Im eigenen kritischen Rückblick zeigen Sie sich überrascht von den Lieferschwierigkeiten am 9. November und tun so, als ob dieses Datum vom Himmel gefallen sei. Haben Sie denn diese Feierlichkeiten nicht als Senatsmitglied mitgeplant?
Jetzt hätte man erwarten können, dass Sie wenigstens einen doppelten Boden einziehen und in den bezirklichen Berliner Gesundheitsämtern für alle Fälle Notprogramme eingerichtet werden. Meine Recherche ergab aber, dass es dort nicht viel besser aussieht als in der restlichen Stadt. In den Gesundheitsämtern wird seit ca. 14 Tagen geimpft, bisher überwiegend Risikopatienten. Verstärkt kommen jetzt auch andere Impfwillige. Die dort impfenden Ärztinnen und Ärzte haben im Schnitt einen 12-Stunden-Tag
und inzwischen viele, viele Überstunden angesammelt. Lange ist diese Situation so nicht mehr aufrechtzuerhalten, höre ich von dort. Davon, dass wir mit den Gesundheitsämtern möglicherweise eine Reserve in Berlin hätten, sind wir weit entfernt. Das Info-Telefon ist überlastet. Mir wurde berichtet, dass es 500 bis 800 Anrufe pro Tag gibt. Das könnten Menschen sein, die kein Internet haben wollen. Wie werden diese Menschen mit Informationen über die Schweinegrippeimpfung versorgt?
Das Resümee der letzten 14 Tage ist gelinde gesagt fatal, Frau Senatorin. So kann es auf keinen Fall weitergehen. Die kalte Jahreszeit beginnt erst, und wir haben den Höhepunkt dieser Grippewelle eher noch vor uns. Deswegen fordern wir Sie auf: Beenden Sie die Auseinandersetzung mit der Berliner Ärzteschaft und deren Vertreterinnen und Vertretern sofort! Lösen Sie die Probleme, und sorgen Sie dafür, dass die Organisation reibungslos läuft! Verhakeln Sie sich nicht weiter in Zuständigkeitsdiskussionen! Unterstützen Sie unsere Berliner Gesundheitsämter! In einigen sind die Beschäftigten am Rand ihrer Kräfte. Wir werden deren Kompetenz und Engagement in diesem Winter noch brauchen. Und, Frau Senatorin, machen Sie die jetzt anlaufende Impfaktion zur Chefinnensache, denn es gilt, das Vertrauen der Berlinerinnen und Berliner in unser Gesundheitssystem zurückzuerobern!
[Martina Michels (Linksfraktion): Zum ersten Mal ein Arzt! – Zuruf von den Grünen: Jetzt kommt die Allzweckwaffe!]
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Czaja! Frau Kosche! Mit der Sachlichkeit ist das so eine Sache, mit der Instrumentalisierung aus politischem Kalkül auch.
Es geht hier um die Ängste und Sorgen vieler Menschen. Dem sollten wir bei der Art und Weise der Behandlung dieses Themas auch Rechnung tragen. Bei allem Verständnis für die teilweise berechtigte Kritik sollte Ziel dieser Diskussion nicht die weitere Verunsicherung der Menschen sein, sondern die adäquate, zeitnahe Lösung der aufgetretenen Probleme.
Nicht allein in Berlin hat es Startschwierigkeiten gegeben. Der neue Gesundheitsminister sah sich gestern genötigt, seine Kolleginnen und Kollegen aus den Länder einzuladen und die offenbar bundesweit aufgetretenen Probleme zu besprechen. In diesem Zusammenhang stellt sich gleich die erste Frage: Warum gibt es eigentlich keinen in Verantwortung des Bundesministeriums erstellten zentralen Pandemieplan, der dann in den Bundesländern hätte einheitlich umgesetzt werden können? Einige der Probleme wären uns sicher erspart geblieben.
So hätte man sich z. B. auf Bundesebene mit der Kassenärztlichen Vereinigung über die Höhe der Vergütung einigen können. Nun muss jedes Land für sich die Probleme lösen, und entsprechend hakt es hier und da. Es wundert auch niemanden, weil eine solche flächendeckende Pandemieschutzimpfung in einem solchen Ausmaß bisher nie stattgefunden hat und alle Beteiligten hier Neuland betreten.
