Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Sozialen Zusammenhalt stärken statt schwarz-gelber Trickserei bei Regelsätzen und rot-rotem Chaos um die Jobcenter

Antrag der Grünen

in Verbindung mit

Dringlicher Entschließungsantrag

Gesellschaftliche Solidarität erhalten: bedarfsgerechte Alg-II-Regelsätze sichern, gesetzlichen Mindestlohn einführen!

Antrag der Grünen Drs 16/3549

in Verbindung mit

Dringlicher Antrag

Transparente, bedarfsgerechte Regelsätze vorlegen und endlich gesetzlichen Mindestlohn einführen!

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/3551

Der zuletzt genannten Dringlichkeit wird offensichtlich nicht widersprochen.

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 10 Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden können. Es beginnt die Fraktionsvorsitzende Frau Pop für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön, Frau Pop, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder soll ab dem 1. Januar 2011 für langzeitarbeitslose Menschen, die in Jobcentern betreut werden, vieles anders werden. Als Erstes kommt die verkorkste Neuberechnung der Regelsätze, die die berühmten 5 Euro mehr bringt. Dabei ist es nicht so sehr die Summe, die bitter aufstößt. Wir sagen zwar auch, dass wir eher den Berechnungen der Sozialverbände glauben als Frau von der Leyen und von einem höheren Bedarf ausgehen. Aber insbesondere die Art und Weise, wie die neuen Regelsätze präsentiert worden sind, stößt auf unsere Kritik.

Hinter verschlossenen Türen wurde geschachert, heraus kam eine politisch gesetzte Zahl – eben diese 5 Euro. Wochenlang hat sich Frau von der Leyen dann geweigert, die Grundlagen für die Berechnung auf den Tisch zu legen.

[Zuruf von Gregor Hoffmann (CDU)]

Jetzt hat sie angeboten, den Fraktionen im Deutschen Bundestag Details, Rechnungen und Zahlen bekannt zu machen. Endlich! – kann man an dieser Stelle nur sagen.

[Beifall bei den Grünen]

Man fragt sich aber schon, warum die Informationen beim Statistischen Bundesamt über Art und Umfang des Lebensmittelverzehrs ungefähr so geheim einzustufen sind wie das Wissen des BND über Terrorismus.

[Björn Jotzo (FDP): Was hat sich Frau Künast dabei gedacht?]

Das ist nicht die Transparenz, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Da können Sie ruhig klatschen, Herr Lederer!

[Unruhe bei der Linksfraktion – Martina Michels (Linksfraktion): Wer hat denn Hartz IV eingeführt? – Weitere Zurufe von der Linksfraktion – Andreas Gram (CDU): Scheinheiligkeit!]

Regen Sie sich mal nicht so auf!

Meine Damen und Herren! Würden Sie bitte etwas zur Ruhe kommen!

Wir haben daraus gelernt – ganz im Gegensatz zu Ihnen, die immer nur gegen alles sind und alles gegen die Wand fahren! Es reicht nicht, immer nur dagegen zu sein, Herr Lederer.

Auch bei den Leistungen für Kinder stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden wird. Wir fragen uns alle, ob Kindern und Jugendlichen ab dem 1. Januar tatsächlich der Weg zum Sport, Musik, Nachhilfe und anderen Dingen in Berlin offenstehen wird. Wie die Jobcenter in die Lage versetzt werden, diese Mammutaufgabe zu bewältigen, das steht in den Sternen. Frau Bluhm, Sie können es gleich erklären. Zum 1. Januar muss auch die Neuordnung der Jobcenter erfolgen, die ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht und bereits Ende 2007 angeordnet worden ist. Wir haben inzwischen Anfang Oktober, und es ist immer noch nicht klar, wie die neue Struktur der Jobcenter in Berlin aussehen wird. Es gab Gutachten. Es gab Anhörungen, aber wann kommt eigentlich das Gesetz, Frau Bluhm? Wie sieht die neue Struktur aus? Gibt es zwölf Jobcenter, gibt es ein Jobcenter? Was wird wann mit der Bundesagentur eigentlich vereinbart? Das steht alles offensichtlich noch in den Sternen.

Wie bei der Einführung der Jobcenter vor einigen Jahren droht der Senat wieder einmal die Chance zu verpatzen, die Arbeit der Jobcenter zu verbessern. Lustlos haben Sie sich der Aufgabe angenommen, die bisherige Struktur an die neue Gesetzeslage anzupassen. Angesichts der massiven Probleme in den Jobcentern ist es fatal, Frau Bluhm, einfach nur „Weiter so!“ als müde Parole hier auszugeben.

