Das sind alles Probleme, wo wir uns jetzt zusammensetzen und sie lösen könnten. Oder aber wir beschäftigen uns mit dem, was heute auf der Tagesordnung steht, und das ist eben das, was Bündnis 90/Die Grünen beantragt haben. Ich glaube, darum geht es hier und heute und nicht darum, was Sie sich alles an Problemen ausdenken, die man noch irgendwo an einem Runden Tisch lösen könnte, meine Damen und Herren!
Die Frage ist das Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid. Ich glaube, man muss hier gar nicht so viel Aufregung um die Sache über sich ergehen lassen, sondern man muss ich auf der Zunge zergehen lassen, was wir bisher in unserer Stadt an Bürgerentscheiden hatten. Wir hatten sieben Bürgerentscheide, vier davon waren erfolgreich. Das waren 2006 Coppi-Gymnasium und Parkraumbewirtschaftung Charlottenburg-Wilmersdorf, Mediaspree im Jahr 2008 und ebenso Tempelhof als Denkmal. Das alles war erfolgreich. Nicht erfolgreich waren nur drei Bürgerentscheide, zum einen das Begehren zur Rudi-DutschkeStraße und der entsprechende Bürgerentscheid, der an der mangelnden Mehrheit gescheitert ist. Interessant sind die beiden Bürgerentscheidsverfahren, die am Beteiligungsquorum von 15 Prozent gescheitert sind. Das war zum einen die Parkraumbewirtschaftung in Mitte 2008. Da haben sich nur 11,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Und das Verfahren Groß-Glienicker See 2007 ist mit einer Beteiligung von 13,6 Prozent auch an der Beteiligung gescheitert. Interessant ist, dass nur beim GroßGlienicker-See-Verfahren das, was Herr Lux vorschlägt, einen Unterschied gemacht hätte. Bei diesem Verfahren hätte es ausgereicht. Da hätten wir aufgrund der exorbitanten Zustimmung bei den 13,6 Prozent von 84,4 Prozent Ja-Stimmen 11,4 Prozent Ja-Stimmen insgesamt. Bei diesem Bürgerentscheid hätte es bereits einen Unterschied gemacht. Deswegen ist der Tat die Frage, bei welcher Höhe man hier ansetzt.
Aus demokratietheoretischen Gründen haben Herr Lux und die Grünen auch recht an dieser Stelle. Ein Beteiligungsquorum ist kontraproduktiv. Ich denke, Herr Gram, wir brauchen da gar nicht so weit in die Zukunft zu blicken, sondern wir müssen uns einfach selbst prüfen. Wenn ein Bürgerentscheid in unserem Bezirk durchgeführt wird, dann stellt doch jeder von uns die strategische Frage: Macht es Sinn, dass ich mich beteilige, wenn ich damit helfe, das Beteiligungsquorum zu erreichen, wenn es zweifelhaft ist, ob das Beteiligungsquorum erreicht wird, wenn ich gegen die Sache bin? Allein diese Überlegung ist schon absurd, denn wenn ich gegen eine Sache bin und auch bereit bin, dafür zu Wahl zu gehen – theoretisch – und am Bürgerentscheid teilzunehmen, dann sollte ich das nach unserem Demokratieverständnis doch auch tun. Deswegen sollten wir auch alles tun, um die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, sich an Bürgerentscheiden zu beteiligen. Dazu gehört eben kein Beteiligungsquorum, sondern nach Möglichkeit ein Zustimmungsquorum.
Bei der Höhe des Quorums, Herr Lux, dürften sich in der Tat die Geister scheiden, darüber kann man diskutieren.
Schauen wir uns die sieben Verfahren an, die wir haben, so kann man sie in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe beinhaltet die Verfahren, bei denen eine außerordentlich geringe Ja-Stimmen-Anzahl vorliegt. Dies betraf das Verfahren Rudi Dutschke mit 7,2 Prozent, die Parkraumbewirtschaftung in Mitte mit 9,3 Prozent und das schon genannte Bebauungsverfahren Groß Glienicke mit 11,4 Prozent, das bei Ihnen mit der Grenze bei 10 Prozent erfolgreich wäre. Daneben gibt es die zweite Gruppe, die erstaunlicherweise sehr viel höhere Ja-Stimmen-Anteile haben. Darin enthalten ist das Verfahren zu Mediaspree mit 16 Prozent und, weit vorne, das Coppi-Gymnasium mit 26 Prozent, die Parkraumbewirtschaftung in Charlottenburg mit 26 Prozent und das Verfahren zum Denkmal Tempelhof mit 27 Prozent. Das macht deutlich, dass wir es mit zwei ganz unterschiedlichen Sachverhaltsgruppen zu tun haben. Deswegen erscheint es mir sachgerecht, dass wir uns überlegen, ob wir möglicherweise ein Zustimmungsquorum nicht doch 2 bis 2,5 Prozent höher ansiedeln sollten, als es von Ihnen vorgeschlagen wurde. Ich halte das für sachgerecht unter dem Aspekt, dass man darüber nachdenkt, das Zustimmungsquorum etwa auf 12 bis 12,5 Prozent festzusetzen. Darüber sollten wir uns im Ausschuss unterhalten.
