Frau Schneider! Es ist ja sympathisch, wie engagiert Sie hier über etwas gesprochen haben, das nun gerade vor ein paar Tagen, am 16. März, im EU-Parlament besprochen wurde. Ich finde, wir sollten mal erst ein bisschen ruhig sein, und wir schauen mal, was dann Frau Aigner und andere vorschlagen werden. Dann kann man sich auch noch darüber unterhalten, wie wir das dann angehen können, dass wir z. B. hier in der Bundesrepublik die Ampelkennzeichnung doch noch durchsetzen können. Das macht man nicht mit emphatischen Reden, sondern da muss man sich Mehrheiten suchen, auch im Bundesrat. Die Mehrheiten bleiben auch so, wie sie sind, weil wir zurzeit keine Neuwahlen haben. Vielleicht ändert sich ja was durch die NRW-Wahlen. Schauen wir mal!
Uns liegt ein Antrag von den Bündnisgrünen vor, zu dem ich gleich am Anfang sagen möchte: Wir teilen grundsätzlich das Anliegen des Antrags, eine verpflichtende Ampelkennzeichnung zur Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über Nährwerte für Lebensmittel einzuführen. Wir halten allerdings den hier vorgeschlagenen Weg einer Bundesratsinitiative nicht für erfolgreich.
Das betrifft auch das zweite Antragsanliegen, die Abschaffung der irreführenden Bezeichnung „Frischmilch“ für hocherhitzte, drei Wochen haltbare ESL-Milch. Für eine solche Bundesratsinitiative gibt es derzeit keine politischen Mehrheiten. Das stimmt ganz einfach. Sie bliebe also rein plakativ. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen. Das haben wir in der Ausschussdebatte auch bereits begründet, denn die Mehrheitsverhältnisse sind nicht so, wie es Linke, Grüne und SPD gerne hätten. Ich sage mal, das ist sehr schade.
Die Lebensmittelwirtschaft ist vehement gegen ein Ampelsystem. CDU/CSU und FDP positionieren sich bisher auch in diesem Sinne. Auf der Verbraucherministerkonferenz im Oktober 2009 wurde ein Beschluss über die Ampel vom Bund und den zehn CDU-geführten Ländern abgelehnt. Zustimmung kam nur von den SPD-geführten Bundesländern. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP heißt es: Ein farblich unterlegtes Ampelsystem zur Nährwertkennzeichnung würde die Verbraucher in die Irre führen. – Das hat Frau Seibeld eben auch schon aus
geführt. Aber genau das sehen wir als Linke nun völlig anders. Wir wollen die Ampel, weil sie eine niedrigschwellige Information liefert, weil sie klar und verständlich und auch für Kinder und Menschen mit weniger guten deutschen Sprachkenntnissen oder Sehbehinderungen leicht erkennbar ist, weil sie nicht klitzekleine Schrift mit viel Text irgendwo auf den Verpackungen lesen müssen. Die Kennzeichnung von Fett-, Zucker- und Salzanteilen in verarbeiteten Lebensmitteln mit Rot für hoch, Gelb für mittel und Grün für niedrig ist ein einfaches System, das jeder versteht. Genau ein solches System wollen wir, will die Linke.
Für eine verbraucherfreundliche Ampelkennzeichnung sprechen sich auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, der AOK-Bundesverband, die Verbraucherzentralen, die Elternverbände, der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, die Bundesärztekammer, die Deutsche Herzstiftung und diabetesDE, die Dachgesellschaft der deutschen Diabetesorganisationen, aus. In einem Schreiben an die deutschen EU-Abgeordneten im Vorfeld der Abstimmung zur Einführung einer europaweiten Lebensmittelkennzeichnung im federführenden EU-Ausschuss am schon erwähnten 16. März 2010 machten die Verbände auf die hohe Übergewichtigkeit von Männern, Frauen und Kindern und auf Risikofaktoren für Krankheiten wie Diabetes sowie Herz- und Kreislauferkrankungen aufmerksam. Und sie nannten als Grund dafür z. B. die versteckten Fette in Lebensmitteln, in Wurst, Käse, Backwaren, Süßigkeiten, Snacks und Fertiggerichten. Die Kosten, die allein durch ernährungsbedingte Krankheiten verursacht werden, werden für Deutschland auf rund 70 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Der Druck im Vorfeld der Abstimmung im EUAusschuss – jetzt blinkt es hier, muss ich mich schon beeilen – für Umwelt, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit hat offensichtlich auch Eindruck gemacht. Die am 16. März vorgelegten zwei Anträge für eine EU-weite Lebensmittelkennzeichnung wurden nur äußerst knapp abgestimmt. Für den Ampelantrag von SPD, Grünen und Linken gab es ein Patt von 30 zu 30 Stimmen. Der Antrag wurde mit zwei Enthaltungen abgelehnt. Der Antrag der CDU-Abgeordneten Sommer wurde mit knapp 32 zu 30 Stimmen angenommen.
