Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Ja, Herr Dr. Lindner! Der Regierende Bürgermeister hat an der Demonstration teilgenommen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Wie lange?]

Er hat aber nicht einfach nur so herumgesessen, Herr Dr. Lindner. Er hat zu den Betroffenen gesprochen und Unterstützung sowie Solidarität zugesagt.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und bei der FDP]

Herr Dr. Lindner, das hat er nicht zum ersten Mal getan. Er war in Spandau, er war bei Orenstein & Koppel, er war bei BSH, er ist immer dort aufgetreten. Wo aber waren Sie, Herr Dr. Lindner? Wo haben Sie denn herumgesessen?

[Beifall bei der SPD]

Frau Abgeordnete Grosse, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Lindner?

Herr Dr. Lindner, nun stellen Sie schon Ihre Zwischenfrage!

Frau Kollegin Grosse! Hat es einmal genutzt?

Ja, nicht nur einmal, sondern zweimal, Herr Dr. Lindner!

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD]

Als weißer Ritter trat die Bayer AG mit einem Angebot zur Übernahme der Schering AG auf den Plan, bot den Aktionären 86 € an und übertrumpfte damit die Offerte des Darmstädter Rivalen Merck. Mit Blick auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werde man besonderen Wert auf einen fairen und ausgewogenen Prozess legen, versprach man zum Zeitpunkt der Übernahme, um die Belegschaft und den Betriebsrat mit ins Boot zu bekommen.

Der weiße Ritter entpuppt sich inzwischen als Killer der Arbeitsplätze. Das ist eine Politik für Aktionäre und Unternehmen. Das ist eine Politik gegen die Arbeitnehmer, die wir so nicht länger hinnehmen können und auch nicht hinnehmen wollen.

Es ist die Aufgabe der Politik zu versuchen, diese Entscheidung zu beeinflussen, Herr Dr. Lindner. Es sind Ent

scheidungen gegen die Beschäftigten in unserer Stadt. Das hat Sie aber noch nie interessiert. Es sind die Arbeitnehmer, die durch Ihre Arbeit dazu beigetragen haben, dass solche Gewinne erzielt werden und die Aktionäre davon profitieren können, Herr Dr. Lindner.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Diese Arbeitnehmer sollen nun in einem Zug ihren Arbeitsplatz verlieren. Das kann doch nicht in unserem Sinn sein.

Die Schering AG hat Berlin immer die Treue gehalten, auch in der Zeit, in der sich andere Konzerne von Berlin verabschiedet haben. Deshalb ist es unsere Pflicht und auch die Pflicht des Regierenden Bürgermeisters, Herr Dr. Lindner, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, diesem Bayer-Schering-Pharmakonzern die rote Karte zu zeigen, wenn er sich nicht an seine Aussagen hält.

Dieser Entschließungsantrag, den alle Fraktionen bis auf die FDP – das hat mich gar nicht gewundert – mittragen, fordert den Senat auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Arbeitsplätze in der Forschung und anderen Bereichen zu sichern. Das ist ein Antrag in die richtige Richtung, der die Solidarität mit den Beschäftigten unterstreicht. Schering gehört zu Berlin. Das muss auch im Konzern Bayer-Schering-Pharma so bleiben. Lassen Sie uns dafür kämpfen, und lassen Sie uns nicht ein parteipolitisches Gezänk hinlegen! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grosse! – Für die CDUFraktion hat jetzt Herr Melzer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der befürchtete Abbau von mehr als 1 000 Arbeitsplätzen bei der Bayer-Schering Pharma AG am Standort Berlin wäre – das ist heute noch einmal deutlich geworden – ein weiterer schwerer Hieb für die Industrie und den Gesundheitsstandort, letztlich für den gesamten Wirtschaftsstandort Berlin. Es wäre eine wirklich bittere Pille, die die Stadt schlucken müsste. Deswegen ist es auch aus unserer Sicht wichtig, dass sich das Berliner Parlament in größtmöglicher Einigkeit mit den Schering-Arbeitsplätzen beschäftigt. Gleichzeitig sagt die CDU-Fraktion aber auch deutlich, dass der Berliner Senat in der Pflicht ist, auf politischer Ebene alles dafür zu tun, dem drohenden Arbeitsplatzabbau und der fortschreitenden Deindustrialisierung in Berlin entgegenzuwirken.

