Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lux von der Fraktion der Grünen?

Im Moment nicht, ich muss erst einmal hier zu meinen zentralen Ausführungen kommen, dann können wir später noch einmal darüber reden.

Mir wird gesagt, dass auch der Kollege Kohlmeier eine Zwischenfrage hat.

Herr Kohlmeier! Jetzt schon?

[Heiterkeit – Zurufe von den Grünen]

Bitte schön!

Danke, Herr Zimmermann! – Ja, es muss jetzt schon kommen. – Sie haben vorhin in der Einführung Ihrer Rede von der Leisetreterei der Grünen gesprochen. Deshalb meine Nachfrage: Wie bewerten Sie es denn, dass sich die Grünen hier herstellen und diesen Jugendmedienstaatsvertrag – mit zu Recht guten Gründen – kritisieren und hier im Parlament ablehnen,

[Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

wenn sich doch in allen anderen Bundesländern die Grünen – ich möchte es so sagen – ebenfalls zur Hure der Politik machen und in NRW diesem Vertrag ebenfalls ihre Zustimmung geben wollen?

[Zurufe von den Grünen und von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Bitte sehr, Herr Zimmermann!

Es wundert mich in der Tat sehr, es ist ein bisschen schizophren,

[Beifall bei der SPD]

zumal in NRW die jetzige Regierung an der Aushandlung dieses Vertrags gar nicht beteiligt war, insofern dort die Chance bestanden hätte, sich ohne Gesichtsverlust auch zu distanzieren. Die Grünen machen es nicht.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Dann ist ja meine letzte Hoffnung flöten!]

Deswegen ist es für mich ein Stückchen Schizophrenie. Nach meinen Informationen wird NRW dem Staatsvertrag auch zustimmen.

Ich möchte festhalten, dass, nachdem im Offlinebereich auf den Trägermedien wie DVD und CD längst eine Altersklassifizierung nach Jugendschutzgesetzen enthalten ist, jetzt auch der Versuch unternommen werden sollte, im Onlinebereich zu einer Alterskennzeichnung zu kommen, und zwar aus einem einzigen Grund: um den Eltern zuhause, die das wollen, ein Instrument an die Hand zu geben, um ihre sechs- oder achtjährigen Kinder vor schlimmen Gewaltdarstellungen so gut es eben geht zu schützen. Dieses Instrument wollen wir den Eltern an die Hand geben. Diesem Ziel dient dieser Staatsvertrag. Wir wissen aber auch, dass sehr viel Kritik geäußert wurde. Zum Teil war es auch eine durchaus rationale Kritik. Wir haben sie aufgenommen. Deswegen ist es uns ganz besonders wichtig, in diesem Zusammenhang mit dem Staatsvertrag einige Punkte festzuhalten.

Erstens muss klar sein – und der Staatsvertrag bietet diese Auslegungsmöglichkeit –, dass betroffen und verpflichtet sind, die Inhalteanbieter und nicht auch die Zugangsprovider, weil die diese Aufgaben so nicht erfüllen können. Das können nur die Inhalteanbieter selbst, nur auf die bezieht sich diese Verpflichtung des Staatsvertrags.

Zweitens: Alle Betreiber von sozialen Netzwerken, von Plattformen, auf denen User-Generated-Content verarbeitet wird, wo der Einfluss der Betreiber auf den Inhalt begrenzt bis nicht vorhanden ist, muss klar sein, dass eine Kontrolle, eine Aufsicht, eine irgendwie geartete Überprüfung dieser einzelnen Einträge – Millionen von Einträgen – durch die Betreiber nicht stattfinden kann, auch nicht stattfinden soll und auch nicht gewünscht ist. Wir stellen fest, wir legen diesen Staatsvertrag so aus, dass dieser Staatsvertrag zu einer solchen Kontrolle nicht verpflichtet. Wir würden das gerne auch noch festhalten, aber besser ist es, dass man sich dann die Protokollerklärung einiger Länder

[Alice Ströver (Grüne): Ja, der grünen Länder!]

anlässlich der Paraphierung anguckt. Da steht genau dieses drin. – Ja, da waren Sie beteiligt! Sehr hilfreich! – Das ist für die Auslegung künftig wichtig, dass dies klargestellt wird.

Nächster Punkt: Wir möchten, dass solange das Jugendschutzprogramm noch nicht existiert, also die technische Umsetzung des Vertrags noch nicht möglich ist – und wir wissen, dass diese Software wohl noch nicht da ist –, auch die Sanktionen aus dem Staatsvertrag nicht greifen können. Wenn die einzelnen Beteiligten die Pflichten aus dem Vertrag nicht erfüllen können, kann es auch noch keine Sanktionen geben. Da sind wir sehr für eine Übergangszeit, was die Sanktionierung dieses Vertrags angeht.

Viertens wollen wir, dass die Praxis dieses Vertrags evaluiert wird und dass wir zeitnah auch Berichte erhalten, wie tatsächlich diese Anwendung funktioniert und ob wir den Zielen, die wir mit dem Vertrag intendieren, näherkommen.

