosigkeit oder Amtsmüdigkeit – beides ist mit dem Amt des Regierenden Bürgermeisters unvereinbar. Der öffentliche Personennahverkehr ist eine Kernaufgabe der Daseinsvorsorge, und der Senat ist für die Ausgestaltung dieses Vertrages und damit auch für die damit verbundenen Konsequenzen politisch verantwortlich.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Obwohl es verlockend wäre, werde ich das Thema S-Bahn nicht zum Wahlkampfthema machen,

[Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

denn die betroffenen Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht von uns, dass wir uns mit diesem Problem heute hier ernsthaft beschäftigen.

Was ist geschehen? – Bereits nach dem ersten erheblichen Störfall vom 6. bis 9. Januar dieses Jahres hat der Betriebsratsvorsitzende der S-Bahn hier im Parlament darauf hingewiesen, dass ohne eine Kurskorrektur bei der S-Bahn die Sicherheit der Fahrgäste nicht länger gewährleistet werden kann. Die zuständige Senatorin erklärte am folgenden Tag, dass 300 ausgefallene Züge nicht hinnehmbar seien; getan hat Sie nichts.

Ende Juni bricht das Chaos endgültig aus, und die gesamte S-Bahn-Geschäftsführung wird sehr zügig entlassen. Der Regierende Bürgermeister tut erst tagelang gar nichts, trifft sich dann mit dem neuen Bahnchef, um der staunenden Öffentlichkeit zu verkünden, dass man nunmehr endgültig alles im Griff habe.

Am Montag dieser Woche trinkt Frau Junge-Reyer mit der neuen S-Bahn-Geschäftsführung morgens Kaffee, und abends verkündet die S-Bahn, dass ab sofort 75 Prozent der Züge in Berlin nicht mehr fahren werden.

[Zurufe von der CDU und von den Grünen]

Einen Tag später bricht mit unbekannter Dauer für die Passagiere der S-Bahn das totale Chaos aus. Die Senatorin zeigt sich einmal mehr völlig überrascht und völlig unvorbereitet.

Es entsteht – vorsichtig formuliert – der Eindruck, dass die Bahn den Berliner Senat nicht wirklich ernst nimmt.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Diese neuerlichen Einschränkungen sind zumindest in meinem Leben hier in Berlin eine einmalige Erfahrung, und sie übertreffen alles bisher Dagewesene, denn sie beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit unserer Stadt massiv. Über eine Million Menschen sind für Monate, möglicherweise länger, in ihrer Mobilität eingeschränkt und erreichen beispielsweise ihre Arbeitsplätze vielfach nur sehr verspätet. Die Straßeninfrastruktur ist vielfach überfordert und belastet Ökologie und Ökonomie. Die Krise trifft besonders diejenigen, die auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind, also Schüler, Rentner und sozial Schwache. Zahlreiche Einzelhändler im Umfeld der Bahnhöfe werden seit Monaten an den Rand des Ruins gedrängt, weil ihre Kunden schlicht und ergreifend nicht mehr fahren können und nicht mehr kommen. Nachhaltige Auswirkungen hat dieser Imageschaden Berlins auch für den Messe- und Kongressstandort sowie für den Tourismus insbesondere dadurch, dass das Chaos während der Leichtathletik-Weltmeisterschaft oder jetzt jüngst im Rahmen der Internationalen Funkausstellung stattfindet. Was ist zu tun?

Erstens: Es müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet werden, um einen zuverlässigen öffentlichen Personennahverkehr sicherzustellen. Die Wiedereinsetzung der sogenannten S 21, die Wiederaufnahme des Bahnhofs Zoologischer Garten als Haltepunkt für Fernverkehrszüge,

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

die Taktverdichtung auf allen Bus-, Tram- und U-Bahnlinien der BVG, zusätzliche Haltepunkte für ExpressLinienbusse der BVG, mehr Regionalverkehrszüge auf der Stadtbahn sowie in Richtung Spandau und beispielsweise Wannsee, Ersatzbusverkehr auf allen von der SBahn nicht mehr bedienten Streckenabschnitten.

Zweitens: Sicherheit und Service müssen sofort verbessert werden. Alle verfügbaren Werkstätten müssen genutzt werden, um Reparaturen schnellstmöglich durchzuführen. Wir fordern die Wiederaufnahme der stillgelegten Werkstatt in Friedrichsfelde. Das Personal in den Werkstätten und auf den Bahnsteigen muss unverzüglich aufgestockt werden, um die Sicherheit und den Service zügig zu erhöhen.

Drittens: Entschädigung der Fahrgäste und des Einzelhandels. Die S-Bahn ist in einer Bringschuld. Die Fahrgäste zahlen für ihren schnellen und sicheren Transport und können deshalb zu Recht erwarten, dass die S-Bahn die ihnen zugesagte Leistung erbringt. Die Fahrgäste, die eine Monatskarte und ein Abonnement besitzen, müssen mindestens zwei Monate gratis fahren dürfen. Die S-Bahn muss die Voraussetzung für eine schnelle und unbürokratische Entschädigung schaffen. Die Parkraumbewirtschaftung in der Innenstadt muss zeitlich ausgesetzt werden. Nehmen Sie als Senat die 15 Millionen Euro, die Sie gerade gestern der Bahn abgezogen haben, und erstatten Sie den betroffenen Einzelhändlern zumindest anteilig deren Mieten, die sonst existenzgefährdend für die Unternehmen und für die Arbeitsplätze wären.

[Beifall bei der CDU]

Viertens: Vorfristige Kündigung des Vertrages mit der S-Bahn. Der Senat ist in der Pflicht, den bestehenden Verkehrsvertrag aufgrund der Nichterbringung der vereinbarten Leistung – in Verbindung übrigens mit einer massiven Gefährdung der Sicherheit von Millionen Fahrgästen – mit sofortiger Wirkung zu kündigen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Eine Abmahnung ist lächerlich und hätte bereits im Januar, spätestens aber im Juni dieses Jahres erfolgen müssen. Bis zur Klärung der Ursachen und der Wiederherstellung der vollständigen Leistung sind sämtliche Zuschüsse an das Unternehmen einzustellen.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Es muss unverzüglich ein neuer, besserer Vertrag verhandelt und vereinbart werden.

Wir erwarten vom Senat ein konsequentes Krisenmanagement, und zwar nicht nur heute und in den nächsten Tagen, sondern in den kommenden Monaten; wir erwarten die Führung der Krise durch den Senat und nicht das Abschieben der Verantwortung auf andere, auf die Bahn oder die Bundesregierung.

Unser Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der S-Bahn und übrigens auch dem Betriebsrat, denn erst seine Aufklärung hat dazu beigetragen, dass wir das Problem in der ganzen Dimension erkennen konnten.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Unser Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVG,

[Daniel Buchholz (SPD): Ach!]

die nicht lange gezögert haben, als es darum ging, Sonderschichten zu fahren und zur Lösung des Problems beizutragen – auch das ist keine Selbstverständlichkeit, gerade in der Wettbewerbssituation, und deswegen sollten wir dies hier und heute würdigen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Unser Dank gilt auch den Berliner Taxifahrern und den vielen kleinen Busunternehmen, die bereit sind, in dieser