Protokoll der Sitzung vom 23.09.2010

Die Tagesordnungspunkte 15 bis 18 stehen auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 19:

Beschlussempfehlung

Mehr Sicherheit durch den gezielten Einsatz von Blitzern an Unfallschwerpunkten

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/3446 Antrag der Grünen Drs 16/2627

Für die Beratung stehen den Fraktionen wieder jeweils bis zu fünf Minuten Redezeit zur Verfügung. Es beginnt der Kollege Lux von den Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion beantragt: Mehr Sicherheit durch den gezielten Einsatz von Blitzern an Unfallschwerpunkten. Eingangs ein paar Zahlen: Im Jahr 2009 gab es 1 000 Straßenverkehrsunfälle mehr als im Vorjahr – in den letzten Jahren mit steigender Tendenz. Seit 2005 betreibt der Senat ein Verkehrssicherheitsprogramm, das offensichtlich nicht erfolgreich ist. Deshalb ist eine Überprüfung geboten. Es gibt ein paar erfreuliche Entwicklungen: Die Anzahl der Verkehrstoten ist in den genannten Jahren von 55 auf 48 zurückgegangen und die Schwerverletzten von 1 828 auf 1 752. Aber die hohen Zahlen mahnen uns: Jeder Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr ist einer zu viel.

[Beifall von Thomas Birk (Grüne)]

Die nicht angepasste Geschwindigkeit ist im Land Berlin die Hauptunfallursache. Mehr als jeder dritte Verkehrsunfall mit Todesfolge ist auf eine nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen und etwa jeder fünfte der Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten. Die geschwindigkeitsbedingten Verkehrsunfälle sind demnach die stark zunehmende Hauptverkehrsunfallursache. Was gibt es da Naheliegenderes als ein Mehr an Kontrolle durch Blitzer, die effektiv und leicht wirksam ist?

[Beifall bei den Grünen]

Im Gegensatz zu dem hohen Personaleinsatz bei der Polizei – für die Verkehrssicherheit gibt es rund 1 220 Stellen – kostet jedes Gerät unter 100 000 Euro und bringt im Durchschnitt jährlich 730 000 Euro Einnahmen.

[Christoph Meyer (FDP): Da kann man auch Fahrradfahrer kontrollieren!]

Das kann man auch mit Fahrradfahrern machen. Das sehe ich auch so. – Das hat aber alles nichts mit Abzocke zu tun, denn es werden nur diejenigen zur Kasse gebeten, die andere rechtswidrig gefährden. Man muss auch bedenken, dass die hohen Kosten für Verkehrssicherheitsmaßnahmen auf die Allgemeinheit übertragen werden. Es ist nicht sozial, diese Leute durchkommen zu lassen und der Allgemeinheit – auch den Nichtautobesitzern – die Kosten aufzubürden. Zudem ist es ein dauerhaftes Sicherheitsproblem.

Man muss sich vorstellen: In einer Großstadt wie Berlin mit mehr als einer Million Autos und 3,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es lediglich 22 Verkehrsradargeräte, 62 Laserhandmessgeräte, 21 Videonachfahrsysteme und lediglich 5 stationäre Überwachungsanlagen. Das kann nicht sein. Wir sind eine Millionenstadt. Der Verkehr nimmt zu. Wir haben mehr Verkehrsunfälle wegen unangepasster Geschwindigkeit und mehr Raserei. Was läge näher als ein erhöhter Einsatz von mobilen Geschwindigkeitsmessgeräten?

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Anlassbezogen bei zu hoher Geschwindigkeit, Herr Meyer! Das hat nichts mit einer verdachtsunabhängigen Videokontrolle zu tun. – Wir wollen Raser anlassbezogen überwachen und Raserei ahnden. Das ist gut für die Menschen in dieser Stadt und für die Autofahrer, die sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Das ist effektiv für den Haushalt, weil der Personalhaushalt dadurch nicht belastet wird, und es hat nicht mit der Überwachung unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger zu tun. Mehr Blitzer würden hier Sinn machen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir wissen alle, wo die Hauptunfallschwerpunkte sind: am Jakob-Kaiser-Platz, am Großen Stern, am ErnstReuter-Platz, in der Skalitzer Straße, am Falkenseer Platz, am Schlesischen Tor, in der Bornholmer Straße, in der Schönhauser Allee und am Frankfurter Tor. Wenn bekannt wäre, dass dort künftig mehr geblitzt würde, dann hätte das einen unmittelbaren Effekt. An diesen Stellen würde dann langsamer gefahren.

