Mit rot-roten Sozialromantikern ist das natürlich nicht zu machen, das ist mir völlig klar! Der gewaltige Keil zwischen Brutto- und Nettolöhnen als Folge hoher Steuer- und Abgabelast führt dazu, dass sich der Lohnabstand
zwischen staatlichen Transfers und dem Lohn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weiter verringert hat. Das gilt in erster Linie für Löhne im Niedriglohnbereich. Das sind keine wirksamen Anreize. Aber Sie setzen noch einen drauf und erhöhen die Steuern. Und das quasi als erste Amtshandlung!
Sie hätten eine Vielzahl von Maßnahmen ergreifen können, um den Berliner Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen, und das nicht nur jetzt, sondern auch schon in den letzten fünf Jahren. Doch Sie verschleudern aktuell über 90 Millionen €, die man sinnvoll hätte einsetzen können. Wenn Frau Grosse nachher wieder mit dem Argument kommt und sagt, Sie wollen immer einsparen, dann sage ich schon im Vorfeld: Ja, wenn die Gelder nun da sind, dann sollten sie möglicherweise richtig ausgeschöpft werden, damit den Menschen eine Perspektive gegeben werden kann.
Als Begründung schieben Sie wieder ein Kompetenzgerangel zwischen Senat und Bezirken vor. Ich sehe den Senat hier in der Pflicht. Frau Senatorin Knake-Werner, bitte erklären Sie mir das! Packen Sie das Thema grundsätzlich neu an, seien Sie mutig und nutzen Sie die Gelder sinnvoll! Das gilt nicht nur in der Arbeitsmarkpolitik! – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Lehmann! – Für die Fraktion der SPD hat nun die Frau Abgeordnete Grosse das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Na ja, Herr Lehmann! Rein in die den Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln! So richtig wissen Sie auch nicht, was Sie wollen.
Die neuesten Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass wir eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt haben, und das sollte uns eigentlich zuversichtlich stimmen. Was machen Sie, Herr Lehmann? – Ich denke, die anderen Oppositionsparteien werden es auch machen: Dieses zarte Pflänzchen, das aufkeimt, werden Sie wieder in Ihren Redebeiträgen zertrampeln. Machen Sie doch lieber den Menschen Mut!
Fakt ist, Sie wollen es bloß nicht wahrhaben: Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, und wir haben die niedrigste Arbeitslosenzahl seit zehn Jahren. Sie liegt bei 16,6 %. Mir ist klar: 16,6 % sind 16,6 % zu viel, aber Berlin liegt
mit einer Steigerungsquote von 1,8 % über dem Bundesdurchschnitt, und nun kommen Sie schon wieder mit der „roten Laterne“. Ich kann es schon nicht mehr hören. Herr Lehmann, die Ampel ist auf Grün gestellt, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, dass das mit einer rot-roten Koalition geht!
Natürlich dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass es Menschen in unserer Stadt gibt, die trotz des konjunkturellen Aufschwungs nicht sofort in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Diese Menschen benötigen nach wie vor unsere Unterstützung und Qualifizierung. Vor diesem Hintergrund ist es auch für uns unverständlich und nicht hinnehmbar, dass die Arbeitsagenturen und Jobcenter diese Mittel im Jahr 2006 wieder nicht ausgeschöpft haben. In Berlin waren im Januar ca. 280 000 Menschen arbeitslos gemeldet, davon ca. 59 000 Menschen, die Arbeitslosengeld I beziehen, also bis zu einem Jahr arbeitslos sind. Für diesen Personenkreis sind die Arbeitsagenturen zuständig. Über 210 000 Menschen sind in unserer Stadt Langzeitarbeitslose. Dieser Personenkreis wird in zwölf Jobcentern betreut.
Herr Dr. Steffel! Ihr Redebeitrag in der Aktuellen Stunde am 9. November zum Thema „Positive Entwicklung am Berliner Arbeitsmarkt“ hat mir gezeigt, dass Sie nicht richtig informiert sind, und deshalb nutze ich die Gelegenheit, das hier richtigzustellen. Sie hatten gesagt:
Herr Dr. Steffel! Richtig ist die Zahl der Arbeitslosen, aber nicht richtig ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger. Das sind nämlich 52 000. Das sind Menschen, die am Tag keine drei Stunden arbeiten können. Wenn Sie hier im Abgeordnetenhaus über Arbeitsmarktpolitik reden, dann bitte mit den richtigen Zahlen. – Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Kollege Steffel! Ihnen muss entgangen sein, dass die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt wurden. Vor drei Jahren haben Ihre Zahlen noch gestimmt, aber nun wissen Sie es, dass wir eine Arbeitsmarktreform hatten.
Erfreulich ist nicht – das betone ich noch einmal ausdrücklich, und das ist auch ein Thema der heutigen Aktuellen Stunde –, dass Fördergelder in Höhe von 96 Millionen € bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern verfallen sind, weil sie nicht ausgegeben wurden. – Ich fange mit den Arbeitsagenturen an. Diese Fördermittel stammen von den Beitragszahlern, von der Arbeitslosenversicherung, die paritätisch von den Arbeitnehmern und
Arbeitgebern gezahlt wird. Herr Lehmann und meine Damen und Herren von der FDP! Es ist interessant, dass Sie sich jetzt dafür einsetzen, dass diese Fördermittel auch ausgegeben werden sollen. Sie haben doch immer im Parlament verkündet: Es ist nicht notwendig, der Markt regelt alles von selbst – aber wenn man über die Arbeit des rot-roten Senats meckern kann, dann ist Ihnen jedes Thema recht.
Nein! Sie haben immer gesagt, man kann es auch zurückgeben, und man kann dann die Arbeitslosenversicherung kürzen. Sie haben gesagt: Die Maßnahmen erfolgen völlig zu Unrecht – aber es ist schön, dass Sie es jetzt anders sehen.
Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt haben die drei Berliner Agenturen für Arbeit nun zum Anlass genommen, die Fördermittel herunterzufahren, die für Umschulung, Weiterbildung und Qualifizierung eingestellt waren. Die Problematik, dass zu diesem Personenkreis aber auch Arbeitslose gehören, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie nicht innerhalb eines Jahres integriert werden, ist nun inzwischen auch in der Bundesregierung erkannt worden. Dieser Personenkreis hat nämlich in letzter Zeit keine Maßnahmen bekommen, weil sie nach einem Jahr in den Jobcentern betreut werden und man davon ausgegangen ist, dass sie dort die Maßnahme erhalten, was nicht der richtige Weg ist. – Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung für diesen Personenkreis nun ein Programm geschaffen hat und bundesweit 200 Millionen € für 2007 bereitstellt.
Auch die zwölf Jobcenter, die für die Langzeitarbeitslosen verantwortlich sind, haben Fördermittel in beachtlicher Höhe verfallen lassen. Diese Mittel sind steuerfinanziert, und deshalb werden wir es nicht hinnehmen und werden den politischen Druck verstärken, sodass die Gelder für die Menschen ausgegeben werden, die weitergebildet oder umgeschult werden wollen und somit ihre Chance zur Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt erhöht werden.
Lassen Sie mich ein paar Beispiele aus der Praxis nennen. Erstens: Zurzeit ist es in den Agenturen für Arbeit und Jobcentern Praxis, dass nur diejenigen eine von ihnen gewünschte Qualifizierung erhalten, die einen Arbeitgeber nennen, der bescheinigt, dass sie im Anschluss an die Qualifizierung eingestellt werden. – Was für ein Unsinn!
Zweitens: In den Jobcentern werden Umschulungen in soziale Berufe mit der Begründung abgelehnt: Wir haben zurzeit keinen Bedarf. – Dabei wird die demographische Entwicklung völlig außer Acht gelassen.
Drittens: Maßnahmen können nicht durchgeführt werden, weil Arbeitslose aus anderen Bezirken nicht zugewiesen werden. – Das ist doch ein Unding! Es kann doch nicht
Die Arbeitsmarktpolitik kann doch nicht an der Bezirksgrenze haltmachen. Deshalb nach wie vor unsere Forderung: Berlin muss als ein Arbeitsmarkt betrachtet werden.
