Protokoll der Sitzung vom 01.02.2007

Legislaturperiode nicht lösen können, und Sie werden damit scheitern. Ich sage Ihnen das voraus.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Frau Senatorin, ich werfe Ihnen das nicht vor. Ich würde mir nur wünschen, dass Ihr Pendant, der Herr Wirtschaftssenator,

[Dr. Uwe Lehmann-Brauns (CDU): Wo ist er denn?]

an dieser Stelle seine Leidenschaft entwickelt. Dass Sie keine haben, ist auch kein Vorwurf; die Menschen sind eben unterschiedlich, Gott sei Dank. Aber eines attestiere ich sehr wohl: Sie haben von den Problemen in kleinen Unternehmen, bei Einzelhändlern, bei Handwerkern, bei kleinen Industriebetrieben, bei Freiberuflern, bei Produktionsbetrieben überhaupt keine Ahnung! Und es gibt im Senat offenkundig auch aufseiten des Wirtschaftssenators niemanden, der dieses Korrektiv bildet und sagt: Bei aller Bedeutung von Sozialpolitik – die beste Sozialpolitik, die beste Arbeitsmarktpolitik in Deutschland und in Berlin ist eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, Investitionspolitik und Mittelstandspolitik. Das muss klar gesagt werden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Liebe Frau Grosse! Wenn Sie hier reden, merkt man bei Ihnen sowohl die persönliche Betroffenheit als auch die Kompetenz im Detail.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Was wollen Sie damit sagen? – Zuruf von der Linksfraktion: Merkt man Ihnen leider nicht an!]

Ich spreche Ihnen das ausdrücklich zu. Aber auch die Tatsache, dass Sie in jeder Rede, die Sie hier halten, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von Wirtschaftspolitik abkoppeln, zeigt, dass Sie den falschen Politikansatz haben. Sie werden mit Staatspolitik, mit staatlichen Beschäftigungsgesellschaften, mit einer Rekommunalisierung, wie Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung schreiben, also mit einer Verstaatlichung von Unternehmen, die Probleme nicht lösen. Die werden Sie nur lösen im Zusammenwirken von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Ist eigentlich jemandem aufgefallen, dass kein Redner bisher einmal das Wort Unternehmer in den Mund genommen hat, einmal das Wort Mittelstand, einmal das Wort erster Arbeitsmarkt? – Das sind die Bereiche, über die wir reden müssen. Nur so können wir die Probleme in Berlin lösen und nicht mit Umverteilung von begrenzten staatlichen Mitteln,

[Beifall bei der CDU und der FDP]

die übrigens auch erst einmal erwirtschaftet werden müssen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist aber nicht das Thema der Aktuellen Stunde!]

Die Zwischenrufe von links, lieber Herr Doering! – Ich habe bewusst darauf verzichtet zu sagen: Frau KnakeWerner, bei Ihnen wundert mich das ideologisch nicht, dass Sie als langjähriges Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei in Westdeutschland diesen politischen Ansatz haben, ist doch logisch. Sie müssten ja Ihr

gesamtes politisches Leben ad absurdum führen, wenn Sie sich nicht für die Verstaatlichung, wenn Sie sich nicht für den dritten Arbeitsmarkt einsetzen würden.

Aber die Sozialdemokraten in Berlin sollten sich eher an ihrem Bundesvorsitzenden Beck und am Vizekanzler Müntefering orientieren, die in der Bundesregierung beweisen, wie man erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik im Ressort Müntefering im Zusammenwirken mit Minister Glos zum Wohle der Menschen in Deutschland hinbekommt.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Das ist doch der entscheidende Punkt. Ich nenne Ihnen ein Beispiel – bei aller Kritik im Detail –: Die Senkung der Lohnnebenkosten, die Tatsache, dass wir die Arbeitslosenversicherung von 6,5 % auf 4,2 % gesenkt haben, zum Wohle von Arbeitsplätzen und Arbeitnehmern, ist die beste Sozialpolitik, weil sie Arbeit schafft, Arbeitnehmer entlastet, Unternehmen entlastet und insgesamt dazu beiträgt, dass Deutschland leistungsfähiger wird und wieder mehr Arbeitsplätze in Deutschland entstehen.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Ich sage Ihnen – weil Sie immer lauter rufen – sehr klar: Öffentlicher Beschäftigungssektor, dritter Arbeitsmarkt, allgemeingültige Mindestlöhne, Verstaatlichung oder Rekommunalisierung, all das schafft Arbeitsplätze, aber nicht in Deutschland, nicht in Berlin, sondern in Osteuropa und in Asien.

