Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Danke schön, Herr Kollege! – Jetzt hat der Kollege Czaja das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön!

[Zuruf]

Herr Kollege Schäfer! Das ist schon beeindruckend, dass die Regierungsfraktionen meinen, das System sei ein lernendes. Wir hoffen, die Senatorin ist es auch.

[Zurufe von der SPD, der CDU und der Linksfraktion]

Das Abwälzen, Herr Albers, auf die Bundespolitik ist wirklich fehl am Platz. Sie wissen, dass die einzelnen Bundesminister mit dem Bundesgesundheitsminister ihre Vereinbarung dazu getroffen haben und dass die einzelnen Impfvereinbarungen in den Bundesländern unterschiedlich sind.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Da gibt es aber auch Probleme!]

Ich frage Sie: Wieso finden Sie es eigentlich in Ordnung, dass mit jedem Arzt einzeln ein Vertrag abgeschlossen werden muss,

[Beifall bei der FDP – Beifall von Heidi Kosche (Grüne)]

wenngleich es möglich ist, einer Gesamtvereinbarung beizutreten? Kleinlich waren Sie und Ihre Senatorin, nicht die Ärzte, die gesagt haben: Aufgrund der Haftung werden wir nicht Einzelverträge abschließen. – Das kann man sehr gut verstehen, wie die Ärzte mit dieser Frage umgegangen sind.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Warum gibt es in Baden-Württemberg Probleme?]

Zweitens: Die Geschäftsführung der Kassenärztlichen Vereinigung hat dem Senat angeboten, eine eigene Vereinbarung abzuschließen. Die lag im Übrigen unter 7 Euro. Und dann hat die Vollversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung getagt. Und die Vollversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung darf, seitdem die Satzung verändert wurde, in wesentlichen Fragen mitentscheiden. Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung hat vor einigen Monaten den Senat gefragt, was er denn darunter versteht, „wesentliche Fragen“. Und daraufhin hat Frau Lompscher der Kassenärztlichen Vereinigung schriftlich geantwortet: Wesentliche Fragen sind die Fragen, die die Vollversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung für wesentlich hält. Dass die Kassenärztliche Vereinigung und die Vollversammlung diese Entscheidung getroffen hat und gegen eine Vereinbarung der Geschäftsführung mit dem Senat gestimmt hat, die Ursache dafür liegt in der Geschäftsordnung, die dieser Senat der Kassenärztlichen Vereinigung und der Vollversammlung gegeben hat, und nicht bei den Ärzten!

[Beifall bei der CDU – Martina Michels (Linksfraktion): Das ist doch Quatsch! Sind Sie Arzt? – Unruhe]

Und drittens: Herr Kollege Albers! Da Sie Mediziner sind – ich bin es nicht –

[Martina Michels (Linksfraktion): Ja, eben! Das ist das Problem!]

Ein Problem ist das nicht, wenn man kein Mediziner ist. Wenn das ein Problem wäre, Frau Kollegin Michels, würden sich nur Mediziner impfen lassen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist ja auch eine Logik! Hätten Sie sich mal lieber nicht gemeldet!]

Sie wissen, dass die derzeitige Ansteckung mit dem H1N1-Virus sicher nicht so problematisch ist, wie es sein würde, wenn es zu einer gentechnischen Veränderung des Virus kommen würde.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was macht denn dann der Impfstoff?]

Und ob es zu einer gentechnischen Veränderung kommt, und wie es zu einer gentechnischen Veränderung kommt, das weiß man nicht. Deswegen gibt es ja unterschiedliche Impfstoffe, deswegen wird derzeit über die unterschiedlichen Impfstoffe für Risikogruppen gesprochen. Da Sie es versuchen zu verharmlosen, möchte ich Sie in den nächsten Wochen sehen, wenn wir über weitere Todesfälle sprechen. Ich sage Ihnen, wenn wir in Berlin weitere Todesfälle haben, weil nicht gut geimpft wurde, dann ist dieser Senat und diese Senatorin dafür mitverantwortlich

[Unruhe bei der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist unverantwortlich, was Sie da sagen!]

und nicht die Ärzte in dieser Stadt.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Czaja! – Herr Kollege Albers möchte replizieren und hat das Wort.