Wir stellen weiterhin fest, dass die Förderung in allen zwölf Jobcentern völlig unterschiedlich ist. So gibt es ein Jobcenter, das 50 % der Fördermittel für sogenannte EinEuro-Jobs ausgibt. Ein anderes Jobcenter macht fast ausschließlich Arbeitsgelegenheit mit Entgeltvariante, und für Fort- und Weiterbildung reicht die Palette von 1,4 % bis 14 % der Mittel des Eingliederungstitels. Das kann nicht gewollt sein. Deshalb benötigen wir eine zentrale Steuerung durch die zuständige Senatsverwaltung, um einheitliche Förderungen in Berlin durchführen zu können. Das wollen wir, und dazu stehen wir als SPDFraktion, und das werden wir als Koalition in den nächsten Monaten vehement vorantreiben.
Es ist auch nicht länger hinnehmbar, dass die Personalstärke in den Jobcentern immer noch nicht erreicht ist. Hier erwarten wir von den Agenturen für Arbeit nicht nur Aufklärung, sondern vor allem zügiges Handeln.
Ein Teil der erwerbsfähigen arbeitslosen Hilfebedürftigen ist heute ohne bzw. mit geringen Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Sie sind weiterhin, wenn nicht sogar dauerhaft, auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Zielgruppe sind ältere Langzeitarbeitslose über 55 Jahre, Langzeitarbeitslose mit vielfältigen Vermittlungshemmnissen sowie Langzeitarbeitslose, die sich seit mindestens 24 Monaten im Arbeitslosengeld-II-Bezug befinden und im Ergebnis eines Profilings keine Chance haben, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. – Die zurzeit bestehenden Arbeitsmarktinstrumente, die auf Integration in den ersten Arbeitsmarkt, Herr Lehmann, setzen oder einen zu kurzen Förderzeitraum haben, helfen den Betroffenen nicht weiter. Für diese Menschen wollen wir in Berlin einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einrichten. Basis soll eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für einen Zeitraum bis zu drei Jahren sein. Das Entgelt für diesen Beschäftigungssektor soll sich aus den aktiven und passiven Mitteln der Förderung zusammensetzen. Das heißt: Wir wollen eine Kapitalisierung. – Da eine solche Vermischung aufgrund der aktuellen gesetzlichen Regelung zurzeit noch nicht möglich ist, wollen wir eine aktuelle Finanzierungsbasis aus dem Eingliederungstitel nutzen. Vor dem Hintergrund der nichtausgegebenen Mittel ist diese Forderung mehr als berechtigt.
Von konzeptloser Politik kann wohl nicht die Rede sein, sondern von verantwortlichem Handeln der rot-roten Regierungsfraktionen.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grosse! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt die Abgeordnete Pop das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Grosse! Es tut mir leid, aber ich muss Ihre heile Welt etwas trüben. Derzeit ist die Situation eher so, dass es in den Jobcentern chaotisch zugeht. Sie lassen Millionenbeträge an Fördermitteln verfallen. Ich zitiere die Tageszeitungen der letzten Wochen: „Jobcenter gaben Gelder nicht aus“, „96 Millionen € für Arbeitslose verfallen gelassen“, „Sozialgericht schneller als Jobcenter“. Das war nur eine kleine Auswahl. Leidtragende sind die Erwerblosen in der Stadt.
Es hat den Anschein, als habe inzwischen zumindest die SPD reagiert. Gestern kündigte uns der Partei- und Fraktionsvorsitzende – Herr Müller, der leider nicht da ist – via „BZ“ an, Rot-Rot werde „zentral draufgucken und das in Ordnung bringen“. Schön markig, Herr Müller, ich gratuliere!
Der SPD-Staatssekretär im Justizressort, Herr Flügge, hatte bereits im Oktober des vergangenen Jahres den zuständigen PDS-Senatsmitgliedern Knake-Werner und Wolf brieflich seine Sorge über das Chaos in den Jobcentern mitgeteilt. Die oberste Priorität müsste doch eigentlich die Wiedererlangung der Kontrolle in den Jobcentern haben.
Wir sind gespannt, ob die SPD in dieser Legislaturperiode endlich ihren Koalitionspartner, der die Schuld für die schlechte Berliner Arbeitsmarktpolitik seit Jahren auf andere schiebt – mal ist der Bund schuld, mal die Bundesagentur für Arbeit und im Zweifelsfall, wie heute geäußert, die Bezirke, die nicht ordentlich genug arbeiten –, auf Trab bringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Linkspartei! Sie regieren und das nicht erst seit gestern.