Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Zur Beratung steht eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der Grünen in Person von Herrn Mutlu. – Herr Mutlu, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den pädagogischen Sinn der Ganztagsbetreuung muss ich hier nicht lange reden. Ich denke, in dieser Frage gibt es unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit Einvernehmen: Ganztagsschulen haben sich bewährt, Ganztagsschulen sind wichtig. Vor allem für die Kinder und Jugendlichen, die gezielte und stärkere Förderung nötig haben, brauchen wir die Ganztagsschule. Nicht umsonst haben wird in der rot-grünen Regierungszeit das Ganztagsschulprogramm gegen den Willen der CDU-geführten Länder durchgesetzt.

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Aber wie schaut die Situation in Berlin aus? – Wir haben Ganztagsbetreuung im offenen wie im gebundenen Bereich in den Grundschulen von der ersten bis vierten Klasse nach einer Bedarfsprüfung. Demnach erhalten die Schüler das Recht, Ganztagsbetreuung je nach Wunsch im offenen oder gebundenen Bereich in Anspruch zu nehmen. Was passiert nach der vierten Klasse? –Die Eltern, die zum Beispiel berufstätig oder der Meinung sind, dass Ganztagsbetreuung eine sinnvolle Einrichtung ist, müssen sich einer besonderen Bedarfsprüfung unterziehen, damit ihre Kinder in der fünften Klasse – wenn sie Glück haben – weiter eine Ganztagsbetreuung erhalten. Wenn sie kein Glück haben, müssen sie zusehen, wie sie ihre Kinder irgendwo unterbringen, ganz zu schweigen von den pädagogischen Auswirkungen. In der sechsten Klasse ist es dasselbe.

Im Januar dieses Jahres haben wir eine umfangreiche Schulstrukturreform beschlossen – die Mehrheit des Hauses hat das getan, wir haben uns der Stimme enthalten, aber die Grundzüge der Reform teilen wir. Als Ergebnis dieser Schulstrukturreform wird es künftig auch im Oberschulbereich Ganztagsbetreuung für einen sehr großen Teil der Schülerschaft geben, nämlich in der integrierten Sekundarschule, welche grundsätzlich eine Ganztagsschule ist, unabhängig davon, ob gebunden oder offen. Zusätzlich hat sich dieser Senat den Luxus erlaubt, was wir richtig finden, pro Bezirk ein Ganztagsgymnasium zu

etablieren. Alles ganz richtig und wird auch von uns unterstützt. Aber das greift erst ab der siebten Klasse. Das heißt, das, was wir als gut und richtig für die siebten Klasse empfinden, ist nach dem Willen dieses Senats und dieser Koalition nicht gut für die fünften und sechsten Klasse der Grundschule. Das finden wir pädagogisch falsch und es ist für die betroffenen Kinder von den Auswirkungen her fatal. Niemand kann erklären, weshalb es weiterhin diese Lückekinder geben soll, warum Kinder in der fünften und sechsten Klasse sich einer besonderen Bedarfsprüfung unterziehen müssen und die Eltern immer wieder vor die Entscheidung gestellt werden, ihre Kinder eventuell privat unterbringen zu müssen.

Natürlich kann man mit dem Geld argumentieren, ohne Frage. Aber es ist eine Frage der Prioritäten.

[Steffen Zillich (Linksfraktion): Genau!]

Denn es ist pädagogisch absolut nicht sinnvoll, die Kinder in der fünften und sechsten Klasse nachmittags ihrem eigenen Schicksal zu überlassen und in der siebten Klasse wieder eine Ganztagsbetreuung zu bieten. Also muss man an dieser Stelle Prioritäten setzen, muss die notwendigen Mittel in die Hand nehmen und vermeiden, dass Kinder in der fünften und sechsten Klasse ohne Betreuung sind und nicht in den Genuss der Ganztagsbetreuung kommen. Das wollen wir mit unserem Antrag lösen. Das ist im Übrigen keine grüne Erfindung, sondern etwas, was die Elternverbände in der Stadt fordern. Es ist etwas, was die Schulen fordern,

