Protokoll der Sitzung vom 15.10.2009

Die Regelungen sind absolut unzureichend, kompliziert und komplett am Ziel vorbei. Was ist zum Beispiel mit den Schülern, die sich Anfang September ein Monatsticket kaufen und ihre Fahrkarte eine Woche später in den Papierkorb werfen konnten, weil niemand mehr mit einem Fahrrad in die S-Bahn kam? Was ist mit denen, Herr Gaebler, deren Abo im November ausläuft, die aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht bereit sind, nahtlos in ein neues Jahresabo zu investieren? Bestenfalls ist das jetzt vorliegende Angebot der S-Bahn eine Marketingaktion. Das ist ziemlich nah dran an der Aktion mit den kostenlosen Einkaufsgutscheinen, um neue Abo-Kunden zu ködern.

Gerade weil die Bahn nicht willens und in der Lage ist, sich angemessen bei ihren Kunden zu entschuldigen, ist jetzt der Senat in der Pflicht. Verhandeln Sie hart im Sinne der Bürger! Sagen Sie uns, wie viel Geld durch die gekürzten Zuschüsse zur Verfügung steht! Sagen Sie uns, was Sie konkret mit diesem Geld – das übrigens das Geld der Steuerzahler ist – zu tun gedenken! Legen Sie endlich einen ungeschwärzten Verkehrsvertrag vor! Wir erwarten in dieser Frage absolute Transparenz. Das ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den Parlament, sonder auch gegenüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern. Denken Sie immer daran, dass das Geld, mit dem Sie wirtschaften, nicht aus der Schatzkiste des Sonnenkönigs

stammt! Es handelt sich um hart erarbeitete Steuergroschen den Bürgerinnen und Bürger.

Der vorliegende Antrag vereint die Vorschläge derer, die sich in den vergangenen Wochen und Monate ernsthaft Gedanken über dieses Thema gemacht haben. Während viele ernsthaft an Lösungen arbeiten, haben Sie sich, Herr Gaebler, lächerlich gemacht. Zudem haben sie sich über die Berlinerinnen und Berliner lustig gemacht, indem Sie in der „taz“ mit den Worten zitiert werden:

Von der Entschädigung dürfen nicht nur die profitieren, die spaßeshalber einen Monat lang mit Bus und Bahn fahren.

Mal abgesehen davon, dass viele Fahrgäste längst den Spaß verloren haben, frage ich Sie: Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, dass Berlinerinnen und Berliner, die zur Arbeit müssen, zur Schule fahren und vielleicht noch abends den ÖPNV nutzen, um ins Kino oder ins Theater zu kommen, das einfach nur aus Spaß tun? Wenn Sie weiter so am Bürger vorbei agieren und argumentieren, werden Sie im Jahr 2011 das Gleiche erleben wie am 27. September.

Herr Kollege! Bitte kommen Sie zum Schluss!

Dafür, dass Sie nur noch eine Handvoll Stammwähler einfangen, bekommen Sie eines Tages die Quittung. Wir plädieren für die freie Fahrt für freie Bürger. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Fahren Sie nach Hause!]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Linksfraktion spricht jetzt Frau Matuschek. – Bitte schön, Frau Matuschek!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scholz! Bei so viel gespielter Emotionalität und der vorgetragenen Ansammlung von Phrasen und Plattitüden glaubt Ihnen keiner mehr so richtig Ihr Engagement.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ich will mich mit dem Antrag auseinandersetzen. In Ergänzung zu dem, was mein Kollege Gaebler schon gesagt hat, will ich versuchen, da noch einiges draufzugeben. Wenn es darum geht, einen Monat kostenlos zu fahren, ist es in der Regel völlig unerheblich, welcher Monat. Wenn man ein Jahresticket hat, für zwölf Monate gekauft, ist es völlig egal, ob es der Dezember oder der April ist. Wenn man ein Schülerjahresticket hat, ist es auch egal, ob es der

Dezember oder der April ist. In beiden Monaten sind Ferien. Also wenn es um den finanziellen Anreiz einer einmonatigen freien Fahrt geht, ist es egal, in welchem Monat. Der Advent sollte aber auch wegen der Gelegenheitskunden und Gewerbetreibenden der FDP Überlegungen wert sein. Im Advent gibt es eben wesentlich mehr Gelegenheitskunden als im April. Im April gibt es dann übrigens auch wieder mehr Fahrradkunden, also Leute, die mit dem Fahrrad fahren und nicht mit dem Nahverkehr. Insofern ist der Advent für den Anreiz, Gelegenheitskunden anzusprechen, geradezu prädestiniert.