Alles in allem spricht alles dafür, diesen Schritt im Onlinebereich zu tun, den Eltern die Chance zu geben, für ihre Kinder zuhause am PC eine Schutzfunktion einzurichten. Ich bin sicher, dass viele Eltern dies wünschen. Geben Sie ihnen diese Chance! Wir wollen sie ihnen eröffnen und werden dann auch rechtssicher die einzelnen Instrumente überprüfen.

Ein Wort zum Schluss: Von Zensur in diesem Zusammenhang zu sprechen, wenn ein Jugendschutztool, ein Jugendschutzprogramm für die Eltern angeboten wird, halte ich für geradezu absurd. Es ist eine Möglichkeit, den Kinder- und Jugendschutz im Netz zu intensivieren. Das ist unser Ziel. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann! – Jetzt haben wir eine Kurzintervention von Frau Ströver. – Bitte schön!

Es tut mir leid, Herr Präsident! – Herr Zimmermann! Ich glaube, ich habe versucht, inhaltliche Argumente zu bringen und nicht auf diese billige und populistische Art zu argumentieren. Dass diesem Staatsvertrag als Staatsvertrag, den die Ministerpräsidenten und ihre Rundfunkreferenten aushandeln, tatsächlich eben nur zugestimmt oder er nur durch die Parlamente abgelehnt werden kann, wirft die grundsätzliche Frage auf.

Nun zur „Hure der Politik“, Herr Kohlmeier: Die Hure SPD – ich zitiere Sie –

[Zurufe von der SPD]

das waren seine Worte – hat im Saarland aus der Opposition heraus diesem Staatsvertrag zugestimmt, in Schleswig-Holstein hat sie ihn abgelehnt, also je nachdem, hat jeder gemacht, was er konnte. Das zieht sich durch.

[Marion Seelig (Linksfraktion): In Thüringen haben die Grünen auch zugestimmt! – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Aber in NRW, um es noch einmal deutlich zu sagen, haben die NRW-Regierung und der Landtag dieses Gesetz nicht beschlossen. Es wird nächste Woche auf der Tagesordnung sein. Da er vom Vorgängerministerpräsidenten Rüttgers paraphiert worden ist, wird der Landtag nächste Woche entscheiden, was zu tun ist. Wenn Sie so große Kritik daran haben, dann sollten Sie auf Ihre Kollegen in NRW einwirken, dass sie sagen, wir setzen als großes Bundesland diesen Staatsvertrag aus, damit nicht Berlin diese Rolle zufällt. Das kann ich aus Berliner Sicht verstehen. Er ist nicht geeignet, die Probleme zu lösen, ganz und gar nicht, die wir mit Jugendschutz wollen.

Ich spreche nicht von Zensur, um das noch einmal zu sagen, Herr Zimmermann! Das ist unmöglich, was Sie hier unterstellen! Das werden Sie nie in irgendeinem Beitrag von mir hören. Aber ich kann Ihnen sagen, wenn wir in eine Situation kommen, wo schon auf der Grundlage des alten Staatsvertrags mehrere Kulturseiten nicht nur gesperrt worden sind, sondern inzwischen schon Leute verklagt worden sind, muss ich sagen, kommen wir doch in eine Situation hinein, wo wir uns fragen müssen, ob dieses Mittel geeignet ist. Ich bin sowieso sicher, dass wir, wenn ein Internet global ausgerichtet ist, mit einer nationalen Regelung nichts, aber auch gar nichts erreichen können, weil natürlich die Betreiber schlimmer Seiten nicht in Deutschland sitzen. Deswegen werden Sie hier gar nichts erreichen. Das ist uns doch klar. Viel wichtiger wäre es, dass wir uns daran machen, Medienkompetenz zu vermitteln, den jungen Menschen tatsächlich beizubringen, wie sie mit den Inhalten des Webs umgehen, aber nicht die Anbieter stigmatisieren und letztendlich auch noch kriminalisieren. Das wird nämlich die Folge sein. Das wollen wir doch nicht.

Diese Protokollnotiz, die Sie erwähnten, dass man diese Anwendung nicht auf Blogs bezieht, die geht ausschließlich auf die Grünen zurück und auf niemanden sonst.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Vielen Dank! – Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Zimmermann.

[Benedikt Lux (Grüne): Erst eine Entschuldigung für Kohlmeier!]

Zunächst einmal, Frau Ströver, haben Sie sicherlich auch gemerkt, dass ich die Vokabel „Hure“ nicht in den Mund genommen habe. Es gehört auch nicht zu meinem Vokabular. Ich meine auch, dass das unpassend wäre, solche Vokabeln zu verwenden.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Beifall von Frank Henkel (CDU)]

Zweitens das Stichwort Stigmatisierung. Sie sagen, Frau Ströver, wir würden mit diesem Staatsvertrag alle Inhalteanbieter im Netz stigmatisieren. Ich glaube, das können Sie auch nicht belegen. Für so eine Behauptung gibt es auch keine plausible Begründung, weil wir eine bestimmte Filterfunktion einrichten wollen, nicht mehr und nicht weniger. Niemand wird hier stigmatisiert, sondern es soll eine Schutzfunktion eingebaut werden.