[Steffen Zillich (Linksfraktion): Aber eine grüne Erfindung war es schon!]

nicht nur weil man rhythmisieren kann, sondern weil die Schulen auch unterschiedliche Möglichkeiten im Rahmen der Ganztagsbetreuung bieten können. Deshalb sage ich Richtung rot-roter Koalition: Auch wenn es Ihnen billig ist zu sagen, der Haushalt sei beschlossen und sie hätten kein Geld, lassen Sie uns gemeinsam nach Möglichkeiten suchen – auch im Etat des Bildungssenators –, hier eine Finanzierung zu gewährleisten, weil die Schließung dieser Lücke pädagogisch nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn dafür eine Gesetzesänderung notwendig ist, müssen wir auch diese durchführen. Nach meinen nichtjuristischen, laienhaften Kenntnissen wäre die Änderung eines Rundschreibens ausreichend. Wenn das jedoch nicht ausreichte, sollten wir alle gemeinsam das Gesetz dahin gehend ändern, dass die Ganztagsbetreuung für alle Kinder unabhängig von der Klassenstufe gewährleistet wird. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die SPDFraktion hat nunmehr Frau Dr. Tesch das Wort. – Bitte schön!

Präsident Walter Momper

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Grundsätzlich ist das Anliegen des Antrags der Grünen zu befürworten.

[Beifall bei den Grünen – Elfi Jantzen (Grüne): Ja!]

Das ist nichts neues, Frau Jantzen! Die SPD kennt seit Jahren die Problematik der sogenannten Lückekinder.

[Özcan Mutlu (Grüne): Dann lösen Sie sie! Sie sind in der Regierung!]

Wenn ich mich recht erinnere, haben wir das Problem schon erörtert, als ich noch in der BVV gewesen bin. Ich sage nicht, dass ich es entschuldige.

Nun ist die Problematik, das haben Sie richtig erkannt, Herr Mutlu, dass an den integrierten Sekundarschulen auch ein Ganztagsbetrieb angeboten wird.

[Özcan Mutlu (Grüne): Richtig!]

Es ist auch richtig, dass die SPD-Bildungspolitikerinnen und -politiker Gespräche mit den Vertretern des LEA geführt haben. Die waren sehr konstruktiv. Allerdings muss ich richtigstellen, dass die anschließende Pressemitteilung des LEA vielleicht ein bisschen zu optimistisch gewesen ist. Wir können das nicht alles sofort ändern.

[Mieke Senftleben (FDP): Sie ändern doch sonst so viel, Frau Dr. Tesch!]

Aus bildungspolitischer Sicht, das möchte ich betonen, sind wir uns einig. Uneinigkeit, Frau Senftleben, besteht hinsichtlich des Finanzierungsbedarfs. Die Grünen behaupten in ihrem Antrag, dafür seien 6 Millionen Euro nötig. Wenn man bedenkt, dass lediglich 2 Prozent der Anträge abschlägig beschieden worden sind – was im Übrigen nicht dafür spricht, Herr Mutlu, dass die Inanspruchnahme nahezu unmöglich ist, wie Sie in Ihrer Antragsbegründung formulieren –, dann könnte es sein, dass die Kosten deutlich geringer ausfallen, als Sie sie veranschlagen. Selbst wenn man vielleicht hypothetisch annimmt, dass vielleicht noch einmal 2 Prozent hinzukommen, nämlich die Eltern, die bisher noch keinen Antrag gestellt haben. Wenn man die Schülerinnen und Schüler befragt – das sagen auch die Vertreter des LEA –, gibt es durchaus eine Menge Kinder in den fünften und sechsten Klassen, die das Angebot gar nicht annehmen wollen, weil sie nicht mit den „Babys“ zusammen in den Hort wollen.

Aber das ist alles Spekulation.

[Özcan Mutlu (Grüne): Was ist dann mit der siebten Klasse?]

Sie wissen genau, dass die Sekundarschulen eine ganz andere Ausstattung für den Nachmittagsbetrieb haben als ein reiner Hort. Da wird, wie Frau Harant ausführte, mit Sportvereinen, mit Musikschulen kooperiert. Das ist ein ganz anderer Ansatz.

