Dass die Zustände deutschlandweit gleich schlecht im Bezug auf die Impfstofflieferung sind, macht die Sache zwar nicht besser, aber es macht deutlich, dass das Thema kein persönliches Versagen der Berliner Regierung und der Berliner Verwaltung ist. Deshalb eignet sich das Thema nicht – und das sage ich vor allem in Richtung Opposition – für Parteipolitik oder Parteipolemik.
Dazu ist das Thema zu ernst, und die Zielrichtung muss jetzt in erster Linie sein, dass alle den Ernst der Lage erkennen, aber nicht in Panik geraten.
Als die Schweinegrippe bei uns im April aufkam, befand sich Deutschland im Vorwahlkampf. Das Thema ist nun wahrlich nicht für den Wahlkampf geeignet.
Auch obliegt die Organisation der Pandemiepläne grundsätzlich den Ländern, was durchaus schwierig, aber nicht zu ändern ist, denn meines Erachtens wäre eine bundesweit einheitliche Regelung und Organisation besser und einfacher.
Das Hauptproblem zur Zeit ist klar: Es gibt nicht genug Impfstoff, um all diejenigen, die sich jetzt impfen lassen wollen, zu impfen. Die Verträge mit dem Hersteller sind leider so, dass die Lieferungen des Impfstoffes erst anlaufen und die Lieferung der Gesamtmenge von 50 Millionen Impfdosen erst bis März erfolgen muss.
Da die Herstellung des Impfstoffs ca. 20 Wochen umfasst, ist das auch jetzt nicht mehr zu ändern. Täglich werden 340 000 Eier beim Hersteller GlaxoSmithKline für die Impfstoffproduktion verarbeitet. Ich denke, hier ist man jetzt wohl auch an Kapazitätsgrenzen gestoßen. Aber eines sage ich auch ganz klar: GSK verdient ein „Schweinegeld“ mit der Schweinegrippe, da ist Empfindlichkeit in punkto Kritik nicht ganz angebracht. Das muss man dort jetzt aushalten.
Wichtig ist jetzt, dass alle Ärzte, die zu Impfungen bereit sind, zügig die Möglichkeit dazu erhalten, indem sie möglichst schnell ihre Verträge von der Senatsverwaltung erhalten, zum anderen dass sie an den Impfstoff kommen, um ihre Patienten impfen zu können. Hier sei aber noch einmal erwähnt, dass die Ärzteschaft wahrlich nicht einheitlich auftritt – im Gegenteil. Eine Reihe von Medizinern rät den Menschen vom Impfen ab oder ist zumindest skeptisch. Ich finde es auch wenig hilfreich, wenn der Präsident der Berliner Ärztekammer im Radio explizit vom Impfen abrät. Damit wird er seiner verantwortungsvollen Rolle nicht gerecht. Insofern ist die gestern formulierte Kritik der Ärztekammer an der Senatsgesundheitsverwaltung nicht ganz angebracht.
Meines Erachtens ist es jetzt Aufgabe der Ärzte, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass das Impfen gegen die Neue Grippe bei Teilen der Bevölkerung sehr angebracht ist, andere Teile der Bevölkerung jedoch nicht gleich den Tod befürchten müssen, wenn sie im Moment noch nicht geimpft werden können. Der Einzelne sollte prüfen, ob er zu einer Risikogruppe gehört und zum jetzigen Zeitpunkt unbedingt geimpft werden muss oder ob dies nicht auch noch etwas später geschehen könnte. Ansonsten gefährdet das den Erfolg der gesamten Aktion und zudem auch noch die Gesundheit von weitaus gefährdeteren Bevölkerungsgruppen.
