Wenn die Verfassung eine bestimmte Form des Zusammenlebens unter besonderen Schutz stellt, diskriminiert sie damit nicht andere Lebens- und Gemeinschaftsformen, die nicht in jeder Hinsicht an besonderen Schutz- oder Fördermaßnahmen teilhaben.
Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Und der namhafte Erfurter Kommentar führt zu Artikel 3 Grundgesetz aus, dass unumstritten ist, dass die Gleichbehandlung aller Menschen im für das Grundgesetz fundamentalen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 festgeschrieben ist. Somit ist die Behauptung widerlegt, dass ohne eine etwaige Ergänzung des Grundgesetzes um das Merkmal sexuelle Identität eine Regelungslücke besteht. Dem ist mitnichten so.
Ansonsten hätten wir die unumstrittene gesamtgesellschaftliche Akzeptanz solcher Lebensgemeinschaften nie erreicht.
Die Gleichbehandlung aller Menschen wird über die geltende Fassung des Artikel 3 Grundgesetz hinaus in vielen Einzelgesetzen reglementiert und weiter konkretisiert. Damit wird sich die Rechtslage zum Beispiel für Homosexuelle durch eine solche Festschreibung nicht verbes
sern. Eine solche Ergänzung des Grundgesetzes ist somit eine reine Symbolpolitik, und das lehnen wir ab.
Eine Aufnahme jedweder Gründe, aus denen sich Diskriminierungen ergeben könnten, ins Grundgesetz könnte niemals abschließend sein, sondern würde ebenso auf alle nicht explizit genannten Personengruppen diskriminierend wirken. Und das werden wir nicht zulassen.
Gerade aber weil die sexuelle Identität bereits heute umfassend durch Artikel 3 Grundgesetz geschützt ist, sollte eine Überfrachtung des Grundgesetzes unterbleiben. Ich habe schon früher ausgeführt, dass ich für meine Fraktion von Anfang an für eine Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität eingetreten bin, weil es meiner christlichen Grundüberzeugung entspricht. Auch meine Fraktion hat das wahrlich durch Mitwirkung an entsprechenden Vorhaben belegt.
Noch eins: Wenn ich mich recht erinnere, meine Damen und Herren von der SPD, dann waren Sie bis vor kurzem Regierungspartei. Frau Zypries hätte alle Zeit der Welt gehabt, sich mit entsprechenden Anträgen zu verewigen. Nichts, aber auch gar nichts hat sie auf den Weg gebracht – im Gegenteil! In meinem letzten Redebeitrag zu diesem Thema habe ich ausgeführt, dass sie sich sogar über Jahre hinweg davon distanziert hat.
Unsere Aufgabe muss doch vielmehr politisch sein, das von uns gesellschaftlich Gewollte in unsere Gesellschaft und die Welt hinauszutragen. Es muss darum gehen, etwa in Deutschland noch vorhandene Homophobie durch Bildung und Aufklärung zu bekämpfen. Aus diesen Gründen lehnen wir – übrigens in Übereinstimmung mit den gleichgeschlechtlich orientierten Damen und Herren meiner Partei – solch eine Verbiegung von angeblichen Anliegen ab und lehnen damit auch diese Vorlage ab. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gram! – Für die SPDFraktion hat nun Frau Abgeordnete Engert das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, als ich die Prioritäten der heutigen Sitzung sah, war ich zunächst einigermaßen überrascht. Denn schließlich haben wir erst vor wenigen Wochen über die Bundesratsinitiative debattiert und diese auch beschlossen. Die Argumente, die für die Änderung des Artikels 3 des Grundgesetzes sprechen, haben wir bereits beim letzten Mal ausgetauscht und sind auch von Herrn Lederer noch einmal dargestellt worden.
Die Position der CDU war auch beim letzten Mal deutlich geworden, ist aber heute mit der Argumentation nicht richtiger geworden. Deshalb verzichte ich auf eine nochmalige Wiederholung der Argumente.
Da ich nicht das Gleiche sagen will wie in meiner letzten Rede vor ein paar Wochen, habe ich nach Zeitungsartikeln aus der letzten Zeit geschaut, die ich für meine Rede verwenden könnte.