[Beifall bei der CDU – Beifall der Frau Abg. Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Frau Grosse, Sie sagen, Herr Wowereit hat viel geredet, und zweimal hat es genutzt. Ich frage mich, wie häufig er dann geredet und es nichts genutzt hat. Reden allein reicht eben nicht.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Deswegen, Herr Wowereit, haben Sie es in den vergangenen Tagen und auch heute Mittag leider nicht vermocht, trotz eines Bekenntnisses zu Schering als Berliner Traditionsunternehmen eine deutliche Perspektive für den Pharma- und Industriestandort Berlin aufzuzeigen. Es ist in Anbetracht der Schwierigkeiten Ihre politische Aufgabe, Herr Wowereit, für die Stadt endlich ein wirtschaftspolitisches Rahmenkonzept zu entwickeln und vorzulegen. Ein solches Zukunftsmodell, das wir als Union in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert haben, fordern wir auch heute von Ihnen ein. Nach dem Tempelhof-Desaster ist es an der Zeit, dass Sie auch konstruktiv etwas vorlegen.

[Beifall bei der CDU]

Bayer-Schering ist in Berlin leider kein Einzelfall. Der drohende massive Arbeitsplatzabbau reiht sich in eine traurige Reihe leidvoller Erfahrungen mit ein, und der Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen bei Samsung, JVC und CNH ist dafür Beleg. Es wurde viel geredet, Frau Grosse gibt es selbst zu, nur zweimal hat es etwas genutzt. Und dennoch, wir sind zuversichtlich und hoffen sehr, dass die Bayer-Schering Pharma AG ihre Entscheidung mit Augenmaß treffen wird und sich die zuständigen Vorstände von der besonderen Bedeutung des Unternehmens für den Standort Berlin leiten lassen. Das bei der Übernahme gemachte Versprechen, den herausragenden Standort Berlin zu erhalten, muss Richtschnur der Entscheidung bleiben. Vertreter der Politik, der Wirtschaft und der Arbeitnehmer haben dafür vor einem Jahr gekämpft. Der Verkauf an Bayer im letzten Jahr darf nicht in diesem Jahr zu einem Ausverkauf der Schering-Mitarbeiter werden. Auch heute kämpfen die Angestellten mit ihrem Ausstand dafür, aus Angst um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft. Von uns sollte heute in Einigkeit das klare Signal ausgehen: Wir stehen solidarisch an Ihrer Seite.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Bayer hat seinen Mitarbeitern und Berlin in den vergangenen Tagen viele Kopfschmerzen bereitet. Mit Kopfschmerzen kennt sich Bayer aus, zumindest, wenn es darum geht, diese mit wirksamen Mitteln zu bekämpfen. Laut Beipackzettel des berühmten Medikaments sollen diese Medikamente besonders wirksam sein und besonders schnell wirken. Auch bei den Mitarbeiterkopfschmerzen von Bayer existieren solche Medikamente. Die Personalentscheidung ist unter sozialpolitischen Aspekten abzuwägen. Betriebsbedingte Kündigungen sind unter allen Umständen zu verhindern.

[Beifall bei der CDU – Dr. Martin Lindner (FDP): Was reden Sie denn da?]

Setzen Sie sich weiterhin für den Gesundheits- und Forschungsstandort ein. Die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ist eine besondere Chance für das Unternehmen hier am Standort Berlin. Deswegen darf in den Zukunftsbereichen Forschung und Entwicklung sowie in der Produktion der Rotstift nicht angesetzt werden. Die Berliner Politik darf nicht nur moderierend an der Seite stehen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Was schlagen Sie vor?]

Vielmehr erwartet die CDU vom Senat, sich in die Rolle – wenn wir bei Medikamenten sind – eines Arztes zu begeben und die richtigen Medikamente zu verschreiben, also die notwendigen, richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Auch das kennen Sie vom Beipackzettel: Sollten Sie Nebenwirkungen bei Medikamenten beobachten, benachrichtigen Sie Ihren Arzt, damit er über den Schweregrad und gegebenenfalls über die erforderlichen Maßnahmen entscheiden kann.

Die Nebenwirkungen für das Land Berlin, der Verlust von über 1 000 Arbeitsplätzen droht. Die Regierung und Sie, Herr Wowereit, sind benachrichtigt. Jetzt entscheiden Sie aber auch, und nehmen Sie sich der Verantwortung für die Arbeitnehmer und den Wirtschaftsstandort an. Planen Sie perspektivisch nicht nur für den nächsten Besuch vor einem Werkstor bei der nächsten Demonstration, sondern legen Sie ein in sich schlüssiges Konzept für den Wirtschaftsstandort Berlin vor. Es ist an der Zeit, dass die Regierung endlich handelt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Heilige Einfalt!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Melzer! – Für die Linksfraktion hat Herr Doering das Wort! – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anfang dieser Woche wurde Berlin von der Nachricht überrascht, dass im Berliner Schering Werk über 1 000 Arbeitsplätze bedroht sind: „Mitarbeiter bangen um Arbeitsplätze“, Zittern bei Schering“, „Die große Angst bei Schering“, „Bayers bittere Pillen“, „Raubritter aus Leverkusen“. Diese Zeitungsüberschriften brachten die Stimmung bei Schering und in der Stadt auf den Punkt.