Ich verstehe nicht, weshalb sich das Haus gegen den Einsatz von mehr Blitzern wendet, die kostengünstig und effektiv eingesetzt werden könnten. Uns wird dabei Ideologie gegen Autofahrer vorgeworfen. Ich verstehe das tatsächlich nicht, denn es ist auch von Vorteil für die Autofahrer, die sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung

halten. Die Raser, die andere gefährden, sollen bestraft werden. Ich werbe deshalb um Zustimmung.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Hertel das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lux! Sie sind bereits darauf eingegangen. Ich will aber auch noch auf ein paar Zahlen hinweisen: Im letzten Jahr gab es 125 000 Verkehrsunfälle, 48 Tote und fast 16 300 Verletzte. Diese Zahlen lassen uns erschrecken, weil jeder Tote und Verletzte einer zu viel ist.

Sie haben aber auch ganz richtig ausgeführt, dass jedes Jahr wiederkehrend die Raserei – oder in Polizeisprache: unangepasste Geschwindigkeit – an diesen Unfällen schuld ist. Diese unangepasste Geschwindigkeit – da wundert mich Ihr Beharren auf den Antrag – ist aber nicht nur Raserei im Sinne von zu schnell fahren oder schneller als erlaubt fahren, es ist nicht das Fahrzeug, das in einer 50er-Zone mit 62 km/h oder in einer 30er-Zone mit 45 km/h geblitzt wird. Sie nennen die Stellen, wo Unfälle durch unangepasste Geschwindigkeit häufig auftreten, sogar noch, Herr Lux. Es ist eine unangepasste Geschwindigkeit, also eine solche, die dem Verkehrsaufkommen, der Verkehrs- oder Straßensituation nicht angemessen ist. Genau dort treten solche Unfälle auf, und zwar gehäuft. Sie sind durch keinen Blitzer dieser Welt zu verhindern.

[Benedikt Lux (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Mich wundert auch Ihre Forderung, noch mehr mobile Blitzer anzuschaffen. Wir haben deren Zahl gerade erhöht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?

Nein! – Ich glaube, nicht nur die erhöhte Zahl der Blitzer oder überhaupt die relativ gute Ausstattung mit technischem Gerät zur Geschwindigkeitskontrolle – – Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren.

Es bedarf keiner Erlaubnis. Sie können das so, Frau Hertel!

Ich möchte aus der aktuellsten Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten verlesen, die nach meiner Kenntnis nicht zum ersten Mal so aussieht, aber weil sie gerade ganz aktuell ist:

Bei der Entscheidung zur Auswahl von Messorten sind vorrangig zu berücksichtigen: nach der Verkehrsunfallanalyse erkannte Unfallhäufungsstrecken.

wird als erster Punkt benannt. Erst dann kommen schutzwürdige Straßenbereiche im Umfeld von Schulen usw. Und er weist weiterhin darauf hin:

Die Reihenfolge dieser Aufzählung bestimmt im täglichen Dienst sowohl den Priorisierungsgrad als auch die Kontrollintensität.

Denn, Herr Lux, nur weil so vorgegangen wird von den Polizeibehörden, ist Berlin – das vergaßen Sie zu erwähnen in Ihrem Aufzählen der erschreckenden Zahlen – zum wiederholten Mal in Folge an der ersten Stelle der Bundesländer, die zurückgehende Verkehrsunfallzahlen und weniger Verkehrsunfalltote zu verzeichnen haben, und führt ausnahmsweise wiederholt diese Liste an. Das lässt mich nun nicht mehr verstehen, wie es zu einem Antrag kommen kann, der behauptet, mit noch mehr Blitzern an Verkehrsunfallschwerpunkten würde etwas gewonnen werden. Noch einmal: Das Rasen allein ist es nicht, sondern es ist die unangepasste Geschwindigkeit, die Sie durch einen Blitzer nicht mehr verhindern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Dann möchte ich noch einen Punkt bringen. – Ich sehe, ich habe noch eine Minute. Das ist es mir wert. – Ich habe aktuelle Zahlen vom Blitzereinsatz im sogenannten Britzer Tunnel. Von Freitag bis Dienstag wurde dort geblitzt. Ich nehme Schätzungen an: Was glauben Sie, wie viel Mal hat das Gerät ausgelöst?

