Protokoll der Sitzung vom 17.06.2010

Die Koalition möchte, dass ihr öffentlich inszenierter Waffenstillstand zwischen drei Senatoren hier zur besten Sendezeit beraten wird, damit alle Welt einmal wieder begutachten kann, woran es denn bei Rot-Rot hapert. Wir können daran – das hat Ihnen der Kollege Esser vorhin schon dargelegt – zwar wenig Neues finden, aber bitte, wenn Sie das so möchten, dann machen wir das halt.

Und so feiern Sie sich und Ihren Senat heute in dieser Aktuellen Stunde. Man möchte glauben, Ihnen sei etwas Großes gelungen. Endlich! Der Befreiungsschlag! Es klingt so, als hätten Sie einen großen Gordischen Knoten durchschnitten und die Agonie überwunden: Spitzenforschung, zukunftsorientierte Ausbildung und exzellente Krankenversorgung seien für Berlin endlich sichergestellt. Sie feiern sich und Ihren Senat, denn Sie haben lange genug, und zwar völlig zu Recht, herbe Kritik für Ihr Zaudern und Ihr völlig unmögliches Fehlhandling der Causa Charité/Vivantes einstecken müssen. Ich kann verstehen, dass Sie gern aus der Ecke herauskommen möchten, in die Sie sich selbst manövriert haben. Aber eines kann ich Ihnen auch sagen: Das, was Sie dazu vorlegen, reicht da bei Weitem nicht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP– Denn da ist immer noch der Investitionsstau, vor allem bei der Charité. 330 Millionen Euro wollen Sie nun end- lich freigeben. Von denen sind bekanntermaßen einige seit Jahren bereits fest verplant, zum Beispiel für den Neubau einer Vorklinik, für die mindestens 86 Millionen Euro benötigt werden. Dass dieser Neubau am Standort Mitte kommt, haben wir übrigens einer ziemlich rosstäu- schermäßigen Aktion von Ihnen vor einigen Jahren zu verdanken, als Sie uns vorgerechnet haben, dass ein Neu- bau in Mitte preiswerter wäre als ein Verbleib der Vorkli- nik in Südwest. Kaum war der Beschluss gefallen, stiegen plötzlich die kalkulierten Kosten – ist in Berlin ja häufiger so. In Hamburg ist es gelungen, ein ganzes Universitäts- klinikum innerhalb der Kostenplanung zu halten und dann innerhalb von vier Tagen umzuziehen. Bitte versuchen Sie jetzt nicht zu erklären, dass hier ja alles viel komple- xer sei. Man kann es ja wenigstens mal versuchen, lieber Senat! [Beifall bei den Grünen]

330 Millionen Euro sind wenig genug. Umso wichtiger ist es, den Einsatz dieser Mittel richtig zu priorisieren. – Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Einschub! Es war spannend zu hören, dass Sie genau deswegen nicht mehr für die Charité tun können, weil die böse schwarzgelbe Koalition auf Bundesebene eine falsche Steuerpolitik macht. Die ist seit letztem Herbst dran. Ja, SchwarzGelb macht eine unglaublich verantwortungslose Steuer- und auch andere Politik.

[Zurufe von der FDP]

Aber dahinter können Sie sich nicht verstecken! Tut mir leid, Sie sind in Berlin schon etwas länger an der Regierung! Auch die Schwierigkeiten mit Charité und Vivantes sind keine spontane Entdeckung der letzten Monate.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Wir hatten doch noch nie mehr Geld!]

Das ist ein sehr durchsichtiges Ablenkungsmanöver, aber sicherlich eine Art und Weise, sich vor Entscheidungen, vor Verantwortung für das eigene Handeln oder auch Nichthandeln zu drücken.

