Erinnern wir uns, wie es anfing. Im April gab es erste Warnzeichen und Hinweise, dass sich das neue Virus auch in Deutschland ausbreiten wird. Jeder bekannte Fall war der Senatorin und ihrem Staatssekretär damals noch eine Pressekonferenz wert. Sie gingen sogar durch die Fraktionen, um jeden einzelnen Fall zu beraten. Von den Behörden, Einrichtungen und Unternehmen wurde damals der Berliner Rahmenplan Influenza erarbeitet und vorgestellt.
Doch geschrieben ist noch lange nicht getan. Ende August antwortete die Verwaltung auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Bung, ob die Schweinegrippe einen Bogen um die öffentliche Verwaltung mache, dass das konkrete Impfkonzept für Berlin gegenwärtig erarbeitet werde – immerhin, nach einem Vierteljahr. Es dauerte noch einmal zwei Monate, bis der Senat sein Impfkonzept vorstellte. Das war am 22. Oktober. Es wurde eng. Die Verunsicherung begann schon am 28. Oktober, weil nach Medienberichten bei den Gesundheitsämtern und Betriebsärzten der Impfstoff für die bereits bundesweit angelaufene Impfaktion fehlte. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es erheblichen Handlungsbedarf und nicht erst seit vergangener Woche. Und bereits seit diesem Zeitpunkt hatte der Senat keine klare Fähigkeit, dieses Konzept umzusetzen.
Nachdem in der vergangenen Woche der erste Todesfall aufgrund der Schweinegrippe bekannt wurde, stiegen die berechtigten Ängste der Berlinerinnen und Berliner. Der Senat erklärte, dass nun, ab dem 9. November, die Impfdosen in den Arztpraxen zur Verfügung stünden. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es unzählige Warnungen von Fachleuten, das diese voreilige Ankündigung nicht einzuhalten sei. Es wurde gewarnt, dass in den Arztpraxen mit nicht zu bewältigenden Anstürmen zu rechen sei. Doch die Senatorin sagte noch am vergangenen Samstag im „Tagesspiegel“: „Es wird kein Chaos geben.“
Das Chaos kam aber schneller als der Virus. Am Montag dieser Woche meldeten viele Ärzte, dass der Impfstoff nicht bei ihnen angekommen sei. Ohnehin haben nur 200 der 6 000 niedergelassenen Ärzte einen Vertrag zum Impfen mit dem Senat abgeschlossen. Selbst diese überschaubare Anzahl von Ärzten konnte nicht beliefert werden. Schuld daran war nach Meinung des Senats der 20. Jahrestag des Mauerfalls.
Die Probleme seien in erster Linie auf aktuelle Straßensperrungen und Staus infolge der Feierlichkeiten zum Mauerfalljubiläum am Montag zurückzuführen, verkündete der Senatssprecher Richard Meng. Für wie dumm halten Sie die Berliner eigentlich, Herr Wowereit, Frau
Führen wir uns noch einmal vor Augen: 1 440 Menschen sind in Berlin an der Schweinegrippe erkrankt. Mindestens ein Mensch ist an ihr gestorben. Im harmlosesten Fall erkranken 450 000 Menschen an der neuen Grippe. Ist es wirklich eine Übertreibung, wenn man sagt, dieser Senat setzt die Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner mit Vorsatz aufs Spiel? – Ich glaube, nicht.
Die Gesundheitssenatorin hat sich in den letzten Monaten große Teile der Berliner Ärzteschaft zu ihren Gegnern gemacht und sie zulasten einer guten Versorgung gegeneinander ausgespielt. Nur etwas über 200 der 6 000 niedergelassenen Ärzte hat mit dem Senat einen Vertrag zum Impfen abschließen können, und dies vor allem, weil man sich nicht einigen konnte, ob fünf oder sieben Euro für eine Impfung gezahlt werden. Dabei wäre es so einfach gewesen. Der Senat hätte der bestehenden Leistungsverordnung der Kassenärztlichen Vereinigung beitreten können. Damit wären alle niedergelassenen Ärzte in das Vertragsverhältnis verpflichtend einbezogen worden und hätten die Berlinerinnen und Berliner mit Impfschutz versorgen können. Stattdessen berichtete die „Abendschau“ am 10. November, dass die Verwaltung Probleme habe, die zurückgesandten Verträge zu prüfen. Für meine Fraktion und mich ist es auch völlig unverständlich, dass nur eine Apotheke in Berlin für die Belieferung und Verteilung dieses Impfstoffs für 3,5 Millionen Einwohner zuständig ist. 874 Apotheken sind in Berlin zugelassen, und nur eine ist für die ganze Stadt zur Auslieferung vorgesehen. Ich verstehe das nicht und halte das nicht für ein vernünftiges Krisenmanagement.