Es ist noch gar nicht so lange her, da kündigte das MerckUnternehmen am 13. März 2006 die beabsichtigte feindliche Übernahme von Schering an. Diese Ankündigung stieß in der Berliner Öffentlichkeit auf scharfen Protest. Am 23. März 2006 kam dann der Bayer-Konzern – Frau Grosse sagte es schon – wie ein weißer Ritter mit dem Angebot, für 17 Milliarden € Schering zu übernehmen. Merck wurde aus dem Bieterrennen gedrängt, und der Bayer-Konzern wurde für diese Tat von allen Beteiligten gelobt, schien doch mit Bayer der Weddinger Standort

gesichert. Der damals bei der Übernahme bereits angekündigte Abbau von 500 Stellen erschien moderat und wurde als sozialverträglich machbar dargestellt. Bereits während der Übernahmeverhandlung hatte Bayer-Chef Werner Wenning im März 2006 angekündigt, dass 6 000 Stellen im Konzern abgebaut werden sollen. Bei der Standortaufteilung des Stellenabbaus ging man damals aber davon aus, dass Berlin in geringem Umfang betroffen sein würde. Mit der Übernahme von Schering durch den Bayer-Konzern wurde bereits im Frühjahr 2006 deutlich, dass es erstens um die Übernahme eines Konkurrenten ging und zweitens Rationalisierungseffekte durch die Übernahme entstehen, die einen Stellenabbau zur Folge haben.

Darauf muss hingewiesen werden, weil Herr Dr. Lindner in seiner Presseerklärung gestern behauptete, dass der angekündigte Personalabbau bei Schering etwas mit Steuern, Abgaben und Bürokratie in Berlin zu tun habe. In diesem Zusammenhang ist Ihre Erklärung, Herr Dr. Lindner, mehr als absurd, wenn Sie hier die Gründe für den geplanten Stellenabbau bei Schering erkannt haben wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Steht doch gar nicht drin! –]

Sie nennen in der Presseerklärung – ich zitiere – die Koalition „eine Bande von Heuchlern“. – Die Frage ist, Frau Präsidentin, ob Sie es rügen würden, wenn ich jetzt der FDP-Fraktion sagte, sie sei eine Bande. – Wenn Sie uns eine Bande von Heuchlern nennen und in dem Zusammenhang den vorliegenden Entschließungsantrag als billigen Linkspopulismus bezeichnen, dann sollten Sie sich fragen, ob Sie sich nicht im Ton vergriffen haben.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich stelle aber zugleich fest, dass Sie wieder einmal nicht begriffen haben, worum es hier eigentlich geht. In seinem Brief an die Aktionäre des Bayer-Konzerns zum Abschluss des dritten Quartals 2006 stellt der Konzernvorstand fest: Umsatz und Ergebnis wurden erfreulicherweise gesteigert. Der Umsatz sei um 26 % gestiegen und betrage im vierten Quartal nun 7,8 Milliarden €. Darin enthalten ist der Anteil von Schering in Höhe von 1,4 Milliarden €. Der Quartalsgewinn nach Steuern betrage 320 Millionen €. Die Integration von Schering kommt gut voran. Bayer allein schüttete übrigens 2005 knapp 7 Millionen € Dividende an seine Aktionäre aus. Hier geht es also nicht um ein notleidendes Unternehmen, dass zudem durch den rot-roten Senat, Steuerabgaben und Bürokratie gegängelt oder drangsaliert wird. Der Vorstand – so der Brief an die Bayer-Aktionäre – habe ein Konsolidierungskonzept für rund 70 Standorte für Bayer-Schering Pharma beschlossen. Das Synergieziel von jährlichen Einsparungen in Höhe von 700 Millionen € werde laut Planung spätestens ab 2009 im vollen Umfang realisiert.

Mit dem Aktionärsbrief wird deutlich: Hier wird wieder einmal ein Unternehmen aus Gründen der Profitmaximierung einen rigorosen Stellenabbau durchführen. Das ist

Profitmaximierung auf Kosten der Belegschaft. Das, Herr Dr. Lindner, ist die Wahrheit, das ist der Punkt der Auseinandersetzung!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Deshalb haben die Beschäftigten bei Schering unsere volle Solidarität, denn sie haben durch ihre Leistung und ihr Engagement dafür gesorgt, dass Schering bisher einen guten Ruf hatte und eines der Vorzeigeunternehmen dieser Stadt gewesen ist. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Doering! – Zum Abschluss hat Herr Dr. Lindner das Wort für die FDPFraktion! – Bitte!