Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Melzer! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete HolzheuerRothensteiner das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP hat den vorliegenden Antrag heute zu ihrer Priorität gemacht. Das ist eigentlich auch in Ordnung. Aber aus meiner Sicht ist es ausgesprochen schade, dass wir diesen Antrag heute besprechen. Denn in Kürze, nämlich am 1. Dezember, steht ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Sonntagsruhe durch das Grundgesetz an.

Die beiden großen Kirchen haben gegen das Berliner Ladenöffnungsgesetz geklagt, das als eines der liberalsten Gesetze bundesweit gilt. Der Handel darf in Berlin bis zu zehn Sonn- und Feiertage pro Jahr öffnen. Die Kirchen sehen dadurch den Anspruch auf Sonntagsruhe verletzt. Da ist es natürlich spannend, was das Bundesverfassungsgericht zu den Sonntagsöffnungen sagen wird. Dieses Urteil hätten Sie, meine Damen und Herren von der FDP, eigentlich noch abwarten können, denn nach dem Urteil sind wir möglicherweise in einer völlig anderen Situation.

Aber Sie wollen es anders; Sie wollen die Debatte heute. Nun gut, wir führen sie. Was fordert die FDP hier mit ihrem Antrag? – Die Überschrift sagt es: Die FDP möchte das Berliner Ladenöffnungsgesetz der Realität anpassen. Was ist die Realität? – Aus der Antragsbegründung geht hervor, wen die FDP im Blick hat. Es geht – Herr Thiel hat es ausgeführt – explizit um diejenigen Geschäfte im Hauptbahnhof, die sonntags öffnen, obwohl ihr Angebot nicht dem Bedarf des Gesetzes entspricht. Dies nun möchte die FDP verändern.

Anstatt nun allerdings die Geschäftsinhaber aufzufordern, nicht weiter gegen das Ladenöffnungsgesetz zu verstoßen, möchte die FDP den Verstoß gegen geltendes Recht jetzt noch belohnen. Das ist nun wirklich ein starkes Stück, meine Damen und Herren von der FDP!

[Zurufe von der FDP]

Das muss man ganz deutlich sagen. Denn Sie handeln hier nach dem Prinzip, dass man nur lange genug gegen ein Gesetz verstoßen muss, dann ergibt sich ein Rechtsanspruch daraus. Das ist wirklich ein seltsames Politikverständnis.

Es ist nicht so, dass die Händler im Hauptbahnhof nicht abgemahnt worden wären. Sie wurden abgemahnt, und auch der Berliner Handelsverband hat bereits im Sommer des letzten Jahres interveniert und die Sonntagsöffnungen als wettbewerbsverzerrend kritisiert.

Das im November 2006 in Kraft getretene Ladenöffnungsgesetz ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss. Das Gesetz berücksichtigt sowohl die Interessen der Beschäftigten im Handel wie auch das Shoppingbedürfnis in der Metropole Berlin und das veränderte Einkaufsverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Zuge der Erarbeitung des Gesetzes wurden Wirtschaftsverbände, Kammern, die Gewerkschaft Verdi und die Kirchen angehört. Von allen Angehörten wurde die Auffassung vertre

vertreten, dass für die Bahnhöfe die damals bestehende Rechtslage nach dem Bundesladenschlussgesetz auch im neuen Ladenöffnungsgesetz beibehalten werden solle. Insbesondere die Vertreter des Berliner Handels befürchteten damals, dass es bei einer Änderung der Rechtslage zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen auf Bahnhöfen kommen würde, die dann zu einem Einkaufszentrum ausgebaut werden. Das hat die Bahn dann ja auch in ziemlichen Größenordnungen getan. Das Sortiment an Reisebedarf, das nach § 2 Abs. 3 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes in Berliner Bahnhöfen an Sonn- und Feiertagen verkauft werden darf, ist schon groß. Die FDP möchte allerdings das geltende Ladenöffnungsgesetz so ändern, dass auf dem Flughafen Tegel

[Mario Czaja (CDU): Was haben Sie da eigentlich um den Hals? – Michael Braun (CDU): Was ist das für eine Wildkatze?]

Wenn Sie das so irritiert, gucken Sie woanders hin! – und allen Fernverkehrsbahnhöfen in Berlin auch Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs, insbesondere Handels- und Haushaltsbedarf, Textil- und Sport- sowie Geschenkartikel angeboten werden können. Allerdings sollte mit der Definition des Reisebedarfs im Gesetz genau dieses verhindert werden. Im Übrigen darf – anders als von der FDP-Fraktion vorhin behauptet – auf den meisten anderen großen Bahnhöfen wie München, Düsseldorf oder Leipzig an Sonn- und Feiertagen nur Reisebedarf verkauft werden, Herr Thiel.