Herr Dr. Felgentreu! So sehr ich auch die Schärfe Ihrer Argumentation in anderen Dingen schätze, so sehr hat es mich erstaunt, wie Sie sich hier gewunden haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass Sie es jedenfalls jetzt noch nicht wollen. Ebenso Herr Dr. Lederer, der sich ebenfalls in Ausreden flüchtet. Das, meine Damen und Herren von Rot-Rot, sollten wir eher nicht proben, vielmehr sollten wir versuchen, zu einer sinnvollen und konsensualen Lösung im Rechts- und Innenausschuss zu kommen. Wir haben genug, worüber wir reden können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Danke schön, Herr Kollege Jotzo! – Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzantrages Drucksache 16/2783 federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie mitberatend an den Rechtsausschuss. – Widerspruch höre ich hierzu nicht.
Ich eröffne die I. Lesung. Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Person von Frau Herrmann. – Bitte schön, Frau Herrmann, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Recht zu allgemeinen, unmittelbaren, gleichen, freien und geheimen Wahlen ist ein Grundrecht; es wurde in den letzten Jahrhunderten von vielen Menschen errungen. Noch der Preußische Landtag wurde durch ein Dreiklassenwahlrecht bestimmt. Dabei wurden natürlich nur die Männer in die Klassen eingeteilt und nicht die Frauen. Schon in der Kaiserzeit galt dieses Wahlrecht allerdings als besonders rückständig, dennoch zeigt sich daran, dass das Wahlrecht nicht gottgegeben ist, sondern etwas, was sich Menschen seit mehreren Jahrhunderten errungen und erkämpft haben.
Auch heute gibt es noch Menschen, die in Berlin leben, die von den Entscheidungen, die in diesem Haus getroffen werden, betroffen sind, aber keine Möglichkeit haben, per Wahlzettel mitzubestimmen. Darunter fallen auch Jugendliche.
Junge Menschen sind besonders von politischen Beschlüssen und Richtungen betroffen, und sie werden am wenigsten einbezogen und ernst genommen. Am Ende zählt nur eins: das Wahlergebnis. Darauf haben 16- und 17-Jährige auf Berliner Landesebene leider keinen Einfluss. In der Bildungspolitik dreht es sich meist um Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer. Die Hauptpersonen, die Schülerinnen und Schüler, gehen häufig unter. Wer heute Schulden macht, wer heute Autobahnen baut, wer heute klimaschädliche Politik betreibt und sich an Bildungsreformen versucht, der trifft besonders die Jüngeren und die nachfolgenden Generationen – genau die, die am wenigsten mitbestimmen können. Daran wollen wir etwas ändern, und deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag, das Wahlalter zu senken, zuzustimmen, ihn ernst zu nehmen und ernsthaft zu debattieren.
Durch die mutigen Verfassungsänderungen von 2005 können 16- und 17-Jährige an der Wahl zur Bezirksver
ordnetenversammlung und an bezirklichen Bürgerentscheiden teilnehmen. Es ist nicht verständlich, warum ihnen entsprechende politische Entscheidungsmöglichkeiten auf Landesebene verwehrt bleiben. Es ist unlogisch, dass 16- bis 18-Jährige auf Landesebene an Volksinitiativen, nicht aber an Volksbegehren und Volksentscheiden teilnehmen können. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber als ich zum Thema „Pro Reli“ in der Stadt unterwegs war und mit vielen Schülerinnen und Schülern gesprochen habe, habe ich oft gehört: Das betrifft doch genau uns. Wir müssen in diesen Unterricht gehen, und wir dürfen hier nicht mitentscheiden, was wir eigentlich wollen. – Daran wollen wir etwas ändern!
In den meisten Debatten um das Wahlalter geht es um die Frage der politischen Reife – ich habe bereits mehrere Debatten miterlebt. Ich glaube, es gibt kein politisches Reifegen und schon gar keins, das sich zu Kommunalwahlen mit 16 Jahren und zu allen anderen Wahlen mit 18 Jahren anknipst. Verallgemeinerungen, dass die Jugend politikunfähig wäre und alle Erwachsenen politikfähig seien, teile ich nicht. Wer diese Argumentationskette der Politikreife ganz zu Ende denkt, der darf sich gar nicht für Wahlaltersgrenzen einsetzen, der müsste sich für einen Wahlführerschein für alle einsetzen. Das entspricht aber nicht unserem Demokratieverständnis.