330 Millionen Euro sind wenig genug. Was fängt man damit dann am besten an? – Es ist richtig, dass das Bettenhochhaus der Charité ein im wörtlichen Sinne weithin sichtbares Wahrzeichen der Charité ist. Ob es aber das richtige Gebäude ist, um den ersten Schritt zu machen, um den Investitionsstau abzubauen, muss hinterfragt werden. Dieses Gebäude bei laufendem Betrieb zu sanieren ist nämlich mehr schlecht als recht möglich. Und wenn Sie dann fertig sind, bestehen auf dem Gelände weiterhin die gleichen begrenzenden Faktoren wie vorher. Jeder SFB, jedes Exzellenzprojekt, das mit baulichen Anforderungen einhergeht, wird in die Gegebenheiten der vorhandenen Substanz eingepasst werden müssen. Aus dem Blickwinkel von Forschung und Lehre ist das mehr als unbefriedigend – ein fauler, ziemlich lauwarmer Kompromiss.

[Beifall bei den Grünen]

Zudem sagt die Charité ja selbst: Wenn von den jetzt freigegebenen Mitteln begonnen wird, das Bettenhochhaus zu sanieren, ist damit noch nicht die komplette Sanierung gesichert. Warum also machen Sie das zur Priorität? Ich glaube, Sie haben sich da ein wenig auf der Ebene der Symbole und Zeichen verrannt.

Und noch eine Warum-Frage an Sie: Warum beziehen Sie nicht den in Berlin vorhandenen Sachverstand im Bereich Gesundheitsplanung/Krankenhausbau ein? Wir haben ein Institut für Krankenhausbau, wir haben Public Health und Gesundheitsökonomie. Haben Sie sich mal an sie ge

wandt? Oder meinen Sie, Sie wissen das alles besser und können auf Expertisen aus der Wissenschaft verzichten?

Verehrte Frau Kollegin! Ich möchte Sie gern unterbrechen. Ich möchte eine Delegation aus der Ukraine begrüßen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.

Aber sicher!

Und zwar begrüße ich sehr herzlich den Präsidenten der Werchowna Rada, des Parlaments der Ukraine, Herrn Wolodymyr Lytwyn, und eine Delegation dieses Parlaments. Herr Präsident Lytwyn hält sich mit dieser Delegation des ukrainischen Parlaments hier in Berlin auf.

[Beifall]

Meine Damen und Herren! Wir wissen mindestens so viel von der Ukraine, dass Kiew eine wunderbare Stadt ist. Grüßen Sie sie schön von uns!

[Martina Michels (Linksfraktion): Das wissen wir aber eher!]

Fahren Sie bitte fort, Frau Schillhaneck!

Vielen Dank! – Auch der Koalitionsantrag zur gemeinsamen Labor-GmbH hat sehr viel mit Symbolpolitik zu tun. Was ist denn durch eine Rechtsform gewonnen, die Veräußerungen von Anteilen an Dritte verhindert? – Nichts ist gewonnen! Ich darf die Wachschützer bei der CFM in Erinnerung rufen. Ihnen liegt doch immer so viel an den Beschäftigten. Die kreative Begründung, warum sie nicht nach Tarif bezahlt werden, obwohl es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag im Wachschutzgewerbe gibt, kam von der Charité, der da 51 Prozent gehören. Mit Ihrem Antrag ist also überhaupt nichts gewonnen. Es ist schlicht und ergreifend populistisch und naiv, so zu tun, als würden anständige Beschäftigungsbedingungen nur von irgendwelchen ominösen Dritten gefährdet.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Davon verstehen Sie nichts, Frau Schillhaneck!]

Haben Sie eine Ahnung! Davon verstehe ich wahrscheinlich mehr als Sie!

[Beifall bei den Grünen]

Eine echte Perle findet sich übrigens in der Begründung dieses Antrags. Denn Ihrer Meinung nach soll eine Änderung der Vertragspassage der Zustimmung des Abgeordnetenhauses unterliegen. Abgesehen davon, dass es ein wenig ungewöhnlich ist, dass plötzlich eine solche parlamentsbezogene Micromanagementklausel eingefügt wird, wenn zwei allein dem Land gehörende Unternehmungen einen Vertrag miteinander schließen – offenbar haben Sie