Lobend möchte ich das Angebot der Kinder- und Jugendärzte an den Berliner Senat hervorheben, die bereit sind, kostenlos chronisch kranke Kinder zu impfen. Hier hat es erfreulicherweise eine erste Einigung mit dem Senat gegeben, sodass diese Aktion jetzt in den Räumen der bezirklichen Gesundheitsämter beginnen kann. Gleichwohl betone ich, dass ich das Durchimpfen von großen Teilen der Bevölkerung sehr sinnvoll finde. Ansonsten hätte der
ganze Aufwand keine Wirkung. Dieses Ziel kann nun leider erst im Februar oder März 2010 erreicht werden, weil erst dann ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen kann. Das ist meines Erachtens der eigentliche Skandal.
Was die Frage von Nebenwirkungen angeht, so sieht man zum Beispiel in Schweden, wo bereits 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung geimpft worden sind, dass nur bei jedem zehntausendsten Patienten eine Nebenwirkung aufgetreten ist, die tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen war. Wichtig ist jetzt, dass die Bevölkerung ruhig bleibt, also keine Panik aufkommt, zum anderen aber auch die Ratschläge der Experten annimmt, wie man sich erfolgreich gegen die neue Grippe schützen kann, wie zum Beispiel durch häufiges Händewaschen und das Niesen in die Armbeuge statt in die Hand.
Wir müssen verhindern, dass es zu irrationalem Handeln aus Angst vor der Grippe kommt. Ich will Ihnen hierfür ein Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld nennen. In der vergangenen Woche ist meine dreieinhalbjährige Tochter nachmittags aus dem Kindergarten gekommen und hatte ihre Zahnbürste und ihren Zahnputzbecher aus der Kita dabei. „Mama, wir putzen uns nicht mehr die Zähne wegen der Schweinegrippe“, erklärte sie mir. Aufgrund der Intervention von Eltern wurde diese von Erzieherinnen eingeleitete Maßnahme glücklicherweise durch die Leitung der im Übrigen städtischen Kita zurückgenommen. Aber abgewendet ist diese Maßnahme noch nicht, denn die Idee beruhte auf einer etwas unglücklich formulierten Dienstanweisung der Gesundheitsverwaltung, die die Angst der Erzieherinnen offenbar noch weiter unterstützte. Statt der „Schweinegrippepandemie“ droht hier jetzt womöglich eine „Kariesepidemie“. Wichtig ist es jetzt in erster Linie, Ruhe zu bewahren und möglichst rational an das Thema heranzugehen. Natürlich sind aber auch die bisherigen organisatorischen Probleme schnell zu beseitigen. – Vielen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin Winde! – Herr Ratzmann möchte das Wort zu einer Kurzintervention ergreifen.
[Mario Czaja (CDU): Zu den Hygienevorschriften der SPD? – Uwe Doering (Linksfraktion): Wollen Sie auch nicht die Zähne putzen?]
Doch, ich habe die Zähne geputzt! – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Winde! Sie haben eben der Opposition vorgeworfen, wir würden das Thema parteipolitisch ausschlachten. Das weise ich auf das Schärfste zurück.
Wir alle wissen, was die Stunde geschlagen hat. Wir alle wissen, dass wir hier im parlamentarischen Raum sorgsam mit diesem Thema umgehen müssen.