[Beifall bei der FDP]

Mindestlöhne ist ein gutes Stichwort. Ich will Ihnen, Frau Senatorin, dazu sagen: Es gibt in Deutschland einen Mindestlohn. Das ist die Höhe der Lohnersatzleistungen. Der Mindestlohn ist das, was heute an Hartz IV, an Sozialhilfe, an Arbeitslosenhilfe, an Arbeitslosengeld, an Subventionen, an Unterstützungen, an Vergünstigungen – öffentlicher Personennahverkehr, vieles andere mehr – jedem Menschen, der keine Arbeit hat, zuteil wird. Denn unter diesem Lohn, diesen sogenannten Lohnersatzleistungen, fängt in Deutschland niemand an zu arbeiten. Der geht doch nicht arbeiten dafür, dass er weniger hat, als wenn er nicht arbeitet. Insofern ist die ganze Mindestlohndebatte nicht mehr als eine Verlagerung von Arbeitsplätzen östlich der deutschen Grenze, damit noch mehr Menschen von Ihren staatlichen Beschäftigungsprogrammen leben und immer weniger Menschen vernünftig im ersten Arbeitsmarkt eine langfristige Perspektive haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Das hat übrigens mit Hartz IV wenig zu tun. Da gibt es vieles, was nicht in Ordnung ist. Und was der Mann ansonsten gemacht hat, ist auch nicht in Ordnung. Da sind wir uns alle einig.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Aber mit dem Problem, dass Berlin unverändert eine Riesenarbeitslosigkeit hat, hat das alles überhaupt nichts zu tun.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Ich will Ihnen zwei Zitate vorlesen. Das erste Zitat stammt von der IHK – sie lobt immer Herrn Wirtschaftssenator Wolf, ist also kein uns in jeder Frage nahestehender Verband –:

Der Senat muss daher auf die Einrichtung eines öffentlichen Beschäftigungssektors dringend verzichten. Er sollte besser Wachstumsimpulse für die Stadt setzen, die Beschäftigung schaffen, und nicht über einen dritten Arbeitsmarkt zusätzlich Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt infrage stellen.

Und die Handwerkskammer sagt: Erheblicher Missbrauch beim dritten Arbeitsmarkt! Beispielsweise 12 000 illegale Kräfte, während wir 6 000 arbeitslose Maler haben! – Und wörtlich:

Die Pläne, einen dritten Arbeitsmarkt zu eröffnen, sind das Einfallstor für weiteren Missbrauch und eine massive Gefährdung regulärer Beschäftigung in Handwerk und Mittelstand.

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Letzter Punkt: Sie loben die Arbeitslosenstatistik. Ich freue mich über jeden Menschen, der in Berlin Arbeit findet, und freue mich, dass der deutsche Aufschwung auch an Berlin nicht ganz vorbeigeht. Aber Ihre Arbeitslosenstatistik im Januar lebt primär davon, dass 13 000 Menschen mehr in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind und Sie im Januar 5 000 Lehrer eingestellt haben. Wenn Sie diese 20 000 abziehen, ist Berlin wieder der absolut letzte Platz in Deutschland mit dem höchsten Anstieg an Arbeitslosen. Das werden Sie mit staatlicher Politik nicht lösen.

[Zuruf von Michael Müller (SPD)]

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist die beste Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Das wollte ich hier einmal geraderücken. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Steffel! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Kleineidam das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steffel! Ich kann Ihnen in vielen Bereichen recht geben, wenn Sie die Wichtigkeit von Unternehmen und Wirtschaft betonen. Das steht aber heute nicht auf der Tagesordnung.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe von der FDP]

Wir diskutieren heute auf Antrag der FDP, ob Fördermittel in Millionenhöhe verfallen. Wir diskutieren eine Große Anfrage der CDU „Klageflut stoppen, Sozialgericht Berlin entlasten, Rechtssicherheit für Alg-II-Bezieher erhöhen“. Und auf Antrag der Grünen: „Ombudsstelle für Alg-II-Empfänger/-innen“. – Das ist das Thema, um das es hier geht. Da mögen die anderen Ausführungen richtig sein, aber sie waren leider neben der Sache.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Thema verfehlt, kann ich nur sagen!]