Zweitens: Welche Kunden spricht man für Entschädigungsleistungen an? – Natürlich diejenigen, die am meisten unter der Situation gelitten haben oder beeinträchtigt wurden. Das ist richtig.

Frau Kollegin Matuschek! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer?

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Der hat doch noch nie eine S-Bahn von innen gesehen!]

Nein, keine Zwischenfragen!

Dann fahren Sie bitte fort!

Welche Kunden spricht man an? – Wie gesagt, in erster Linie die Stammkunden, die Kunden, die von den Beeinträchtigungen besonders betroffen waren, und dann natürlich auch Kunden – da sage ich gar nichts Neues –, die durch die Folgen beeinträchtigt waren. Das sind z. B. auch die Kunden, die nur die BVG benutzen. Das sind sicher weniger die Buskunden in Brandenburg, die mit Brandenburger Busunternehmen unterwegs waren und weiterhin sein werden und überhaupt nicht die S-Bahn benutzt haben. Aber welche Kunden spricht man an? – Die Jahreskartenbesitzer und Abonnenten sicherlich in erster Linie. Die haben Sie in Ihrem Antrag vergessen.

Bleibt übrig: Sie schlagen vor, einen Feldversuch für 75 Millionen Euro zu machen, den die S-Bahn bezahlen soll. Wenn sie das nicht will, soll es der Senat bezahlen. Das ist ein bisschen teuer für einen Feldversuch. Im Übrigen gibt es eine sehr gut ausgebaute und hochqualifizierte Mobilitätsforschung nicht nur in Berlin, aber auch in Berlin. Die haben in mehreren, statistisch einwandfrei erhobenen Feldversuchen – sicherlich nicht in dem Ausmaß, dass alle Kunden in Berlin einen ganzen Monat kostenfrei fahren – z. B. untersucht: Was bewegt eigentlich Kunden, die nicht zu den Stammkunden gehören, in den Nahverkehr einzusteigen? – Das sind in allererster Linie die Qualität des Angebots, das Angebot selbst, die

Dichte des Angebots, die Zuverlässigkeit und auch der Preis, aber nicht in der erster Linie. Es bleibt also übrig: Einen Feldversuch für 75 Millionen Euro, um zu bestätigen, was man schon in anderen Feldversuchen herausgefunden hat und wonach man auch schon handelt, braucht man sicherlich nicht zu machen. Ihr Antrag ist Populismus reinster Kultur.

Es geht darum, die S-Bahn wieder dazu zu bekommen, dass sie ihr qualitativ gewohntes Angebot fährt und dass sie wieder zuverlässig wird. Dafür tut der Senat etwas, dafür tun viele Leute etwas, vor allen Dingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der S-Bahn. Dafür tut Ihr Antrag herzlich wenig.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der Kollege von Lüdeke hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön, Herr von Lüdeke!

[Zurufe]

Frau Matuschek! Sie haben das noch mal aufbereitet, was schon der Kollege Gaebler aufbereitet hat.

[Zuruf: Sie sollten einmal etwas zu den Feiertagen sagen!]

Ich sage Ihnen auch gleich etwas zu den Feiertagen! – Nehmen wir ein anderes Problem auf, nämlich die Tatsache, dass Sie, Frau Matuschek, hier wieder sagen: die Kunden, die betroffen waren. – Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Unter diesem S-Bahnchaos haben die gesamte Stadt Berlin und die gesamten Bürger dieser Stadt gelitten. Es sind nicht nur die Kunden der S-Bahn.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Hätte dieser Senat nicht dieses Handling an den Tag gelegt wie unsere Frau Senatorin hier, sondern hätte – genau wie jeder Vertragspartner das tut – den Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt, weil der andere Vertragspartner seine Leistung nicht erbracht hat, dann hätten wir auch Schadenersatz durchsetzen können. Diese paar Abstriche, die Sie an den Zuweisungen vornehmen, die Sie an die S-Bahn leisten, sind doch lächerlich. Das geht so nicht.