[Gregor Hoffmann (CDU): Sagen Sie mal was zu den Todesfällen!]

Herr Czaja! Das ist genau das Problem mit der politischen Instrumentalisierung.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Es ist so gewesen, dass die Kassenärztliche Vereinigung für 5,50 Euro nicht impfen wollte, und aus der Pandemie ist letztlich eine geschäftliche Auseinandersetzung geworden.

[Mario Czaja (CDU): Das ist doch Quatsch!]

Dann lesen Sie deren Veröffentlichungen im KVBlatt 11/09. Da ist das alles explizit beschrieben. Der Impfstoff ist dazu notwendig, damit wir rechtzeitig imp

impfen, damit das Virus überhaupt keine Gelegenheit hat, in eine Mutation hineinzukommen. Wenn die Mutation da ist, Herr Czaja, dann hilft Ihnen dieser Impfstoff überhaupt nichts mehr, weil Sie es dann wieder mit einem anderen Virus zu tun haben. Insofern ist es völlig richtig, dass hier ganz in Ruhe, ganz gezielt und ohne Beunruhigung der Bevölkerung das gemacht wird, was man immer macht und was man auch in der Vergangenheit bei der ganz normalen saisonalen Influenza-Impfung gemacht hat.

[Martina Michels (Linksfraktion): Richtig!]

Sie bauen hier eine Chimäre auf und verunsichern damit die Menschen. Statt sachlicher Aufklärung erfolgt parteipolitisches Geschäft, und das ist unerträglich!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Albers! – Jetzt ist der Kollege Gersch von der FDP-Fraktion an der Reihe. – Bitte schön, Herr Gersch, Sie haben das Wort!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Kollege Albers! Getretene und getroffene Hunde jaulen besonders laut, und das haben Sie auch gerade in sehr hoher Tonlage getan.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist ja ein inhaltsschweres Argument!]

Brüllen Sie ruhig! – Das Thema dieser Debatte ist ein ernstes, und leider müssen wir mit dem Thema H1N1 heute auch einmal mehr über das Versagen des Senats reden. Trotz der zahlreichen Fehlleistungen der Marke Lompscher in der Vergangenheit sind wir von diesem Chaos doch überrascht.

Niemand wird von sich behaupten, dass er die Entwicklung dieser Epidemie vorhersagen konnte. Auch von diesem Senat erwartet das niemand. Unter den Experten gehen die Meinungen weit auseinander. Viele weisen auf die meist milden Krankheitsverläufe hin. Einige bezweifeln, dass das H1N1-Virus in seiner Gefährlichkeit der jedes Jahr saisonal auftretenden Grippeviren nahe kommt. Andere weisen darauf hin, dass der Begriff Pandemie keine Aussage über die Gefährlichkeit des Erregers trifft. Die Statistiken belegen, dass saisonale Grippewellen jedes Jahr mehrere Tausend Todesopfer fordern. Für die neue Grippe scheinen die tödlichen Verläufe dagegen noch selten zu sein. Andere Stimmen wiederum warnen vor einer Zunahme der Gefährlichkeit der Infektion durch mögliche Veränderungen des Virus.

Wissenschaftlich kann als gesichert gelten, dass bei infizierten Schwangeren ein deutlich höheres Risiko einer Komplikation entsteht. Das Meinungsbild der Experten

lässt den Schluss zu, dass wir es gegenwärtig mit einer Variante zu tun haben, die weniger gefährlich ist als die alljährlich widerkehrende Grippe. Dennoch bestehen Komplikationsrisiken für Menschen mit Vorerkrankungen, und selbst bei Gesunden kann es zu dramatischen Verläufen kommen, wie wir alle wissen. Aber nicht nur die Gefährlichkeit des Virus wird diskutiert, die Meinungen gehen auch darüber auseinander, wie sinnvoll diese Maßnahmen und eine Massenimpfung ist. Beide Seiten haben gute Argumente.

