Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

[Beifall bei der SPD]

Hierbei reicht es nicht, wenn man sich einfach entschuldigt. Es muss sich grundlegend etwas ändern.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Einen solchen verantwortungslosen Umgang mit öffentlichem Gut, einen solchen verantwortungslosen Umgang mit der Sicherheit der Fahrgäste hat niemand ahnen können. Ich will Ihnen auch sagen, dass es richtig ist, wenn der Bundesverkehrsminister von einer technischen Katastrophe spricht. Ja, es ist eine technische Katastrophe, aber es ist natürlich mehr. Es hat ein Führungsverhalten gegeben, ein dramatisches Beispiel von Führungsversagen. Es ist eine Verantwortungslosigkeit gegenüber den Fahrgästen, gegenüber den Kundinnen und Kunden. Und es ist richtig, dass der neue Vorstand der Deutschen Bahn hier die Konsequenzen gezogen hat und eindringlich und außerordentlich nachdringlich darauf hinwirkt, dass sich etwas verändert.

Wir haben es mit einem Rückschlag für den öffentlichen Personennahverkehr zu tun. Die Deutsche Bahn hat deutlich gemacht, dass sie unter dem Druck des Landes Berlin nicht nur in dieser Krise, sondern vom Grundsatz her etwas verändern will. Das Land Berlin wird gemeinsam mit dem Land Brandenburg eine förmliche Abmahnung aussprechen,

[Zuruf von den Grünen: Toll!]

um deutlich zu machen, dass die Vertragsverhandlungen, die wir mit Herrn Grube bereits in dem ersten Gespräch verabredet haben, als Nachverhandlungen ernst genommen werden.

[Mario Czaja (CDU): Die kriegen einen Eintrag ins Hausaufgabenheft!]

Ich weiß, dass es bei der S-Bahn und der Deutschen Bahn Eindruck macht, dass wir in diesem Jahr bereits 27 Millionen Euro Zahlungen an die S-Bahn zurückgehalten haben.

[Zuruf von den Grünen: Und wie viel habt ihr gezahlt?]

Ich glaube, dass es auch wichtig ist, den Fahrgästen zu sagen, dass wir gern voll zahlen würden, wenn wir die volle Leistung und die volle Qualität hätten. Ich möchte deshalb, dass wir die eingesparten Mittel wiederum für Projekte und Maßnahmen im öffentlichen Personennahverkehr einsetzen, bei denen die Kundinnen und Kunden spüren, dass wir auch als Land Berlin mit diesem Geld etwas für sie tun.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und es ist selbstverständlich, dass nicht nur die Stammkunden, sondern auch andere Kundinnen und Kunden entschädigt werden müssen. Ich habe die Deutsche Bahn aufgefordert, zu den bisherigen Vorschlägen weitere Vorschläge zu machen, vor allen Dingen unter dem Eindruck, dass es nicht nur die S-Bahnkundinnen und -kunden sind, die hier leiden.

Lassen Sie mich auf das gesamte Desaster bei der S-Bahn nicht noch einmal eingehen, aber doch noch in Erinnerung rufen, dass wir bereits im letzten Dezember einen Maßnahmenplan von der S-Bahn zur Verfügung gestellt bekommen haben, der mit einem Zeitplan zur Verbesserung der Situation verbunden war. Die Situation im Winter ist dazu gekommen und schließlich das Problem mit dem Radbruch. Die Maßnahmenpläne, die damals vorgelegt worden sind, sind nicht eingehalten worden. Auch hier sind die personellen und inzwischen auch die innerbetrieblichen Konsequenzen gezogen worden.

Als wir am Montag dieser Woche dann erfuhren, dass es am Nachmittag ein Gespräch gegeben hat, bei dem festgestellt worden war, dass die Techniker der S-Bahn gemeinsam mit dem Eisenbahnbundesamt wegen der Probleme mit dem Bremssystem drei Viertel der Leistung einstellen müssen, ist dies unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Sicherheit richtig gewesen. Aber es zeigt, dass zum ersten Mal zugegeben werden muss, dass

es innerbetrieblich ganz erhebliche Probleme bei der Gewährleistung der Instandhaltung, bei der Kontrolle der Instandhaltung, bei der Dokumentation der Instandhaltung gegeben hat, die außerordentlich ernst zu nehmen sind.