[Beifall bei der FDP]

Das war der erste Fehler. Jetzt sind Sie in der Situation, dass Sie tatsächlich allen Bürgern dieser Stadt entgegenkommen müssen.

Nun hat die FDP in ihren Antrag geschrieben: im April. – Herr Gaebler, ich kann Ihnen das auch erklären.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Wollen Sie jetzt dazu etwas hören oder nicht?

[Nein!-Rufe von der Linksfraktion]

Er nickt. Ich kann es auch lassen. – Gehen wir darauf ein, was Frau Matuschek gesagt hat! Wenn Ihre Zustimmung zu unserem Antrag daran scheitern sollte, dass wir „April“ hineingeschrieben haben, dann nehmen wir auch gern den Dezember.

[Christian Gaebler (SPD): Der Dezember ist doch schon kostenlos! – Oliver Scholz (CDU) zu Christian Gaebler: Das stimmt doch nicht! Was erzählen Sie denn für einen Quatsch? – Weitere Zurufe]

Aber bitte tun Sie allen Bürgern diesen Gefallen und machen Sie das!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege von Lüdeke! – Frau Matuschek, möchten Sie replizieren? – Das ist ersichtlich nicht der Fall. Dann ist Frau Hämmerling dran. – Bitte schön, Frau Hämmerling!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile auch die Kritik der Regierungsfraktionen. Aber nehmen wir es mal nicht so ernst und so genau! Die FDP meint ja das Richtige. Sie kommt ein bisschen spät, aber nehmen wir mal den Antrag als den Antrag auf einen Monat Gratisfahren – das ist doch sympathisch, das klingt toll – auf Kosten der S-Bahn! Das hat so ein bisschen die Handschrift der Grünen Jugend, Benedikt Lux fand es auch schon immer gut. Insofern sagen wir: Ist vielleicht nicht ganz so die pragmatische Linie, aber wir unterstützen das, denn es hat ja was, wenn man das als Strafmaßnahme gegen die S-Bahn sieht – nicht mehr und nicht weniger. Und wenn dieser Monat Gratisfahren auf das obendrauf kommt, was die S-Bahn jetzt bereit ist zu geben, dann kann man dem zustimmen, auch wenn der Antrag in sich nicht so ganz schlüssig ist.

Langfristig hätten wir andere Strategien, die dazu führen, dass man mit weniger Geld S-Bahn fahren und dauerhaft die Kosten senken kann. Dann hatten wir den Vorschlag, zwei Monate das ganze Netz zum Kurzstreckentarif zu nutzen und dabei zu evaluieren: Was kommt dabei rüber? Die Einnahmen gehen natürlich an die BVG, nicht an die S-Bahn. Dann hätte man das verursachergerecht aufgeteilt. Aus dem Ergebnis hätte man vielleicht erkennen können, wie sich Menschen verhalten, wenn Tickets preiswerter werden, und daraus ableiten können, welche Maßnahmen man ergreifen kann, um künftig mit Verkehr Verkehr zu finanzieren.

Aber das Thema dauerhafte Tarifsenkung hatte Ihr Antrag gar nicht. Wir haben ihn so verstanden, dass Sie die S-Bahn bestrafen wollen. Dem werden wir zustimmen. Insofern sehen wir diesen Antrag nicht so eng, sondern sagen: Okay!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Frau Kollegin Hämmerling! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2690 an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr, wozu ich keinen Widerspruch höre. Dann wird so verfahren.

Die lfd. Nr. 43 war Priorität der Fraktion der FDP unter dem Tagesordnungspunkt 5 a.

Meine Damen und Herren! Ich habe womöglich ein Versäumnis begangen, weil ich die lfd. Nr. 25 B nicht aufgerufen habe. Das möchte ich mit Ihrem Einverständnis gern nachholen:

Lfd. Nr. 25 B:

Dringliche Beschlussempfehlung