Im Grunde – das wissen wir alle – ist es so, dass bei der Normierung des Vollzugs der Untersuchungshaft die besondere Herausforderung darin besteht, einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen. Hier stehen sich nämlich naturgemäß unterschiedliche Interessenlagen gegenüber. Auf der einen Seite müssen wir die Rechte des Beschuldigten sehen, der hier als unschuldig zu gelten hat. Für ihn streitet die Unschuldsvermutung. Auf der anderen Seite steht das berechtigte Interesse des Staates an der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens. Das können Sie auch in den §§ 2 und 4 des Gesetzentwurfs nachlesen. Diese beiden Aspekte, die die Grundbetrachtung rechtfertigen, scheinen im vorliegenden Gesetzentwurf im Großen und Ganzen in Einklang gebracht worden zu sein.
Die Sorge meiner Fraktion bezieht sich vielmehr auf die Umsetzbarkeit und insbesondere auf die Praktikabilität dieses Gesetzentwurfs.
Hier schwingt nämlich die Sorge mit, die wir als Unionsfraktion bei der sozialdemokratischen Justizverwaltung häufig haben müssen, dass wieder einmal in Teilen eine bloße Luftnummer produziert wird: hohe Standards in Gesetzen festschreiben, aber keinen Blick und auch nicht die Möglichkeiten dafür haben, dies dann praktisch umzusetzen.
Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: § 33 des Gesetzentwurfs regelt das Besuchsrecht Untersuchungshaftgefangener. Hier wird eine Verdopplung der Besuchszeiten vorgesehen. Dagegen ist dem Grunde nach überhaupt nichts einzuwenden. Es muss dann aber auch in der Praxis umsetzbar sein. Es bringt meines Erachtens wenig und erscheint mir auch nicht anständig, solche weitreichenden Regelungen zu beschließen, dann aber die Anstalten mit der Frage der Umsetzung allein zu lassen. Eine Verdopplung der Besuchszeiten erfordert nämlich zwingend mehr Personal. Das sollte jedem von uns klar sein. Das liegt auf der Hand. Woher soll jedoch dieses Personal kommen, nachdem Rot-Rot den allgemeinen Vollzugsdienst systematisch kaputtgespart und ausgedünnt hat und sich die Senatorin für Justiz auch im Rahmen dieser Haushaltsberatungen erneut mit ihrer Forderung nach mehr Personal nicht durchsetzen konnte?
Außerdem bringt eine Verdopplung der Besuchszeiten zwingend mit sich, dass auch bauliche Voraussetzungen zu schaffen sind, die diesem Mehrbedarf Rechnung tragen. Jedenfalls in der Jugendstrafanstalt – dort habe ich mir einen eigenen Eindruck verschafft – sind diese räumlichen Möglichkeiten jetzt schon nicht gegeben. Das heißt also, ab 1. Januar nächsten Jahres – in wenigen Wochen – werden wir eine Rechtslage haben, die schlichtweg so nicht umsetzbar sein wird.
Darüber hinaus muss man, wenn man in der heutigen Zeit über die Untersuchungshaft spricht, auch auf einen weiteren traurigen Punkt eingehen. Der Kollege Kohlmeier hat den entsprechenden Paragrafen – § 5 Absatz 1 Satz 3 – angesprochen, der regelt: Besonderes Augenmerk ist auf die Verhütung von Selbsttötungen zu legen. Wir alle wissen von der besorgniserregenden Häufung von Suiziden in der Untersuchungshaft. Allein in den letzten knapp vier Wochen gab es drei aufsehenerregende Fälle von Suiziden. Hier wird der Rechtsausschuss überprüfen müssen, ob dieser gerade zitierte gesetzgeberische Anspruch in der Praxis auch seine adäquate Umsetzung erfährt.
Insgesamt stimmen wir trotz dieser soeben kursorisch genannten Bedenken diesem Gesetzentwurf zu, weil der Vollzug der Untersuchungshaft auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden muss, damit auch ab Januar nächsten Jahres eine Rechtsgrundlage für die auch in der Untersuchungshaft erforderlichen grundrechtsrelevanten Eingriffe gegeben ist. Details werden sicher nachzubessern sein. Das wird die Vollzugspraxis zeigen, die wir im Auge zu behalten haben. Außerdem werden wir weiter darauf drängen, dass die Standards, die hier ins Gesetz geschrieben sind, durch die zuständige Senatsverwaltung auch eingehalten werden bzw. deren Einhaltung durch die dafür zuständigen Stellen auch ermöglicht wird. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rissmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Dott das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier heute über ein Untersuchungshaftgesetz zu sprechen, zu dessen Bedeutung meine Vorredner schon einige richtige Punkte erwähnt haben. Wir sind froh, dass dieses Gesetz in großer Einigkeit mit anderen Bundesländern erarbeitet werden konnte. Hier wird eine Lücke geschlossen, die schon lange besteht. Wir haben das Gesetz im Ausschuss gründlich diskutiert und hatten Anhörungen dazu. Das Gesetz verließ den Ausschuss mit einer ungewöhnlich großen Zustimmung von SPD, CDU und der Linken. Die Grünen und die FDP haben sich immerhin nur enthalten, und es gab keine Gegenstimmen. Das deutet darauf hin, dass viele der Bedenken, die selbstverständlich auch von den Experten vorgetragen wurden, ausgeräumt werden konnten. Berlin hat ein gutes Gesetz erarbeitet, das die Besonderheiten des U-Haftvollzugs mit der Unschuldsvermutung gegenüber der Strafhaft deutlich macht. Es führt für viele Betroffene zu Verbesserungen.
Auch wenn ich Vorredner wiederhole, möchte ich besonders auf die Ausweitung der Besuchszeiten von einer auf zwei Stunden im Monat für Erwachsene und von zwei auf
vier Stunden im Monat für Jugendliche hinweisen. Das ist eine große Verbesserung. Gerade bei Untersuchungsgefangenen, bei denen die Unschuldsvermutung gilt und die in der Regel erst kurz in Haft sind, ist es außerordentlich wichtig, dass familiäre und soziale Kontakte aufrechterhalten werden können. Natürlich wird das im Vollzug schwer umzusetzen sein. Die Sorge, die von Herrn Rissmann vorgetragen wurde, wird von den Anstaltsbediensteten auch geäußert. Aber vielleicht können Sie Ihre Bewertung umdrehen: Rot-Rot hat eine Verbesserung beabsichtigt und ist nun in der Pflicht, die erforderlichen Bedingungen für gesetzeskonformes Handeln zu schaffen.
Es wird auch an anderen Stellen positive Veränderungen geben, beispielsweise bei der Arbeitsentlohnung. Bisher gab es eine Schlechterstellung der Untersuchungshaftgefangenen gegenüber den Strafgefangenen. Diese wird jetzt abgeschafft. Auch der Taschengeldanspruch für bedürftige Inhaftierte wird gesetzlich festgeschrieben. Das ist auch ein Punkt, den man nicht unterbewerten darf.
Hier geht Berlin viel weiter als andere Bundesländer wie zum Beispiel das CDU-geführte Niedersachsen oder Baden-Württemberg. In diesen Ländern ist nicht nur die Besuchszeit kürzer, sondern es gab dort auch weder die Anpassung des Arbeitsentgeltes noch die des Taschengeldanspruchs. Dazu kommt, dass in unserem Gesetz besonderes Augenmerk auf die Vollzugsgestaltung bei jungen Untersuchungsgefangenen gelegt wird. So werden die Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfs und die Festlegung von Maßnahmen zur schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung gesetzlich festgeschrieben. Über die Verbesserung der Verteidigerrechte wurde schon gesprochen. Verteidiger bekommen jetzt bessere und direktere Mitteilungen. Wir finden im § 35 eine Verbesserung für Rechtsanwälte. Dort heißt es jetzt:
Besuche von Verteidigern sowie Rechtsanwälten und Notaren, die den Untersuchungsgefangenen in einer Rechtssache vertreten, werden nicht überwacht.
In einigen Punkten wäre durchaus mehr wünschenswert gewesen. Das ist uns bewusst. Aus Sicht der Gefangenen sind zwei bzw. vier Stunden Besuchszeit monatlich immer noch viel zu wenig. Wir wissen aber, was allein das für einen Aufwand in der Umsetzung bedeutet. Das gilt auch für die Bereitstellung von Sport- und Freizeitangeboten. Allen Inhaftierten müssen solche Angebote gemacht werden. Das steht im Gesetz. Eine Mindestzeitregelung gibt es allerdings nur für junge Inhaftierte, aber es wird schon mühsam werden, allein das umzusetzen. Die Anstrengung, das umzusetzen, wollen wir auf uns nehmen. Man muss abwägen und berücksichtigen, was von den Justizvollzugsanstalten leistbar ist. Da geht das Gesetz viel weiter, als man erwarten konnte. Wir wissen, dass es noch Gesichtspunkte gibt, die weiterentwickelt werden müssen. Das muss zu gegebener Zeit geschehen.
Zum Änderungsantrag der Grünen kann ich nur sagen, dass wir die verschiedenen Punkte bereits besprochen haben. Es gibt nicht Neues hierzu. Über einen Aspekt wundere ich mich, nämlich über den Paketempfang. Das Verbot bezieht sich nur auf Nahrungs- und Genussmittel und nichts anderes.
Sie von den Grünen wollen Gegenstände und Verpackungsformen ausschließen, die einen unverhältnismäßigen Kontrollaufwand erfordern. Was soll das anderes als Nahrungs- und Genussmittel sein? – Ihr Vorschlag ist somit keine Verbesserung.
Berlin erhält ein gutes Gesetz. Es muss sich nun in der Praxis bewähren. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dott! – Für die FDPFraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Kluckert das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Berlin hat der Senat einen Entwurf vorgelegt, der eine ausreichende gesetzliche Grundlage darstellt. Damit wird ein unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht zu billigender Zustand beseitigt. Bisher war der Untersuchungshaftvollzug – bis auf wenige Einzelbestimmungen in Gesetzen – allein in einer Verordnung geregelt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass endlich den Besonderheiten im Untersuchungshaftvollzug Rechnung getragen worden ist.
Niemand hat vom Senat erwartet, dass er den Untersuchungshaftvollzug neu erfindet. An der einen oder anderen Stelle hätten wir uns aber neue Impulse gewünscht. Da es die rot-rote Koalition an verschiedenen Punkten versäumt, ein aus rechtsstaatlichen und humanitären Erwägungen gebotenes Mindestmaß zu wahren, müssen wir deutliche Bedenken äußern und dem Gesetz heute unsere Zustimmung verweigern.
Erster Punkt: Die Unschuldsvermutung wird in diesem Gesetzentwurf nicht ausreichend hervorgehoben. Der Gesetzentwurf sagt in § 2:
Mit dieser Formulierung wird unterstellt, der Untersuchungsgefangene hätte bereits eine Straftat begangen. Hierauf wurde von der Anwaltschaft hingewiesen. Grüne und FDP haben alternative Gesetzesvorschläge gemacht. Ich finde, meine Damen und Herren von der rot-roten Koalition, es hätte Ihnen gut angestanden, diese Vorschläge aufzugreifen.
Zweitens: Wir wollen, dass bauliche Mängel der Anstalt nur noch für einen Übergangszeitraum – nämlich bis zur Eröffnung der Haftanstalt in Heidering – angeführt werden dürfen, um Beschränkungen zu rechtfertigen. Das gilt beispielsweise und gerade auch für die Kleinkindunterbringung bei inhaftierten Müttern. Die gemeinsame Unterbringung von Müttern mit Kindern darf nicht von den baulichen Gegebenheiten abhängig gemacht werden. Leider hat es die Koalition versäumt, hier die Weichen für mehr Humanität im Untersuchungshaftvollzug zu stellen.
Drittens: Die Untersuchungshaft eines Elternteils stellt insbesondere für die Kinder eine erhebliche Belastung dar. Die Dauer der Untersuchungshaft und die Unschuldsvermutung machen es notwendig, den Kontakt zwischen Inhaftierten und Kindern zu fördern. Es ist daher nicht angemessen, den Besuch von Kindern unter 14 Jahren vollständig auf die zweimonatige Gesamtbesuchszeit anzurechnen. Wir haben beantragt, bei Besuchen von Kindern eine Anrechnung erst ab der achten Stunde im Monat vorzunehmen. Auch hier hat es die rotrote Koalition leider versäumt, die Weichen für mehr Humanität im Haftvollzug zu stellen.
Viertens: Wir hätten uns eine gesetzliche Klarstellung gewünscht, dass keine verdeckte akustische Gesprächsüberwachung erfolgt, ohne vorher einen Hinweis zu geben – so, wie es auch bei der Videoüberwachung geregelt ist.
[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Die gibt es doch gar nicht! Deshalb brauchen wir keinen Hinweis!]
Dass Sie, lieber Herr Dr. Lederer, es unterlassen haben, die Auslegungsspielräume zu schließen und ein heimliches Abhören zu unterbinden, bedauern wir. Sie haben es versäumt, die rechtsstaatlich gebotene Klarheit herzustellen.
Fünftens: Herr Dr. Lederer! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch die Verhängung von Zwangsmaßnahmen durch die Anstalt gegenüber Gefangenen letztendlich nicht mehr dem Richter anvertraut, sondern es wird der Haftanstalt übergeben, diese Maßnahmen zu verhängen. Das ist in dieser völligen Überantwortung auf die Anstalt für uns Liberale nicht akzeptabel. Wir haben
daher gefordert, gerade für die besonders einschneidenden Maßnahmen wie Einzelhaft und Arrest den Richtervorbehalt beizubehalten. Lieber Herr Dr. Lederer! Auch da hat es die Koalition leider versäumt, die rechtsstaatlich gebotenen Absicherungen im Gesetz zu verankern.
Zum Schluss noch ein Wort zum Antrag der Grünen: Der Antrag der Grünen enthält viele Punkte, die wir auch im Verfahren im Ausschuss mit unterstützt haben. Nur an einer Stelle – es ist ja ein Gesamtpaket, was Sie eingebracht haben – geht er uns leider zu weit. Sie wollen den Richtervorbehalt für sämtliche Disziplinarmaßnahmen beibehalten – also z. B. auch für die Wegnahme eines Fernsehgerätes.
Das habe ich gesehen, Frau Präsidentin! Ich bin auch beim letzten Satz. – Dies geht uns etwas zu weit. Lieber Herr Dr. Behrendt! Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung enthalten, obwohl Ihr Antrag über weite Strecken vollkommen in die richtige Richtung geht. – Vielen Dank!