Ich habe in Gesprächen mit dem Vorstand der Deutschen Bahn in dieser Woche festgestellt, dass diese innerbetriebliche Situation, zum ersten Mal hausgemacht und selbst verursacht, zu wesentlichen Konsequenzen nicht nur in der Organisation, sondern möglicherweise auch zu weiteren sonstigen Konsequenzen führen wird. Deshalb glaube ich, dass wir unterscheiden müssen zwischen den technischen Ursachen, die für das Desaster verantwortlich sind wie z. B. die Tatsache, dass Hersteller möglicherweise nicht das Richtige geliefert haben, sowie dem Herunterfahren der Kapazitäten der Werkstätten, dem Abbau der Reserve und dem Hintergrund, dass Gewinnabführungen offensichtlich dazu führen sollten, das, was der Mutterkonzern erwartet hat, dann schließlich befriedigen zu helfen.

Frau Senatorin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Eichstädt-Bohlig?

Gern beantworte ich eine Zwischenfrage.

Die Frage sollte schon fünf Minuten früher kommen, meine Bitte ist jetzt wahrgenommen worden. Sowohl Sie als auch der Regierende Bürgermeister haben so sehr gelobt, wie der neue Bahnchef Grube jetzt in dem Unternehmen aufräumt: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass der Bahnchef angekündigt hat, dass er die Privatisierungsabsicht weiterverfolgt? Erst hat er es für 2011 angesagt, jetzt für 2013 oder 2014 – was sehen Sie da als grundsätzliche Verbesserung gegenüber dem Zustand, den wir jetzt haben?

Liebe Frau Eichstädt-Bohlig! Ich darf Ihnen versichern, in meiner Gegenwart ist eine solche Äußerung nicht gefallen.

[Gelächter von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Ich erinnere allerdings auf Nachfragen die Bemerkung des neuen Bahnchefs, der deutlich gemacht hat, dass zurzeit an eine Privatisierung überhaupt nicht gedacht wird – weder von ihm noch von jemandem in seinem Umfeld. Er hat sehr deutlich gemacht, dass dies zurzeit nicht Gegenstand seiner Überlegungen ist. Das war im Juni dieses Jahres – um gleich zu sagen, wann es gewesen ist.

Nun zu der Frage der vertraglichen Grundlage: Ich glaube, dass es wichtig ist, sich zu erinnern. Einige erinnern sich sehr gut an die Situation, als der Verkehrsvertrag geschlossen wurde. Er ist vor dem Hintergrund einer funktionierenden S-Bahn geschlossen worden, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mit der S-Bahn Berlin nach der Wende ein Verkehrssystem wiederbelebt worden ist, wieder zu voller Kraft und zu voller Qualität aufgelaufen ist, zu dem man Vertrauen haben konnte. Ich glaube, dass auch die Bündnisgrünen, die heute im Nachhinein Kritik an der damaligen Situation üben, sich erinnern können. Frau Abgeordnete Hämmerling, ich darf zitieren, dass Sie gesagt haben, dass die S-Bahn Berlin GmbH ein zuverlässiger, attraktiver und sicherer Betrieb mit genügend Fahrzeugen, die gut gewartet und gereinigt waren, gewesen ist.

[Unruhe]

Nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst. So war es! Versuchen Sie jetzt nicht, denjenigen, die damals verhandelt haben, Vorwürfe zu machen! Das ist nicht nur unfair, sondern bewusst falsch!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Was ist denn damals im politischen Raum meinen Vorgängern vorgeworfen worden? – Es wurde Ihnen vorgeworfen, Sie hätten zu hart zulasten der Deutschen Bahn, zulasten der S-Bahn verhandelt. Sie hätten eine Qualitätsminderung durch einen harten Vertrag in Kauf genommen. Und jetzt sagen Sie, es wäre alles falsch gewesen? Wie kommen Sie dazu? Da muss man ehrlich bleiben und auch für die Zukunft konsequent in der Argumentation.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Welchen Handlungsspielraum hat jetzt das Land Berlin? – Ich kann sehr gut verstehen, dass in der Emotion zunächst nach Kündigung gerufen wird, und man könnte sich vorstellen, dass hier Kündigungen aus wichtigem Grund rechtlich möglich sind. Aber wir müssen nach der ersten Wut und manchen Emotionen, die in dieser Rechtsfrage auch ein wenig gekünstelt sind, mal wieder zu einer mit dem Verstand geübten Bewertung der rechtlichen und der tatsächlichen Situation zurückkommen.