Niedrigschwellige Angebote sind Teil der verbraucherpolitischen Strategie Berlins. Wir wollen, dass die Informationen bei denen ankommen, die sie am meisten benötigen, bei Jugendlichen, Senioren, Migrantinnen und Migranten und Menschen mit geringem Einkommen, und zwar dort, wo diese Menschen leben, wo sie sich aufhalten und wo sie einkaufen.
Die Ampel ist ein niedrigschwelliges Informationssystem, und bei der Ampel geht es auch um praktische Gesundheitsvorsorge, und diese ist dringend nötig. Deshalb werden wir uns als Linke weiterhin für mehr Transparenz, Information und eine Ampelkennzeichnung einsetzen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es ist schon wieder eine Bestätigung auch in dieser Debatte, wie das rot-rot-grüne Weltbild aussieht. Es gibt nur Gut und Böse, es gibt nur Schwarz und Weiß.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. – mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich zitieren: Die ernährungspsychologische Qualität von Lebensmitteln ist eine komplexe Größe, die sich aus einer großen Zahl von Teilqualitäten zusammensetzt, die im Ampelmodell nur unzureichend berücksichtigt wird. – Und genau das ist der Punkt. Was Sie hier machen, ist einfach Volksverdummung. Wenn Sie 90 Prozent der Bevölkerung hinter sich wissen, kann man auch sagen, hinter dem „1 plus 4“-Modell, das die Bundesregierung vorschlägt, stehen auch 80 Prozent der Bevölkerung. Also wollen wir jetzt hier mal klar sagen: Die Bevölkerung, die Menschen in dieser Stadt und in diesem Land wollen tatsächlich eines, eine gewisse Sicherheit und eine gewisse Klarheit über Lebensmittel und das, was sie zu sich nehmen. Das war in der Vergangenheit – da sind wir alle einig – deutlich unzureichend.
Aber wenn Sie hier in Ihrer Presseerklärung kundtun, die Lebensmittelindustrie möchte keine roten Punkte auf ihren ungesunden Produkten, hallo, was ist das denn für eine Aussage! Als wenn jeder Lebensmittelproduzent inklusive Biobauern den großen Reibach macht, wenn er die arme Bevölkerung mit ungesunden Lebensmitteln vergiftet. Das ist doch tatsächlich Klassenkampf. Das wollen wir uns tatsächlich nicht antun.
Was Sie hier tun, ist tatsächlich auch ein Tick von Volksverdummung. Sie sagen: Rot! Fast alle Molkereiprodukte sind mit Rot bzw. im günstigsten Fall mit Gelb zu bezeichnen. Alle Molkereiprodukte sind schlecht oder mittelschlecht. – Ich als Kind habe gelernt, trink deine Vollmilch, dann wirst du groß und stark. Scheinbar gilt das im grünen Kosmos nicht mehr.
Alle – auch die Bundesärztekammer, auch alle von Frau Holzheuer-Rothensteiner zitierten Verbände – sagen: Wir brauchen eine vernünftige, klare, einheitliche Regelung. – Aber es gibt eben noch viele kritische Punkte, wo man sagt, die Ampel erfüllt das Meiste nicht. Denn eines haben auch viele Experten und Wissenschaftler festgestellt: Die Aufteilung in Fett, Zucker, Salz etc. ist de facto für den Großteil der Bevölkerung nicht zielführend, wie es unter anderem auch der viel beschworenen Body-MassIndex nicht ist – er wird mittlerweile auch sehr infrage gestellt. Das, was der Body-Mass-Index für den Körperumfang ist, das erzählen Sie uns hier als Standard für die Ernährungskennzeichnung.
Die grundsätzliche und die momentan ohne Widerspruch festgestellte Größe ist einzig und allein der Brennwert, und darauf muss man auch tatsächlich abstellen. Das ist es auch, was die Bundesregierung vorschlägt: 1 plus 4, Ihre Ampel plus dem Brennwert, die einzig wirklich messbare Größe für den Großteil der Bevölkerung. Sie haben es zu recht gesagt: Man kann es eigentlich nicht standardisieren – kleine Kinder, mittelgroße Frauen, große Männer, kleine Männer. Man kann es nicht. Aber im Brennwert haben wir genau das, was wir sonst vermissen würden, nämlich eine gewisse Komplexität innerhalb der Kriterien. Ich bitte Sie noch einmal herzlich, bei diesem wirklich ernsten Thema: Hören Sie mit Ihren Klassenkampfparolen auf, und lassen Sie uns zu einer vernünftigen Diskussion zurückkehren!