Was mich aber wirklich ärgert, Frau Winde, ist, wenn Sie sich hinstellen und behaupten, das einzige Problem, das gerade die Kinder- und Jugendärzte benannt hätten, sei die Belieferung mit den Impfdosen. Ich hatte gestern das Vergnügen, in einer Kinder- und Jugendarztpraxis zu sein. Ich kann Ihnen nur sagen, die Ärztin und der Arzt sind verbandspolitisch aktiv und sind vor Wut auf diesen Senat fast geplatzt. Sie sagen: Das Ganze liegt nicht daran, dass wir keine Dosen bekommen, sondern weil der Senat unser erstes Angebot, umsonst zu impfen, abgelehnt hat. Wir gehen damit sehr verantwortungsvoll um und wissen genau, dass wir in erster Linie die Risikogruppen impfen müssen. Es gibt 30 000 Kinder in dieser Stadt, 30 000, die chronisch krank sind
und die ganz dringend eine Impfung brauchen. – Die Ärzte haben auch deutlich gemacht, dass es nicht der Senat gewesen ist, der auf sie zugekommen und gesagt hat: Wir müssen dieses Thema in den Griff bekommen –, sondern dass sie auf den Senat zugehen mussten, um ihm das Angebot zu machen, in öffentlichen Räumen zu impfen. Das Erste, was sie dazu gehört haben, war Ablehnung. Der Senat hat gesagt, die Ärzte könnten die Impfung nicht in den Räumen des öffentlichen Gesundheitsdienstes durchführen, weil nicht genügend Personal vorhanden sei, das dabei assistieren könne. Die Ärzte sollten ihre eigenen Sprechstundenhilfen mitbringen. – Wo leben wir denn, dass dieser Senat diese öffentliche Aufgabe auf die Kinder- und Jugendärzte versucht abzuwälzen? Der Arzt hat mir vorgeschlagen, ich solle mir vorstellen, es komme zu ernsthaften Erkrankungen. Dazu sage ich: diese Vorstellung bei diesem Senat – lieber nicht!
[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Lars Oberg (SPD): So viel zum Thema Parteipolitik und Ausschlachten! – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]
Ich habe durchaus den Eindruck, dass das Thema auch parteipolitisch ausgeschlachtet wird. Seien Sie nicht böse.
[Michael Schäfer (Grüne): Das nennt man Demokratie, dass wir den Senat kritisieren! – Weitere Zurufe von den Grünen und der CDU]
Ich glaube, ich bin durchaus auch unter den Kritikern gewesen. Ich habe mir deshalb wiederum nicht unerhebliche Kritik anhören müssen. Die Kritik ist berechtigt gewesen. Ich stehe auch zu meiner eigenen Kritik. Aber ich
finde es unberechtigt, sich hier hinzustellen und zu sagen: Nur diese Verwaltung ist es. Es sind alle.
Wir können uns nicht hinstellen und sagen: Nur die sind es. Offensichtlich sind alle mit dem Thema relativ überfordert. Es ist ein Thema,
das sehr schwer zu behandeln ist. Das Hauptproblem, da gebe ich Ihnen völlig recht, waren die Verträge. Dass das so schleppend anläuft, habe ich durchaus in meiner Rede als Problem benannt, das jetzt gelöst werden muss.
Danke schön Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion spricht nunmehr Herr Kollege Czaja. – Bitte schön Herr Czaja!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Nach dem kurzen Hygieneunterricht von der SPD wollen wir zum Thema kommen.
1 440 Menschen sind in Berlin an der Schweinegrippe erkrankt, mindestens einer ist an ihr gestorben, und Experten sind sich einig, dass dies erst der Anfang einer Pandemie ist. 23 Seiten umfasst der Rahmenplan Influenza Pandemie
der Berliner Gesundheitsverwaltung, in dem der mögliche Ablauf der Grippepandemie und Handlungsanweisungen zusammengefasst sind. Im harmlosesten Fall erkranken demnach in Berlin 450 000 Menschen an der neuartigen Grippe, sollte die Pandemie in Berlin ankommen. Die Behörden rechnen in diesem Fall mit 270 000 zusätzlichen Arztbesuchen und 7 700 Patienten mehr, die in einem Krankenhaus versorgt werden müssen. Im schlimmsten Fall erkrankt jeder zweite Berliner an der Schweinegrippe, die Zahl der Arzt- und Krankenhausbesuche verdreifacht sich.
Seit April dieses Jahres ist dieses Szenario bekannt. Die Fachleute der Senatsgesundheitsverwaltung haben dieses Papier selbst erarbeitet und die Senatorin damit vor die Kameras geschickt. Es ist daher mehr als unverantwortlich, wie dieser Senat seit neun Monaten mit der möglichen Pandemie umgeht. Es ist keine Übertreibung, wenn
ich sage: Dieser Senat setzt mit Absicht und mit Vorsatz die Gesundheit von Tausenden Berlinern aufs Spiel.