in der Koalition längst jedes Vertrauen in die Aufsichtsräte beider Institutionen verloren! Dabei sitzen ihnen doch Ihre Senatoren vor. Wer führt denn diese Aufsichtsräte? Vertrauen Sie denen nicht? – Offensichtlich trauen Sie ihren eigenen Leuten nicht einmal so weit, dass Sie sich bei einer etwaigen Veräußerung – übrigens auch an öffentlich Dritte, wäre ja denkbar – genau angucken, um was für einen Vertragspartner es sich handelt und wie vertrauenswürdig er ist. Das, ehrlich gesagt, ist ein absolutes Armutszeugnis.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jenseits von der Labor-GmbH und der Idee eines gemeinsamen Einkaufs wird die nötige Strukturreform vertagt wie alles andere auch. Beide Unternehmen stimmen ihr medizinisches Versorgungsangebot ab, heißt es. Das verschiebt die Zuständigkeit wieder von Ihnen weg, denn Sie können sich offenbar maximal darauf einigen, dass es irgendeine Art von Problem gibt. Manchmal muss man ja schon froh sein, dass Sie wenigstens das verstanden haben.

Eine Veränderung des derzeitigen Zustandes – das ist richtig – wird an beide Institutionen und deren Beschäftige und Mitglieder große Herausforderungen stellen. Umso wichtiger ist es, die Besorgnisse ernst zu nehmen und frühzeitig zum einen klarzumachen, wohin die Reise gehen kann, und dann gemeinsam die Marschroute zu planen und loszugehen. Sie tun alles drei nicht. Bei Ihnen hapert es ja schon beim Ziel der Reise. Na klar produziert das dann Unsicherheit, Sorgen bis hin zu echter Panik, durchaus auch bei den Beschäftigten.

Spannend ist übrigens, dass Ihnen die Sorge eines Teils der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler offenbar völlig egal ist, zumindest schreiben Sie hierfür keinen Antrag. Da gibt es nämlich jenseits derer, die durchaus gute Nebeneinkünfte haben im Bereich Labor, um die es mir jetzt nicht geht, durchaus jene, die Grundlagenforschung machen, experimentell und nicht standardisiert, die im Bereich Labor arbeiten. Die tun sich mit der Labor-GmbH auch ein bisschen schwer. Auch da muss ein Weg gefunden werden, wie beide Interessen, Betriebswirtschaft und Wissenschaft, einfach gut berücksichtigt werden. Wir brauchen beides: gut wirtschaften und gute Wissenschaft. Anders geht das nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Das ist genau die Abwägung, der Konsensbildungsprozess, den wir in Sachen Charité und Vivantes in hunderttausend kleinen und großen Punkten werden führen müssen. Sie ducken sich da leider gerade weg und lassen eine Chance verstreichen, nämlich die Chance, exemplarisch zu dokumentieren, wie so ein Diskussionsprozess laufen kann. Sie machen so einen komischen Schaufensterantrag und glauben, damit sei die Sache dann gegessen. Den anstehenden Prozess können wir wirklich nur mit allen bewältigen und nicht gegen die Interessen und Akteure in Wissenschaft und Krankenversorgung.

Sie drücken sich mit Ihren Eckpunkten auch in der Standortfrage. Sie schreiben zwar so schön, alle drei bettenführenden Standorte blieben erhalten, aber wenn man das richtig liest, heißt das: bis zur Wahl, danach sehen wir mal weiter. Anders kann man das eigentlich gar nicht interpretieren, denn die weiteren Investitionsentscheidungen, vor allem zum Virchow und Benjamin Franklin, werden im Haushalt 2014 getroffen. Klarheit schaffen für Exzellenz in der Wissenschaft und bestmögliche Krankenversorgung? – Hier ist nichts klar, außer dass Sie mit dieser Inszenierung doch wohl sehr deutlich darum bitten, dass man Sie mit der Frage 2014 nicht betrauen möge.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Sie tun mit Ihren Eckpunkten zudem keinen einzigen Schritt, um die beiden landeseigenen Krankenversorger aus dem desaströsen Wettbewerb herauszuholen, in dem sie stecken. Beide müssen wirtschaftlich arbeiten. Sie sollen ausgeglichene Bilanzen aufweisen. Das ist grundsätzlich ein völlig richtiges Ziel. Aber dann verschieben Sie die Aufgabe, den Weg dahin zu beschreiben, und Sie zielen wieder auf die Institutionen selbst.

