Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Hat ja keiner behauptet!]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hämmerling! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Matuschek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich versuche es noch einmal. Wir reden hier über die Priorität der CDU. Dann rede ich also über das, was von der CDU vorgelegt wurde. Da hat sich die CDU nach meinem Empfinden gewaltig bewegt. Vor ein paar Monaten haben Sie noch Ihren Kollegen Ueckert verloren, weil er nicht den Weg mitgehen wollte, Frau Senatorin Junge-Reyer für ihr „Nichtstun“ abzuwählen. Heute sagen Sie – Herr Gaebler nahm darauf Bezug –, dass die Handlungsweise der Frau Senatorin vielleicht nicht so wünschenswerte Erfolge gebracht hat, wie Sie sie gerne hätten, aber zu

mindest nicht falsch war. Nun kommen Sie also mit einem – wie Sie in der Presse verkündet haben – glasklaren Konzept. Dieses glasklare Konzept der CDU zur Bewältigung der S-Bahnkrise ist, eine Vertragsverhandlung über den gegenwärtigen Vertrag, genannt Sanierungsvertrag, abzuschließen. Und das Ganze wird eingekauft für eine Verlängerung der Vertragslaufzeit.

Ich weiß nicht, wer Sie dieses Mal beraten hat, aber ich erzähle immer gern etwas von den Erfahrungen anderer. Und da sind wir bei dem Modell Nordrhein-Westfalen. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr hat vor Jahren versucht, über Vertragsverhandlungen, Vertragsstreitigkeiten die Leistungen der DB abzurufen, die vertraglich vereinbart waren. Ich versuche einmal, es in einem ganz kurzen zeitlichen Rückblick darzustellen: Im Frühjahr 2007 waren die Probleme so groß geworden, dass der VRR die DB AG aufgefordert hat, die Leistungen, die vertraglich vereinbart waren, zu erbringen. Im Juli 2007 hat der VRR dann 45 Millionen Euro Bestellerentgelte einbehalten. Daraufhin war der Rechtsstreit des VRR und der DB AG eingeleitet worden. Damals hat übrigens auch Herr Homburg für die DB AG verhandelt. Sie kamen zu keiner Einigung. Insofern kündigte wiederum die Bahn die Verkehre bei dem VRR. Dann reichte der VRR im August 2007 eine entsprechende Klage ein. Das war aber auch nicht von Erfolg gekrönt. Im Juni wurde dann der Vertrag fristlos gekündigt.

Die Juristerei nahm ihren Gang. Am 19. Dezember entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Rechtsstreit zwischen der DB AG und dem VRR, dass der VVR den einbehaltenen Betrag von 112 Millionen Euro zu Unrecht einbehalten habe und zahlen müsse und dass die Bahn ihre Leistung zu erbringen habe.

Wenn wir uns auf solch ein Spielchen einlassen, wollen wir auch das Ende der Geschichte hören: Nach den Landtagswahlen wurde dann doch eine Einigungsverhandlung geführt. Abgeschlossen wurde ein Sanierungsvertrag – werte Kollegen von der CDU, da kommt es noch mal! – mit den Parametern, dass neue Fahrzeuge angeschafft und neue Linien und Taktverdichtungen vorgenommen werden, insgesamt in einem Volumen von 600 Millionen Euro, und – man höre und staune – mit einer Vertragsverlängerung bis 2023, also um 14 Jahre.

Das war aber auch noch nicht das Ende der Geschichte. Im März 2010 hat die Vergabekammer Münster – wiederum auf Klage von Abellio – auch ein sehr schillernder Konzern, zurzeit im Besitz der Niederländischen Eisenbahn – Recht gesprochen und diesen Sanierungsvertrag zwischen dem VRR und der DB Regio für null und nichtig erklärt. Der Rechtsstreit geht weiter. Das ist also das Szenario, das wir angehen sollen, wie Sie uns hier ernsthaft vortragen. Das werden wir nicht tun, aber wir werden aus den Erfahrungen anderer gern lernen.

Claudia Hämmerling

Den Rest meiner Rede gebe ich zu Protokoll. Herr Gaebler hat zwei Mal geredet, und ich rede nicht ganz so lange, wie mir zusteht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

[zu Protokoll gegebener Redeteil:]

Die Linke tritt dafür ein, die kommunale Kontrolle über den S-Bahnbetrieb herzustellen und die S-Bahn aus ihrer Abhängigkeit vom privatwirtschaftlich agierenden Bahnkonzern zu lösen. Hierfür stehen gegenwärtig zwei Optionen zur Verfügung: die Direktvergabe der Verkehrsleistungen an die BVG oder ein neues Landesunternehmen bzw. die Übernahme der S-Bahn in Berliner Landeseigentum.