Beim Lesen der Artikel habe ich es schon fast bereut, dass wir das Thema nicht als Aktuelle Stunde beraten, denn bei dem Thema kann man die Aktualität besser begründen, als das manche Abgeordnete hier tun, die sich manchmal nicht einmal Mühe geben, die Aktualität wirklich zu rechtfertigen.
Warum ist das Thema aktuell, und warum ist es wichtig, dass wir darüber als Priorität sprechen? – Morgen steht der „Gesetzesantrag zur Änderung des Grundgesetzes“ der Länder Berlin, Bremen und Hamburg auf der Tagesordnung des Bundesrates. Das ist natürlich der offensichtlichste Grund für die Behandlung heute im Plenum – und ein erfreulicher obendrein. Aber nicht nur hier im Abgeordnetenhaus sind Homophobie und Diskriminierung von Homosexuellen Thema, sondern auch beim Deutschen Fußballbund. Im Internet fand ich einen Artikel vom Dienstag mit dem Titel: „Fußball-Länderspiel mit HomoWohlfühlfaktor“. Ich zitiere aus dem Beitrag:
Beim Länderspiel der Männernationalelf am morgigen Mittwoch gegen Finnland wird hinter den Fernsehkulissen gegen Homophobie gearbeitet.... Am Spielnachmittag wird es in Hamburg einen Runden Tisch zwischen Vertretern des Fan Clubs Nationalmannschaft und schwul-lesbischer Organisationen geben. Theo Zwanziger ist zum Teil anwesend. Der Fan Club unterzeichnet außerdem im Anschluss die von der European Gay and Lesbian Sportsfederation verfasste Deklaration „Gegen Homophobie im Fußball“.
In der „Süddeutschen Zeitung“ fand ich einen Artikel von Ende September zur Gründung eines schwul-lesbischen Netzwerks bei Daimler. In dem Artikel war von einer Studie die Rede, die belegt, dass 80 Prozent der befragten Lesben und Schwulen Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren. Besonders besorgniserregend ist, dass es auch in Berlin immer wieder homophobe Angriffe gibt. Der letzte Angriff, über den berichtet wurde, war vor drei Wochen am Volkspark Friedrichshain. Dabei wurden drei homosexuelle Männer von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen.
Das sind ganz unterschiedliche Beispiele, die zeigen, warum es richtig ist, dass wir hier im Plenum über Homophobie und Diskriminierung sprechen. Diese Beispiele zeigen aber auch, dass die bestehenden Regelungen – wie das Antidiskriminierungsgesetz –, die als Argument ge
gen die Grundgesetzänderung angeführt werden, nicht ausreichend vor Diskriminierung schützen. Die Zeit ist mehr als reif für die Aufnahme des Merkmals der sexuellen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes.
Das haben auch CDU und FDP in Hamburg erkannt. Dort wurde ein entsprechender Antrag einstimmig von der gesamten Bürgerschaft angenommen. Schade, dass CDU und FDP in Berlin noch nicht so weit sind!
Dabei liest sich gerade das Programm der FDP zur letzten Bundestagswahl sehr fortschrittlich. Ich zitiere:
In unserer Menschenrechtspolitik wenden wir uns gegen Verfolgung und Ausgrenzung aufgrund von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder sexueller Orientierung. Deshalb setzt sich die FDP für Gleichberechtigung und Toleranz ein und richtet ihre politischen Maßnahmen im In- und Ausland an menschenrechtlichen Leitlinien aus.
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kluckert?
Für Liberale sind alle Lebensgemeinschaften wertvoll, in denen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Verantwortungsgemeinschaften dürfen nicht diskriminiert werden. Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Lebenspartnerschaften müssen mit der Ehe gleichgestellt werden,
In diesem Sinn möchte ich an die FDP appellieren, dann auch konsequent zu sein und im Bundesrat der Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen! Wenn sich die FDP auch in diesem Punkt nicht gegenüber ihrem künftigen Koalitionspartner, der Union, durchsetzen kann, sollte sie fragen, welchen Sinn das Bündnis überhaupt hat.
Herr Lindner ist jetzt nicht im Raum, aber ich möchte ihm dennoch einen Tipp für seine neue Arbeit im Bundestag mitgeben. Hier könnte er seinen überbordenden Eifer
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Engert! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Birk das Wort. – Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Engert! Ihrer Argumentationsreihe unterlag leider ein Fehler: Die FDP ist in Hamburg nicht in der Bürgerschaft vertreten. – Herr Gram! Wenn Sie glauben, dass der Artikel 3 Homosexuellen und Transgendern einen umfassenden Schutz geben würde, dann fragen wir uns, warum es bis zum Jahr 1994 in Deutschland den § 175 StGB gab und wir bis zum heutigen Tag keine gleichen Rechte für verpartnerte und verheiratete Menschen in diesem Land haben.