[Benedikt Lux (Grüne): 2 000 bis 3 000 Mal! – Weitere Zurufe]

Sie liegen alle falsch. – 6 700 Mal hat innerhalb von vier Tagen das Blitzgerät ausgelöst. Sie haben also recht: Erhöhte Geschwindigkeit ist sicherlich ein Problem in Berlin. Aber mobile Blitzgeräte an Unfallschwerpunkten, die durch andere Dinge, durch anderes Geschehen zu Unfallschwerpunkten werden, als über die Geschwindigkeitsbegrenzung hinauszugehen, werden uns da nicht weiterhelfen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Frau Kollegin! – Sie möchten eine Kurzintervention? Besser wäre es, so was vorher anzumelden. – Aber Sie haben gleichwohl das Wort, Herr Lux!

Danke schön, Herr Präsident! – Nur weil das Thema wichtig ist: Die Verkehrsunfallzahlen sind also, Frau Hertel, auf 125 000 gestiegen. Jedes mobile Blitzgerät in Berlin ist 43 Minuten pro Tag im Einsatz. Das zeigt, dass zu wenig geblitzt wird, und dass die Strukturen im Land Berlin nicht genutzt werden.

Jetzt möchte ich mich noch mal auf die Diskussion über die nicht angepasste Geschwindigkeit einlassen, die in der Tat sehr spannend ist. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Da geht es keineswegs nur um das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit. Aber mobile Blitzgeräte und auch der Wille dieser Stadt und der Polizei, dort aufzurüsten und mehr Kontrollen zu machen und diese vielleicht auch transparent zu machen – das nennt man Prävention, über die wir im Innenausschuss häufig reden –, das ertüchtigt zu einem Fahrverhalten, das aufmerksamer und regelkonformer ist. Ich denke, das sollte auch gemeinsames Anliegen sein. Man schafft also durch Blitzer nicht nur eine Ahndung der zu Schnellen, der Raser, sondern auch ein aufmerksameres Fahrverhalten. Ich denke, hier könnten wir uns einigen und insofern auch mehr mobile Blitzer einsetzen, denn diesen Effekt können Sie nicht bestreiten.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Lux! – Möchte Frau Hertel replizieren? – Dann hat sie jetzt das Wort. – Bitte schön, Frau Hertel!

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Macht ruhig noch ’ne Weile, wir haben ja Zeit!]

Insbesondere Ihr Hinweis, Herr Lux, auf unseren Willen zur Transparenz hat mich doch noch mal nach vorne gejagt, denn genau das ist möglicherweise ein Punkt, an dem Sie mich definitiv nicht an Ihrer Seite wiederfinden. Wenn Sie mit dem Willen zur Transparenz meinen, dass wir Blitzer einsetzen, aber vorher noch bekanntgeben sollen, wo die stehen, dann bin ich definitiv nicht auf Ihrer Seite. Ich weiß, dass die Polizei eine Zeitlang damit gearbeitet hat, dass Geschwindigkeitsüberwachung zur Prävention vorher bekanntgegeben wird. Aber es ist definitiv und nachweislich,

[Thomas Birk (Grüne): Dass man langsamer fährt!]

dass sich einige, insbesondere Radiosender an eigentlich vereinbarte Regeln nicht gehalten haben und fortwährend eine bestimmte Vereinbarung, die getroffen worden ist, dass nur ein Teil der Blitzgeräte genannt werden soll, nicht einhalten

[Zurufe von den Grünen]

und stattdessen noch ein Geschäft daraus machen, indem sie ihre Hörer animieren anzurufen, um erkannte Blitzer