Die Übertragung der Aufgabe an die BVG hätte Vorteile, die wir für einen leistungsfähigen und nachhaltigen öffentlichen Personennahverkehr erschließen wollen:

Ausrichtung des ÖPNV am öffentlichen Interesse statt am Gewinninteresse eines privaten Betreibers,

integrierte Betriebsführung des Gesamtnetzes aus einer Hand vermindert Schnittstellen- und Koordinierungsprobleme und schafft Synergien im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV,

wirtschaftlicher Betrieb ohne Finanzierung der Rendite privater Betreiber aus den knappen öffentlichen Mitteln Berlins.

Die erzielbaren positiven Betriebsergebnisse der S-Bahn sind zukünftig für den Betrieb und Unterhalt des ÖPNV einzusetzen und können der Refinanzierung der Investitionen in Fahrzeuge bzw. der Übernahme des Unternehmens S-Bahn-GmbH durch das Land Berlin dienen.

Die vom Senat angekündigte Teilausschreibung des S-Bahnverkehrs auf dem Ring und in Richtung Schönefeld sehen wir skeptisch. Sie birgt die Gefahr, dass ein privates Unternehmen zum Zuge kommt, welches – gleich dem Bahnkonzern – seinen Kapitaleignern und ihren Renditeinteressen verpflichtet ist. Die öffentliche Kontrolle würde sich erneut nur über einen schuldrechtlichen Vertragsschluss sichern lassen. Das ist ein sehr schwaches Instrument, wie das Beispiel S-Bahn zeigt. Es ist nicht geeignet, alle Fragen im Landes- und Kundeninteresse zu regeln, die während einer längeren Laufzeit bei einer komplexen Dienstleistung wie dem Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs einer Metropole auftreten können.

Die Linke Berlin plädiert für eine klare Entscheidung spätestens Ende 2010 und setzt sich für die Direktbeauftragung an ein landeseigenes Unternehmen ein.

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Thiel das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Friederici! Die Präsentation Ihres Antrags hier lässt mich ja noch hoffen, denn als ich den Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob die Wetterkapriolen dazu beigetragen haben, dass Ihr marktwirtschaftlicher Kompass getilgt wurde.

[Beifall bei der FDP]

Solch einen handwerklich fragwürdigen und inhaltlich problematischen Antrag – ich gehe gleich noch darauf ein – uns zur Beratung vorzustellen! Ich hätte auch geschwiegen. Er ist noch nicht einmal in sich stimmig. Was mich sehr nachdenklich stimmt – deshalb habe ich mir das aufschreiben müssen –, ist das Lob der sehr geschätzten Kollegin Matuschek. Sie sagt: Die CDU hat sich erheblich bewegt. – Ich frage mich nur, in welche Richtung. Ich habe da so meine Sorgen.

[Beifall bei der FDP – Andreas Gram (CDU): Sie meint die richtige – immer die richtige!]

Reden wir erst einmal über etwas Erfreuliches, nämlich über unseren Antrag. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, uns darin zu unterstützen, dass wir den S-Bahnvertrag nachverhandeln sollten – also den jetzigen kündigen und nachverhandeln – mit dem Ziel, dass wir darin zum einen eine Sanktionsmöglichkeit bei Nichterfüllung aufnehmen und gleichzeitig Qualitäts- und Leistungskriterien festlegen. Das kann man machen. Wir haben auch vom Kollegen Gaebler gehört – wenn ich das richtig interpretiere –, dass man daran sitzt, irgendwelche Konsequenzen aus diesem Chaos zu ziehen.

Zudem wollen wir – das haben wir Ihnen auch vorgestellt – eine Ausschreibung des Netzes haben. Die soll jetzt schon vorbereitet werden, damit sie rechtssicher und vernünftig funktionieren kann – möglichst in drei Teil- netzen und zeitversetzt. Wir versprechen uns von einer Zeitversetzung auch eine Zunahme des Wettbewerbsgedankens. Denn das, was bei der ersten Ausschreibung für ein Teilnetz Standard wird, wird beim nächsten Mal auf jeden Fall Grundlage sein und höchstwahrscheinlich noch getoppt werden, damit man an einer Ausschreibung erfolgreich teilnimmt.

[Beifall bei der FDP – Christoph Meyer (FDP): Das ist Marktwirtschaft!]