[Beifall bei den Grünen]

Gerade in Berlin, wir wissen die Zahlen alle, wo rund 20 Prozent der Bevölkerung auf Leistungen der Jobcenter angewiesen sind, ist die Frage nach einer besseren Betreuung und Förderung zentral, und zwar nicht nur zur Entlastung der Sozialgerichte, sondern um eine echte Verbesserung für die Betroffenen in der Stadt hinzubekommen.

Wann und wie werden die Personalprobleme der Jobcenter eigentlich gelöst? – Es hieß immer: Wenn die Strukturfrage geklärt ist, dann gäbe es auch personelle Verbesserungen. Wann ist damit zu rechnen, Frau Bluhm? Wie soll zukünftig Arbeitsmarktpolitik gesamtstädtisch gestaltet werden? Welche Aufgaben sollen die Bezirke noch

übernehmen? Wer ist zukünftig wofür eigentlich zuständig? Das weiß doch jetzt immer noch kein Mensch, doch gerade das hat das Verfassungsgericht gefordert – klare Zuständigkeiten. Davon sind wir in Berlin noch weit entfernt.

[Beifall bei den Grünen]

Ihr Gesetzesentwurf ist im Rat der Bürgermeister harsch kritisiert worden. Das Zitat von Herrn Buschkowsky spare ich mir, weil es zu lang ist. Es fängt mit dem Halbsatz an: Der Gesetzentwurf muss insofern in Gänze abgelehnt werden. – Ich glaube, da müssen Sie noch nacharbeiten, Frau Bluhm. Bekommen Sie das Gesetz bis zum Jahresende noch hin, frage ich mich, oder wird Berlin mal wieder bundesweit das Schlusslicht bei den Jobcentern sein, zulasten der Betroffenen, zulasten der Mitarbeiter, die dringend darauf warten, dass endlich etwas geschieht?

Eine weitere riesige Baustelle ist die Bildungskarte, der Bildungsgutschein, das Bildungspaket, wie es auch immer heißen mag. Ab dem 1. Januar drohen weitere 1,2 Millionen Euro neue Anträge auf die Jobcenter zuzurollen. Wie wollen Sie das eigentlich in den Griff bekommen? Das wird Frau Herrmann gleich noch näher ausführen. Ganz gleich, wie man dazu steht, Frau Bluhm, Sie müssen es ab dem 1. Januar organisieren. Daran wird kein Weg vorbeiführen. Ich bin gespannt, wie Sie das angehen werden.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Frau Grosse das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Berliner FDP ist die heutige Aktuelle Stunde ein langweiliges Thema. Das wundert mich eigentlich nicht. Für die Bundesregierung, die aus CDU und FDP besteht, sind 5 Euro Erhöhung des Regelsatzes und eine Chipkarte für Kinder von Hartz-IV-Familien der große Wurf.

[Beifall bei der FDP – Andreas Gram (CDU): Ich hätte es nicht besser formulieren können!]

Das glauben Sie auch nur, dass das der große Wurf ist. – Vor dem Hintergrund zunehmender Kinderarmut, und Kinderarmut ist auch gleichzeitig Erwachsenenarmut, wurden an die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze sehr hohe Erwartungen geknüpft, und umso größer ist die Enttäuschung für 600 000 Menschen in den Berliner Bedarfsgemeinschaften.

Soziale Kälte hat einen Namen und einige Gesichter. Es ist die Regierungsmannschaft der schwarz-gelben Koalition, allen voran Merkel und Westerwelle.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Och! von der CDU]

Wir befinden uns im europäischen Jahr gegen soziale Ausgrenzung und Armut. Wie sieht es eigentlich in einem anderen Jahr aus? Das wird ja dann noch schlimmer werden. In ihrer Begründung führt Frau Merkel aus: 5 Euro Erhöhung sind genug, denn die Betroffenen sollen sich nicht in dem Hartz-IV-Bezug einrichten, sondern die Integration in den ersten Arbeitsmarkt ist richtig.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Meine Damen und Herren, Sie klatschen viel zu früh, denn diese Bundeskanzlerin,

[Zurufe von der CDU und der FDP]

jetzt rede ich, und ich bitte darum, dass Sie jetzt mal etwas ruhiger sind – diese Bundeskanzlerin kürzt die Leistung für Qualifizierung und Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Wie verträgt sich das bitte schön?

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Berlin wird im nächsten Jahr 170 Millionen Euro für 237 000 Menschen, die in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden müssen, weniger haben. Wir alle wissen, dass wir nicht genügend Arbeitsplätze haben und deshalb Qualifizierung und Weiterbildung wichtig sind vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Steuer?