Millionen Menschen haben in diesem Jahr in verschiedenen Städten zum Christopher-Street-Day für die Ergänzung des Artikels 3 Abs. 3 des Grundgesetzes um das Merkmal sexuelle Identität demonstriert. Es waren auch viele Heterosexuelle darunter, denn es geht nicht um Lobbypolitik, sondern es geht um eine Menschenrechtsfrage. Berlin hatte es kurzfristig geschafft, das Anliegen vonseiten des Parlaments zu unterstützen. Den Antrag dazu haben wir seit zwei Jahren in diesem Haus vorangetrieben. Auf das Ergebnis einer Bundesratsinitiative der drei Stadtstaaten sind wir Grüne stolz, denn nicht nur hier hatten wir unseren Anteil daran.
Was gibt es seit der letzten Rederunde Neues zu sagen? – Es gibt eine neue Qualität. Die Bundesratsinitiative wird von fast allen Fraktionen des demokratischen Parteienspektrums unterstützt, nur nicht in jedem Parlament. Hier war Rot-Rot-Grün dafür, die CDU dagegen, die FDP auch dagegen, bis auf den Kollegen Lehmann. Es gab darüber hinaus einen peinlichen Ausrutscher des Kollegen Kluckert zu Pädophilie und Sodomie. In Bremen hat die rotgrüne Koalition im August die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Die Linke stimmte dem zu, die CDU dagegen, die FDP enthielt sich dort. In Hamburg hat die SPD den rot-rot-grünen Antrag aus Berlin abgeschrieben und eingebracht und dachte wohl, sie könne damit die schwarz-grüne Regierung in die Enge treiben. Dieser Versuch schlug fehl. Stattdessen gab es einen fraktionsübergreifenden Antrag von Grünen, CDU, SPD und Linkspartei – man höre und staune! Darüber sollten wir uns alle gemeinsam freuen. Die FDP gibt es – wie gesagt – in der Bürgerschaft nicht, deshalb wäre es spannend gewesen zu sehen, wie sie sich dort verhalten hätte, wenn sie dort gewesen wäre.
Wie geht es weiter im Bund? – Während Herr Westerwelle großspurig ankündigte, den Ländern, die Beschneidung anwenden und Homosexuelle verfolgen, die Entwicklungshilfe streichen zu wollen, erlaubt sich die alte Bundesregierung weiterhin die Ungleichbehandlung von verheirateten und verpartnerten Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamten. Wir sind gespannt, ob Herr Westerwelle daran etwas ändern will und der gesamte Themenkomplex sich im Koalitionsvertrag wiederfinden wird. Sollte es tatsächlich so kommen, dass eine von Ole von Beust geläuterte CDU die FDP zur Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz um sexuelle Identität bewegen könnte, dann wäre das allerdings ein Treppenwitz der Geschichte.
Die Berliner CDU ist jedoch weit davon entfernt. Während sie beim CSD gern mit dem dicksten Truck unterwegs ist, wollte sie im Kulturausschuss dem Schwulen Museum die neue Regelförderung streichen und hat natürlich hier gegen die Ergänzung von Artikel 3 gestimmt. So wird das nichts mit der modernen Großstadtpartei, Herr Gram und meine Damen und Herren von der CDU!
Wenn es um Verfassungsänderungen geht, liegt auch noch ein anderes wichtiges Anliegen auf Eis: die Aufnahme von Kinderrechten sowohl in das Grundgesetz als auch in die Verfassung von Berlin. Unsere Antragsinitiative dazu ist genauso alt wie die hier besprochene zur sexuellen Identität, nämlich aus dem Jahr 2007. Während sich die linke Hälfte des Hauses inzwischen auf eine Formulierung geeinigt hat, gibt es bei CDU und FDP noch keine Bewegung, und im Bund sieht es auch nicht danach aus. Das sollte sich möglichst rasch ändern, bevor die jetzige Kindergeneration erwachsen ist und es selbst machen muss.