Das System der Berliner S-Bahn ist ein einzigartiges, und zwar deshalb, weil wir ein typisches Stromsystem haben, das es an einem anderen Ort der Bundesrepublik nicht gibt. Wir haben es mit einer einzigartigen Signaltechnik zu tun und mit einem Wagenprofil, das auf das Kurven-, Tunnel- und Betriebssystem der Berliner Infrastruktur ausgerichtet ist.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nach ein paar Sätzen! – Wer immer die Berliner S-Bahn betreiben will, kann dies zurzeit nur mit dem Wagenpark der S-Bahn tun. Jeder andere Betreiber müsste in kurzer Zeit etwa 1 200 Wagen bestellen, und das kann man nicht, indem man einem Hersteller sagt: Liefern Sie uns die Baureihe 481 noch einmal in 20 oder 1 000 Exemplaren! – Neue Prototypen müssen entwickelt und im Betrieb erprobt werden. Wie schnell geht das denn Ihrer Meinung nach? Jeder, der hier behauptet, bei einer einfachen Kündigung erreichen zu können, dass innerhalb kurzer Zeit die S-Bahn mit einem anderen Betreiber auf der Schiene steht, irrt sich gewaltig und macht fahrlässig denjenigen Illusionen, die glauben, sich auf diese Weise etwas Luft verschaffen zu können.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scholz von der CDU-Fraktion?

Ja, gerne!

Frau Senatorin! Sie haben eben selbst das Stichwort Handlungsspielraum gegeben. Warum nutzen sie nicht selbst die Handlungsspielräume, die Sie als Senat ohne S-Bahn haben? Zum Beispiel, den Menschen in dieser Stadt zu helfen, indem Sie die Parkraumbewirtschaftung lockern oder zeitweilig – während dieses Chaos’ – die Umweltzone öffnen.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Damit könnten Sie den Menschen dieser Stadt helfen, ohne die S-Bahn fragen zu müssen. Hier haben Sie einen eigenen Handlungsspielraum.

Herr Kollege! Sie haben offensichtlich weder das System des öffentlichen Personennahverkehrs noch Verkehrspolitik wirklich verstanden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Martina Michels (Linksfraktion): Richtig!]

Die S-Bahn ist ein einmaliges System. Sie ist das Herzstück und das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs, und sie ist auf vielen Strecken – das erleben wir jetzt – durch nichts zu ersetzen.

[Klaus-Peter von Lüdeke (FDP): Das ist doch keine Antwort auf die Frage!]

Die Kolleginnen und Kollegen der BVG tun alles, was sie können. Aber das, was das S-Bahnnetz leistet, kann man weder durch den motorisierten Individualverkehr noch durch sonstige Anstrengungen ersetzen. Deshalb ist Ihre Intention von der Unkenntnis des Funktionierens von Mobilität in einer solchen Stadt geprägt.

[Beifall bei der SPD]

Noch ein Hinweis an diejenigen, die meinen, man könne einfach kündigen und im Wege einer Ausschreibung vielleicht in fünf Jahren jemanden finden: In einer solchen Situation muss der Verkehr gesichert werden. Das heißt, die S-Bahn müsste beauftragt werden, den Verkehr trotz der Kündigung des Vertrags weiter durchzuführen. Die Fachleute nennen das „einen Verkehr auferlegen“. Was bedeutet das? Welche Zumutung ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit verbunden, die S-Bahn unter dem Eindruck eines gekündigten Vertrags und der drohenden Privatisierung in der gewünschten Qualität rund um die Uhr zur Verfügung zu stellen? – Das kann es mit gesundem Menschenverstand nicht geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Deshalb ist wichtig, dass wir mit den Nachverhandlungen bereits begonnen haben. Selbstverständlich muss die Feststellung der Qualität durch Externe betrieben werden. Selbstverständlich muss der Deckel, der auf dem Malussystem liegt, wegfallen. Selbstverständlich müssen wir uns mit der Qualität durch die Länge der Züge auseinandersetzen. Selbstverständlich muss die Höhe der Ausgleichszahlungen an einem Markt, der sich dem Wettbewerb stellt, orientiert sein.

Respekt und Dank gebührt an dieser Stelle den Beschäftigten der Verkehrsunternehmen. Dennoch muss ich sagen: Wenn wir von der S-Bahn sprechen, tun wir oft so, als sei das ein eigenständiges Unternehmen. Die S-Bahn ist die Tochter der Deutschen Bahn. Diese steht in ihrem ureigensten Interesse in der Pflicht, die chaotischen Zustände so schnell wie möglich zu beenden. Der Personenverkehr auf der Schiene ist ein Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daher darf es keine Privatisierung der Deutschen Bahn geben. – Niemals!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Meine Damen und Herren! Ich gebe Ihnen bekannt, dass sich die Fraktionsvorsitzenden auf eine zweite Rederunde verständigt haben. Das gilt zuzüglich der Restlaufzeiten. – Das Wort für die Grünen hat nun Frau Hämmerling. – Sie haben noch zwei Minuten Restlaufzeit und zusätzliche fünf Minuten.