In dieser Apotheke nun sollen sich die Impfarztpraxen wöchentlich melden, um den Verbrauch des Impfstoffs mitzuteilen. Von einigen Ärzten war gestern schon zu hören – ich glaube, auch die Kollegin Winde kennt diese Äußerung der Ärzte –, dass die drei vorhandenen Faxgeräte in dieser Apotheke bereits gestern und vorgestern ausgefallen seien. Damit ist eine Rückmeldung aus den Arztpraxen nicht mehr möglich. Selbst wenn diese Senatorin 1 000 Autos oder wie viele auch immer hätte – jetzt kommt in der Apotheke gar keine Meldung mehr von den Ärzten an, wie viel Impfstoff verbraucht ist. Welch ein Chaos ist das eigentlich, das wir uns in dieser Stadt bei dieser Pandemie antun müssen? Nach dem S-Bahnchaos kommt keiner zur Arbeit, jetzt werden auch noch alle krank, die zur Arbeit kommen wollen.
Berlin steht vor der größten Pandemie seit dem zweiten Weltkrieg. – Frau Kollegin Winde! Ihre Hygiene
vorschriften reichen da nicht aus. – Der Senat hat die Pflicht, ein vernünftiges Konzept vorzulegen und die drohende Krankheitswelle so weit wie möglich von den Berlinern abzuhalten. Wir haben – auch im Ausschuss – eine seriöse Zusammenarbeit angeboten.
Aus unserer Sicht ist es die Aufgabe aller, mit dieser Krise und mit diesem Problem ordentlich umzugehen. Wir schlagen daher sieben Punkte vor, die aus unserer Sicht in den kommenden drei Tagen zeitnah und ordentlich umgesetzt werden müssen:
Erstens: Auf Basis der bestehenden Leistungsverordnung wird mit der Kassenärztlichen Vereinigung ein Vertrag abgeschlossen, der alle niedergelassenen Ärzte in die Impfaktion einbindet.
Zweitens: Die Apotheken der 69 Krankenhäuser werden in die Verteilung des Impfstoffs einbezogen. Damit wird eine flächendeckende 24-stündige Versorgung mit Impfstoff möglich, und wir wären nicht von drei Faxgeräten einer einzigen Apotheke abhängig.
Drittens: Die Entsorgung der am Tag angebrochenen, aber nicht benutzten Impfampullen wird durch die Berliner Krankenhausapotheken vorgenommen.
Viertens: Nicht verimpfte Impfdosen werden vom Land zurückgenommen und auch vom Land bezahlt, wie es in den Vereinbarungen steht.
Fünftens: Die ordnungsgemäße Lagerung des Impfstoffs in den Arztpraxen wird von Mitarbeitern der Senatsverwaltung für Gesundheit in regelmäßigen Abständen überprüft.
Sechstens: Das Informieren der Berlinerinnen und Berliner wird in einer ständigen Arbeitsgruppe täglich mit der Kassenärztlichen Vereinigung der Ärztekammer abgestimmt und nicht gegeneinander organisiert.
Siebtens: Der Senat bekennt sich eindeutig zur Übernahme der Haftung bei der Erkrankung von immungesunden Menschen infolge der Impfung und richtet für den notwendigen Ausgleich der dadurch entstandenen Ansprüche eine Anlaufstelle für die Berliner Betriebe ein.