Ich muss nur noch eines anmerken: Ich habe hier nicht nur für die Verbraucherinnen das Wort, sondern auch für die Verbraucher. Insofern sehen Sie mir diese kleine Bemerkung nach!
Das glaube ich Ihnen, dass Sie das nicht tun. Aber noch einmal der herzliche Appell: Hören Sie auf mit Ihren Klassenkampfgeschichten, und lassen Sie uns zu einer vernünftigen Lösung finden!
Vielen Dank! – Der Fachausschuss empfiehlt mehrheitlich – gegen die Grünen – die Ablehnung des Antrags Drucksache 16/2337. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist erwartungsgemäß die Fraktion der Grünen. Wer ist dagegen? – Dagegen sind die Koalitionsfraktionen, die CDU
und die FDP. Wer enthält sich? – Angesichts dieses eindeutigen Ergebnisses ist der Antrag abgelehnt.
Der Historiker Golo Mann schreibt in der „Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ über die Monate kurz nach dem Ende des I. Weltkriegs:
Die extreme Linke glaubte, dass die Revolution weitergetrieben werden müsste und, wie das russische Beispiel lehrte, auch weitergetrieben werden könnte. So wie Lenin auf Kerenski folgte, so müsste auf Friedrich Ebert Karl Liebknecht folgen.
Damit sind wir mitten in einer historischen Situation, die über das Schicksal der Nation entschied: über ihr demokratisches Sein oder über ihr totalitäres Nichtsein. Sie wissen, weshalb wir gerade darüber in diesem Haus reden: Weil die Entscheidung für die parlamentarische Demokratie gegen eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild vor 92 Jahren in diesem Haus, in diesem Preußischen Landtag fiel. Es waren die Arbeiter- und Soldatenräte, die die Entscheidung trafen gegen Luxemburg und Liebknecht, die ihre Anhänger auf dem Vorplatz versammelt hatten. Die Entscheidung fiel mit überwältigender Mehrheit zugunsten der parlamentarischen Demokratie.
Lassen Sie uns bei dieser Gelegenheit kurz der deutschen Sozialdemokraten Ebert, Scheidemann, Noske und Braun gedenken, die das Menschenmögliche taten, um die Revolution zu verhindern und Deutschland zu retten.
Es gibt in der Geschichte dieses Landes nicht allzu viele Augenblicke, in denen sich die Demokratie gegen die Diktatur durchsetzte. Jener Dezember 1918 ist so einer, und ich stehe dafür, und dieses Haus sollte es insgesamt tun, jenen Demokraten der ersten Stunde Dank auch heute auszusprechen.
Übrigens nicht nur in dieser Debatte. Es ist der Wunsch meiner Fraktion, jenen Augenblick aus dem geschichtlichen Auf und Ab hervorzuheben und durch eine Plakette – in diesem Haus –, eine Inschrift oder sonstige Aufschrift, ob nun innen oder außen, zu würdigen. Die Einzelheiten könnten, so hieß es auch im Kulturausschuss,
Aus der bewegten Geschichte des Hauses haben Sie sich eine der – zugegeben wichtigen – Entscheidungen, die in diesem Haus gefallen sind, herausgegriffen.
Es gab aber noch mehr Ereignisse mit großer historischer Bedeutung: Der Preußische Landtag hat eine bewegte Geschichte, mit guten und schlechten Zeiten. Er ist ein Gesamtdenkmal mit vielen geschichtspolitisch wichtigen Ereignissen, die unserer Meinung nach alle ausreichend in diesem Hause dokumentiert sind. Ich will einige davon nennen:
1848: Einberufung einer verfassungsgebenden preußischen Nationalversammlung, auf dem Thron saß König Friedrich Wilhelm IV., die Verfassungsentwürfe der Nationalversammlung forderten die Abschaffung des Adels und die Einschränkung der königlichen Rechte. Der König ließ die Versammlung mit Waffengewalt auflösen und dekretierte eine Verfassung nach eigenem Gusto – Oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848!
1899: Einweihung des Abgeordnetenhauses als Tagungsort der Zweiten, der bürgerlichen Kammer des Preußischen Landtages.
1918: Ende des I. Weltkrieges – die Monarchie wird abgeschafft. Der 1. Reichsrätekongress tagt im Abgeordnetenhaus und stellt die Weichen für die parlamentarische Demokratie.