Drittes Stichwort, Zensur. Frau Ströver! Ich habe Ihnen auch nicht unterstellt, dass Sie Zensur behauptet hätten. Aber es gibt sehr viele, die in der öffentlichen Debatte von Zensur sprechen und die einen Eindruck erwecken, als würden wir Inhalte im Netz, wo Freiheit des Informationsflusses ein wichtiges Gut ist, unterdrücken wollen. Das ist nicht der Fall. Es geht wirklich um ein freiwilliges Alterskennzeichnungssystem, das den Kinderschutz ein bisschen mehr fördern soll.

Alles in allem: Wenn NRW zustimmt – ich gehe davon aus –, dann wird dieser Staatsvertrag in Kraft treten, sowie die 16 Ministerpräsidenten ihn unterzeichnet haben. Lassen Sie uns evaluieren, lassen Sie uns prüfen, wie das in der Praxis aussieht! Ich gebe zu, dass man, solange die technischen Voraussetzungen nicht geschaffen sind, das schlecht beurteilen kann. Also werden die technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Und dann werden wir das beurteilen und alle gemeinsam gucken, ob wir daran erneut etwas ändern müssen oder ob das funktioniert. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Goiny.

[Michael Schäfer (Grüne): Traut sich der Regierende eigentlich hier zu erklären, warum er das Ding unterschrieben hat?]

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde auch die Wortwahl, die hier teilweise bei der Diskussion gewählt wurde, beim Jugendmedienschutz nicht unbedingt passend. Ich glaube, über die Frage der Bedeutung des Jugendschutzes und gerade in den neuen Medien und im Internet müssen wir nicht streiten. Dem messen wir alle gemeinsam eine hohe Priorität zu. Die Kritik ist vielmehr die, dass wir glauben, dass der vorliegende Staatsvertrag hier keinen wesentlich besseren Beitrag leistet als der schon vorhandene Staatsvertrag.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Jugendmedienschutz fängt gerade bei den Eltern und Erziehern an. Hier ist eine besondere Verantwortung, die es auch wahr

zunehmen gilt. Dieser Staatsvertrag hat in der Tat eine Reihe von Schwächen. Das ist schon angesprochen worden. Das haben wir in diesem Hause übrigens auch schon mal diskutiert. Wenn versucht wird, Regeln des Rundfunks ins Internet zu übertragen, indem man z. B. bestimmte Angebote erst ab bestimmten Uhrzeiten zulässt, so reicht vielleicht der einfache Hinweis, dass irgendwo auf der Welt immer 22 Uhr ist, um deutlich zu machen, wie absurd so eine Regelung in der Praxis ist. Und wenn man die Zertifizierung von bestimmten Angeboten fordert, damit sie durch Jugendschutzprogramme erkannt und für Kinder und Jugendliche freigegeben werden, dann muss man einfach auch mal überlegen, welche Bedeutung das für Internetangebote hat, die Jugendarbeit präsentieren, die Sportangebote präsentieren, bis hin zu politischen Jugendorganisationen, die überhaupt nicht auf die Idee gekommen sind, dass sie unter dem Aspekt des Jugendschutzes ihre Internetauftritte zertifizieren lassen müssen. All das – das ist unsere Befürchtung – wird mit dem neuen Jugendmedienstaatsvertrag komplizierter. Insofern gibt es eine Reihe von Punkten, die in diesem Staatsvertrag nicht hinreichend umgesetzt worden sind.

[Beifall bei der CDU]

Und das ist übrigens von allen Fraktionen hier im Hause kritisiert worden. Wir haben, glaube ich, als Landesparlament eine der ersten Anhörungen zu diesem Jugendmedienstaatsvertrag gemacht und gemeinsam diese Punkte kritisiert. Insofern finde ich es ein bisschen schade, dass zumindest meine beiden Vorredner diesen Aspekt gar nicht haben zum Tragen kommen lassen. Denn das Kernproblem, das wir haben, ist doch die Art und Weise, wie Staatsverträge im Rundfunkrecht diskutiert werden. Wir sind doch hier als Parlamentarier im Grunde genommen nur diejenigen, die etwas abnicken können, ohne es inhaltlich substantiell zu verändern. Unsere Kritik gilt insbesondere, da brauchen wir das gar nicht parteipolitisch zu nehmen, der Art und Weise, wie in Staats- und Senatskanzleien diese Entwürfe erarbeitet werden und wie es eine klare Verweigerungshaltung gibt, Änderungen aus den Landesparlamenten in diese Staatsverträge einzuarbeiten. Da können wir auf die einzelnen Bundesländer gucken, da können wir das Saarland, Nordrhein-Westfalen oder welches Bundesland auch immer nehmen.