Ganz ehrlich: So kommen wir nicht weiter! Das machen Sie die ganze Zeit schon so. Sie sehen doch, es geht so nicht. Wir brauchen eine offene und ehrliche Diskussion der Schwierigkeiten, der Optionen, aber auch der mobilisierbaren Ressourcen für die Bewältigung dieser Aufgaben, denn – und da liegen Sie zur Abwechslung wirklich einmal richtig – davon hängt in Berlin sehr viel ab. Davon hängt ab, ob wir den Berlinerinnen und Berlinern, aber auch dem Umland – bitte nicht vergessen! – eine bestmögliche Krankenversorgung bieten können, ob Forschung und Lehre und wissenschaftliche Weiterbildung gesichert sind und ob die Charité Eckpfeiler eines Clusters exzellenter Gesundheitsforschung und Wirtschaft sein kann oder eben auch nicht.

Letzteres – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen –, das „oder nicht“ ist für uns Grüne keine Option. Also, Sie inszenieren hier in dieser Aktuellen Stunde das große Schulterklopfen und feiern den Beleg Ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit. Die wirkliche Entscheidung wird dann auf die nächste Legislaturperiode vertagt. Vielleicht, so viel Galgenhumor habe ich von den Betroffenen auch schon entgegengebracht bekommen, ist das sogar eine Chance. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Schillhaneck! – Ich bitte noch einmal um Verständnis dafür, dass ich Sie unterbrochen habe, aber wir hatten hier im Präsidium die Mitteilung bekommen, dass diese Delegation schnell wieder weg müsse, und so haben wir uns dazu entschieden. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür. – Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Gersch.

[Lars Oberg (SPD): Der Trümmerbeauftragte!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Ja, Herr Oberg! Das Interesse an Ihrer Fraktion ist genauso groß wie ihr Applaus vorhin bei Ihrer Rede, nämlich nicht sehr nachhaltig.

[Lars Oberg (SPD): Was ist denn nachhaltiger Applaus?]

Das Interesse und der nachhaltige Applaus ist das, wo Sie in Ihrem Kopf verstehen, dass es eigentlich gar nichts gewesen ist, was Sie hier erzählt haben. Das wäre nachhaltig.

[Martina Michels (Linksfraktion): Aber in Ihre Reihen haben Sie geguckt?]

Die sind sehr gut gefüllt.

[Lars Oberg (SPD): Wollen Sie mal was zur Sache sagen?]

Gerne, Herr Oberg, dann tue ich ja mit einem Satz schon mehr als Sie in Ihrer ganzen Rede.

[Beifall und Heiterkeit bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Andreas Gram (CDU): Der war gut!]

Meine Vorredner, besonders die von der CDU und von den Grünen, haben es schon mehrfach gesagt: Das, was hier als großer Erfolg dargestellt wird, ist nichts. Es kreißte ein Berg, und die Maus kam hervor. Und diese Maus ist in Ihrem Fall sogar noch halb tot.

[Beifall bei der FDP]

Wir haben von Ihnen nichts gehört. Es bleibt alles, wie es ist, und dafür geben wir eine Menge Geld aus. Kein Wort zur Struktur! Die Infrastrukturkosten der Charité von 60 Millionen Euro, die über InEK liegen, bleiben weiter, das kostet den Steuerzahler, kostet die Krankenkassen, kostet im Endeffekt auch den Patienten sehr viel Geld – für nichts. Dazu haben Sie keinerlei Antworten gegeben, nicht ein Wort dazu, wie Sie die Defizite langfristig wirklich abbauen wollen. Sie sagen, wir investieren jetzt hier, damit der Putz nicht mehr von der Decke fällt. Ein Krankenhaus in Mitte, der Neubau, auch da kein Wort dazu, wie das jetzt eigentlich weitergehen soll. Frau Schillhaneck hat hier genau richtig angemerkt, dass davon schon 80 Millionen Euro in die Vorklinik eingepreist sind. Auch das hat mit dem Hochhaus in Mitte nichts zu tun. Insofern erzählen Sie uns hier nicht, Sie hätten hier den großen Wurf gemacht!