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon viele Punkte angesprochen, die im Rahmen der HartzGesetzgebung und insbesondere bei der Umsetzung dieser Gesetzgebung schiefgelaufen sind. Eigentlich ist es in Deutschland doch ganz einfach. Wir haben ein relativ übersichtliches Rechtssystem. Da gibt es Parlamente, die Gesetze machen. Dann haben wir Behörden, die diese Gesetze anwenden. Wenn die Behörden vielleicht etwas falsch machen, prüfen sie selbst im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens noch einmal, ob da ein Fehler war, ob man das ändert. Wenn das Ergebnis den Betroffenen immer noch nicht zusagt, haben wir ein Rechtsschutzsystem, haben wir Gerichte. Das ist ein ganz einfaches System. Was hier allerdings passiert ist: Wir haben ein hoch kompliziertes Gesetz. Da müssen sich mindestens drei Fraktionen in diesem Haus selbst an die Nase fassen – angefangen bei der CDU, meine eigene Fraktion und auch die Grünen, die auf Bundesebene daran mitgewirkt haben, die Kompromisse gemacht haben, die nicht geeignet waren, eine einfache Umsetzung einer großen Reform zu erleichtern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe von der Linksfraktion]

Wenn nachts um drei Uhr im Vermittlungsausschuss eine Behörde völlig neuer Art erfunden wird, dann sind bestimmte Probleme absehbar. Die Frage ist nur, wie wir darauf reagieren. Die Probleme sind unbestritten. Ich habe den Eindruck, dass wir alle miteinander, wenn wir solche Probleme haben, dazu neigen zu überlegen, wie wir zusätzliche Institutionen schaffen. Wir haben eine Behördenmischung aus Bundes- und Kommunalbehörde, und das Land Berlin sitzt quasi als Vermittler mittendrin. Was machen wir, wenn wir Probleme feststellen? – Wir überlegen, noch Beiräte einzuführen, Beauftragte, weitere Einigungsstellen u. Ä., und machen das Verfahren immer komplizierter. Ich habe deshalb wenig Verständnis dafür, dass die Grünen noch eine Ombudsstelle haben wollen oder die CDU in ihrer Frage nahelegt, bei der Arbeitsverwaltung noch eine Prüfungsinstitution einzurichten. Kann das wirklich Sinn haben? – Es gibt offensichtlich Probleme bei den Jobcentern. Die müssen ihre Arbeit vernünftig machen. Daran müssen wir uns abarbeiten. Aber es hilft nicht, wenn wir noch eine weitere Instanz schaffen, die dann den Rechtsweg für die Betroffenen nur noch verlängert. Damit ist niemandem geholfen, höchstens dem Bürokratieaufbau in dieser Gesellschaft. Da sind merkwürdigerweise CDU und Grüne ganz dicht beieinander. Statt

sich auf die Probleme zu konzentrieren, macht man sich Gedanken, wie man Bürokratie weiter aufbauen kann.

Mir ist in diesem Zusammenhang eine alte Geschichte eingefallen, die ich im Hinterkopf hatte, je länger ich darüber nachdachte, was ich hier heute sage. Ich möchte Sie an ein Kindergedicht erinnern. Ich weiß nicht, ob Sie es kennen. Der Bauer schickt den Jockel aus, der soll den Hafer schneiden. Der Jockel wollte den Hafer nicht schneiden und blieb zu Hause. Also schickt der Bauer den Knecht aus, der den Jockel holen soll. Er funktioniert auch nicht. Dann schickt er den Hund, der den Knecht beißen soll. Und so geht es weiter. Ich will es Ihnen ersparen, die 15 Strophen vorzulesen.

[Zurufe von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion) und Alice Ströver (Grüne)]

Wenn Sie sich die Geschichte von Hartz IV angucken, dann ist das genau das Gleiche. Wir schicken noch jemand los, der die Probleme erledigen soll, die die anderen nicht geschafft haben. Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass die Jobcenter ihre Arbeit vernünftig machen. Da ist diese Koalition auf dem richtigen Weg. Da gibt es eine vernünftige Zusammenarbeit der verschiedenen Senatsverwaltungen, die das problemorientiert aufarbeiten, es verbessern werden.

[Gregor Hoffmann (CDU): Wo sind denn die Ergebnisse?]

Daran arbeiten wir! Aber wir werden keine Ergebnisse, Herr Hoffmann, schaffen, wenn wir noch weitere Institutionen schaffen, wie Sie es hier nahelegen. Dann haben Sie noch eine Stelle, die das Problem hat, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen, um den Gesetzesänderungen auf Bundesebene zu folgen. Wir haben ein ganz einfaches Rechtssystem. Da gibt es eine zuständige Behörde. Die hat ihre Arbeit vernünftig zu machen.

[Gregor Hoffmann (CDU): Die hat ja nicht funktioniert!]

Wir müssen sie in die Lage versetzen, ihre Arbeit ordentlich zu erledigen. Und das werden wir tun.