Die Impfbefürworter verweisen darauf, dass neben dem Schutz die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung umso schwieriger ist, je häufiger es auf einen immunen Menschen trifft. Eine solche Herdenimmunität kann durch Massenimpfungen begünstigt werden. Impfgegner warnen vor Nebenwirkungen von Wirkverstärkern und quecksilberhaltigen Konservierungsstoffen. Außerdem mahnen sie, dass die jetzige Impfung durch eine Mutation des Virus möglicherweise wirkungslos wird. Auch geben sie zu bedenken, dass die Impfung gegen die saisonale Grippe durch eine H1N1-Impfung nach hinten verschoben wird. All diese Umstände machen die Entscheidung für den Einzelnen nicht leicht. Sie sind letztlich eine Ermessensfrage. Es gab und gibt also eine durchaus kontroverse Diskussion über die Impfung. Schließlich war das Resultat auf politische Ebene aber bundeseinheitlich die Entscheidung für eine Massenimpfung. Diese Entscheidung fiel bereits vor einem halben Jahr.

Das war der Vorlauf, den Sie für eine Versorgung mit dem Impfstoff hatten. Das war der Vorlauf, den Sie hatten, sich mit der KV in fairer Weise zu einigen, die Infrastruktur zu schaffen und die Gesundheitsämter adäquat vorzubereiten. Das war Ihre Vorlaufzeit, sich Gedanken über einen risikoarmen Impfstoff für Schwangere und Kinder zu machen, und nichts davon haben Sie in dieser Zeit geschafft. Haben Sie auf eine neue Mitteilung des RKI gewartet, die Sie uns vorlesen können und in der alle Maßnahmen für das Land Berlin einzeln vorformuliert werden? Was machen Sie eigentlich, wenn eine Epidemie ohne Ankündigung auftritt, ohne ein halbes Jahr Vorbereitungszeit? Was machen Sie da?

Bereits im September habe ich im Senat drei Kleine Anfragen zur H1N1-Impfung in Berlin gestellt. Die Fragen bezogen sich unter anderem auf die Sicherheit der Impfstoffe, den vorbeugenden Verbraucherschutz, die Aufklärung, die wissenschaftliche Begleitung und die Defizite in Logistik und Finanzierung. All die Probleme, die wir jetzt erleben, sind dort angesprochen. Ihre Antworten waren Zitate anderer Stellen und Verweise auf andere Zuständigkeiten – zu konkreten Anwendungsfolgen für Berlin so gut wie gar nichts!

Aber Katastrophenschutz ist Ländersache, und Sie hätten diese Frage dazu nutzen können, Mängel in der Organisation in all den genannten Bereichen zu korrigieren. Aber weit gefehlt! Stattdessen stellen Sie sich am 15. Oktober in dieses Plenum und beteuern wörtlich, Sie seien keine

Dr. Wolfgang Albers

Arzneimittelexpertin. Wer als Gesundheitssenatorin ein halbes Jahr nach Ausbruch einer Epidemie noch nicht Expertin dafür ist, der ist einfach fehl am Platz!

[Beifall bei der FDP]

Sie übernehmen selbst jetzt noch nicht die Verantwortung, wo Sie schon bundesweit durch das Missmanagement traurige Schlagzeilen für Berlin machen. Stattdessen suchen Sie die Schuld bei anderen. Aus den Tiefen des Klassenkampfes haben Sie wieder Ihren Lieblingssündenbock ausgemacht – die Ärzte. Herr Albers hat uns das gerade demonstriert.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Die KV!]

Frau Lompscher! Haben Sie sich einmal in einer Praxis die Versorgung von Patienten angesehen? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel Zeit eine gewissenhafte Impfung bei dieser komplexen Sachlage erfordert? Oder sind Sie etwa der Meinung, dass ein Arzt ohne gründliche Anamnese auf eine Untersuchung, eine differenzierte Aufklärung verzichtet? Wie stellen Sie sich eigentlich so eine Impfung vor, etwa wie am Fließband? – Nein, das erfordert Zeit und individuelle Abwägung!