Es ist richtig, dass das Angebot auf Flughäfen, mit denen die FDP die Bahnhöfe gleichstellen will, noch größer ist. Das hat aber Gründe. Beispielsweise gibt es dort auch Kleidung zu kaufen. Oft kommen Reisende aus anderen Klimazonen und können sich so bei Bedarf mit Kleidern eindecken.

Im September ist es durch die Medien gegangen, dass das Landesamt für Gesundheitsschutz und technische Sicherheit inzwischen gegen mehrere Händler auf dem Hauptbahnhof Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet hat. Das LAGetSi wurde aktiv, nachdem es Anzeigen wegen Verstoßes gegen den Arbeitsschutz erhalten hatte. Mehr als ein Jahr lang wurden Händler wegen ihrer rechtswidrigen Praxis der Sonntagsöffnung vorher abgemahnt. Inzwischen gibt es – wie erwähnt – die Ordnungsverfahren. Einige Händler haben mittlerweile angekündigt, dass sie nicht mehr außerhalb der genehmigten Zeiten öffnen werden. Dennoch ist es nicht hinnehmbar, dass Händler in Bahnhöfen weiter gegen geltendes Ladenöffnungsrecht verstoßen, dass sie sich so verhalten, als gälten die Gesetze für sie nicht – so, wie es am Hauptbahnhof der Fall ist –, zulasten der Beschäftigten und zu ungunsten der Wettbewerbsgleichheit im Handel. Es ist nicht hinnehmbar, dass die FDP aus dem Gesetzesverstoß ein Recht auf Sonntagsöffnung machen will.

Meine Damen und Herren von der FDP! Ihren Antrag werden wir noch im Wirtschaftsausschuss und im Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz

diskutieren, aber mit Sicherheit wird meine Fraktion einem Antrag, mit dem eine rechtswidrige Praxis belohnt werden soll, ablehnen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Holzheuer-Rothensteiner! – Entschuldigung, Herr Melzer, das war kurz vor Ende der Redezeit, als Sie sich gemeldet haben. Da können wir nicht mehr stören.

Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Herr Abgeordnete Ratzmann das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Czaja! Falls es Sie interessiert, das nennt man Schlips, was ich hier um den Hals habe. Nur, um Ihrer Frage zuvorzukommen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Heiterkeit bei Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Frau Holzheuer-Rothensteiner! Ich würde sagen: Lassen Sie die Kirche im Dorf. Es ist völlig legitim, auf eine sich veränderte Situation, die mit der gesetzlichen Regelung nicht in Einklang zu bringen ist, mit einer veränderten gesetzlichen Regelung zu antworten. Was ist daran illegitim und furchtbar? Natürlich hat der FDP-Antrag zunächst etwas aufgegriffen, das ein Problem ist. Die FDP hat auch recht damit, wenn sie besagt, wir müssen uns als Metropole, als hoffentlich immer größer und bedeutsamer werdende Weltstadt fragen, ob die ordnungspolitischen Rahmensetzungen noch zeitgemäß sind. Das ist eine völlig legitime Debatte, die wir führen müssen.

Wir haben eine Situation – das haben Sie selbst angesprochen –, in der es ein verändertes Konsumverhalten gibt, auch ein Bedürfnis nach veränderten Arbeitsstrukturen. Herr Thiel hat auch recht, wenn er darauf hinweist, dass dieser Antrag etwas anderes aufgreift als das, was Gegenstand der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung sein wird. Das Gericht kümmert sich darum, ob die Ladenöffnungszeiten an Sonntagen generell mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sind. Hier geht es darum, einen Ort aus der Regelung herauszunehmen.

Was man sich allerdings fragen muss – und darauf ist die FDP eine Antwort schuldig geblieben –, ist, ob eine Stadt, die sich dem Anspruch stellen muss, die ordnungspolitischen Rahmensetzungen zu überprüfen, es zulassen kann, dass scheibchenweise das, was das Parlament beschlossen hat, ad absurdum geführt wird. Dagegen wehre ich mich. Wenn wir über Ladenöffnungszeiten reden, können wir nicht über den Hauptbahnhof und anschließend den nächsten Bahnhof sprechen, sondern dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, ob das ganze System noch funktioniert. Zu Recht kommt der Einzelhandelsverband – Herr Thiel, Sie irren, wenn Sie meinen, das wäre keine

Bärbel Holzheuer-Rothensteiner

Konkurrenzsituation, Tegel und der Hauptbahnhof sind eben nicht miteinander vergleichbar, Tegel liegt weit oben im Norden, der Hauptbahnhof hingegen mitten in der Stadt, an einem der attraktivsten Orte, den diese Stadt hat – und weist darauf hin, die Einzelhändler fühlten sich wettbewerbsrechtlich hintergangen, wenn gesagt würde, genau an diesem Ort solle am Sonntag die Ladenöffnungszeit generell von jeder Bedingung befreit ermöglicht werden.

Wenn wir uns dieser Frage zuwenden, dürfen wir nicht nur die Konsum- und die ökonomische Situation in den Blick nehmen. Wir sind eine Metropole, in der dreieinhalb Millionen Menschen leben. Diese Menschen haben sich in ihren Strukturen und ihrem Einkaufsverhalten eingerichtet. Jeder von uns weiß doch, dass er froh ist, am Sonntag nicht das Gefühl haben zu müssen, auch noch einkaufen gehen zu müssen. Wir haben gerade in der letzten Zeit darüber gesprochen, dass das, was wir in diesem Land ökonomisch treiben, nicht immer das Sinnvollste ist. Auch das muss man in solch eine Diskussion einfließen lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Eines darf man nicht vergessen: Das Gesetz über die Ladenöffnungszeiten ist ein Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutzgesetz. Mir kommt dieser Aspekt in der Debatte immer zu kurz. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass diese Metropole attraktiv sein soll, dass sie nicht provinziell sein darf. Aber im Einzelhandel arbeiten immer noch hauptsächlich Frauen und im Berliner Einzelhandel darüber hinaus sehr viele alleinerziehende Mütter. Jetzt sagen Sie mir, wo eine Mutter am Sonntag ihr Kind abliefern soll, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz erscheinen soll. Wer in solch einer Struktur arbeitet, weiß, dass man sich dem Druck, am Sonntag zu arbeiten, nicht so leicht entziehen kann. Andernfalls ist man nämlich die Nächste, die nicht befördert wird, und hat den einen oder anderen Nachteil in der Arbeitswelt. Wenn Sie kein Konzept vorlegen, das diesen Aspekt berücksichtigt, wenn Sie nicht sicherstellen können, dass die Arbeitnehmerinnen aufgefangen werden, dann ist dieser Schritt zu kurz. Metropole bedeutet nicht nur Metropole im Konsum, sondern auch Metropole für eine lebenswerte Stadt. Dazu gehören diese Arbeitnehmerschichten dazu. Ihr Antrag ist deshalb zu kurz gesprungen und wird den Problemen nicht gerecht. Das muss zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Gregor Hoffmann (CDU)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ratzmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzesantrags federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschuss sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen. –

Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Wir fahren fort mit

lfd. Nr. 6 A:

Dringliche II. Lesung

Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in Berlin

Beschlussempfehlungen WiTechFrau und Haupt Drs 16/2774 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/2586

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor die Einzelberatung der 18 Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I bis XVIII – Drucksache 16/2586 und 16/2774. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.

Beide Ausschüsse empfehlen einstimmig – bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen – die Annahme des Gesetzes auf der Drucksache 16/2586 mit einer Änderung. Wer dem Gesetz unter der Berücksichtigung der Änderung auf Drucksache 16/2774 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist dieses Gesetz angenommen.

Die lfd. Nr. 7 war die Priorität der Fraktion der FDP unter dem Tagesordnungspunkt 6 e.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 8:

I. Lesung

Gesetz über Selbstbestimmung und Teilhabe in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen (Wohnteilhabegesetz – WTG)

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/2705

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Herr Hoffmann hat das Wort. – Bitte sehr!

Bereits im Juni haben wir uns über das Heimrecht anhand des Gesetzesvorschlags der CDU-Fraktion ausgetauscht. Heute geht es um den Gesetzesentwurf des Senats, den die zuständige Verwaltung nicht versäumte, bereits vorab als eine deutliche Weiterentwicklung des Referentenentwurfs zu lobpreisen. Ja, schön wäre es gewesen, und es hätte uns auch gefreut, denn wir sind an der Sache orientiert.

Volker Ratzmann