Zurück zu den Zahlen: Wir haben daher den Senat aufgefordert, hier verlässliche Zahlen vorzulegen, damit wir

dieses Problem erneut diskutieren können. Aber auch, wenn die Zahlen vorlegen werden, bleibt die Frage, wie wir dies aus dem laufenden Haushalt finanzieren sollen. Der Bildungshaushalt ist ja bereits ziemlich ausgelastet. Sie wissen ja, dass wir jetzt Priorität auf die Kitajahre gesetzt haben, die frei sind, und auch auf die Ausstattung der ISS, der integrierten Sekundarschule.

Aber ich möchte Herrn Mutlus Angebot hier an dieser Stelle annehmen, dass wir uns noch einmal zusammensetzen und gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, und zwar sowohl wir unter uns Bildungspolitikerinnen und -politikern als auch mit den Haushältern. Wenn es Möglichkeiten gibt, wären ich und meine Fraktion gerne bereit, da Abhilfe zu schaffen. Deshalb bitte ich erst einmal um die Überweisung an den Bildungsausschuss, dann diskutieren wir da weiter. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Joachim Esser (Grüne) – Mieke Senftleben (FDP): Es wird nichts bringen!]

Danke schön, Frau Kollegin! – Jetzt hat der Kollege Steuer für die Fraktion der CDU das Wort. – Bitte schön, Herr Steuer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich der Begründung des Kollegen Mutlu ausdrücklich an. Dazu hat die CDU-Fraktion Ähnliches auch in der Schulgesetzberatung beantragt. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und danke für Ihr Zuhören!

[Beifall bei der CDU]

Super! Alles gesagt, und dann so schnell! Toll! – Jetzt ist der Kollege Zillich für die Linksfraktion dran. – Bitte schön, Herr Zillich!

[Özcan Mutlu (Grüne): Noch kürzer schaffen Sie nicht!]

Nein, ganz so schnell schaffe ich es nicht!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Felicitas! Ich bewundere deinen Langmut. Ich kann an dieser Stelle nicht ganz so langmütig sein. Dieser Antrag ist politisches Geplänkel. Das kann man ja machen, das ist irgendwie auch legitim, darf die Opposition auch machen. Aber das als Einladung zur Zusammenarbeit zu verkaufen, ist frech.

[Beifall bei der Linksfraktion]

In der Sache ist es völlig richtig, es ist sozusagen offensichtlich, dass wir hier Handlungsbedarf haben. Wir haben einerseits den gebundenen Ganztagsbetrieb in der Grundschule bis zur Klasse 6. Wir haben den offenen Ganztagsbetrieb in der Regel bis zur Klasse 4, dort auch nicht für alle. Und wir führen dann ab der Klasse 7 in den integrierten Sekundarschulen den Ganztagsbetrieb ein. Dass da in den Klassen 5 und 6 eine Lücke klafft, ist offensichtlich.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, wir müssen es nicht noch ausdehnen.

Dann fahren Sie bitte fort!

Das ist das eine. Aber wir haben auch darüber hinaus, das will ich sagen, im Bereich der Erzieherausstattung an den Grundschulen insbesondere im Bereich des offenen Ganztagsbetriebs einen ganz erheblichen Handlungsbedarf, denn wir haben eine solche Bedarfsprüfung nicht nur in den Klassen 5 und 6, sondern wir haben die auch regelmäßig ab der ersten bis zur vierten Klasse, dass eben gerade nicht alle dieses Angebot von Ganztagsschule in Anspruch nehmen können.

[Elfi Jantzen (Grüne): Aber in 5 und 6 noch weniger!]

Wir haben darüber hinaus auch ein Qualitätsproblem. Das alles ist bekannt. Das alles ist keine neue Erkenntnis. Darüber sind wir im Gespräch mit dem Landeselternausschuss, mit der Initiative für ein Volksbegehren.

[Özcan Mutlu (Grüne): Gespräche reichen nicht! Sie sind an der Regierung, seit acht Jahren!]

Aber Sie haben völlig recht, wollen allein reicht nicht, man muss es machen.