Was will die CDU? Die CDU sagt, sie lege uns eine Strategie zur Bewältigung der aktuellen Situation und für zukünftige faire Wettbewerbsausschreibungen vor. Ich musste das mehrfach lesen, um es zu verstehen. Es wurde schon erwähnt – anderen ging es vielleicht auch so –: Sie fordern also, einen Sanierungsvertrag abzuschließen, und geben dann sehr weitreichende Empfehlungen. So soll z. B. die technische Nachrüstung gemacht werden – natürlich zu Kosten der Deutschen Bahn oder der S-Bahn. Sie geben den sinnigen Hinweis, man sollte vielleicht die Fahrzeugreserve erhöhen, und dazu könnte man gege

Jutta Matuschek

benenfalls auch auf alte Fahrzeuge zurückgreifen, sie reaktivieren oder neue kaufen. Was wollen Sie? Ein Museum auf Rädern, oder wo leben wir hier eigentlich?

[Beifall bei der FDP]

Wenn ich einen Vertrag schließe, dann vereinbare ich Ziele und nicht die Wege. Kollege Gaebler – das hat mich sehr gefreut – hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass man so etwas nicht vereinbart – Vorgaben. Sonst müsste als nächster Schritt nur noch kommen, dass man sagt: Na ja, dann übernehmen wir gleich die S-Bahnführung. – Ich halte das für einen ungehörigen Eingriff in die Autonomie des Managements, auch wenn es ein öffentlicher Betrieb ist.

[Beifall bei der FDP]

Was mich am meisten überrascht hat: Wenn ein solcher Antrag vonseiten der Koalition gekommen wäre – nur mal hypothetisch –, dann wäre ich nicht ganz so verwundert. Dass er aber von der CDU kommt, wo ich immer noch glaubte, dass die etwas mit Marktwirtschaft am Hut hat, macht mich fast sprachlos – oder aber: Es empört mich eher. Keine Sorge: Auch wenn die SPD oder die Linke den Antrag gestellt hätten, würde ich ihn genauso auseinandernehmen. Da können Sie sicher sein. Aber dass ich das gegenüber der CDU machen muss, das hat schon ein bisschen mit Schmerz zu tun. Das tut mir leid.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Macht uns aber Spaß!]

Wir machen ja unseren Job hier gern, nicht wahr!

Dieser Antrag ist ein marktwirtschaftlicher Mummenschanz. Es ist keine Frage, dass man ihn gar nicht richtig diskutieren, sondern nur ablehnen kann. Denn Sie wollen letztlich allen Ernstes – auch das wurde von meinen Vorrednern schon gesagt – die Sanierung der S-Bahn zulasten der Steuerzahlerinnen und -zahler durchführen, um sie überhaupt wettbewerbsfähig zu machen. Dann stellen Sie doch gleich den Antrag: Wir wollen die S-Bahn zukünftig genauso behandeln wie die BVG – als eine Geldvernichtungsmaschine. – Das wäre konsequenter.

[Beifall bei der FDP]

Wir meinen, Ihnen mit unserem Antrag einen Diskussionsbeitrag für eine mögliche Perspektive zu liefern, den wir auch in den Ausschüssen wieder aufgreifen werden. Lassen Sie uns deswegen in den Ausschüssen über etwas Vernünftiges diskutieren, nämlich über unseren Antrag, und vergessen Sie den der CDU! Ich glaube, das ist das Einfachste. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zum Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3071 – Stichworte: Berliner ÖPNV – empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung federführend an den Ausschuss für Stadtentwicklung

und Verkehr sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Zum Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 16/3120 – Stichwort: S-Bahnverkehr – empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Die lfd. Nr. 5 war Priorität der Fraktion Die Linke unter dem Tagesordnungspunkt 4.2. Die lfd. Nr. 6 steht auf der Konsensliste. Die lfd. Nr. 7 war die Priorität der Fraktion der SPD unter dem Tagesordnungspunkt 4.4. Die lfd. Nr. 8 steht auf der Konsensliste.

Wir kommen nun zu der von Herrn Gaebler bereits angekündigten letzten Rederunde. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen und bitte um Ihre Aufmerksamkeit, dass wir nach dieser Rederunde noch eine Nachwahl haben, zu der wir die Zweidrittelmehrheit des Hauses benötigen. Ich bitte, das zu berücksichtigen.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 9:

I. Lesung

Mehr Einfluss der Wähler durch Kumulieren und Panaschieren bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus – Elftes Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes