Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Entschuldigen Sie, Herr Gaebler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Scholz?

Gern, Herr Scholz!

Danke, Frau Präsidentin! Danke, Herr Kollege Gaebler! Wie kommen Sie denn auf die Idee, jetzt zu sagen, dass der Senat alles für den öffentlichen Personennahverkehr tut, während vor ungefähr vier Stunden der Regierende Bürgermeister noch zugeben musste, dass die Schienenanbindung, sprich die ÖPNV-Anbindung, an den Flughafen Schönefeld zur Inbetriebnahme im nächsten Jahr nicht einmal richtig funktionieren wird?

Herr Scholz! Sie haben es vielleicht nicht mitbekommen, weil sich Herr Friederici auch sehr wenig damit beschäftigt hat, aber ich rede über Ihren Antrag und nicht über Beiträge des Regierenden Bürgermeisters. Und wenn man Ihren Antrag liest und insbesondere das, was Ihr stellvertretender Landesvorsitzender Herr Heilmann den Medien vorgestellt hat, kann man daraus nur entnehmen, dass er der Senatorin Junge-Reyer zu 100 Prozent recht gibt in dem Vorgehen, das sie bisher gezeigt hat. Das begrüßen wir und ich denke, Sie auch, denn schließlich war es Ihr stellvertretender Landesvorsitzender, der das der Öffentlichkeit präsentiert hat.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Jetzt aber zurück zu der eigentlichen Frage, was hier passieren muss. Noch einmal: Ich halte es für einen ziemlichen Unsinn, dass sich das Land Berlin jetzt an der Sanierung der S-Bahnfahrzeuge beteiligen soll. Das ist Aufgabe derer, die das angerichtet haben, und der Bahn. Da, Herr Friederici, wird es interessant. Denn wer trägt die Verantwortung für die Bahn? Wer ist der Vertreter des Eigentümers der Bahn? – Das ist die deutsche Bundesregierung. Und wer sitzt in dieser Bundesregierung? – Nicht Herr Wowereit, nicht Frau Junge-Reyer, nicht ich und auch nicht Leute, die von uns benannt sind. Nein! Da sitzen ein Bundesverkehrsminister Ramsauer und eine Frau Merkel. Herr Friederici! Wo ist denn deren Verantwortung? Wo steht denn in Ihrem Konzept, was die Bundesregierung machen soll, um als Eigentümer der

Bahn AG dafür zu sorgen, dass die S-Bahn über ausreichend Geld und vernünftige Fahrzeuge verfügt? Das kann doch wohl nicht der Auftraggeber Land Berlin machen. Das muss der Eigentümer Bundesrepublik Deutschland machen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie hierzu einen Beitrag leisten würden.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Insgesamt sagt Ihr Antrag doch nicht weniger als: Wir geben der S-Bahn einen längeren Laufzeitvertrag dafür, dass sie ihre Züge instand setzt. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlicher Unsinn, sondern auch volkswirtschaftlicher und verkehrswirtschaftlicher, und den Bürgern bringt es überhaupt nichts.

Die SPD-Fraktion will die Fehler beheben, die wir bisher an dieser Stelle hatten. Wir wollen einen stärkeren Einfluss des Landes bei der Sicherung der Daseinsvorsorge auch im ÖPNV sicherstellen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihren Einfluss geltend zu machen. Und wir werden auf Landesebene Vorsorge dafür tragen, dass wir uns nie wieder einem Monopolisten ausliefern, der dann macht, was er will – übrigens egal, auf Grundlage welchen Vertrages.

Wir wollen auch keinen Wettbewerb zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb werden wir bei allen Schritten darauf achten, dass auch die Interessen der Beschäftigten der S-Bahn Berlin gewahrt werden. Wir wollen sichere und leistungsgerecht bezahlte Arbeitsplätze, keine vagen CDU-Zusagen auf Arbeitsplatzsicherheit. Das sagt nämlich nichts über soziale Standards. Das sagt nichts über Lohnhöhen, und das sagt auch nichts über Vertragslängen. Wir wollen Lohnniveau und Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Varianten sichern. Wir wollen einen sicheren Verkehr für die S-Bahnfahrgäste und für Berlin. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gaebler! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Hämmerling das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zur S-Bahn und zu dem Antrag reden, nicht zur Wahl und zur SPD und zur Verfasstheit der CDU.

Zur Erinnerung: Die Berliner S-Bahn gehört dem Bund, und wie lange, das wissen wir nicht. Wir halten den geplanten Börsengang für falsch. Er ist verschoben, aber vom Tisch ist er deswegen noch lange nicht. Wie sich die Privatisierung auf die Berliner S-Bahn auswirken wird, das durften wir bereits im Vorfeld dieses Börsengangs erleben. Da haben nämlich Mehdorn, Homburg und Co. mit ihrer Strategie der Gewinnmaximierung unsere Berliner S-Bahn an die Wand gefahren. Ich sage Ihnen: Diese

S-Bahn darf nie wieder automatisch in den Genuss eines Verkehrsvertrages mit Berlin kommen.

[Beifall bei den Grünen]

Die FDP will eine Änderungskündigung des S-Bahnvertrags und auf diese Weise bessere verbindliche Qualitäts- und Leistungskriterien bis zum Vertragsende 2017, und danach will sie die Ausschreibung in drei Teillosen bis 2021. Das ist eine klare Ansage, aber wir überlegen, ob es nicht vielleicht noch ein bisschen vorteilhafter für Berlin geht. Die CDU will den Vertrag nachverhandeln und die S-Bahn mit einer Laufzeitverlängerung ködern, damit sie den Vertrag erfüllt – na ja! Gleichzeitig will sie die Wiedereinsetzungsgarantie der Züge zum Zeitwert erreichen. Ansonsten wird mit einer kartellrechtlichen Feststellungsklage auf die Herausgabe der Züge gedroht. Das ist eine interessante Strategie, bei der die Bahn wahrscheinlich nicht ganz unbeteiligt gewesen sein dürfte. Aber mit einer Vertragsverlängerung können wir uns nicht anfreunden.

Was will und was kann die Regierung in dieser Frage? – Wir wissen es bis heute nicht so richtig. Ich befürchte, Sie wissen es auch nicht so genau – Herr Gaebler, nach Ihren Worten bin ich nicht schlauer geworden. Sie haben gesagt, dass Sie im nächsten Jahr vielleicht eine Teilausschreibung von 25 Prozent durchführen wollen. Sie haben aber gleichzeitig auch erklärt, dass Sie einen S-Bahnlandesbetrieb aufbauen wollen – gegen den Willen der Deutschen Bahn, wie wir wissen. Sie will nicht verkaufen. Sie erklärt die S-Bahn zum Kerngeschäft. Wenn Sie das so planen, dann frage ich Sie: Wo nehmen Sie eigentlich die 2 Milliarden Euro Investitionen für neue Züge her? Und sind Sie denn so zufrieden mit der Geschäftspolitik der BVG – ich sage ausdrücklich mit der Geschäftspolitik und nicht dem Betrieb der BVG –, dass Sie der BVG den S-Bahnbetrieb übertragen wollen?

Wir befürchten, dass es Ihnen dabei weniger darum geht, einen Betreiber zu finden, sondern darum, die Defizite bei der BVG, d. h. das Finanzloch in Höhe von 60 Millionen Euro im Jahr, mit den Zuschüssen an die S-Bahn zu kompensieren. Das ist eine Sache, die wir ganz klar nicht mitmachen. Wenn das Ihr heimlicher Plan ist, dann graben Sie dem Nahverkehr das Wasser ab. Die Deckung der Defizite der BVG aus den Bestellerentgelten der S-Bahn: Das kommt für uns überhaupt nicht in Frage! Wir machen das nicht mit! Da sind wir auch in guter Gesellschaft mit allen S-Bahnfahrgästen in Berlin. Die wollen nämlich, dass die Bestellerentgelte für den S-Bahnverkehr und nicht für die Finanzlücken der BVG verwendet werden.

[Beifall bei den Grünen]

Für uns steht aber auch fest, dass der S-Bahnverkehr unter ganz strikter Beachtung der neuen europäischen Richtlinie vergeben werden muss, und zwar zu 100 Prozent. Der Bahn muss doch klar sein, und zwar heute schon klar sein, dass sie nur dann eine Chance hat, wieder einen Vertrag mit Berlin zu bekommen, wenn sie ihren Laden in Ordnung bringt und wenn sie ihn vorbildlich führt – pünktlich und mit Vollzügen. Das ist die Sprache, die das Bahn

Christian Gaebler

management versteht, und wir sind völlig sicher, dass wir damit etwas erreichen können.

Ein Satz noch zu den S-Bahnbeschäftigten: Ihr größter Feind ist nicht die Konkurrenz, sondern das Bahnmanagement. Die Konzernleitung der DB hat 25 Prozent der S-Bahnarbeitsplätze vernichtet. Da können die S-Bahnbeschäftigten nicht im ernst verlangen, dass wir das unterstützen und noch einmal zusehen, wie der Nahverkehr ins Chaos gestürzt wird. Die Interessen der Bahnbeschäftigten müssen durch hohe tarifliche Standards und durch Übernahmegarantien vertraglich gesichert werden und nicht durch Biotopschutz für eine S-Bahn vor dem Hintergrund des Börsengangs.

Wir haben unsere Vorschläge zur Zukunft der S-Bahn bereits vor einiger Zeit eingebracht. Uns interessiert heute vor allem, welche Strategie der rot-rote Senat hat. Ich bin gespannt darauf, was wir in der Ausschussberatung dazu von Ihnen hören werden.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hämmerling! – Jetzt hat Herr Gaebler das Wort zu einer Kurzintervention.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die vorletzte Rederunde, insofern gönnen Sie mir noch eine Kurzintervention! Für die, die es noch nicht mitbekommen haben: Danach gibt es nur noch eine Rederunde, Sie kommen also früh nach Hause. Können Sie mir jetzt noch kurz zuhören? – Die Frage, die Frau Hämmerling gestellt hat, ist interessant: Wie will das Land möglicherweise einen eigenen S-Bahnbetrieb oder einen Betrieb über ein kommunales Unternehmen, in diesem Fall über die BVG, finanzieren? Die BVG hat sowieso schon so viele Schulden, und dann macht sie noch mehr Schulden! – Das ist ein Trugschluss, weil das voraussetzt, dass irgendjemand kommt und ganz viele Fahrzeuge mitbringt und sie sozusagen in den Betrieb S-Bahn hineinschenkt. Das ist aber nicht so, den werden Sie nicht finden, sondern die Leute, die kommen, sagen: Wir haben Fahrzeuge angeschafft, und die werden aus dem Verkehrsvertrag refinanziert. Ein Teil der Summe, die Sie jährlich an den Betreiber bezahlen, wird für die Refinanzierung der Fahrzeuge benutzt.

Genau das Gleiche gilt auch für die BVG. Das heißt, sie müssen erst einmal die Vorfinanzierung machen, anschließend wird es aber durch den Verkehrsvertrag refinanziert. Der Vorteil ist, dass die BVG erstens bessere Kreditkonditionen als jeder Private bekommt – nämlich Kommunalkredite – und zweitens aufgrund der geringen Gewinnerwartung, die wir, glaube ich, voraussetzen, eben nicht 10 oder 12 Prozent Profit erwirtschaften muss, sondern das Geld, das sie ausgibt, wieder einspielen soll. Insofern können Sie sogar davon ausgehen, dass die BVG als Übernehmer der S-Bahnleistung mehr Verkehr als ein

privates Unternehmen realisieren kann, einfach, weil sie eine geringere Refinanzierungsquote und einen geringeren Refinanzierungsbedarf hat.

Deshalb, liebe Frau Hämmerling, ist das sehr wohl eine ernst zu nehmende Alternative, die wir mit einbeziehen wollen. Es ist noch nicht entschieden. Wenn Sie hören wollen, was der Senat dazu sagt, hätten Sie das schon vor drei Monaten hören können, als Frau Junge-Reyer das alles vorgetragen hat. Sie können es, glaube ich, auf der Internetseite der Stadtentwicklungsverwaltung immer noch nachlesen. Da steht das alles. Da stehen die Alternativen, da steht, in welchen Zeitschritten das geprüft wird, auch mit welchen Zielsetzungen. Dort können Sie sich informieren.

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

Liebe Frau Kosche! Im Gegensatz zu Ihnen sind wir nicht in der Opposition und krakeelen nicht herum. Wir wollen umsetzfähige Konzepte haben. Das braucht manchmal ein bisschen länger. Dafür hat es nachher auch mehr Substanz. Das ist unsere Politik, die wollen wir auch gerne so weiterfahren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Vertrauen in das Bahnmanagement – Frau Hämmerling, da haben Sie recht, da wundere ich mich auch über die CDU, die voll auf das Bahnmanagement vertraut, andererseits aber sagt: Wir verhandeln jetzt mit der Bahn über einen Sanierungsvertrag, gleichzeitig klagen wir schon mal, dass sie die Fahrzeuge herausgeben sollen. – So ganz passt das nicht zusammen. Mein Vertrauen in das Bahnmanagement ist auch begrenzt, vor allem solange Herr Homburg dort der Oberaufklärer ist, denn er ist auch einer der Oberverursacher der Krise.

[Christoph Meyer (FDP): Zusammen mit Frau Junge-Reyer!]

Insofern ist unsere Linie zu sagen: Wir verlassen uns aber auch nicht auf beliebige Dritte. Wir wollen uns gern auf ein leistungsfähiges kommunales Unternehmen verlassen, und da hat die BVG in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich bewiesen, dass sie sehr wohl in der Lage ist, einen leistungsfähigen ÖPNV für Berlin zu organisieren. Das soll sie auch weiterhin tun, gegebenenfalls auch im S-Bahnbereich. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gaebler! – Frau Hämmerling möchte antworten – und hat jetzt die Gelegenheit dazu.

Herr Gaebler! Zwei Fragen haben Sie nicht beantwortet. Die erste Frage ist: Was machen Sie, wenn Sie die Züge alle neu anschaffen wollen? Sie haben dann eine Finanzierung für Neuzüge, obwohl es S-Bahnzüge gibt, die

teilweise vom Bund finanziert worden sind, die wir über den Verkehrsvertrag also teilweise auch schon bezahlt haben, die teilweise abgeschrieben sind, die aber noch 20 Jahre im Betrieb sein können. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines S-Bahnzuges beträgt 40 Jahre. 500 Züge sind im Jahr 2000 gebaut worden. Sie sind erst 20 Jahre alt. Wollen Sie diese Züge wegschmeißen?

[Christian Gaebler (SPD): Nein, wir brauchen 750!]

Die zweite Frage haben Sie auch nicht beantwortet: Was machen Sie mit dem strukturellen Defizit der BVG von jährlich 60 Millionen Euro? Wollen Sie das durch die Bestellerentgelte, die Sie normalerweise in den S-Bahnverkehr geben, refinanzieren?

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Nein! Aber dann erklären Sie, wie Sie diese Lücke stopfen wollen!

[Christian Gaebler (SPD): Das hat doch nichts mit der S-Bahn zu tun!]

Das hat sehr wohl etwas mit einem Konzept zu tun. Wir prüfen auch, wir denken auch nach, Herr Gaebler! Das, was Sie in Ihrer Senatsverwaltung machen – oder auch nicht –, das passiert bei uns täglich: Wir machen uns Gedanken,

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wer denn bei Ihnen, Frau Hämmerling?]

wie man dieses Unternehmen vom Kopf auf die Füße stellen kann, wie man es wirtschaftlich betreiben kann und unter welchem Dach. Und da fällt die BVG unter den jetzigen Bedingungen für uns völlig aus, weil wir nicht akzeptieren können, dass man mit Bestellerentgelten Löcher im Haushalt der BVG stopft. Wir wollen, dass das Geld, das Berlin in den Nahverkehr gibt, am Ende auch eins zu eins als Verkehrsleistung ankommt und nicht irgendwo in einem großen Loch verschwindet.