Es gibt Probleme mit der Herstellung des Impfstoffs. Der entsprechende Hersteller hat Lieferschwierigkeiten, 80 000 Portionen pro Woche sollten nach Berlin geliefert werden. Das funktioniert noch nicht. Es war allerdings auch – hier muss man nichts falsch darstellen – von Anfang an so vorgesehen, dass es bis Ende Januar dauern würde, die bundesweit bestellte Menge von 50 Millionen Impfeinheiten zu produzieren. Man muss wissen: Die Herstellung des Impfstoffs ist ein biologischer und damit nur begrenzt steuerbarer Produktionsprozess, weil sie die Viren, die sie zur Herstellung des Impfstoffs brauchen, zunächst in Hühnereiern anzüchten müssen. Ein solcher Prozess dauert etwa sechs bis acht Wochen. Dazu kommt, dass die Produktion zunächst langsamer anlief, weil die Neigung, sich impfen zu lassen, wie wir uns alle erinnern, bei der Bevölkerung eher gering war.
dpa meldete, dass sich noch vor zwei Monaten nur 13 Prozent der Bevölkerung auf jeden Fall impfen lassen wollten. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Montgomery, tat die Impfvorbereitungen Ende August noch öffentlich als Hysterie ab. Nachdem dann weltweit die ersten Todesfälle – medial entsprechend aufbereitet – bekannt wurden und auch in Berlin ein Patient verstarb, stieg die Zahl der Impfwilligen rasant an. Dementsprechend musste die Produktion forciert werden. Um diese weiter steigern zu können, musste nach Auskunft des Unternehmens auch der Produktionsprozess verändert werden. Dazu war die Zustimmung der europäischen Zulassungsbehörde notwendig, was ebenfalls Zeit gekostet hat.
Kritisch stellt sich die Frage, warum bisher nur ein Unternehmen mit der Produktion beauftragt wurde. Das aber war keine Berliner Entscheidung. Wie dem auch sei, es war allen Verantwortlichen von Anfang an klar, dass nicht die gesamte benötigte Impfstoffmenge auf einen Schlag zur Verfügung stehen würde.
Dementsprechend musste auch jedem klar sein, dass man nicht alle, die geimpft werden wollten, auf einmal würde impfen können. Ihr Gesundheitsminister, Herr Gersch, ließ das am Montag auch so verkünden. Es war immer klar, dass es zu Wartezeiten kommen würde, also kein Berliner Phänomen.
In Berlin gab es ein klares und schlüssiges Impfkonzept. Der erste Impfstoff stand am 26. Oktober zur Verfügung. In einer ersten Stufe sollten das medizinische Personal sowie Polizei und Feuerwehr geimpft werden. Diese Impfungen wurden durch die arbeitsmedizinischen Dienste durchgeführt und sind auch komplikationslos abgelaufen.
Die zweite Stufe, in der die niedergelassenen Ärzte zeit- und wohnortnah sukzessiv die besonders gefährdeten Personengruppen wie chronisch Kranke und danach alle anderen Impfwilligen versorgen sollten, hat am letzten Montag begonnen. Hier ist uns nun eine Säule des Konzepts weggebrochen, weil es zu keiner Einigung mit der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung über die Höhe der Vergütung der Impfung kam. Die KV sah sich außerstande, für 5,50 Euro pro Patient zu impfen. Sie wollte 7,10 Euro. Der Aufwand sei ihr zu groß. Der MEDI-Verbund, eine Vereinigung niedergelassener Ärzte, rief seine Mitglieder auf: Wir empfehlen Ihnen, nicht auf unwirtschaftliches Verlangen einzugehen. Unsere Impfpreise in Berlin sind nicht verhandelbar.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich weiß nicht, welcher Teufel diese Kollegen und die Vertreterversammlung der KV geritten hat. Wegen 1,60 Euro gefährdet die KV die Pandemievorsorge in dieser Stadt. Offensichtlich führen hier einige ihren privaten Kleinkrieg gegen den Senat, dem sie eins auswischen wollen, und suchen bewusst die Auseinandersetzung.
Anders kann ich das Editorial, Herr Czaja, im NovemberKV-Blatt nicht verstehen, in dem man sich für seine Haltung auch noch feiert. Eine Lektion in Sachen Wettbewerb habe man dem Senat erteilt. Die Menschen in dieser Stadt haben diese Lektion der KV ganz sicher verstanden. Es sei der KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts deshalb eine klare Ansage gemacht: Sie tragen Ihre Auseinandersetzung auf dem Rücken der Menschen dieser Stadt aus. Aus dieser Verantwortung kommen Sie auch mit all Ihren Rechenkunststücken nicht raus. Sie haben für die Menschen in dieser Stadt einen medizinischen Versorgungsauftrag, und aus dem haben Sie sich aus rein pekuniären Gründen verabschiedet. Das ist vollkommen inakzeptabel.
Ich kann jedem Patienten nur raten, seinen Hausarzt direkt zu fragen: Warum impfst du mich eigentlich nicht selbst? Du kennst mich doch am besten. Ist es wegen der 1,60 Euro, oder hast du einen plausiblen Grund?