All diese Punkte hat der Senat bislang nicht in seinen Arbeitsplan aufgenommen. Ihre Umsetzung ist notwendig, um mit der drohenden Pandemie sinnvoll umzugehen. Wir empfehlen: Nehmen Sie diese Vorschläge ernst, Frau Senatorin! Nehmen Sie sie an! Beenden Sie das Chaos und die Verunsicherung der Berlinerinnen und Berliner in Anbetracht der drohenden Pandemie! Gefährden Sie nicht weiter unter Vorsatz die Gesundheit unserer
Danke, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Winde! Ich danke Ihnen ausdrücklich von hier aus für Ihr offenes Wort, dass auch Sie hier festgestellt haben, dass diese Senatsverwaltung überfordert ist,
Seitdem die Weltgesundheitsorganisation mit dem Auftreten der Schweinegrippe die Kriterien dafür, wann eine Grippe als Pandemie einzustufen ist, geändert hat, ist die Angst in der Bevölkerung vor dieser Grippe groß. Viele Menschen können nicht einschätzen, ob sich nur eine Berechnungsgrundlage geändert hat oder ob diese weltweite Influenza wirklich im großen Maßstab lebensbedrohend ist. Die Ratlosigkeit, ob es notwendig oder sogar sinnvoll ist, sich impfen zu lassen, nimmt zu, gerade weil Impfexperten unterschiedliche Empfehlungen geben.
Die Senatsverwaltung in Berlin rät zur Impfung, und dies ist für unentschlossene Menschen eine wichtige Empfehlung, Frau Senatorin. In einer solchen Situation der Verunsicherung, wo es in der Wahrnehmung der Menschen um Leben und Tod geht, darf man sich als Verantwortliche, Frau Senatorin, keinen einzigen Fehler leisten.
Da stellt sich die Frage, ob es wirklich klug war, sich auf eine Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin um das Geld einzulassen, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben, als Sie sich wegen weniger Euro Differenz bei der Bezahlung für das Impfen dazu entschlossen haben, statt Kompromisse mit der KV auf Teufel komm raus zu finden, eigenständige Verträge mit jeder einzelnen Impfärztin, mit jedem einzelnen Impfarzt in Berlin zu schließen. Meine Antwort darauf ist nein. Das war eine krasse Fehlentscheidung, Frau Senatorin, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Beratungsbedarf der Menschen beim Impfen gegen Schweinegrippe besonders hoch ist, weil die Impfung so umstritten ist.
Da muss jeder Impfarzt genügend Zeit für die Beratung aufbringen. Außerdem ist Ihnen eine bewährte Struktur, die die Ärzte in Berlin haben, verlorengegangen. Zusätzlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Senatsgesundheitsverwaltung, Ihre Verwaltung, Verträge
kontrolliert, fehlende Daten nachgetragen statt sich ihren Aufgaben zu widmen, für die sie eigentlich eingestellt sind. Auch das halte ich für verantwortungslos.
Seit mindestens zwei Wochen geben Sie, Frau Senatorin, als Impfstart für die Impfwilligen in Berlin den 9. November an. Seit es den ersten am Schweinegrippevirus Verstorbenen in Berlin gibt, hätte Ihnen klar sein müssen, dass die Impfbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner vor allem aus Angst gestiegen ist. Noch am Freitag vor dem Impfstart-Montag sagten Sie, Frau Lompscher, in verschiedenen Medien, es werde kein Chaos geben, alles sei geregelt. Sie streuten die Zahl von 100 bis 300 Verträgen mit Impfärzten. Jeder, der sich impfen lassen wolle, könne dies am Montag tun. – Aber, Frau Senatorin, das war eine Fehlinformation an die Berliner Bevölkerung, denn Sie wussten zum Zeitpunkt Ihrer Interviews genau, wie wenig ärztliche Vertragspartner Sie fest hatten, die berechtigt sind, den Impfstoff zu bekommen. Denn als Verantwortliche wissen Sie – hoffentlich –, dass die Berliner Zentralapotheke nur an Praxen ausliefern durfte, die einen gültigen Vertrag hat. Wer am Freitag bzw. am Samstag noch keinen gültigen Vertrag mit Ihnen hatte, konnte auch am Montag nicht beliefert werden und konnte sowieso am Montag nicht impfen, weil der Impfstoff außerdem 24 Stunden akklimatisieren muss.
Kein Vertrag, kein Impfstoff, kein Impfbeginn am 9. November, das ist die Wirkungskette in Berlin, Frau Senatorin, und die ist negativ.
Durch meine Beschreibung jetzt wird deutlich, welch ein organisiertes Durcheinander Sie durch Ihre Fehlentscheidung angerichtet haben in einer Situation, in der nie ein Fehler hätte passieren dürfen. Ich jedenfalls war sehr erschrocken, als in der „Abendschau“ am 9. November dieser Fehlstart vom Verbandschefs der Frauenärzte kommentiert wurde: „Ich kann nur hoffen, dass hier niemals die Pest ausbricht.“