Eine Analyse des Wahlverhaltens 16- bis 18-Jähriger bei den Wiener Landtagswahlen 2005 zeigt, dass die Wahlbeteiligung der unter 18-Jährigen nur knapp unter dem Durchschnitt lag, dass die Jugendlichen in Wien unterdurchschnittlich rechtsextreme Parteien gewählt haben und dass die Wahlaltersenkung das Interesse an Politik gesteigert hat. Hierzu möchte ich Ihnen einen Teil aus der Studie vorlesen:
Die Möglichkeit zur Mitbestimmung und das Wahlrecht für Jugendliche standen an erster Stelle der Motive für die Wahlteilnahme. Die Jugendlichen hatten das Gefühl, zum ersten Mal von der Politik ernst genommen zu werden.
Das möchten wir ihnen auch in Berlin ermöglichen, und ich hoffe, dass wir gemeinsam auf den richtigen Weg kommen. Denn auch Jugendliche sind Trägerinnen und Träger demokratischer Grundrechte. Die Möglichkeit, mitentscheiden zu können und durch ein frühes Wahlrecht ernst genommen zu werden, kann auch dazu beitragen, dass das Interesse für Politik wächst. Die Erweiterung des Wahlrechts für Berliner Jugendliche wäre demnach nicht nur ein Gewinn an Selbstbestimmung und Teilhabechancen, sondern trägt zudem zur Belebung der demokratischen Kultur bei.
Bremen hat im Oktober die Einführung des Wahlalters ab 16 Jahren zur Wahl der Bremischen Bürgerschaft beschlossen. Es wäre ein Signal für die Demokratie, wenn wir gemeinsam im ehemaligen Preußischen Landtag neben den Kinderrechten auch die Wahlaltersenkung be
schließen könnten. Dann hätten wir nach rund 100 Jahren nach der Kaiserzeit mit dem Berliner Wahlrecht – nach dem Bremer Wahlrecht – eines der fortschrittlichsten und demokratischsten in Deutschland. Bitte helfen Sie mit! – Danke schön!
Danke schön, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Felgentreu das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Felgentreu!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein altes Hamburgisches Sprichwort: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Sachen, die aus Bremen sind.
Auf diese polemische Ebene möchte ich mich aber auf keinen Fall begeben, im Gegenteil. Natürlich ist der Vorschlag der Grünen konsequent. Wir haben ein Wahlalter von 16 Jahren auf der Bezirksebene, warum also nicht, das ist die berechtigte Frage, die die Grünen aufwerfen, auch auf Landesebene. Ich muss allerdings sagen, so konsequent die Fragestellung ist, so groß ist bei mir die Skepsis.
Natürlich ist es richtig, dass es sehr reife 16-Jährige gibt, Leute, denen man ohne Weiteres zubilligen kann, dass sie ein kritisches Urteil auch in diesen Fragen zu fällen in der Lage sind. Es gibt aber auch unreife 25-Jährige, denen man am liebsten sagen würde: Lass es lieber, bleib lieber zu Hause, bevor du ein Unheil anrichtest.
Der Gesetzgeber ist also schlicht und ergreifend aufgerufen, irgendwo eine Linie zu ziehen. In Deutschland hat sich durchgesetzt, dass diese Linie beim Wahlalter von 18 Jahren liegt. Ich denke, das hat sich bewährt. Wenn ich ein Beispiel aus meinem eigenen Leben geben darf: Ich weiß noch, dass ich mich ungeheuer auf den 18. Geburtstag gefreut habe, auch deshalb, weil ich dann wählen durfte. Das ist etwas, was man den Jugendlichen nicht nehmen sollte: den Eintritt in das volle Erwachsenenalter mit all seinen Rechten und Pflichten.
Es ist auch kein Widerspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn man auf kommunaler Ebene eine andere Schwelle festlegt als auf der Landesebene, denn die kommunale Ebene bewirkt eine Heranführung an die vollen Bürgerrechte und -pflichten, ein Sich-vertraut-Machen, ein Interesse-Wecken für Politik, was ich für wichtig und sinnvoll und vielleicht sogar für notwendig halte. Es hat die Wahlen auf kommunaler Ebene ja schon einmal gegeben, und zwar 2006. Damals hatten wir 110 000 Wahlberechtigte mehr als auf der Landesebene. Das waren die EU-Bürger und die 16- bis 18-Jährigen. Trotzdem war die Wahlbeteiligung deutlich
unterhalb der Wahlbeteiligung auf Landesebene. Das zeigt, dass auch in diesem Segment die Wahlbeteiligung sehr wahrscheinlich deutlich unterdurchschnittlich war. Das ist zumindest die Schlussfolgerung, die der Landeswahlleiter zog. Ich schließe mich dem an.