Anstatt die KV an ihre Verantwortung zu erinnern, assistiert der Berliner Ärztekammerpräsident dieser unzumutbaren Narretei auch noch, indem er sich in dem Zusammenhang am 11. November in der Presse zitieren lässt, diese Gesundheitssenatorin habe von Anfang an eine große Distanz zur Ärzteschaft aufgebaut, weil sie z. B. nicht – wie seit 40 Jahren für die Senatoren üblich – im Kuratorium der Kaiserin-Friedrich-Stiftung säße. Wo ist da der Zusammenhang zur Pandemieimpfung?
Ja, ich würde mir auch wünschen, sie hätte diesen Sitz angenommen, aber das kann doch nicht der Grund für eine solche Auseinandersetzung auf einer solchen Ebene in einer solchen Situation sein. Zur Ehrenrettung meiner Kollegen sei gesagt: Viele Ärzte akzeptieren diese Haltung ihrer Funktionäre nicht und sind bereit zu impfen, auch für 5,50 Euro. Gerade zu deren Lasten geht die Haltung der KV, weil sie zusätzlich belastet werden, denn sie müssen nun neben ihren eigenen Patienten auch noch die Patienten impfen, die sie gar nicht kennen und für die sie nun die Verantwortung aufgrund der Verantwortungslosigkeit der KV zu übernehmen haben. Die Kinderärzte haben angeboten, auch umsonst zu impfen, wenn in den Gesundheitsämtern Räume zur Verfügung gestellt würden. Da gab es in der Tat am Anfang Unklarheiten und Ungereimtheiten. Das ist beseitigt. Seit gestern wird diese Regelung auch möglich sein. Weit über 200 Ärzte haben ihre Impfbereitschaft trotz des Boykottaufrufs der KV erklärt, und es werden ständig mehr. Die Verwaltung ist hier aufgerufen, die Verträge schnellstmöglich zu bearbeiten, damit die, die impfen wollen, auch impfen können. Bisher hat Berlin 168 000 Impfdosen erhalten, aber es ist auch eine logistische Herausforderung, diese ohne Unter
brechung der Kühlungskette in die Praxen zu bringen. Da ist sonntags nämlich keiner, der die 24 Stunden vorher kühlen kann. Und dass es nur eine Apotheke gibt, liegt daran, dass in Berlin nur eine Apotheke die Zulassung hat, so etwas zu machen.
Bis Montagabend, 9. November, 20.00 Uhr, konnten 36 480 Impfdosen in 151 Lieferungen an 138 Einrichtungen, darunter zwölf öffentliche Gesundheitsämter, 87 Praxen und 24 Krankenhäuser, ausgeliefert werden.
Ja, auch hier gab es wie in anderen Bundesländern Schwierigkeiten. Mancher Transport stand vor verschlossener Tür. Teilweise waren die Faxanforderungen in der Zentralapotheke nicht lesbar, sodass man nicht wusste, wohin mit der Bestellung. Alles banal, alles ärgerlich, aber eben alles auch beherrschbar! Die Impfungen sollten am Montag beginnen. Sie haben begonnen. Aber es hat auch niemand gesagt, dass sie am Dienstag beendet sein müssen. Lassen wir also die Kirche im Dorf! Auch die Pandemieplanung ist ein lernendes System.
Ich weiß, auch wenn für manchen die gefühlte Stimmung eine andere sein mag, es gibt keinen Grund zur Panik. Unser Wissen über die Erkrankung ist noch nicht ausreichend genug, um die Bedrohung durch die neue Influenza umfassend einschätzen zu können. Wir wissen, dass die Ansteckungsfähigkeit gegenüber der saisonalen Influenza nur leicht erhöht ist. Wir wissen auch, dass sich das Virus im menschlichen Organismus nur relativ langsam vermehrt. Dies macht es dem Immunsystem leichter, die Infektion zu bekämpfen. Das gilt gemeinhin weltweit als Erklärung für die weitgehend milden Verläufe bisher. Aber wir wissen nicht, ob sich das Virus im Laufe der für die Winterzeit zu erwartenden zweiten Krankheitswelle besser an die Menschen anpasst und die Erkrankungen dann schwerer verlaufen. Nach den bisherigen Beobachtungen in den schwer betroffenen Ländern USA, Kanada, Australien können Risikogruppen in der Bevölkerung benannt werden, die ein höheres Risiko haben, an einer Infektion mit der neuen Influenza so schwer zu erkranken, dass sie stationär behandelt werden müssen. Etwa ein Viertel dieser Patienten musste während des stationären Aufenthalts auf eine Intensivstation verlegt werden. Die Sterblichkeitsrate ist allerdings bedeutend geringer als bei der saisonalen Influenza. Die H1N1-Mortalität weltweit liegt bei deutlich unter 0,2 Prozent. Insofern ist ausreichend Zeit, im Rahmen der bestehenden Pläne und so wie von Anfang an geplant im Laufe der Zeit nach und nach jeden, der will, auch zu impfen. Eine akute Gefahrenlage besteht nicht. Wir sollten sie auch nicht herbeireden, Herr Czaja!